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Sie wollte keinesfalls, dass William sie als Almosengeberin ansah. Sie wollte seine Anerkennung und Achtung aus Liebe und nicht aus Dankbarkeit. Deswegen war es am besten, wenn sie überhaupt nicht mehr bei den Darcys in Erscheinung treten würde. Was angesichts der Tatsache, dass James und Charlene zusammen waren einige Schwierigkeiten aufwarf. Aber ihr würden schon die rechten Ausreden einfallen, sie musste ja den beiden nicht am Rockzipfel hängen.

Sie würde sich einfach des Öfteren in Derbyshire aufhalten, das musste irgendwie machbar sein.

Als das Schreiben von GW-Poker bei den Darcys eintraf, herrschte zunächst betroffenes Schweigen, alle hatten sich um den Esstisch versammelt und starrten den ominösen Umschlag mit finsteren Mienen an. Das Desaster lag vor ihnen auf dem Tisch – dachten sie.

Endlich fasste sich Mrs. Darcy ein Herz und schlitzte den Umschlag entschlossen auf: „So, sehen wir also den Dingen ins Auge, meine Lieben.“

… und so freuen wir uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir auf sämtliche Forderungen Ihnen gegenüber komplett verzichten. Sehen Sie bitte mit diesem Schreiben auch alle bisherigen Rechnungen und Mahnungen als gegenstandslos an.

Mit freundlichen Grüßen

GW-Poker

Der Lärm, der daraufhin im Hause Darcy losbrach, war unfassbar und selten zuvor hatte es einen Aufruhr in dieser Lautstärke in dem kleinen Reihenhäuschen gegeben.

William und James führten einen regelrechten Freudentanz auf, Martin fiel sogar über einen Küchenstuhl, weil ihm dieser in all dem Trubel im Weg gestanden hatte und Mr. und Mrs. Darcy konnten nur ungläubig wieder und wieder auf das Schreiben vor ihnen starren. Louis und Carl schrieen ihre Freude so laut heraus, dass Mr. Darcy sich in der Tat kurzfristig die Ohren zuhalten musste.

Als man ein klein wenig zur Ruhe gekommen war, begann die Analyse des Sachverhaltes.

Mr. Darcy schüttelte den Kopf: „So schön diese Nachricht auch sein mag, ich kann mir auf diese Geschichte überhaupt keinen Reim machen.“

„Ich auch nicht“, japste Mrs. Darcy nach Luft.

„Haben wir uns auch nicht verlesen?“ fragte Louis vorsichtig nach.

„Nein, es ist wirklich und wahrhaftig wahr“, bestätigte ihm Jim.

„Wie kann das sein?“ William zog fragend seine Augenbraue in die Höhe und blickte ratlos in die Runde.

„Vielleicht hat ein Fehler bei GW-Poker vorgelegen und alles war ein Missverständnis, ein großer Irrtum?“ lautete Martins Erklärung der Dinge.

James nickte: „Möglich. Nehmen wir es zunächst mal an, vielleicht bekommen wir ja irgendwann einmal mehr darüber raus.“

William war noch immer skeptisch, nickte aber dazu ohne einen weiteren Kommentar.

James zog sich eine Jacke über und nahm die Autoschlüssel zur Hand: „Ich fahre rüber auf den Bau, wartet nicht auf mich, ich… ähm… wir übernachten auch in Harlow.“

„Ist ja nichts Neues in den letzten Tagen“, ließ sich William trocken vernehmen.

„Was dagegen?“

„Nicht im Geringsten. Es freut mich für euch. Wenigstens einer, dem das Glück ein wenig hold ist.“

„Aber nun sieht es doch so schlimm nicht mehr aus, nach diesem Brief von heute.“

„Ja, Gott sei Dank. Viel Spaß dann und grüße Charlene.“

„Kommst du morgen und hilfst uns?“

William zögerte, was wenn Elizabeth übers Wochenende zu Charlene kommen würde?

Andererseits – das hätte Jim sicherlich schon erwähnt, also nickte er knapp: „Ja, mache ich. Gute Nacht.“

Er kam sich zwischen den beiden Turteltauben – obwohl er sich über Mangel an Arbeit nicht beklagen konnte – wie das sprichwörtliche fünfte Rad am Wagen vor. Auch wenn sich sowohl sein Bruder als auch Charlene sehr viel Mühe gaben ihn so oft wie möglich einzubeziehen, fühlte er sich unbehaglich. Angesichts des Beziehungsidylls der beiden Frischverliebten in seinem Umfeld machte sich seine eigene Einsamkeit, sein Wunsch nach einer passenden Partnerin verstärkt bemerkbar. Und er wünschte sich einfach nur – Elizabeth Bennet an seine Seite. Der Wunsch erschreckte ihn schon nicht mehr, er hatte sich damit abgefunden, dass er sie liebte. Er hatte sich aber auch damit abgefunden, dass diese Liebe eine aussichtslose war.

