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„Ich komme nicht mit zum Flughafen!“ Sie stand am offenen Fenster und war froh, dass sie es jetzt ausgesprochen hatte. Draußen machte sich langsam der Frühling bemerkbar, selbst hier in London lag er in der Luft.

Er trat von hinten an sie heran. Die Wärme seines Körpers durchdrang den dünnen Pyjama und sie lehnte ihren Rücken gegen seine nackte Brust. Sie spürte sein klopfendes Herz. Dieses Ziehen in ihrer Brust tat weh. Mit seinen Armen umfasste er sie und zog sie fester zu sich heran. Er sagte nichts.
Der Druck seiner Arme und der festen Muskeln seines Körpers ... sie wollte sich nicht von ihm trennen. Nicht nach dieser Nacht!
Es hatte gedauert, bis sie ihn zum ersten Mal mit in ihre Wohnung mitgenommen hatte. Sie war einfach so unsicher gewesen und er war ihr wie ein Mysterium erschienen. Er hätte sie um den kleinen Finger wickeln können, sie hätte ihm alles gegeben. Und er hatte keinen Hehl um seine Gefühle und sein Verlangen gemacht!
Sie war nun wirklich kein unerfahrenes Küken in Sachen Sex. Sie war immer unbefangen und offen in eine neue Beziehung gegangen.
Aber als sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten, fühlte sie sich wie in Watte gepackt, ihre wahren Gefühle schienen nicht nach außen dringen zu können. Sie war verspannt und nervös gewesen. Und sie hatte sich so sehr gewünscht, ihm alles geben zu können, doch es war nicht geglückt.
Doch die letzte Nacht war etwas ganz Besonderes gewesen. Sie wusste nicht woran es lag, vielleicht war sie vorher noch nicht bereit gewesen, sich vollends zu öffnen, sich von dem Gedanken loszulösen, dass er ein Schauspieler war, eine Person der Öffentlichkeit, eine Person der Allgemeinheit. Sie würde ihn vielleicht mit vielen Menschen teilen müssen und sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie das schaffen sollte.
Als sie am letzten Abend in seinem Apartment angekommen waren, war ihr das Herz in die Schuhe gesackt. Wieder hatte sie eine ungewöhnliche Nervosität ergriffen, ihre Hände hatten gezittert und kein einziges, vernünftiges Wort war über ihre Lippen gekommen.

Dann hatte sich alles geändert. In ihrem Kopf konnte sie den Gedanken an den nahenden Abschied nicht unterdrücken, doch ihre Gefühle hatten die Kontrolle über ihren Körper übernommen. Sie war auf einer Welle des Verlangens geschwommen und hatte den Boden unter ihren Füßen verloren. Bei jeder seiner Berührungen hatte ihr Verstand ausgesetzt. Wenn sie nur daran dachte, was er mit seinen Händen, seinem ganzen, schönen Körper gemacht hatte, überschwemmte sie eine Welle des Glücks.
Und all das war ihr passiert, ausgerechnet ihr! Sie hatte sich bisher niemals so gefühlt, außerstande ihre Gedanken und Gefühle zu sammeln, nicht fähig die Zügel in die Hand zu bekommen und die Führung zu übernehmen.
Meine liebe Grace, dachte sie, wenn dir das jemand vor einigen Wochen erzählt hätte, hättest du dich wohl krankgelacht. Diese Zeit war wie im Traum vergangen.

