Kapitel 4 – Into the fire
Song by Thirteen Senses
Elizabeth
Ich machte mir Sorgen um Jane. Ihr Zustand war wirklich beunruhigend. Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie verletzt war, es war etwas in ihr kaputt gegangen. Sie ging ganz normal zur Arbeit jeden Tag, aber ansonsten verließ sie meine Wohnung nicht. Sie lachte nicht mehr, sie verkroch sich in ihr Bett oder schlurfte durch die Zimmer. Vielfach saß sie vor dem Fernseher, aber sie schien das Programm gar nicht zu bemerken, sondern guckte vielmehr einfach nur ins Leere. Sie war kalt geworden, sie ließ sich keine Gefühle mehr anmerken, sie war eine leere Hülle. Ich versuchte, sie so gut wir möglich abzulenken, ich verbrachte sämtliche Abende mit ihr (weil ich sie nicht überreden konnte, etwas mit mir zu unternehmen), aber häufig war sie den Tag über alleine Zuhause, weil sie Nachtschicht hatte. Dann musste ich in mein Büro oder zu Gericht und sie zurücklassen. Sie weinte nicht mehr, das war wohl das Schlimmste. Sie war fest entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie verletzt worden war.
Charles meldete sich kein einziges Mal, das war vielleicht auch noch viel enttäuschender. Wollte er denn gar nicht um ihre Ehe kämpfen? Er nahm auf keine Weise Kontakt mit Jane auf. Er konnte sich ja wohl denken, wo Jane untergetaucht war und sonst war es auch leicht herauszufinden, schließlich hatte Jane es dem Krankenhaus mitgeteilt, aber er rief niemals an oder kam vorbei – von seiner Seite herrschte absolute Funkstille.
Janes Zustand berührte mich – ging es so den meisten oder vielleicht sogar allen betrogenen Ehefrauen? Ich hielt zu meinen Mandantinnen meist eine professionelle Distanz. Viele waren in meinem Büro schon in Tränen ausgebrochen, als sie mir erzählten, dass sie ihren Mann mit einer Fremden, der Sekretärin, der Kollegin oder gar der besten Freundin erwischt hatten, aber es war mir nie nahe gegangen. Jane spielte dem Rest der Welt und vor allem ihren Kollegen etwas vor, aber vor mir konnte sie ihren Gemütszustand nicht verbergen. War das normal? Unwillkürlich fragte ich mich, ob es den Frauen, die vor Gericht und während der ganzen anderen Verhandlungen so stark wirkten, wirklich so gut ging. Es musste wirklich eine hochemotionale Situation sein, es war eine vollkommen neue Erfahrung für mich. Es beeinflusste mich wirklich extrem, sogar Theresa bemerkte, dass ich auf das Thema der betrogenen Ehefrau anders reagierte als sonst.
Ansonsten ging es mir bei der Arbeit gut. Mr. Lucas hatte mir mitgeteilt, dass er meine Beförderung bei der nächsten Gesellschafterversammlung ansprechen würde und alle meine Fälle waren liefen hervorragend, genau so, wie ich es geplant hatte. Die Scheidung der Eltons war mittlerweile eingeleitet worden und Theresa zog mich tagtäglich damit auf, dass ich ja bald dem illustren William Darcy begegnen würde. Sie hatte sogar einmal ein Bild von ihm mitgebracht, das von ihm in irgendeiner Klatschzeitschrift erschienen war. Sehr zu ihrem Missmut weigerte ich mich, es mir anzusehen.
„Du willst dich also überraschen lassen“, neckte sie mich. „Aber sag mir nicht, ich hätte dich nicht vorgewarnt, wenn du ihn mit offenem Mund anstarrst, kein Wort mehr heraus bekommst und du dich schrecklich blamierst.“
Ich lachte. „So gut kann kein Mann aussehen, dass mir das passiert. Er ist doch auch nur ein Mensch. Und er ist der Anwalt der Gegenseite.“
„Zu schade aber auch. Nun ja, noch reden wir hier ja auch über ungelegte Eier. Sollen wir uns jetzt bei ihnen melden wegen eines ersten Termins oder warten wir, bis sie sich mit uns treffen wollen?“
„Wir warten“, beschloss ich. „Sie sollen sich mit uns in Verbindung setzen, immerhin will Mr. Elton ja was von seiner Frau.“
So kam es dann auch, eines Nachmittags hatte Theresa ein Gespräch mit der Sekretärin von Mr. Darcy und vereinbarte ein Treffen für den folgenden Nachmittag in seiner Kanzlei. Gegen meinen Willen war ich aufgeregt. Innerlich schalt ich mich selbst, weil Theresa mich in eine so gespannte Erwartungshaltung versetzt hatte, aber sie war ähnlich aufgekratzt.
