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Nachdenklich kratzte er sich am Kopf. Anfangs hatte er gedacht, das Wetter würde niemals angenehm warm und schön werden. Dabei war ihm gesagt worden, dass der Herbst in Deutschland so wundervoll und vor allem stabil von der Wetterlage her sein sollte. Von alldem hatte er zuerst kaum etwas gemerkt. Auch hier in Würzburg war das Wetter eher schlecht gewesen. Bewölkt, wechselhaft, regnerisch.

Wie das mit den Filmdreharbeiten hatte gehen sollen, war ihm schleierhaft gewesen und er hatte gehofft, dass sich das Wetter bald ändern würde.

Und nach genau sechs Tagen war es plötzlich herrlich sonnig und trocken geworden, eigentlich wie prophezeit - endlich. Ein Frühherbst aus dem Bilderbuch.

Ein winziges Manko musste allerdings angesprochen werden: Hier in der Provinz gab es kein einziges Fünf-Sterne-Hotel. Zwar hatte man bereits in Bamberg im ersten Haus am Platz logiert, aber das war – auch wenn es sich um ein sehr schönes historisches Gebäude gehandelt hatte – kaum zu vergleichen mit einem wahrhaften Luxushotel.

Und das gleiche Spiel – vielleicht sogar noch eine Spur provinzieller, trotz dass auch dieses Hotel hier sich mit dem Attribut ‚Schloss‘ schmückte – nun hier in Würzburg. Es war nicht ganz der Standard, den er gewohnt war und schon dreimal nicht der Standard, den seine überaus prominenten Kollegen gewohnt waren. Wettgemacht wurde das Fehlen von mindestens einem Stern durch die wundervolle Lage inmitten der Weinberge hoch über Würzburg – traumhafte Aussicht inbegriffen. Nun gut, mit der Einschränkung, dass man zwar auf die Stadt und auf die gegenüberliegende Festung sehen konnte, aber leider auch auf ein sehr hässliches Heizkraftwerk am Main.

Blieb das Plus der Weinberge. Er hatte noch niemals zuvor mitten in einem Weinberg gewohnt. Es war fast paradiesisch.

Gerade nun, wo die Trauben für die Lese bereit waren und man sich der Tatsache bewusst wurde, dass dies nun bald einen neuen köstlichen Tropfen geben würde – wundervoll!

Er liebte Wein und gewissermaßen genau an der Quelle, am Ursprung dieses Rebensaftes logieren zu können, war die Sache auf alle Fälle wert.

Während er seinen Blick über die Stadt Würzburg schweifen ließ, dachte er an seine mäßigen Fortschritte in der deutschen Sprache. In Bamberg hatte er ‚Kerwa“ gelernt, aber was sich genau hinter diesem Begriff verbarg, vermochte er noch immer nicht zu sagen. Für ihn war es das Synonym für eines der vielen Feste, die die Deutschen zum Anlass nahmen um enorme Mengen an Bier in Ein-Liter-Krügen – völlig irre! – zu trinken und ebenso enorm fettes Essen zu sich zu nehmen. ‚Schweinebraten‘ und „Schweinehaxe‘ waren weitere Wörter, ebenso wie „Bratwurst mit Kraut‘, die er nun beherrschte.

Und hier nun sah er sich mit einem neuen Wort konfrontiert: ‚Bocksbeutel‘. Wenn er es hätte schreiben müssen, hätte er es natürlich mit einem ‚x‘ in der Mitte geschrieben. War aber falsch, wie er schnell herausgefunden hatte.

Man orderte hier den Flaschenwein nicht, indem man ‚noch eine Flasche Wein, bitte‘ sagte, nein, es hieß folgerichtig ‚noch einen Bocksbeutel, bitte‘.

Diese Flaschen waren nicht schlank und schmal in der Silhouette, sie waren rundlich und bauchig. Eine Einzigartigkeit, eine Besonderheit dieser Region, die – und dies verwirrte ihn anfänglich – Franken hieß, aber Bayern war und Bayern war wiederum in Deutschland. Das sollte einer kapieren!

Sein Deutschunterricht war zwangsläufig weitergegangen, denn ‚fortress‘ hieß ‚Festung‘.

