Der Kaffee wurde auf der Terrasse gereicht, da der frühe Sommerabend so angenehm mild war. Einen Augenblick hatte Fitzwilliam Darcy zu lange gezögert, hatte sich eine Sekunde zu lange mit Mr. Gardiner über den bevorstehenden Angelausflug unterhalten und jetzt war der Sessel neben Miss Bennet von Georgiana okkupiert worden. Mit sehnsüchtigem Blick schaute er allenthalben zu ihr herüber, versuchte aber, es niemanden merken zu lassen, während er weiter mit den Gardiners plauderte.
Dann standen die beiden jungen Damen unerwartet auf.
„Wir konnten uns doch darauf einigen ein Duett zusammen zu spielen“, erklärte Georgiana den Aufbruch, so erhoben sich die anderen Anwesenden ebenfalls.
Die ganze Gruppe wanderte also ins Musikzimmer zurück, dort wo man am Mittag bereits aufeinander getroffen war. Mr. Darcy ging ganz dicht hinter seiner Schwester und Miss Bennet her. Er konnte ihren zarten Duft – offensichtlich Lavendel - ganz deutlich vernehmen, was ihn fast um den Verstand brachte.
Im entsprechenden Raum angekommen, setzte sich Georgiana sogleich auf den Schemel vor dem Piano. Die Gardiners nahmen auf einer Recamière Platz. Mr. Darcy hastete in eine Ecke des Salons, um einen weiteren Hocker für Miss Bennet zu holen und vor das Klavier zu stellen. Er lächelte Elizabeth auffordernd an. Sie machte zwei Schritte auf das Piano zu, verfing sich mit der Schuhspitze im kostbaren Teppich und stolperte.
Im Nu war Fitzwilliam Darcy nach vorne gesprungen, mit einem festen und beherzten Griff verhinderte er ihr Aufschlagen auf den Boden, oder schlimmer noch, auf die Ecke des Instrumentes. Georgiana war augenblicklich erschreckt vom Klavierhocker aufgesprungen, ebenfalls riss es die Gardiners von ihren Plätzen hoch. Doch nichts war passiert, Mr. Darcy hatte Elizabeth sanft aufgefangen und hielt sie beschützend in seinen Armen. Er genoss diesen kurzen Moment unsäglich. Am liebsten würde er sie gar nicht mehr loslassen wollen.
Sie aber blickte mit noch vom Schrecken großen Augen auf ihn und wand sich langsam aus seiner Umarmung.
„Ich danke Ihnen sehr, Mr. Darcy“, hörte er sie sagen, „aber es ist alles in Ordnung, Sie dürfen mich nun loslassen, ich setze mich sofort ans Klavier.“
Er blickte sie voller Verzweiflung an.
„Nochmals vielen Dank, das war sehr galant von Ihnen“, mit diesen Worten entzog sie sich ihm endgültig und nahm neben Georgiana Platz.
Er drehte um und setzte sich seinerseits in einen reich gepolsterten Sessel. Es kostete ihn große Mühe seine innere Aufgewühltheit vor aller Augen zu verbergen. Man nahm also Platz und lauschte dem Spiel der jungen Damen. Miss Bennet hatte sichtlich einige Probleme, dem Können Miss Georgianas zu folgen, aber alles in allem klang die Sonate nicht so schlecht. Wobei Georgiana den Hauptanteil bravourös bewältigte und Miss Bennet zum Glück nur der kleinere Part blieb. Es wurde dementsprechend durch Applaus der Zuhörer gewürdigt.
Bevor Elizabeth Bennet sich erhob, sprang auch schon Mr. Darcy eifrig herbei, um ihr den Arm zu reichen, damit sie nicht noch einmal über die Teppichfalten fallen konnte. Sie schaute ihn ganz kurz verwundert an, hakte sich jedoch mit dem rechten Arm ganz leicht unter und legte – und sie wusste nicht, warum sie so verfuhr – den linken Arm noch zusätzlich oben auf. Er fühlte eine riesige Steinlast von seinem Herzen poltern, als er ihren derart vertrauensvollen Umgang mit ihm bemerkte. Es war in der Tat eine unübliche, fast schon gewagte Geste.