Und jetzt stand dieser Traum hinter ihr und presste seinen Körper gegen ihren. Und das war die Wirklichkeit.
Wirklichkeit war aber auch, dass er heute fliegen würde.
In der letzten Nacht wurde der Gedanke daran von einer regelrechter Flut weggespült, doch heute Morgen war er so real wie der Mann, der sie festhielt.
Sie drehte sich zu ihm um, „Halt mich, Richard!“
Sie umarmten sich. Ihre Hände umfassten ihn und berührten seinen Rücken, sie fuhren an seiner Wirbelsäule entlang und verschwanden unter dem Bund seiner Boxershorts. Sie legte den Kopf an seine Brust.
„Meine Güte, ich hätte jetzt fast gesagt – wie soll ich das ertragen – das hört sich so platt an. Aber, ob du es glaubst oder nicht, es ist das was ich fühle. Keine Ahnung, wie ich das aushalten soll!“ Sie schaute ihn an. Seine verwuschelten Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab. Sie waren noch länger geworden, und er durfte sie nicht abschneiden. Schon bald würden sie wieder ganz schwarz gefärbt sein, nur für die Rolle, die ihn in Ungarn erwartete. Er sah einfach unwiderstehlich aus an diesem Morgen!
„Warum willst du mich nicht zum Flughafen begleiten?“ fragte er und seine Augen suchten ihre.
„Ich will halt nicht. Basta!“ Sie klang trotzig.
„Grace, komm mal mit.“ Sie setzten sich auf das breite Bett. Es war total zerwühlt und noch warm von ihren Körpern. Er lehnte sich an das Kopfende und schaute sie ernst an. „Komm, sag mir doch, warum du nicht mitkommen willst. Wir hätten so zumindest noch ein bisschen Zeit miteinander!“
„Ein bisschen Zeit ... soll das ein Witz sein, ein paar Minuten nur noch. Ich will dich nicht gehen sehen, ich will mich dort nicht von dir verabschieden, ich will nicht die ganzen Leute sehen, die mit dir kommen werden. Und ich will am Flughafen nicht heulen, ich hasse heulende Menschen am Flughafen und ich will nicht, dass du gehst!“ Eine Tirade von Worten floss aus ihrem Mund. Jetzt presste sie die Faust auf den Mund, als wolle sie die Worte wieder hineinschieben. Sie hatte das nicht sagen wollen, hatte ruhig bleiben wollen. Sie sah ihn vorsichtig an. Er lächelte.
„Du brauchst gar nicht so zu lächeln, du gemeiner Kerl, du! Schau mich nicht so an, wenn du so guckst, kann ich gar nicht mehr klar denken!“
Sie drehte sich ruckartig um. „Du bist unmöglich! Du bohrst und drängst, du quatschst auf mich ein, du küsst mich und was sonst noch alles. Dann lockst du mich hierher, machst Sachen mit mir, die ich ... ähm ...., die ich noch nie gemacht hab’ und dann verschwindest du so sang- und klanglos. Und da soll ich dich noch zum Flughafen begleiten? Nö, mein Lieber, ohne mich!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
Langsam schob er sich über das Bett an sie heran. Er schlug die Augen nieder und blickte sie an. Ein Schauer durchlief sie. Ausgerechnet wenn ich ganz stark sein will, dachte sie.
„Du bist also der Meinung, ich hätte das alles so geplant? Tja, da muss ich sagen – grandioser Plan!“
Er schnappte sie, warf sie quer über das Bett, fuhr mit seinen Händen unter ihren Pyjama und kitzelte sie. „Sei nicht so böse mit mir, du Hexe. Du bist auch nicht besser, hast mich total verzaubert!“
Sie lachten beide und kuschelten sich aneinander. Sanft streichelte er ihren Bauch.
„Wenn du das wirklich denkst, wenn du wirklich glaubst, das sei nur ein perfider Plan gewesen, dann ....“ sagte er mit diesem verführerischen Klang seiner dunklen Stimme.
„Gott, Armitage! Natürlich denke ich das nicht! Ich kann es nur nicht ertragen, dass du mich heute verlässt. Dass wir so lange getrennt sein werden. Was wird sein, wenn du wieder kommst? Ich werde dich so sehr vermissen!“
Ihre Hand folgte der Kontur seines Kinns, sie spürte die sprießenden Haare seines Barts, dann berührte sie mit den Fingern seinen Hals und legte sie auf die zarte Grube unterhalb seines Adamsapfels. Sie spürte seinen Herzschlag, sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Ihn so hier zu sehen, so verletzlich, seinen Körper zu spüren, das war wie die Erfüllung eines lang gehegten Traums und sie wollte nicht, dass er endete.
Er sagte leise: „Schau mal Grace, ich kann dir natürlich erzählen, dass diese Monate schnell vergehen werden, dass wir uns bald wieder sehen und dass ich immer schreibe, anrufe oder auch vorbeikomme. Aber all das wird dich nicht trösten, oder?
Ich kann dir nur sagen, dass ich sicher genauso unter dieser Trennung leiden werde, wie du. Aber, das ist nun mal mein Beruf und als ich diese Rolle annahm, konnte ich ja noch nicht wissen, dass ich dich kennen lernen würde. Bisher hat es mir nie viel ausgemacht, länger weg zu sein, aber da kannte ich dich ja noch nicht!“