„Warum trefft ihr euch eigentlich nicht hier? Ich bin so gespannt, was du von ihm hältst.“
„Ich weiß gar nicht, warum wir so einen Trubel um den Mann machen“, sagte ich, während ich meine Akten einpackte. „Wie ist es eigentlich so weit gekommen? Nun ja, egal. Ich verspreche dir, ich werde dir haarklein alles berichten – die offiziellen Sachen ja sowieso.“
Ich sollte Mrs. Elton erst in der Kanzlei treffen und fuhr dementsprechend alleine zur Kanzlei, die nur zwei Kilometer entfernt ebenfalls in der City of London lag. Ich fuhr mit dem Fahrstuhl in den zwölften Stock des Bürogebäudes. Ich ging den Gang entlang auf die Kanzlei zu. Man merkte, dass Mr. Darcy mit seiner Kanzlei doch sehr erfolgreich war, sie lag in einem der teuersten Teile der Stadt. Ich war gerade im Begriff, die Tür zu öffnen, als sie von innen aufgerissen wurde und ich erneut gegen jemanden prallte.
Mit einem „Umpf“ stieß ich gegen jemanden, der aus der Kanzlei treten wollte, es war eindeutig ein Mann. Er war größer als ich, mit meinem Kopf reichte ich etwas über seine Schulter. Er musste demnach ein sehr großer Mann sein, ich selbst war ja schon eine recht große Frau und ich trug noch Schuhe mit leichten Absätzen. Er roch seltsam vertraut.
Wir beide prallten zurück, „Entschuldigen Sie vielmals“, sagten wir beide gleichzeitig und sahen uns dann an. Ich blickte auf und in das Gesicht meines Retters von der Treppe. Auch er schien mich sofort wieder zu erkennen. Er fing an zu grinsen.
„Ja, das nenne ich mal einen Zufall“, sagte er. „Dass wir uns so wieder begegnen würden, hätte ich nicht gedacht.“ Sein Blick wanderte zu meinen Schuhen.
„Meine Schuhe sind nicht Schuld“, lachte ich. Auch ich fand die Situation sehr belustigend. „Dieses Mal mussten Sie mich aber nicht retten, Sie sind vielmehr Schuld, dass ich gegen Sie geprallt bin, man reißt eine Tür einfach nicht so hastig von innen auf, man weiß ja nie, wer davor steht.“
„Bekenne mich schuldig, ich war in Eile. Aber wenn man mit so jemand zusammen prallt, ist das ja schon in Ordnung – wir haben ja schon Erfahrung mit solchen Situationen.“
„Wenn Sie in Eile sind, will ich Sie nicht weiter aufhalten.“ Ich trat einen Schritt zur Seite. „Aber wenn wir bei unserer nächsten Begegnung auch wieder aufeinander prallen, sollte uns das vielleicht zu denken geben.“
„Ah, Sie planen schon eine dritte Begegnung ein, dann hoffe ich mal, dass wir uns da anders treffen und Sie nicht zuerst meinen Oberkörper sehen, sondern vielmehr mein Gesicht.“
Wir sahen uns an, ich zögerte, in die Kanzlei einzutreten, ich konnte sehen, wie eine Frau – ich nahm an, eine von Mr. Darcys Angestellten – uns neugierig ansah. „Ihr Termin?“, sagte ich schließlich. „Weshalb Sie in Eile waren?“
„Ach, hat sich nun auch erledigt“, sagte er mit einem Schulterzucken. „Sagen Sie, müssen Sie hier in die Kanzlei?“
Ich nickte. „Ich habe hier einen Termin in fünf Minuten“, erklärte ich.
„Dann müssen Sie Miss Bennet sein“, sagte er.
Überrascht blickte ich ihn an. „Richtig, woher wissen Sie das?“, fragte ich.
„Weil ich in fünf Minuten einen Termin mit Mrs. Elton und ihrer Anwältin Miss Bennet habe. Und da ich weiß, dass Mrs. Elton im Wartezimmer sitzt, können Sie nur die Anwältin sein“, antwortete er.
