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Nach dem Wiedersehen im Pub hatte er sie nachhause gefahren. Sie wollte sich eigentlich mit Bus und U-Bahn auf den Weg machen, er wollte aber noch länger mit ihr zusammen sein. Und so hatte er sich mit dem Auto durch den Londoner Verkehr gequält. Es war inzwischen dunkel geworden und die Rushhour war in vollem Gange. Es war ihm egal gewesen, wie lange es dauerte. Er hatte ja sie an seiner Seite und sich toll gefühlt. Eine richtige Hochstimmung hatte sich in seinem Körper verbreitet.
Zuerst hatte sie nicht viel gesprochen, doch sie hatte gelächelt. Dieses Lächeln ging ihm nicht aus dem Sinn. Er hatte gespürt, wie sie sich immer mehr entspannt hatte, die anfängliche Zurückhaltung war verschwunden.
Nach und nach hatte ihm mehr von sich preis gegeben und ihm dadurch auch gezeigt, dass sie ihn ihm nicht nur den Schauspieler Richard Armitage sah, sondern auch den Mann. Ein Mann, der wissen wollte, wie ihr Leben bisher verlaufen war, der sich dafür interessierte, was sie dachte und fühlte.

Vor der Tür zu ihrem Apartmenthaus hatte er angehalten. Sie verabschiedeten sich, sie hatte ihn nicht zu sich hinauf gebeten. Das war o.k. für ihn. Doch bevor sie ging, hatte er auf eine weitere Verabredung bestanden. Sie war schnell darauf eingegangen und hatte einen Vorschlag gemacht. Ihm war es egal, wo und wann. Im Augenblick hatte er genügend Zeit, er stimmte zu. Er würde sich überall mit ihr treffen.
Sie hatte noch ein paar Sekunden ganz ruhig neben ihm gesessen und nichts gesagt. Dann hatte sie sich ihm zugewandt und seine Hand in ihre genommen. Den zarten Kuss auf seine Wange hatte er kaum mitbekommen. Doch sie hatte ihn geküsst, daran gab es keinen Zweifel.

Sie sahen sich an einem Sonntag wieder. Sie hatten sich in Greenwich verabredet. Er ging über den großen Platz vor dem Royal Naval College. An seiner rechten Seite lag das Segelschiff „Cutty Sark“ und die Masten reichten weit in den Himmel hinein. Er umrundete die Kuppel, unter der der Eingang des Themsetunnels lag.
Sie hatte sich über das Geländer gelehnt, das den Platz vom Fluss abtrennte. Sie schaute flussabwärts, dorthin, wo die riesige Kuppel des Millenium Domes aufragte. Ihre Haare flatterten im Wind und sie versuchte, sie mit einer Hand unter Kontrolle zu bringen.
Als er auf Rufweite heran war, sagte er leise ihren Namen, er wollte sie nicht erschrecken. Sie drehte sich um und strahlte ihn an. Jetzt wehten ihr die Haare ins Gesicht und sie schüttelte den Kopf, um sie daraus zu verscheuchen. Sie grinste über das ganze Gesicht und kam auf ihn zu. Ihre Hände streckten sich nach ihm aus, sie fasste ihn an den Oberarmen, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund.
Sein Herz machte einen Satz, und er spürte eine angenehme Schwäche in den Beinen. Das fühlte sich richtig an, fühlte sich gut an. Er schloss die Augen einen Moment und genoss den Augenblick. Sie legte ihren Kopf an seine Brust und hielt ihn fest umfasst. Er legte seine Hände auf ihre Schultern und zog sie näher zu sich. Und sein Herz klopfte noch heftiger.
Sie hatte noch kein einziges Wort gesagt, dass musste sie auch nicht. Er wusste, was sie empfand. Ging es ihm nicht auch so?
Leise murmelte sie an seiner Brust: „Was mache ich nur?“
Er neigte den Kopf, hob mit seiner Hand ihr Kinn und zwang sie damit, ihn anzusehen.
„Du machst mich glücklich!“ Er gab es gerne zu, dieses Gefühl, es war Glück. Keine Illusion, kein Drehbuch, keine Vorstellung – es war ein reines Gefühl des Glücks – hier in dieser Stadt, hier mit ihr und so real. Konnte das so schnell gehen? Jeden Tag lebte er sein Leben, ganz zufrieden .... sicher. Doch das hier war etwas anderes, etwas, was er bisher vermisst hatte.
„Aber, wie soll das gehen? Richard! Überleg’ doch mal. Du musst das für uns beide tun, mein Gehirn ist abgeschaltet, scheint mir. Wir kennen uns doch kaum. Du bist jemand, der mir vorkommt, als sei er nicht von dieser Welt! Und egal was ich auch mache, ich kriege dich nicht aus meinem Hirn. Die Stunden, Tage vergehen und du nistest dich immer tiefer darin ein. Ich schließe die Augen und sehe dich, verflucht! Und wenn ich dich so vermisse, dann lege ich diese verdammte Scheibe auf, um dich bei mir zu haben.“
„Ist das so schlimm, sag?“ Er musste lächeln, er sah sie an, sah in diese wunderbaren Augen und strahlte. Sie sah ein wenig verzweifelt aus. Trotzdem lachten ihre Augen ihn an, fast wie bei einem Kind, das einen Erwachsenen um Rat bittet.
„Fühl mal, ich bin ganz real, ich bin wirklich hier. Egal was du auch sagst, ich fühle mich glücklich. Natürlich bin ich auch etwas neben der Spur, das gebe ich gerne zu. Aber es fühlt sich gut an, Grace.“