Mit diesem Paar voran begab sich die gesamte Gruppe nach draußen ans Portal, wo bereits eine Kutsche wartete, um die Gesellschaft zu den Gewässern zu bringen. Das Personal war entsprechend angewiesen worden, benötigtes Material bereits im Voraus an den See zu befördern. Da es lange hell war, jetzt im Hochsommer, konnte man durchaus um diese Zeit noch zum Angeln gehen. Es war gegen halb sieben, als das Gefährt sich in Bewegung setzte. Zuvor hatte sich beim Einsteigen in die Kutsche ähnliches ereignet wie etwa vor einem Dreivierteljahr in Netherfield. Mr. Darcy war mit Elizabeth auf den Weg hinausgetreten, hatte aber zuerst auf der etwas kleineren Bank Mr. und Mrs. Gardiner Platz nehmen lassen.
Danach musste er notgedrungen Elizabeth von seinem Arm befreien, um Georgiana beim Einsteigen zu helfen. So wandte er sich schließlich wieder Elizabeth zu, und half ihr auf die gleiche Weise in die Kutsche wie damals. Sie blickten sich wiederum einen Augenblick lang schweigend an, lächelten aber diesmal beide verhalten. Sie hatten die gleiche Assoziation. In seinen azurnen Augen tanzten tausend Funken. Er selbst schwang sich auf das von einem Reitknecht gehaltene Pferd und folgte der Kutsche in gemäßigtem Tempo.
Am vorgesehenen Ort angekommen, staunte die Gesellschaft beim Aussteigen nicht schlecht über das sich ihnen bietende Panorama. Im Licht der tief stehenden Sonne sah das Herrenhaus aus der Ferne wie mit Kupfer übergossen aus. Einige Schwäne zogen ihre Kreise über den See. Am zum Wasser hin leicht abfallenden Rasen hatte man Picknickdecken ausgebreitet und für Erfrischungen gesorgt. Die Damen zogen sich auch sofort dorthin zurück, überließen die beiden Herren am Ufer sich selbst und dem Fachsimpeln über das Fischen. Ein Laufbursche hielt sich dezent im Hintergrund, um wahlweise den Damen oder den Herren bei Bedarf behilflich zu sein.
Hin und wieder flogen Blicke zwischen gewissen Einzelpersonen hin und her. Georgiana tauschte mit ihrem Bruder einen schon fast verschwörerischen Blick, den er wirklich als mitwissend einstufen musste, auch wenn ihm das gar nicht lieb war. Er schüttelte ganz leicht den Kopf. So etwas, diese Göre mauserte sich tastsächlich zu einer reifen Frau. Ungewohnt für ihn aber es zeigte ihm zugleich, dass sie vor allen Dingen mittlerweile die unheilvolle Sache mit Wickham völlig verdaut hatte und langsam aus ihrem Schneckenhaus hervor gekrochen kam.
Das nächste Augenspiel war zwischen Mr. Darcy und Elizabeth. Er hörte sie wegen einer Bemerkung von Mrs. Gardiner ein perlendes Lachen ausstoßen und schaute sofort zu ihr rüber. Sie bemerkte seinen Blick nicht gleich und gab sich völlig unbefangen und natürlich. Er zwang sich, in Gedanken langsam bis zehn zu zählen, um seinen ungeheuren Drang, sie jetzt einfach in die Arme zu reißen, bezähmen zu können. Dann schaute auch sie ihn an, nicht ganz so kurz wie die vielen Male zuvor an diesem Tag, sondern seinem Blick etwas länger stand haltend. Es lag darin völlig unerwartet etwas Sehnsuchtsvolles. Er war überrascht, als er es spürte. Ziemlich widerwillig wandte er sich wieder an Mr. Gardiner, der gerade eine weitere Forelle am Haken hatte. So ließ er sich doch von dem guten Fang ablenken.