Williams Sensoren waren unglaublich geschärft und so hatte er bemerkt, dass sich Charlene zwar sehr gefreut hatte, dass Louis und die gesamte Familie aus der Horrornummer mit GW-Poker auf so wundersame Art und Weise rausgekommen waren, doch William war ihre Freude leicht aufgesetzt erschienen, ihre Überraschung schien nicht über die Maßen groß gewesen zu sein. Kritisch beäugte er sie den ganzen Tag über.

Am Ende des Tages waren die Installationen für die Küche und die Bäder fertiggestellt und alle machten zufriedene Gesichter. William war überdies froh, dass Elizabeth sich tatsächlich fernzuhalten schien.

Wie seine Reaktion sein würde, wenn sie auf Harlow Manor auftauchen würde, vermochte er nicht zu sagen. Er schätzte, es würde sehr auf seine Stimmungslage ankommen. Wenn es ganz schlecht laufen würde, würde er einfach davonrennen. Wenn es optimal laufen würde… er wagte nicht weiterzudenken.

Nachdem man gemeinsam ein Gläschen Sekt auf den erfolgreich verlaufenen Tag am Bau getrunken hatte, verabschiedete William sich. Er wollte den beiden nicht auf den Nerv gehen, wollte ihnen nicht unnötig lange auf der Pelle hocken.

„Gute Nacht, ihr beiden. War nett mit euch, aber es wird Zeit für mich.“

„Gute Nacht, Wills. Komm gut nach Hause und grüß Mum und Dad, ja?“

„Lieber William, hab Dank für deine Hilfe heute und fahr schön vorsichtig. Gute Nacht, dann.“

Er startete den VW Jetta und fuhr aus der Ausfahrt von Harlow Manor. An der nächsten Kreuzung fiel ihm siedend heiß ein, dass er seine Hausschlüssel auf der Baustelle vergessen hatte. Hoffentlich waren Charlene und Jim noch im Haus und nicht schon ins Hotel abgedüst. Rasch wendete er und fuhr zurück.

Zum Glück war noch Licht, also sprang er aus dem Wagen und hastete durch die Tür ins Haus.

Im Gang zur Küche, wo er die Schlüssel vermutete, hörte er Charlene etwas sagen, doch ihrem Tonfall nach zu urteilen sprach sie nicht mit Jim: „… nein, ich habe weder Jim noch William etwas davon erzählt, sei ganz beruhigt. Keiner ahnt, dass du den ganzen Kram bei GW-Poker beglichen hast. Wo Jim gerade ist? Der macht derzeit oben alles dicht, es soll schrecklich viel Regen geben. Dann fahren wir ins Hotel, William ist schon weg nach Hause. Ja, Lizzie, ich wünsche dir auch eine gute Nacht, freut mich, dass du angerufen hast.“

William stand wie versteinert im Flur vor der großen Küche. WAS? Konnte das wirklich wahr sein? So unglaublich es auch anmutete - er wusste just in dieser Sekunde, dass es genauso sein musste. Gerne hätte er es angezweifelt, hätte es als völlig absurd abgetan – er konnte es nicht, denn die Gewissheit darüber durchdrang ihn wie eine heiße Flüssigkeit. Gequält schloss er seine Augen und er war nicht überrascht über den Fakt, dass sich jeweils eine Träne aus den Augenwinkeln auf den Weg über seine stoppeligen Wangen machte.

Charlene schoss aus der Küchentür, anscheinend auf der Suche nach James, und ihr war bei  Williams Anblick sofort klar, dass er es mitgekriegt hatte.

„Oh mein Gott! William! Geht… geht es dir gut?“

Er schüttelte den Kopf und sah zu Boden.

Charlene trat nahe an ihn heran: „Du weißt, dass Elizabeth das nicht getan hat, um euch gegenüber auftrumpfen zu können, nicht wahr? Sie wollte ja nicht, dass es jemand erfährt. Du weißt, weswegen sie es getan hat?“

Er schüttelte zwar abermals den Kopf, murmelte aber undeutlich dazu: „Ich… ich denke schon.“

„Wie wäre es dann, wenn du nun zu ihr nach London fährst und nicht rüber nach Hoddesdon?“

Als sie sah, dass er eine Geste des Protestes machen wollte, schob sie ihn sanft in Richtung Ausgang und meinte abschließend: „Ich sage Jim, dass er bei euch zu Hause anrufen soll, dass du nicht kommen wirst, okay?“

Dieses Mal nickte William und trat wie betäubt ins Freie.






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