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Author's Chapter Notes:

 

 










 

Auf Netherfield versuchte man, den Tag des Balls so ruhig wie möglich anzugehen. Dennoch konnte es nicht verhindert werden, dass die Stimme von Miss Bingley mehr als üblich durch das Haus hallte. Die Herren waren heute weder reiten noch jagen gewesen, dafür hatten sie einen ordentlichen Spaziergang absolviert und anschließend einige Runden Billard gespielt. Zur Teestunde traf man noch einmal zusammen, bevor sich jeder in seine Räume zurückzog, um sich der Abendtoilette zu widmen. Miss Bingley plapperte dauernd und mit erhöhter Nervosität vom Ablauf des Abends und Charles bekam vor Aufregung bereits jetzt schon rote Wangen. Fitzwilliam Darcy hingegen wurde, je näher der Uhrzeiger auf die abendlichen Stunden vorrückte, immer schweigsamer. Alles in allem also nicht Ungewöhnliches, jeder zeigte seine übliche Verhaltensweise.

Er nahm sich vor, die Dinge erst einmal in aller Ruhe auf sich zu kommen zu lassen. In aller Ruhe, ja wie sollte das gehen, wenn sein Herz schon anfing zu rasen, als die ersten Kutschen unten vorfuhren? Vor allem galt abzuwarten ob sich Wickham blicken lassen würde. Er sah von einem der oberen Fenster aus zu, wie die ersten Offiziere eintrafen. Colonel Forster und seine Frau, weitere Herren in Uniform. Dauernd spähte er zum Fenster raus, er wollte keinesfalls die Ankunft von Wickham und natürlich auch nicht die der Bennets versäumen.

So sah er inzwischen einen gedrungenen, merkwürdig gekleideten Herrn alleine die Treppe hoch gehen. Er sah fast wie ein Geistlicher aus, schoss es ihm durch den Kopf. An was Caroline Bingley alles gedacht hatte, sogar einen Pfarrer hatte sie eingeladen. Dann kam ihm diesbezüglich eine ganz andere Idee: Sie würde doch nicht auf dumme Gedanken kommen, ihn versuchen hoffnungslos betrunken zu machen und sich dann zusammen mit ihm dem Pfarrer als heiratswillig präsentieren? Himmel, er musste höllisch aufpassen, dass er keinesfalls zu viel trank. Auch schon Miss Bennets wegen, es war ihm immer noch peinlich, dass er neulich Nacht einen kleinen Schwips gehabt hatte.

Immer noch keine Spur von Wickham, es schienen auch nun keine Rotröcke mehr anzukommen. Das war ein gutes Zeichen. Dann sah er die Kutsche der Bennets die Auffahrt entlang rollen und ihm sackte das Herz in die Hose.

Er musste tief Luft holen und seine Knie zitterten verdächtig. In diesem Augenblick stieg Elizabeth Bennet aus der Kutsche und alles brach in ihm wieder auf. Wie wunderschön sie war, wie sehr er sie liebte! Er wusste, er würde heute Abend länger als ein Schuljunge brauchen, um Mut zu fassen und sie zum Tanz aufzufordern. Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Er hatte furchtbare Angst, dass Wickham doch noch erscheinen und sie den ganzen Abend nicht aus den Augen lassen würde. Und er hatte noch viel mehr Angst davor, dass sie sich weigern könnte, mit ihm zu tanzen. Sollte sie ihm tatsächlich einen Korb geben, würde er ernsthaft mit dem Gedanken spielen, sich mit dem Jagdgewehr eine Kugel in den Kopf zu schießen. Er wusste, wo Charles den Schlüssel zum Waffenschrank deponiert hatte.

Ja, er musste nach einem weiteren Blick nach unten zugeben, dass sich alle Bennet-Mädchen sehr hübsch ausstaffiert hatten, sie sahen alle reizend aus, überstrahlt natürlich von ihrer zweitältesten Schwester.

Er straffte sich und begab sich zum oberen Ende der Treppe. Durch das Geländer hindurch konnte er sehen, wie Charles und Caroline die Gäste begrüßten. Nun waren die Bennets an der Reihe. Höflichkeiten wurden ausgetauscht. Miss Jane und Charles redeten etwas länger miteinander, währenddessen Miss Elizabeth suchend ihren Blick schweifen ließ. Nach wem hielt sie Ausschau? Nach Wickham? Oder vermisste sie vielleicht sogar ihn, also Mr. Darcy, hier unten bei der Begrüßung? Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Er schritt langsam die Treppe runter. Sie war nun in der Halle angekommen, anscheinend noch immer auf der Suche nach jemandem. Sie ging durch die Tür in den angrenzenden Raum, er folgte ihr in kurzer Distanz für ein paar Schritte. Dann bog er schnell ab in eine andere Richtung, bevor sie ihn bemerken konnte.

