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Es klingelte. Er griff hastig nach dem Telefon, es fiel ihm aus der Hand, er fasste nach und drückte den Knopf.
„Ja?” Ihre Stimme antwortete: “Hallo, hier ist Grace.“
Diesmal war es die Stimme, die er so gerne hören wollte.
„Ja … hallo Grace, hier ist Richard“.
„Schön, ich .... ich , ich dachte ich rufe mal an. Du hast ja gesagt, dass ich ... ähm...“
„Ja, hab’ ich gesagt. Schön, dass du anrufst, ich freue mich ... sehr!!

„Ich war mir nicht sicher, echt, ich komm’ mir ganz schön blöd vor. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“
„Warum? Ist doch völlig o.k. Ich freue mich wirklich!“ War er es, der total aufgeregt war, vom Bett aufstand und durch das Zimmer lief? Er legte seine Hand auf die Augen, bleib ruhig Richard.
„Wie geht es dem verletzten Fuß? Keine Schmerzen mehr?“
„Nein, überhaupt keine mehr, ich spüre nichts mehr und kann auch wieder ganz normal laufen!“
„Was machst du gerade?“ fragte er leise. Er wollte sich vorstellen, was sie gerade tat und wo sie war.
„Ich telefoniere mit dir! Kannst du mich nicht hören, Armitage?“
Aha, da war sie wieder, ganz klar. Er lächelte und nahm den Hörer in die andere Hand. Er stand wieder vor dem Fenster „Wo bist du? Bist du in London?“
„Ja, ich bin zuhause. Bin eben von der Arbeit gekommen. Hab’ gerade etwas gegessen und jetzt sitze ich hier und hab’ gelesen. Deine Karte fiel mir zufällig in die Hand ... und da dachte ich, rufe mal an!“
Er grinste, so, so, die Karte fiel ihr zufällig in die Hand!
Der Nieselregen hatte aufgehört und langsam brach die Dunkelheit herein, er blickte zum Fluss.
„Und was machst du?“ fragte sie forsch. „Hast du viel zu tun?“
Er merkte, wie sie zögerte. Vielleicht wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Er ging darauf ein.
„Ja, unheimlich viel. Die letzte Stunde habe ich damit zugebracht, meine Reisetasche auszuräumen!“ Von den Gedanken, die er sich gemacht hatte, erzählte er natürlich nichts. „Ich hatte nicht mal Zeit etwas zu essen, so viel Arbeit machte die Tasche“.
Er konnte sie förmlich lächeln sehen, er dachte an dieses zarte Gesicht, diese kleine Nase, die sich in eigentümlicher Weise kräuselte, wenn sie lachte. Er sah sie mit dem Hörer in der Hand.
„Hast du Hunger?“ fragte sie.
„Warum fragst du?“ wollte er wissen.
„Wir könnten etwas zusammen essen ... natürlich nur wenn du willst, du musst nicht, wirklich nicht. Nur wenn du Lust hast ... dann könnten wir ...“
„Grace! Stopp Grace, kann ich was dazu sagen?“
„Ja natürlich Armitage, deshalb frage ich ja aber du sagst ja nichts, meine Güte. War ja nur eine einfache Frage!“

Er konnte ihre Unsicherheit förmlich fassen, selbst auf diese Distanz konnte er spüren, wie schwer es für sie war, ihn danach zu fragen. Doch feige war sie nicht, sonst hätte sie überhaupt nicht angerufen.
„Es tut mir leid .....!“
„Ist schon o.k., war ja nur so eine Idee ... ich dachte ja nur.“
„Grace, ich habe heute Abend bereits eine Verabredung. Und wenn die nicht wäre, dann würde ich mich sehr gerne mit dir treffen. Vielleicht können wir einen anderen Zeitpunkt vereinbaren. Die Einladung heute Abend steht schon ein paar Tage, ich kann da schlecht absagen!“ Er kniff die Lippen zusammen, legte den Kopf in Nacken und wartete auf eine Antwort.
„Ach so. Na, das ist klar. Da musst du natürlich hin. Ich, ich ... mein Gott, ich komme mir so blöd vor. Da sitz’ ich hier und anstatt zu lesen, was viel vernünftiger wäre, starre ich in die doofe Kiste und ziehe mir ständig diese BBC-Serie rein. Klebe an dem Kasten, unglaublich! Ich dachte, wenn ich dich anrufe, dann komme ich wieder mal auf den Boden und kann vielleicht wieder klar denken, Mensch. Jetzt geht es mir schon viel besser, ehrlich! Ich ... „
„Kann ich jetzt auch mal was sagen?“
„Natürlich, sprich nur ... ich wollte nicht aufdringlich erscheinen, ich wollte nur kurz erklären ....“
„O.k. Also ... was schaust du dir denn an?“ Er wollte es wirklich wissen. Mit einer Hand stützte er sich am Fenster ab und beobachtete die Lichter, die nun überall aufleuchteten.
„Na ja, diese Serie eben. Ich kann nicht glauben, dass ich das jetzt sage ... die Serie mit dir. Ich hab’s gesagt! Ich habe mir die DVD gekauft. Ich wollte es unbedingt sehen.“
„Welche meinst du denn?“ er hakte nach. Was hatte sie sich angesehen?
„Na, diese Serie mit dem Thornton halt!“
„Hat’s dir gefallen? Mochtest du die Serie?“ er atmete tief ein und wartete auf ihre Antwort.
„Also, na ja, wie soll ich sagen ... ja, ich mochte es. Du siehst so anders aus, so streng, so ernst. Ich kann gar nicht sagen wie.“
„Ich auch nicht. Ich hab’s nie gesehen,“ gestand er.
Pause - war sie noch dran?
„Wie jetzt, was meinst du? Du hast die Serie nie gesehen, nicht ein einziges Mal?“ Ihre Stimme klang ungläubig. „Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass du da nie reingeschaut hast? Hat es dich denn überhaupt nicht interessiert? Wolltest du denn nicht wissen, wie es geworden ist?“
„Nein. Na ja, vielleicht schon. Aber ansehen konnte ich es nicht. Ich konnte noch nie sehen, was ich gespielt habe. Ich mag mich nicht sehen, ich kann das nicht ertragen!“
„Das glaube ich jetzt nicht! Du kannst dann doch nicht im Geringsten beurteilen, welche Arbeit du abgeliefert hast. So eine Art Qualitätskontrolle, oder wie man das nennt. Also ich habe gerne Rückmeldungen, was meine Arbeit betrifft.“
Er überlegte kurz und sagte: „ Das habe ich auch so. Diese Rückmeldungen kommen ziemlich rasch. Eine Szene muss ja so lange wiederholt werden, bis sie in Ordnung und im Kasten ist. Wenn dem Regisseur irgendetwas nicht passt, kommt die Rückmeldung umgehend, das kannst du mir glauben!“
„Trotzdem eigenartig, finde ich. Obwohl ... wenn ich darüber nachdenke .... ich kann mich auf manchen Fotos nicht ertragen! Und du hast wirklich nie ... ich meine auch andere Sachen, die du gedreht hast, nie angesehen?“
Er lachte: „Nein, nicht einen einzigen Meter Film! Und glaube mir, das ist auch besser so!“
„Wieso, spielst du so grottenschlecht, oder was? Das macht mir hier aber nicht den Anschein. Ich pappe förmlich an deinen Lippen“, sie stockte, „äh... ich meine, mir gefällt, wie du diesen Thornton darstellst“.
„Du pappst an meinen Lippen! Interessant,“ er versuchte sich vorzustellen, wie sie ihn auf dem Bildschirm ansah. Lieber wäre es ihm, sie wäre jetzt hier und würde ihn in Wirklichkeit ansehen!
„Gut, ich kenne ja jetzt nur diese Serie, vielleicht sollte ich mir schnell noch was anderes von dir besorgen. Im Laden hatten sie noch „Sparkhouse“ und „Between the Sheets“, was meinst du, was soll ich zuerst anschauen? Dann könnte ich dir Rückmeldungen geben, was meinst du?“
Gute Frage, dachte er. Bei dem Gedanken, dass sie ihn in diesen Rollen sah, ihn vielleicht mit anderen Augen sah, beunruhigte ihn.