„Wirst du mich wirklich ein wenig vermissen?“ fragte sie schüchtern und vergrub ihren Kopf an seiner Schulter. Als er ihren Nacken berührte, bekam sie eine Gänsehaut.
„Ja ....,“ er hauchte dieses Wort geradezu. Sie schloss die Augen und versuchte die Bilder dieser Nacht in ihrem Kopf zu speichern. Erinnerungen an Berührungen, Küsse, Gerüche und ganz viel Wärme. Erinnerungen auch an diese Stimme, die mit keiner zu vergleichen war, die sie je gehört hatte.
„Ich werde dich vermissen, sehr sogar. Diese letzten Wochen mit dir waren einfach wundervoll, ich möchte sie nicht missen. Glaubst du mir das, Grace?“

Sie wandte ihren Blick weg von ihm und hin zu der gepackten Reisetasche und seinem Rucksack. Beide standen dort neben der Tür, wie Mahnmale. Als Erinnerung für sie, für das was sie erwartete. Einsamkeit, Sehnsucht nach ihm, seinem Körper, seinen Händen, seiner Stimme. Alles an ihm würde sie vermissen, sie würde sich nach ihm verzehren und sie ahnte schon jetzt die Schmerzen, die es bereiten würde an ihn zu denken!
Konnte er nicht verstehen, warum sie dieses Ende nicht herauszögern wollte, indem sie mit ihm nach Heathrow kam?
„Hätte ich dich doch nie getroffen. Warum musste ich ausgerechnet an diesem Tag, an diesem Strand sein. Es hätte doch auch jemand anderen treffen können, oder?“ Er kniff die Augen zusammen.
„Das sagst du doch nur so. Das kannst du doch nicht wirklich wollen? Ich glaube, ich muss dich vom Gegenteil überzeugen!“
„Wehe, du rührst mich noch mal an!“ jetzt musste sie kichern, seine Hände waren wie ein Heilmittel auf ihrer nackten Haut. Ein wohliges Seufzen drang aus ihrem Mund. „Mhm ... hör’ noch nicht auf, Armitage. Ich will noch mehr davon...“



Sie stieg aus dem Taxi. Sie konnte nicht glauben, dass sie hier war. Sie hatte sich geschworen, dass sie auf keinen Fall mit hierher kommen würde! Keine Horde wilder Pferde würde sie zum Flughafen bringen. Nun stand sie hier an der Kante des Bordsteins, hörte die an- und abfahrenden Autos, roch den Kerosingeruch. Wie in einem Film, dachte sie und beobachtete ihn beim Ausladen seines Gepäcks.
Sie konnte sich nicht rühren und hatte auch auf der Fahrt hierher nicht viel gesagt. Sie hatten beide auf der Rückbank des Wagens gesessen, hatten sich an den Händen gehalten, aneinander gelehnt.
Als das Taxi angehalten hatte, blieben beide noch sitzen, um auch die letzten Minuten auszunutzen.