Er nahm ihre Hand und führte sie über den Platz. Sie waren fast ganz alleine hier, die Touristen, die sonst den mächtigen Teaclipper umrundeten, fehlten. Hinter dem Schiff ragte der imposante Gebäudekomplex des Royal Naval Colleges auf. Zwischen den Häusern führte eine Straße den langsam ansteigenden Hügel hinauf. Sie gingen Hand in Hand und von Zeit zu Zeit sahen sie sich an.

„Was soll das geben, Armitage? Ich bin total verunsichert. So was ist mir in meinem Leben noch nie passiert. Wenn ich an die vielen Menschen denke, die dich kennen, von deiner Arbeit her kennen. Das macht mir Angst!“
„Die kennen mich aber nicht so, wie du mich kennen wirst, meinst du nicht auch? Schau mal, vielleicht werden wir etwas miteinander teilen und das wird etwas ganz anderes sein. Lass uns doch einen Schritt nach dem anderen gehen. Wir müssen überhaupt nichts übereilen, wir müssen doch nicht soweit voraus planen!“

„Aber trotzdem – da gibt’s doch jede Menge Menschen, die alles von dir wissen. Die dir schreiben, die von dir schwärmen. Oder etwa nicht?“ Sie sah ihn nachdrücklich an. „Frauen .... vor allem, gib es zu. Oh Gott, wenn ich daran denke! Auf der anderen Seite,“ sie lachte „was gäben die drum, hier mit dir zu gehen. Hand in Hand, klasse! Kriegst du viel Post, Fanpost, meine ich?“
„Jede Menge. Die tollsten Sachen, das kannst du mir glauben. Meine Mutter öffnet die Post für gewöhnlich. Aus ganz Europa kommen Briefe und zu Weihnachten ganz viele Geschenke!“ Er schwang sie herum, so dass sie vor ihm stand. „Ganz tolle Dinge sind dabei!“ Er grinste, kam ihrem Gesicht immer näher und küsste sie auf die Nase. „Du bist doch nicht neugierig, oder?“
„Hey, Armitage, werd’ nicht frech. Los erzähl schon, was für Sachen?“
Er biss sich auf die Lippe und schaute sie verschmitzt an. „Nichts Anzügliches, wenn du das meinst. Ganz einfache Dinge oft, T-Shirts, kleine Plüschtiere, irgendwelche Andenken. Das Beste war ein Kuchen!“
„Was denn für ein Kuchen,“ fragte sie nach. „Wer schickt denn einen Kuchen? Der geht doch unterwegs kaputt!“
Das hatte ihn auch gewundert. Der Kuchen war kein richtiger Kuchen, eher ein Gebäck, und war tatsächlich in einem ganzen Stück, verpackt in einer Metalldose, angekommen. „Ja, stellt dir das mal vor. Es soll ein ganz typisches Weihnachtsgebäck aus Deutschland sein, sie nennen es „Christstollen“. Aber das beste daran war die Karte.“
Jetzt hatte er sie am Haken. „Welche Karte? Was hat sie geschrieben?“
„Das war nicht nur Eine, das war eine ganze Gruppe und die Karte war in halb Europa unterwegs. Es gibt ein deutsches Board, ein Richard-Armitage-Board und eine Gruppe der Mitglieder hatte sich zusammen getan, den Stollen gekauft und die Karte von einem Ort zum anderen geschickt. Alle haben unterschrieben und mir Grüße geschickt. Ist das nicht unglaublich?“ Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Sie bogen in den weitläufigen Park zwischen Naval College und Flamsteed House ein und schlugen automatisch den Weg zum Royal Observatory ein. Er ließ ihre Hand los und fasste sie um Taille. Er zog sie näher zu sich heran. Beim Gehen legte sie ihren Kopf seitlich an seinen Oberarm. Sie reichte ihm gerade bis zur Schulter. Vorsichtig suchte sie mit ihrer Hand jetzt ihrerseits den Weg um seine Taille.