„Und das Original, sagt dir das auch zu?“ Er hatte es gesagt ohne darüber nachzudenken, doch er wollte es unbedingt wissen! Sie antwortete nicht sofort. „Grace, bist du noch da?“
„Hey ... wie kannst du so etwas fragen, Armitage? Ich wäre nicht an diesem Telefon, wenn du mir nicht zusagen würdest, wie du es ausdrückst. Wenn ich mir nicht die letzten verdammten Tage ständig den Kopf über dich zerbrochen hätte, wäre ich jetzt nicht am Apparat, klar!“ antwortete sie heftig.

Er schluckte, sie war offen, was ihre Gefühle betraf. Sie hatte offensichtlich genauso häufig an ihn gedacht, wie er an sie. War das ein gutes Zeichen, war das überhaupt ein Zeichen? Was wollte er denn hören? Dass sie sich nach ihm sehnte? Dass sie ihn unbedingt wieder sehen wollte? Aber das hatte sie ja schon gesagt, oder? Schließlich bot sie ihm an, gemeinsam essen zu gehen.
Mit dem Hörer am Ohr lief er durch seine Wohnung. „Ich musste auch an dich denken“, seine Stimme war rau, „Du gehst mir auch ständig im Kopf rum, dass kann ich dir sagen! Und es tut mir unendlich leid, dass ich heute bei dieser blöden Party schon zugesagt habe. Aber wir können uns ja morgen treffen, was meinst du?“

Er dachte auch daran, was er sich selbst versprochen hatte. Er wollte heute Abend dieses Gespräch, die Aussprache unbedingt hinter sich bringen. Er konnte diese Grace nicht treffen, bevor er nicht mir der anderen gesprochen hatte. Er wollte klare Verhältnisse, er würde es nicht ertragen können, er würde nicht unbefangen sein können, mit diesem Gefühl der Täuschung im Hinterkopf.

Er konnte sie atmen hören „Das wäre schön Richard. Ich glaube ich bin froh, dich in Fleisch und Blut wiederzusehen, diese ganze Thornton-Sache, da verliert man völlig den Bezug zur Realität.“
Richard? War das ein gutes Zeichen? „O.k., wo und wann?“ antwortete er

„Kennst du dich in Rotherhithe ein bisschen aus?“ fragte sie leise
„Nicht so gut. Wohin soll ich kommen? Ich kenne den „Mayflower“ Pub.“
„Nö, ich dachte eher an „Spice Island“. Das ist ein neuerer Pub, direkt am Fluss. Ganz in der Nähe der Schleuse und der Jugendherberge. Weißt du, wo ich meine?“ sie sprach schnell, als ob sie unsicher sei, ihm überhaupt etwas vorzuschlagen.
„Jetzt weiß ich, was du meinst. Direkt am Fluss, mit den Stufen vorne dran, oder?“ antwortete er.
„Genau den meine ich. Da ist im Winter nicht so viel los. Kannst du um vier da sein? Oder ist das zu früh? Ich komme dann direkt von der Arbeit aus dorthin, was meinst du?“
Er musste nicht lange überlegen, es war ihm schon längst klar, dass er sie wiedersehen wollte. Deshalb sagte er: „Ja – ich freue mich sehr!“





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