Die Damen hatten inzwischen Tee getrunken und ein paar kleine Leckerbissen zu sich genommen. Auf einen kurzen Wink hin, rannte der Bursche zum Proviantwagen, den man ein ganzes Stück weiter weg geschickt hinter Büschen verbarg, und holte mehrere Stalllaternen hervor, da es nun langsam dämmerte. Auch Fackeln brachte er zum Vorschein. Elizabeth konnte nur staunen, wie schnell man sich hier auf die wechselnden Verhältnisse einstellte und vor allen Dingen, welchen Effekt die nun schnell eingerichtete Beleuchtung auf die Szenerie hatte. Die an den Bäumen hängenden Laternen schaukelten leicht im Wind. Die Fackeln flackerten rechts und links im Gras.
Als die Herren von See kamen, da es nun zu dunkel zum Angeln war, wurden den Damen Schultertücher aus der Kutsche geholt. Mrs. Gardiner legte sich den wärmenden Stoff mit einer raschen Bewegung selbst um, ebenso verfuhr Georgiana, aber noch bevor Elizabeth überhaupt nach ihrem Tuch greifen konnte, hatte es bereits Mr. Darcy in Händen und breitete es mit einer zärtlichen Geste über ihrem Rücken und ihren Schultern aus. Sie vergaß beinahe, zu atmen. Seine Hände hatten gerade kurz ihren Nacken und die Schultern gestreift. Sie zitterte vor Aufregung, ihr Puls raste.
Mr. Darcy interpretierte es zunächst als Frösteln ihrerseits und fragte sofort besorgt nach: „Ist Ihnen kalt, Miss Bennet? Soll ich…“, er brach ab und machte Anstalten, sich seiner Frackjacke zu entledigen, damit das Kleidungsstück Miss Bennet zusätzlich wärmen konnte.
„Nein, oh nein“, hielt sie ihn schnell von dieser Tat ab, „es ist alles bestens, ich friere nicht.“
Er schlüpfte, ein bisschen enttäuscht, wieder in den einen Ärmel hinein.
Da mischte sich Georgiana in das Gespräch ein: „Fitzwilliam, wirklich, du stehst hier völlig unbequem im Weg, ich bitte dich, setz dich doch nieder. Wir möchten nicht ständig zu dir hochsehen müssen, wenn wir mit dir reden, da bekommt man ja Genickstarre.“
Er sah sich ein wenig unsicher um, auf der großen Picknickdecke war kaum Platz für alle. Doch Georgiana hatte die Situation sofort erfasst und rutschte ein Stück weg von Miss Bennet, mehr zu Mrs. Gardiner hinüber. Gottergeben ließ sich Mr. Darcy auf seine beiden Knie herunter und quetschte sich zwischen seine Schwester - diese kleine Hexe, er schwor sich, nachher deutliche Worte mir ihr zu wechseln - und Miss Bennet.
Er langte nach einer Teetasse und da war es passiert – der Inhalt der Tasse ergoss sich auf seine Oberschenkel. Aufspringen konnte er nicht, es war zu eng im Kreis der anwesenden Personen, sonst hätte er in der Eile vielleicht noch mehr Schaden angerichtet. Also verzog er das Gesicht in jähem Schmerz, da der Tee war noch ziemlich heiß gewesen war, und gab einen kurzen unmutsvollen Laut von sich. Der Laufbursche war gerade nicht greifbar, er machte sich am Wagen zu schaffen, aber Elizabeth griff ohne groß nachzudenken nach den Stoffservietten, die sich im Gebäckkorb befanden, riss sie kurzerhand heraus und reichte diese Tüchlein dem dankbaren Mr. Darcy. Er konnte jedoch nur noch einen kleinen Teil der Flüssigkeit damit aufsaugen, der Rest hatte die Hose schon durchdrungen, leider.
Obwohl das Ereignis ihm reichlich peinlich war, hatte er aber schon nach wenigen Sekunden seinen Humor wieder gefunden.