„Eine ganze Gruppe junger Frauen und alle sind sie scharf auf dich, Armitage. Mit wem hast du den Kuchen gegessen?“ Ihre Stimme klang gereizt.
„Mit wem ich ihn gegessen habe? Ich habe ihn mit meinen Eltern geteilt. Bei einer schönen Tasse Tee am Vorweihnachtsabend. Schmeckte prima! Den Rest habe ich bei der Weihnachtsfeier des Studios verteilt!“
„Na, besser als mit ... einer Frau.“
„Was meinst du?“ Er neigte den Kopf und berührte mit seiner Wange ihre Haare.
„Eine Frau eben, frag’ nicht so, als ob du nicht wüsstest, was ich meine. Eine Frau Armitage. Du willst mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass es da niemand in deinem Leben gibt. Das habe ich dir am Strand schon nicht geglaubt!“ Sie sagte es bestimmt und gab ihm mit der freien Hand einen Klaps auf die Brust. Ihre Stimme troff vor Misstrauen.
Er lachte, versuchte dann ein ernsthaftes Gesicht zu machen.

Hier ist die Gelegenheit, ihr von der anderen Grace zu erzählen, dachte er. Es war ganz einfach, sie hörte still zu. Wie aufgeregt er gewesen war, nach ihrem ersten Telefongespräch. Wie er Grace danach angerufen hatte um sich mit ihr zu verabreden, die Vorfreude in ihrer Stimme. Der Moment der Wahrheit, als er ihr erklärt hatte, dass sie nur Freunde sein könnten, dass er jemand kennen gelernt hatte. Ihre Einwände, er kenne diese Frau erst so kurz, er könne sich noch kein Urteil darüber erlauben, nach so kurzer Zeit! Aber er war sich sicher. Er wollte klare Verhältnisse, wollte sie auch nicht mehr ausnutzen.
Mittlerweile waren sie auf dem Vorplatz von Flamsteed House angekommen, gingen an der Atomuhr vorbei, die bis zur Millisekunde genau die Greenwich Mean Time anzeigte. Die rot beleuchteten Digitalziffern flatterten nur so vorbei.
„Und sie hat den gleichen Namen. Sie heißt auch Grace,“ staunte sie. „Ganz schön kompliziert, Armitage.“
„Überhaupt nicht, glaub mir. Gleiche Namen, aber total verschiedene Frauen. Keineswegs kompliziert. Du bist die Grace, in die ich mich verliebt habe, das ist der Unterschied!“
Sie blieb abrupt stehen, machte sich von ihm los, trat vor ihn und schaute ihn an. Sie schüttelte den Kopf, in ihre Augen traten Tränen, er konnte sie schimmern sehen. Er fasste sie an beiden Händen und versank in ihren Augen.
„Sag so etwas nicht so leichtfertig, Armitage ... Richard! Das sagt man nicht einfach so.“ Eine Träne lief ihr über die Wange, sie schniefte leise. Er fing sie mit dem Finger auf, strich ihr zart über das Gesicht.
„Sieh mal,“ sagte er und zeigte auf den Boden, auf der ein Metallband mit einer kleinen Mulde verlief. „Du stehst im Westen und ich im Osten, nur einen Schritt voneinander entfernt Irgend jemand hat den Null-Meridian hier festgelegt und seither umspannen alle Längengrade von hier aus die Erde, für alle Zeit.“
„Und ... was hat das mit uns zu tun?“
„Weiter getrennt könnten wir doch gar nicht sein und doch sind wir uns ganz nah. Willst du diesen Schritt hier in den Osten nicht wagen? Denn wenn du mich ein ganz klein wenig magst, kannst du hier rüber kommen!“
Mit einem ungläubigen Blick schaute sie ihn an und dann auf den Boden. Sie trat über die Linie, nahm sein Gesicht in beide Hände, zog den Kopf zu sich herab und küsste ihn. Ihre Lippen waren so warm und weich, es zog ihm das Herz zusammen.
Sie gab ein leises Geräusch von sich. Sie hob den Kopf ein bisschen und sagte: „Meine Güte, Richard, hier drüben bei dir küsst es sich gut!“





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