„Sind Sie William Darcy?“, fragte ich. Und ich hoffte, dass er nicht Mr. Elton war.
„Höchstpersönlich.“
Ich sah ihn an und gestand mir ein, dass Theresa in der Tat Recht gehabt hatte. William Darcy sah wirklich sehr, sehr gut aus. Er war heute wieder in einen teuren schwarzen Anzug gekleidet er war groß gebaut und ich vermutete, dass er ziemlich durchtrainiert war. Er lächelte mich an und ich sah, dass er Grübchen hatte. Seine dunklen Haare waren leicht gelockt, seine Augen waren schokoladenbraun und hatten einen unglaublich intensiven Blick.
Er reichte mir die Hand. „Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen, Miss Bennet. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.“
„Ich auch von Ihnen, Mr. Darcy“, sagte ich und schüttelte die dargebotene Hand. Ich fragte mich, was er denn alles über mich hatte in Erfahrung bringen können. Er hatte bestimmt nicht die gleiche Art von Infos über mich von seiner Sekretärin erhalten, die ich über ihn bekommen hatte. „Sind unsere Mandanten schon da?“, fragte ich. „Dann könnten wir ja eigentlich schon das erste Treffen beginnen.“
Er nickte. „Sie sind schon da. Sie werfen sich im Wartezimmer böse Blicke zu.“
„Ah, sollte ich mir deshalb jetzt Gedanken machen, weil Sie fünf Minuten vor unserem Termin Ihre Kanzlei Hals über Kopf verlassen wollen?“, fragte ich ihn gut gelaunt und hob fragend eine Augenbraue. „Ich hoffe, es findet in Ihrem Wartezimmer kein Mord und Totschlag statt.“
„Nein“, er schüttelte den Kopf und grinste, „es hat nichts mit den Eltons zu tun, ich wollte nur eben schnell etwas ein Stockwerk weiter unten erledigen und ich dachte mir, dass ich noch fünf Minuten Zeit habe. Aber jetzt wo Sie schon da sind, wäre es furchtbar unhöflich von mir, ein Stockwerk nach unten und wieder hoch zu hasten. Ich kann das auch später noch erledigen. Kommen Sie herein, dann können wir beginnen.“
Und ich wusste damals noch nicht, wie viel mit meinem ersten Betreten von William Darcys Kanzlei wirklich beginnen würde.
~**~
William
Charles meldete sich die ganze Woche nicht bei mir. Ich hielt das für ein gutes Zeichen, ich hoffte, er hatte sich mit Jane in Verbindung gesetzt. So lange er meine Dienste als Scheidungsanwalt nicht benötigte, war ich hoffnungsfroh, dass die beiden vielleicht eine andere Lösung gefunden hatten.
Ich bemerkte, dass Charles' Trennung mich auch persönlich stark beeinflusste. Wo eine Ehe im unmittelbaren Umfeld drohte auseinander zu gehen, machte man sich noch mehr Gedanken um den eigenen Beruf. Ich hielt meine Mandanten ja immer auf Abstand, ich war ihnen gegenüber neutral und unemotional eingestellt, was ich als Teil meiner Professionalität ansah und ich konnte ja auch nicht zulassen, dass mich mein Job noch in meiner Freizeit verfolgte. Ich hatte es schon häufig erlebt, wie Frauen in meiner Kanzlei in Tränen ausgebrochen waren und mir von dem Betrug durch ihre Ehemänner berichtet hatten, aber berührt hatte mich das nie.
Jetzt aber hatte es eine viel persönlichere Ebene bekommen, da ich mit Jane eine betrogene Ehefrau und mit Charles einen untreuen Ehemann in meiner unmittelbaren Bekanntschaft hatte. Ich hatte zu Jane nicht so guten Kontakt gehabt, wir waren gut bekannt, aber ich machte mir doch Sorgen um sie. Ich kannte die Geschichten ja von all den betrogenen Frauen und ich wusste, dass viele davon nicht gut endeten. Trotz besseren Wissens hoffte ich, dass die Bingleys eines der wenigen Paare sein würden, die es schaffen würden, die schwierige Phase im Leben zu meistern. Es war für beide äußerst schwierig. Auch Mary merkte, dass ich auf das Thema Scheidung nach Untreue viel sensibler reagierte als vorher.