Am Set ging es sehr oft zweisprachig zu, daher waren ihm Halbsätze wie ‚Ruhe bitte, wir drehen‘ oder ‚Kamera läuft‘ nun auch in Deutsch ein Begriff. Auszusprechen war das alles nicht so leicht, so mühte sich beispielsweise sehr ab, das Wort ‚Frühstück‘ herauszubringen ohne dass es völlig verfremdet und unverständlich klang. Total schwer!

Was aber das absolut Bemerkenswerteste an Würzburg war, war der Auflauf an Paparazzi. Selbst in London wurde man selten so behelligt wie in dieser bayerischen Kleinstadt. Der Grund dafür: Sein lieber frischverheirateter Kollege, demnächst Vaterfreuden entgegensehend! Sogar der berühmt-berüchtigte Paul, einer der wenigen Star-Paparazzi aus Deutschland, war extra angereist und legte sich auf die Lauer nach einem Fotomotiv, das er gewinnbringend vermarkten konnte. Unglaublich! Wie schön ruhig und beschaulich hätte alles werden können, wäre da nicht besagter netter Kollege mit im Spiel.

Andererseits fokussierte sich das Geschehen ganz auf diesen Herrn und auf noch ein, zwei weitere Co-Stars, was zwar ein wenig Trubel machte, aber im Großen und Ganzen die anderen im Team verschonte.

Ein Bild dieses Kollegen hatte einen enormen Marktwert, wohingegen man ein Foto von ihm selbst wahrscheinlich kaum losbringen würde. Seine Popularität hielt sich zum Glück stark in Grenzen, vor allem außerhalb seines Heimatlandes.

Er verspürte auch kein sehr großes Bedürfnis nach Öffentlichkeit. Er ging gerne mit, wenn gemeinsame Aktionen mit dem Filmteam angesagt waren, keine Frage. Aber er hielt sich ansonsten dezent im Hintergrund und war auch nicht jeden Abend – wie so einige andere - in der Stadt anzutreffen. Der Dreh war unglaublich anstrengend, denn seit das Wetter so extrem gut geworden war, hatte man täglich mehr Szenen als vorgesehen ins Programm gepackt. Dann war man wirklich froh, wenn man abends schnell ins Hotel konnte, wo ausruhen und entspannen die Devise war.

Dreharbeiten an so öffentlichen Orten und Plätzen abzuhalten, war ohnehin recht schwierig. Er bewunderte diese bayerischen Städte und Orte dafür, wie sie mit der Situation umgingen. Aber auch für die Filmcrew war es ein Knochenjob, ebenso wie für alle Darsteller. Man stand jeden Tag unter massiver Beobachtung, hatte täglich Tausende von Zaungästen, die Schlösser und Burgen durften nicht vollständig für Besucher gesperrt werden und oftmals rannte man schnell im Kostüm an einer Gruppenführung vorbei. In der Art hatte er selbst auch noch niemals einen Film gedreht; es war gewissermaßen sein Debüt – und in 3D sowieso. Natürlich schotteten Sicherheitsleute das Filmset so gut wie möglich ab, aber Zuschauer hatte man dennoch immer. Und wenn ein Fotograf mit einem besonders guten Teleobjektiv dabei war – und deren schien es überraschend viele zu geben - gab es auch tolle Fotoausbeute.

Wobei der Regisseur auch recht großzügig war und die meisten Fotografen seelenruhig gewähren ließ. Hatte man auch nicht oft.

Mit einem zufriedenen Lächeln besah er das mit fränkischem Rotwein gefüllte Glas vor sich. Er würde auf alle Fälle eine Kiste dieser ‚Bocksbeutel‘ – er liebte dieses Wort! – mit nach Hause nehmen.

Schon bald waren die Dreharbeiten in Würzburg beendet und es würde aus diesem großen und bekannten bayerischen Weinbaugebiet heraus gehen, nach München und Umgebung, wo dann das Bier wieder regierte. Und das war auch schon das nächste Stichwort, aber eines, das er auf Deutsch schon länger konnte. Es hieß nämlich: ‚Oktoberfest‘!






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