Er schob den Gepäckwagen durch die Tür, die sich automatisch öffnete und gemeinsam betraten sie die Abflughalle. Zielstrebig steuerte er eine Lounge an, in der schon einige Menschen versammelt waren. Dahin wollte sie nicht gehen, sie wollte ihn noch ein bisschen für sich haben. Er öffnete die Tür und bat sie vorzugehen. Er trat ein und begrüßte die ganze Gesellschaft, dann stellte er sie vor: „Das ist Grace!“
Durch die Glastür blinkten Blitzlichter auf. Sie erschrak.

Sie wurde von allen herzlich begrüßt. Scheinbar wussten alle von ihr, sie strahlten sie an und niemand beachtete die Fotografen draußen vor der Tür.
Unsicher blickte sie auf die vielen unbekannten Gesichter. Richard stellte sie alle nach und nach vor. Sie konnte sich kaum einen Namen merken. Das waren also die Menschen, die ihn begleiten würden, um die nächsten Monate mit ihm zu verbringen. Und sie würde hier zurückbleiben und sich mit DVD’s die Zeit vertreiben. Denn das war sicher, sie würde sie sich alle kaufen müssen. Das war besser als nichts. Sie lachte leise in sich hinein bei der Vorstellung.
Sie gab sich bewusst gelöst und locker. Es würde nicht einfacher werden, wenn sie ihren wahren Gefühlen nachgeben und ein trauriges Gesicht machen würde.

Die restliche Zeit verfing rasend schnell. Die ganze Gruppe wurde separat eingecheckt und ging auch ungestört zur Passkontrolle. Nun war der Zeitpunkt gekommen, den sie so gefürchtet hatte. Sie hatte ihn nicht hier erleben wollen, nicht mir all diesen fremden Menschen.
Richard zog sie in eine Ecke und nahm sie an den Händen. Er sah sie eindringlich an. „Jetzt müssen wir uns verabschieden, Grace. Schau mich an ... bitte!“
Sie drehte den Kopf von ihm weg, sie biss sich auf die Lippen, um nicht weinen zu müssen. Aber es nutzte nicht viel, sie spürte schon, wie sich die Tränen durch ihre Augenlider drückten, sie presste sie so fest zusammen wie es ging.
„Grace, ich komme bald zurück. Ich werde dich sooft anrufen, wie ich kann. Schau mich doch bitte an!“ Er legte seine Hände auf ihr Gesicht, strich ihr mit den Daumen über ihre Lider. Sie öffnete die Augen und sah ihn an, blickte in die Augen, die sie jetzt schon vermisste.
„Hier, nimm die.“ Er gab ihr ein Schlüsselbund. „Ich habe dem Hausmeister Bescheid gegeben, dass du in das Apartment reinkannst. Schaust du ab und zu mal vorbei?“
Sie blickte auf die Schlüssel in ihrer Hand.
„Weißt du, ich wäre froh, wenn ich wüsste, dass du ab und zu mal dort bist. Du kannst auch die Blumen gießen!“ Er lächelte.
Es war tröstlich für sie zu wissen, dass sie ihm so ein wenig näher sein könnte. Sie könnte ein paar Mal in der Woche dorthin gehen und in seinem Bett schlafen.

Sie umarmte ihn, küsste ihn und flüsterte leise seinen Namen. „Richard, Richard ... „
„Ich muss jetzt gehen, bitte weine nicht!“
„Du hast gut reden, Armitage, ich soll nicht weinen! Ich hab’ dir doch gesagt, was passiert, wenn ich mit dir herkomme. Ich hab’ dich gewarnt, aber du ....!
„Grace ... ich liebe dich!“
Sie verstummte augenblicklich. Sie richtete sich zu ihrer voller Größe auf: „Und das hier auf dem verdammten Flughafen! Hättest du das nicht vorher sagen können? Lässt mich hier voll auflaufen. Was soll ich denn dazu sagen?“
„Na, was schon ... sag’s ruhig richtig laut!“
„Ich liebe dich auch, Armitage!“
„Richard,“ bat er leise
„Ich liebe dich auch, Richard!“



Ende
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