Er hörte allerdings die durchdringende Stimme von Mrs. Bennet an sein Ohr tönen, die ständig jedem erzählen musste, wie sehr Charles Bingley doch von ihrer Jane angetan sei. Mein Gott, diese Frau hatte in der Tat fast schon Wahnvorstellungen. Auf dem Weg zu einem anderen Raum wurde er von einem jungen Mädchen fast über den Haufen gerannt, zumindest hatte sie ihm schmerzhaft auf die Zehen getreten. Als sie sich kichernd zu ihm umdrehte, um ihm im Vorbeihuschen eine Entschuldigung zuzurufen, bemerkte er, dass es eine der jüngeren Miss Bennets sein musste. Aber welche? Er suchte sich eine ruhige Ecke, wo er kurz stehen blieb und angestrengt versuchte, sich die Namen ins Gedächtnis zu rufen. Jane, Elizabeth, dann kam – wie hieß sie denn gleich?

Der Zufall kam ihm zu Hilfe, als eines der Mädchen draußen in der Halle rief: „Mary, Mary, das Klavier ist jetzt frei, du kannst spielen!“

Er schaute kurz um die Ecke und sah, dass eine der Miss Bennets auf dem Klavierstuhl Platz nahm. Gut, Mary. Das Geklimpere war gar nicht mal so schlecht, wie er fand. Natürlich kein Vergleich mit dem Spiel Georgianas, aber immerhin. Die nächste müsste dann, er sammelte seine Gedanken, ja Kitty sein. Er glaubte, dass sie diejenige war, die ihm gerade auf den Fuß getreten war. Und der Name der jüngsten Miss Bennet wollte ihm partout nicht einfallen. War ja auch egal.

Als er in den Raum kam, wo getanzt wurde, glaubte er zunächst, seine Augen hätten ihm einen Streich gespielt. Miss Elizabeth tanzte – nein, nicht mit Wickham, der hatte es offensichtlich wirklich vorgezogen, nicht zu erscheinen, sondern mit diesem komischen Kauz von Pfarrer. Es sah einfach zu lächerlich aus. Erstens konnte man bei ihm absolut nicht von tanzen reden, eher von einer Verwirrung und Verirrung der Füße, zweitens schien er vor lauter enthusiastischem Reden ständig aus den geforderten Figuren zu kommen und drittens sah er derart gnomenhaft aus, dass er eindeutig mehr einer Lachnummer als einem geistlichen Herrn glich.

Schnell zog sich Fitzwilliam Darcy wieder in die Halle zurück. Er hörte noch immer das Klavierspiel von Mary Bennet, aber schauerlicherweise hatte sie nun auch angefangen zu singen, und das konnte sie nun leider nicht einmal ansatzweise so gut wie spielen. Er verzog das Gesicht und damit schnellte auch sofort seine linke Augenbraue in die Höhe.

In diesem Moment kam aus der gegenüberliegenden Tür Miss Elizabeth, zusammen mit Miss Lucas. Sie lachten lauthals, und wenn er richtig kombinierte, dann lachten die beiden Damen garantiert über diesen merkwürdigen Pfarrer. Er räusperte sich, denn nun war sein Moment gekommen. Sie steckte den Kopf mit Miss Lucas zusammen und hatte ihn noch nicht bemerkt, kam aber stetig auf ihn zu. Kurz vor ihm stoppte sie abrupt ab, blickte überrascht zu ihm hoch. Jetzt sollte er sich beeilen, bevor sie seitlich an ihm vorbei ging.

Er raffte allen Mut zusammen: „Miss Elizabeth, darf ich um den nächsten Tanz bitten?“

Bravo Fitzwilliam, gratulierte er sich selbst, das war doch recht glatt vonstatten gegangen. Sie schaute, als hätte er ihr einen total unsittlichen Antrag gemacht. Er wappnete sich schon, war auf ihre Ablehnung gefasst und sah sich im Geiste bereits am Waffenschrank hantieren.

