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Der Tag der Abreise war da. Ein blasser, in sich gekehrter Fitzwilliam Darcy stieg in die Chaise. Charles Bingley hingegen hatte überaus rosige Wangen. Es war keine Fahrt von sehr großer Dauer und daher hoffte man - zunächst durchaus berechtigt - am Abend das Ziel erreicht zu haben. Jedoch begann es bald zu regnen und die Straßen gerieten mehr und mehr in einen desolaten Zustand. Als man wirklich nur noch sehr langsam vorankam, entschied man sich am Nachmittag, in einem Gasthof Halt zu machen und die Reise erst am nächsten Tag fortzusetzen. Mit dieser Entscheidung schonte man Kutsche, Pferde, Dienerschaft und Fahrgäste.

Eine gute Mahlzeit und ein kräftiges Bier am nahen Kaminfeuer eingenommen verhalfen dazu, dass sich die Reisenden bald besser fühlten und auch nicht mehr fröstelten. Die Blässe von Fitzwilliam Darcy war aus seinem Gesicht gewichen und machte einer etwas gesünderen Gesichtsfarbe Platz. Seine kornblumenblauen Augen glänzten nun im Feuerschein.

Charles machte bereits Pläne, was an welchem Tag geschossen werden sollte, in erster Linie schienen seine Gedanken um Reb- und Blesshühner zu kreisen.

Erst ganz zum Schluss, als man alle Jagdmöglichkeiten gedanklich durchgespielt hatte, richtete sich Charles Blick fragend auf seinen Begleiter: „Zuerst aber werden wir die Bennets aufsuchen. Es wird sich sicher herumsprechen, wahrscheinlich schneller als ein Lauffeuer, dass wir eingetroffen sind und es wäre sehr unhöflich dort nicht zu erscheinen, nicht wahr?“

Fitzwilliam Darcy befeuchtete seine trockenen Lippen mit der Zungenspitze bevor er die Frage fast gewaltsam herauspresste: „Und wann gedenkst du nach Longbourn zu gehen?“

Ein indignierter Blick seines Gegenübers traf ihn: „Natürlich gleich morgen Mittag. Wir haben es nicht mehr weit, dürften also am späten Vormittag in Netherfield eintreffen. Sobald wir uns ein wenig eingerichtet haben, schlage ich vor.“

Sich innerlich windend stimmte Fitzwilliam Darcy ihm jedoch zu.

Der Tag brach sonnig und schön an. Nichts am Himmel ließ vermuten, wie schlecht am Vortag das Wetter gewesen war. Je näher die Reisenden dem Ziel kamen, umso schweigsamer wurden sie, und zwar alle beide. Es war nicht ganz Mittag, als man auf der Auffahrt vor dem Haus anhielt und ausstieg. Die Dienerschaft hatte sich versammelt und knickste ehrerbietig. Dann wurde eilends das Gepäck der Herren in die entsprechenden Räumlichkeiten gebracht.

Ein spätes Frühstück war vorbereitet worden. Charles stürzte durstig zwei Tassen Tee hinunter und verging sich fast wie ausgehungert an den leckeren Obsttörtchen. Fitzwilliam Darcy aß nichts, trank nur sehr langsam und fast wie abwesend eine Tasse Kaffee.

„Ich weiß auch nicht“, schmatzte Charles unerhörter Weise mit vollem Mund,  „aber ich muss zugeben, dass ich recht aufgeregt bin. Und dann ist es in der Tat so, dass ich mich nur durch Essen ablenken kann.“

Er griff nach einer weiteren süßen Leckerei.

„Geht es dir auch so, Fitzwilliam?“

Dieser blickte ihn nur verständnislos über den Rand seiner Kaffeetasse an, setzte erst nach einer ganzen Weile zu einer Antwort an: „Weswegen solltest du aufgeregt sein, Charles?“

„Weswegen? Nun hör’ mal, wir kommen zum ersten Mal seit fast zehn Monaten wieder hier her, sind gerade im Begriff nach Longbourn aufzubrechen, werden alle dort nach dieser langen Zeit wieder sehen und da fragst du noch?“

Charles Bingley musste seine Ohren regelrecht spitzen, um die leise Antwort seines Freundes nicht zu überhören: „Ich habe Miss Elizabeth Bennet in der Zwischenzeit zweimal wieder gesehen!“

„Du hast waaas?“ rief Charles überrascht und überlaut aus.

Mit zusammengepressten Lippen stand Fitzwilliam Darcy von seinem Stuhl auf.

„Du hast schon richtig gehört, ich habe sowohl an Ostern bei Tante Catherine als auch vor gut zwei Monaten auf Pemberley Miss Bennet getroffen.“

„Wa-warum sagst du das erst jetzt?“ stotterte Charles.

„Meine Güte, weil bislang noch keine Gelegenheit dazu war“, antwortete Fitzwilliam ärgerlich.

Der Freund machte eine resignierende Geste, schickte aber noch eine Feststellung hinterher: „Irgendwie werde ich gerade das Gefühl nicht mehr los, dass hier sehr viele Dinge im Verborgenen liegen.“

Fitzwilliam nickte ihm knapp zu. „Ich werde mich nun umkleiden, danach können wir gerne den Weg nach Longbourn machen, wenn es dir recht ist.“

„Wenn es dir recht ist“, echote Charles, den Satz aber bedeutungsvoll anders betonend.

Eine halbe Stunde später machten sich beide schweigend auf den Weg. Sie waren übereingekommen zu Fuß zu gehen, nicht zu reiten, da man so länger Gelegenheit hatte sich auf die Begegnung mit den Bennets vorzubereiten. Im Geiste, gewissermaßen, und jeder für sich.