Ich begegnete Charles zwar nicht, dafür aber einem anderen Mitglied seiner Familie, seiner Schwester. An einem Nachmittag nach einer weiteren Verhandlung im Fall Churchill kam mir mein persönlicher Alptraum, Caroline Bingley, auf einem Gang im Gerichtsgebäude entgegen gestöckelt. Caroline war zwar Charles kleine Schwester, aber manchmal wunderte ich mich wie diese beiden Menschen miteinander verwandt sein konnten. Als ich sie das erste Mal getroffen hatte – es war auf einer Party gewesen, die ich hatte besuchen müssen – lief bezeichnenderweise „Golddigger“ von Kanye West im Hintergrund. Nur wenige Zeit später merkte ich, dass dieses Lied bei ihr genau zutraf. Sie tat alles um meine Aufmerksamkeit zu erregen, aber es ging ihr eigentlich nur um eins: Mein Vermögen und meinen illustren Namen, sie war fest entschlossen, mich an sie zu binden und das war sehr unangenehm. Diese Gefühle beruhten keineswegs auf Gegenseitigkeit, ich hatte Caroline nie die geringste Ermunterung gegeben. Ganz im Gegenteil, ich hielt es nur mit ihr aus, weil sie mit Charles verwandt war, in jedem anderen Fall wäre ich wahrscheinlich schreiend davon gelaufen.
Als ich sie erblickt hatte, sah ich mich schnell nach einer Fluchtmöglichkeit um (eine offene Tür vielleicht, die Herrentoilette, egal was), aber leider war das Glück nicht auf meiner Seite. Und mittlerweile hatte sie mich auch schon erspäht.
„William“, rief sie schrill und winkte, sodass die Armreifen an ihrem linken Handgelenk merkwürdig klirrten. Jetzt konnte ich nicht mehr anders, als ihre Anwesenheit zu bemerken, sie kam direkt auf mich zu.
„Caroline“, sagte ich einfach nur und blieb stehen resigniert. Ich würde ihr zwei Minuten von meiner Zeit geben und dann sagen, dass ich einen weiteren Termin hatte. „Was machst du denn hier?“
„Ach, ich hatte wieder so eine Anhörung wegen meiner Scheidung von Jim, weißt du, so eine Lappalie.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. Es hatte tatsächlich mal eine Phase in meinem Leben gegeben, da hatte ich gedacht, dass ich Caroline nicht mehr fürchten brauchte, nämlich als sie vollkommen überraschend den Fußballer Jim Fletcher geheiratet hatte. Leider hatte die Ehe nicht lange gehalten und jetzt war Caroline wieder frei, um mich zu verfolgen. Ich hatte es aber abgelehnt, sie bei ihrer Scheidung zu vertreten, das hatte ich mir nicht noch zusätzlich antun müssen.
„Und du, was machst du hier?“, zwitscherte sie.
„Ich bin auf dem Weg von einer Gerichtsverhandlung zur nächsten. Meine nächste beginnt in fünf Minuten.“ Das stimmte zwar nicht ganz, aber eine andere Möglichkeit, um Caroline zu entkommen, gab es nicht.
„Ach, so früh schon, das ist aber schade“, flötete sie jetzt. „Wirst du denn Charles bei dieser unseligen Sache vertreten?“
„Unselige Sache?“, fragte ich verständnislos.
„Die Scheidung von Jane natürlich.“
„Noch ist das doch gar nicht sicher, sie können ihre Ehe ja noch retten.“
„Ich wünschte, sie würden es nicht tun.“ Ich starrte sie an. „Ich habe ja schon immer gewusst, dass Jane nicht die Richtige für Charles ist und die Tatsache, dass er sie jetzt betrogen hat, unterstreicht meine These ja wohl. Ich meine, wer war Jane denn auch schon? Ich war ja immer gegen diese Ehe mit dieser dahergelaufenen Kinderärztin, er hätte eine aus unserem Kreis nehmen sollen und jetzt haben wir den Salat.“
Mir hatte es die Sprache verschlagen.