„Oh ja, ich bin anscheinend ein rechter Tollpatsch und muss Gott danken, dass ich nicht vorhin bereits längsseits in den See geplatscht bin. Da wäre ich ungleich mehr nass dabei geworden. Miss Bennet, haben Sie Dank für Ihre schnelle Rettungsaktion. Georgiana, hättest du bitte die Güte, noch etwas weiter herum zu rücken, ich bin weiß Gott kein kleiner, zierlicher Mensch, also brauche ich leider etwas mehr Platz, damit nicht noch ein Unglück geschieht.“
Er lachte in leichter Selbstironie.
Nun setzte er sich etwas bequemer hin, wollte gerade eine neue Tasse Tee zum Mund führen, als er Miss Bennets Stimme sehr leise neben ihm vernahm: „Hoffentlich haben Sie sich nicht sonderlich wehgetan, Mr. Darcy, das täte mir sehr leid.“
Mit einem raschen Blick in die Runde vergewisserte er sich, dass die restlichen Personen alle in eine andere Unterhaltung verstrickt waren und antwortete, den Kopf etwas zu Elizabeth geneigt, ebenfalls im Flüsterton: „Es ist sehr nett von Ihnen, sich zu erkundigen. Es ist nicht schlimm, der Stoff hat einiges abgehalten, ich fürchte nur, wir müssen nachher erst in Haus zurückkehren, bevor wir nach Lambton zurückfahren, damit ich die Hose wechseln kann. Es ist zwar warm heute, und daher wird der Stoff vielleicht sogar trocknen, aber ein Fleck bleibt bestimmt.“
Sie nickte kurz.
Er wagte es, sich noch näher zu ihr hin zu beugen: „Was ist mit Ihnen, frieren Sie nicht doch?“
Sie schaute auf, sein von Feuerschein erhelltes Gesicht war nur noch wenige Inches von ihrem entfernt.
„Nein“, hauchte sie, „aber ich fürchte, mir ist beim Sitzen auf der Picknickdecke ein Fuß eingeschlafen und es wäre besser, ich würde mal aufstehen und mir die Beine vertreten.“
Sie hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, da hatte er sich schon erhoben, ihr die Hand hingehalten und half ihr auf. Georgiana beschäftigte wie auf ein geheimes Kommando hin die Gardiners ausführlicher mit Konversation, als sie die beiden aufstehen sah.
Zwischenzeitlich entfernten sich Elizabeth und Mr. Darcy vom beleuchteten Rastplatz. Sie gingen ein kurzes Stück entlang des Uferweges, das Gelände war zwar weitgehend eben, aber doch war es jetzt recht finster, ohne Fackel oder Laterne. Er führte sie daher mit seiner Hand an ihrem Ellbogen, damit sie einen kleinen Halt hatte. Von einer Stelle aus hatte man einen wundervollen Blick auf das erleuchtete Haus. Sie blieben stehen.
„Es ist wunderschön hier“, fing Elizabeth an, „es gefällt mir außerordentlich gut und ich möchte Ihnen danken, sicher auch im Namen meiner Tante und meines Onkels, für diesen herrlichen Tag.“
„Er ist noch nicht zu Ende“, murmelte Mr. Darcy verdächtig nahe an ihrem Ohr.
Es summte in ihr wie von tausend Bienen. Es war ihr kaum bewusst, dass er ihre Hände in die seinen genommen hatte und nun zuerst ihre rechte Hand nach oben zog und einen Kuss darauf hauchte und danach mit ihrer linken Hand ebenso verfuhr. Sie starrte ihn an, mit leicht geöffnetem Mund, unfähig ein Wort des Protestes oder der Zustimmung von sich zu geben. Mit einer leichten Bewegung brachte er es fertig, dass sie noch einen kleinen Schritt auf ihn zu machte. Sie sah seinen Mund auf den ihren zukommen, sie wusste, gleich würde er ihre Lippen berühren. Kein einziger Laut entschlüpfte ihr. Sie schloss die Augen.