Ihre Wangen liefen rosa an, sie blickte Hilfe suchend zu Miss Lucas, schaute dann wieder zu Boden und antwortete, leicht um die Worte kämpfend: „Sie dürfen, danke!“

Er brauchte einen Wimpernschlag, um es richtig zu verstehen. Hatte sie gerade eingewilligt? Er war nur noch in der Lage, wortlos den Kopf zu neigen und verschwand sofort eilends. Großer Gott! Sie würde gleich mit ihm tanzen. Es war soweit. Er konnte es nicht fassen.

Ob es ein Glück oder ein Malheur für ihn war, vermochte er im Nachhinein nicht mehr zu sagen. Der erste Tanz mit Miss Elizabeth stand gleichermaßen für beides bei ihm. Zunächst war er froh, dass er sich einen Korb erspart hatte. Das Adrenalin rauschte nur so durch seinen Körper, als er sich im Tanzsaal gegenüber von ihr aufstellte. Er konnte nicht einen Augenblick lang die Augen von ihr lassen, war völlig von ihrem Anblick gefangen. Die Musik begann, langsam, schreitend. Sie reichten einander die Hand, aber irgendwie hatte es ein wenig die Magie der ersten Berührung verloren. Nach wie vor fand er es zwar aufregend, sie anfassen zu können, das schon, aber es war zumindest nicht mehr ganz so ‚brennend’, wie er es ausdrücken würde.

Dann wurde ihm bewusst, dass er überhaupt nichts redete, wollte gerade einen Satz formulieren und ansetzen, als sie ihm zuvor kam: „Ein schöner Tanz, nicht wahr?“

Er konnte gar nicht anders, als diese Frage zu bejahen. Aber irgendwie klang es lahm. Dann verstummte er, leicht verunsichert. Ihre Reaktion kam prompt, es klang darin der Vorwurf, es wäre seine Sache, nun weiter über die Gegebenheiten rund um den Tanz zu sprechen. Es ärgerte ihn. Er wollte sich nicht ärgern, nicht jetzt und hier, nicht beim Tanzen mit ihr. Es schien jedoch - sie wollte keine Konversation, sie wollte Provokation. Diese Erkenntnis erschreckte ihn.

Und dann gab ein Wort das andere. Er versuchte, sie an einer empfindlichen Stelle zu packen, sie piekste zurück, er reagierte verschnupft, und plötzlich waren sie an dem heiklen Thema ‚Wickham’ angekommen. Als sie ihn gar fragte, ob er denn die abgebrochene Beziehung zu Wickham als unumkehrbar ansah, platzte ihm fast der Kragen. Es war, als hätte sie ihm ein glühendes Messer in den Bauch gestoßen und würde dieses nun auch noch genüsslich umdrehen.

„Ja, es ist unumkehrbar! Warum stellen Sie mir solche Fragen?“

Er kam völlig aus dem Tanz, als er sie das in scharfem Ton fragte. Sie antwortete damit, dass sie sich ein Bild von seinem Charakter machen wolle, gab aber zugleich zu, dass sie dabei nicht sonderlich in ihren Bemühungen fortgeschritten war. Er erklärte, dass er ihr zukünftig da sicher mehr Klarheit verschaffen konnte. Warum er das sagte, verstand er selbst nicht. Es schien reines Wunschdenken von ihm zu sein.

Die letzten Takte des Tanzes verbrachten sie schweigend. Er hatte den Eindruck, alle Personen im Raum hätten sich aufgelöst und nur er und Miss Bennet seien noch anwesend. Sie faszinierte ihn. Sie gab nicht klein bei, sie versuchte erst gar nicht, ihm zu schmeicheln, sie wusste mehr über ihn, als sie zugab und als ihm lieb war, vor allem wenn er dabei an die beiden Nächte hier im Keller des Hauses dachte, aber sie schien ihm hier und heute so verändert.

Hatte er sich ihr Interesse an ihm, ihre leichte Besorgnis um ihn nur eingebildet? Sie war komischerweise dabei, sich ausschließlich auf seine harte, unnachgiebige Seite zu fixieren. Das war ihm gar nicht recht. Vielleicht hatte sie einen völlig falschen Eindruck von ihm. Ja, so musste es sein, und er vermutete, dass Wickham daran nicht unschuldig war. Wer weiß, welche Lügengeschichten dieser Mann ihr aufgetischt hatte, gewiss stand er dabei als ein zähnefletschendes Ungeheuer da. Er konnte es nur vermuten.

Der Tanz war zu Ende.

 





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