„Und es gibt noch nicht einmal einen Ehevertrag. Wenn Jane wirklich die Goldgräberin ist, für die ich sie halte, dann wird sie ihn ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Vielleicht hat sie auch nur darauf gewartet, dass Charles sie betrügt, damit sie einen Grund für die Scheidung hat.“
„Das glaube ich eher nicht“, sagte ich gepresst. „Ich hatte einen ganz anderen Eindruck von ihrer Ehe. Und obwohl ich Spezialist für Scheidungen bin, wünsche ich mir doch, dass sie den Bruch kitten können. Aber jeder hat da seine eigene Einstellung. Ich habe jetzt keine Zeit mehr für Diskussionen, ich muss weiter. Mach es gut.“
Und damit ließ ich sie mitten auf dem Flur stehen. Ich verließ das Gerichtsgebäude auf direktem Wege und machte mich auf in meine Kanzlei. Ich dachte darüber nach, was Caroline mir gesagt hatte, dass Jane eine Goldgräberin war und Charles jetzt ausnehmen würde wie eine Weihnachtsgans. Das konnte ich mir nicht vorstellen – und ich hoffte ja immer noch, dass die beiden ihre Ehe retten würden. Ich fragte mich tatsächlich, wie es mit dem Geld im Falle einer Scheidung sein würde. Charles war reich – einer der reichsten Männer unseres Landes – und Jane könnte im Ernstfall die Hälfte seines Vermögens verlangen, aber ich zweifelte, dass diese das überhaupt wollte. Jane war eine unabhängige Frau, sie war eine sehr angesehene Kinderärztin und verdiente als solche auch nicht schlecht. Sie hatte Charles' Geld nicht nötig und ich bezweifelte, dass sie ihn wegen seines Vermögens geheiratet hatte. Eine Goldgräberin war sie nicht, es war eine Liebesheirat gewesen.
Dennoch, im Fall einer Scheidung würden beide ihre Finanzen offen legen müssen und Charles würde wohl höchstwahrscheinlich zahlen müssen, er war ja auch nicht der Typ, der seiner Frau so etwas verweigern würde. Ich hoffte aber, dass es zu keiner Schlammschlacht kommen würde, sondern dass sie sich gütlich einigen würden. Dann schalt ich mich selbst, ich hoffte, dass die beiden zusammen bleiben würden und dachte schon über die finanziellen Aspekte einer Scheidung nach – das war ja abscheulich, mir wurde bewusst, wie sehr mein Beruf mich prägte.
Ich dachte über Carolines Haltung zu „dieser unseligen Sache“ nach. Konnte sie Jane wirklich nicht leiden? Das hätte ich nicht gedacht. Ich hatte jetzt angenommen, dass sich die Schwägerinnen ganz gut verstanden, immerhin war Jane an jenem schicksalhaften Abend mit Caroline unterwegs gewesen. Jane war die Gutmütigkeit in Person und deshalb konnte ich gut verstehen, dass sie bei Caroline positive Seiten gefunden hatte (die ich noch nicht hatte entdecken können), aber sonst machte Caroline aus ihrer schlechten Meinung über Leute keinen Hehl. Es verwunderte mich, dass Caroline anscheinend in der Lage war, ihren Groll Jane gegenüber stilvoll zu verbergen.
Ich konnte verstehen, warum Caroline Jane nicht leiden konnte, denn diese war ihr in allen Punkten überlegen. Jane war atemberaubend schön, erfolgreich in ihrem Spezialgebiet, intelligent und angesehen. Caroline dagegen war mehr oder minder berüchtigt, machte manchmal schlechte Schlagzeilen als WAG* und hatte keinerlei Stil. Ich konnte mir vorstellen, dass Caroline einfach nur neidisch war.
Ich verbannte jedwede Gedanken über die Bingleys aus meinem Kopf und konzentrierte mich auf meine Arbeit, das klappte ganz gut und gab mir auch eine gewisse Befriedigung, immerhin waren ja alle meine derzeitigen Fälle sehr erfolgreich. Schließlich ging dann auch die Scheidung Elton ein und es sollte zu einem ersten Treffen der Parteien kommen. Ich wies Mary an, mit der gegnerischen Seite einen Termin zu vereinbaren und wir verabredeten uns für den darauf folgenden Nachmittag in meiner Kanzlei. Gegen meinen Willen war ich gespannt auf dieses Treffen und auf die gegnerische Anwältin, ich fragte mich, wer diese ominöse Elizabeth Bennet denn so sein würde und ob sie ihrem Ruf gerecht werden würde.