Charles war erfüllt von Vorfreude, er freute sich in der Tat auf alle in der Bennet-Familie. Er versuchte, möglichst nicht nur an die Schönheit Jane Bennets zu denken. Er hatte sie nicht vergessen, oh nein! Ganz im Gegenteil, je länger er von Hertfordshire weggewesen war, desto gewisser war er sich seiner wahren Gefühle geworden. Er hatte sich im letzten Winter zu schnell überreden lassen, von hier fort zu gehen, ohne sich selbst von der vermeintlichen Gleichgültigkeit Jane Bennets ihm gegenüber zu überzeugen. Er hätte mehr seinen Gefühlen vertrauen und seinen Kopf durchsetzen sollen. War es nun vielleicht zu spät? Womöglich – zu Recht – zürnte ihm Jane Bennet so sehr, dass sie nun gar nichts mehr von ihm wissen wollte. Es würde sein Herz brechen. Er blickte plötzlich auf. Ja, er musste herausfinden, ob sie noch an ihm interessiert war. Und sollte dies der Fall sein, dann würde er sich von niemandem mehr dazwischenreden lassen. Sei ein Mann der Tat, Charles, sagte er sich.

Mit wesentlich düsterer Miene stapfte Fitzwilliam Darcy durch die Landschaft. Ihm war, als hätte sich ein eiserner Ring um seine Brust gelegt. Er konnte kaum atmen. Er wusste, er würde kaum ein Wort nachher herausbringen. Und ansehen würde er sie auch nicht können. Auch wenn nun die Situation mit Lydia bereinigt war, kam es ihm vor als lägen ganze Ozeane zwischen ihm und Elizabeth Bennet. Sie waren auseinander gedriftet und die Strömung trug sie immer weiter voneinander weg. Auch wenn man sich noch so anstrengte, um in die andere Richtung zu gelangen, es war hoffnungslos.

Das Haus kam in Sichtweite. Charles warf ihm ein kurzes Lächeln zu, er konnte es nicht erwidern. Er verspürte undefinierbare Schmerzen in seinem ganzen Körper, sogar bis in die Haarspitzen.

Die Haushälterin empfing die Herren an der Tür und beeilte sich ihnen voran in die Salon zu stürzen: „Mr. Bingley und Mr. Darcy, Ma’m“, meldete sie formvollendet.

Dann schloss sie die Tür hinter sich. Fünf Augenpaare richteten sich sofort auf beide Herren. Bei Fitzwilliam Darcy machte sich eine Panikattacke bemerkbar. Er kämpfte sie tapfer nieder. Charles holte Luft und setzte zu seinem ersten Satz an – und wurde sofort von Mrs. Bennet lautstark nieder geplappert.

Diese Frau schien gar nicht aufhören zu wollen mit ihrem Redeschwall. Es war eigentlich wie immer – mit ihr jedenfalls. Die Mädchen saßen alle sehr ruhig und gefasst im Salon, jede beim Eintreten der Gentlemen mit einer Handarbeit beschäftigt oder aber mit einem Buch in der Hand. Jane Bennet blickte nun ohne Unterlass und mit sehnsuchtsvollen Augen auf Charles Bingley. Dieser wurde immer verlegener, denn Mrs. Bennet fand kein Ende in ihrer Ansprache. Mit keinem Wort hatte sie hingegen Mr. Darcy erwähnt. Seine Anwesenheit wurde von der Hausherrin einfach übergangen.

Wie um ihrer Mutter zunächst einmal Einhalt zu gebieten, fragte endlich Elizabeth Bennet, ob man gedenke, lange hier auf dem Land zu verweilen. Mr. Bingley bedauerte, dass nicht Jane ihm diese Frage gestellt hatte, aber er antwortete höflich, dass man sich nur zur Jagd hier aufhalte. Mrs. Bennet fügte umständlich ihren Kommentar zur Vogeljagd hinzu, lud auch gleich Mr. Bingley dazu ein, ebenfalls hier auf Longbourn noch einige Tiere abzuschießen.

Dann wurde die Unterhaltung noch stockender, jedoch hielt es Elizabeth Bennet nicht länger aus, dass Mr. Darcy so geflissentlich übergangen wurde und wandte sich schließlich an ihn direkt: „Geht es Ihnen gut, Mr. Darcy?“

Er hob überrascht ganz langsam den Kopf und blickte sie für einen kurzen Moment an.

„Recht passabel, danke.“

Mehr brachte er nicht hervor. Er senkte wieder seinen Kopf.

Dann hörte er wieder ihre Stimme: „Ich hoffe, das Wetter hält sich für Ihre Jagd.“

Wie aus einem Fluchtimpuls heraus kamen nun die folgenden Worte aus seinem Mund hervor, so dass Bingley ihn mehr als erstaunt ansah: „Ich kehre morgen in die Stadt zurück.“

Der Satz stand eine kurze Sekunde im Raum, dann glaubte er, sich verhört zu haben, als sie leise erwiderte: „Was, schon?“

Da ergriff Charles Bingley die Initiative und verabschiedete sich rasch von den Damen, er hatte es plötzlich sehr eilig, das Zimmer zu verlassen, floh förmlich hinaus.

Fitzwilliam Darcy blieb nichts anderes übrig, als sich knapp zu verbeugen und seinem Freund eilends hinterher zu stürzen.

Der Besuch war ein Fehlschlag auf der ganzen Linie. Draußen holten beide Männer erst einmal tief Luft.

 





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