An jenem Nachmittag saß ich in meinem Büro und hatte mich über meine Akten gebeugt, noch fünf Minuten bis zu dem Treffen, als Mary eintrat.
Ich blickte auf.
„Mr. Fitzwilliam hat angerufen, es geht um die Daten, die Sie haben wollten. Er meinte, er sei noch eine halbe Stunde in seinem Büro.“
Das hatte ich ganz vergessen! Ich arbeitete bei gewissen Fällen mit meinem Cousin, Richard Fitzwilliam, einem sehr guten Privatdetektiv, zusammen und ich hatte ihn zuletzt damit beauftragt, sich im Fall Churchill doch etwas schlau zu machen. „Ach ja, stimmt...“ Ich stand auf. „Sind die Eltons schon da?“, fragte ich.
Sie nickte. „Sie sitzen im Wartezimmer und versuchen, sich gegenseitig mit bösen Blicken zu irritieren.“
„Und Miss Bennet?“
„Die ist noch nicht eingetroffen.“
„Dann werde ich eben schnell nach unten gehen und die Sachen holen – ich brauche sie ja und sonst muss ich dann heute Abend wieder nachhaken.“ Ich nahm immer höchstpersönlich Richards Ermittlungsergebnisse entgegen.
Mary nickte. „Beeilen Sie sich aber, Sir.“
Ich ging mit langen Schritten aus meiner Büro in Richtung Tür. Ich musste mich beeilen. Ich musste zwar nur einen Stock nach unten, aber in fünf Minuten war das auch knapp und ich wollte nicht zu spät kommen. Ich riss die Tür auf und mit einem „Umpf“ stieß jemand gegen mich, der wohl gerade die Kanzlei betreten wollte.
Der vertraute Geruch von Lavendel stieg mir in die Nase.
„Entschuldigen Sie vielmals“, sagten wir beide gleichzeitig und sahen uns dann an. Ich blickte in das Gesicht der Frau, die ich auf der Treppe aufgefangen hatte. Ich musste grinsen angesichts dieses Zufalls. Unwillkürlich wanderte mein Blick zu ihren Schuhen – die beide noch intakt waren. Eigentlich war ich ja auch Schuld an dem Zusammenstoß gewesen, immerhin hatte ich die Tür aufgerissen und nicht daran gedacht, dass jemand davor stehen könnte.
Wir beide fanden die Situation wohl ziemlich belustigend, denn sie lachte über meine Bemerkung, dass wir und so wieder begegnen würden, sagte, dass ihre Schuhe dieses Mal keine Schuld trügen und machte mir einen gut gemeinten Vorwurf.
Ich betrachtete sie, sie war wieder so ähnlich gekleidet wie bei unserer ersten Begegnung, die Haare hatte sie in einem strengen Dutt zurück gebunden, sie trug einen dunklen Hosenanzug und ihre Aktentasche.
Ich erinnerte mich, dass ich ja eigentlich zu Richard musste – den Termin konnte ich jetzt wohl vergessen, dann würde ich halt heute Abend mit ihm reden müssen, obwohl ich es hasste, wenn mein Beruf mich noch nach Feierabend verfolgte. Ich fragte mich, was diese Frau wohl direkt vor meiner Tür machte, ich erinnerte mich, dass ich vermutet hatte, bei ihr handele es sich um eine Kollegin. Deshalb fragte ich sie auch gerade heraus, ob sie in die Kanzlei müsse. Sie antwortete, sie habe einen Termin. Ich musste mich zurückhalten, um sie nicht überrascht anzusehen. Die einzige Frau, die noch für den Termin in fünf Minuten fehlte, war Miss Bennet – sollte sie es sein?
Sie war es. Es war unerwartet, dass diese junge, attraktive Frau eine mir ebenbürtige Gegnerin sein sollte. Ich wäre ihr gerne noch ein weiteres Mal woanders begegnet, aber nicht vor Gericht. Auch sie schien überrascht über meine Identität zu sein und sie warf mir einen abschätzenden Blick von oben bis unten zu.
Wir gaben uns die Hand, dann fiel mir auf, wo wir uns eigentlich befanden – zwischen Tür und Angel zu meiner Kanzlei. Mary warf uns einen neugierigen Blick zu und fragte sich wohl, was ihr Chef dort in der Tür machte. Ich geleitete sie schließlich mit wenigen Worten hinein, wo unsere Mandanten ja schon warteten.
Und so sollte alles anfangen.