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Er sah ihr kurz bedauernd nach, wie sie nach ihrem Knicks den Raum verließ. Dann wandte er sich Charles Bingley und Jane Bennet zu, denn da waren auch Dinge im Gange, die ihn interessierten. Er musste herausfinden, ob Charles in der Tat ernsthafte Absichten bezüglich dieser jungen Dame hatte und ob dies auf Erwiderung stieß. Charles sollte vorsichtig sein, er wollte auf keinen Fall, dass sein Freund mit offenen Augen in sein Unglück rannte. Er sprach eine kleine Weile mit beiden, aber Miss Jane hatte außer ein paar schüchternen Blicken nicht so viel zu sagen. Charles dagegen schien sie regelrecht anzuhimmeln.

Plötzlich hörte er eine Stimme neben sich irgendetwas von sich geben. Er reagierte nicht. Die Stimme wurde lauter, alle im Saal schienen bereits darauf aufmerksam zu werden. Fitzwilliam Darcy drehte sich also schwungvoll um – und hätte dem nicht sehr groß gewachsenenie Pfarrer, der halb hinter ihm stand, beinahe seinen Ellbogen ins Gesicht gerammt. Liebe Güte, was erlaubte sich der Mann? Sie waren einander nicht vorgestellt worden, er konnte ihn also unmöglich aufs Geratewohl hier ansprechen. Er hörte ihn nur einen Namen nennen und etwas faseln von Lady Catherine, seiner Tante, schüttelte ablehnend den Kopf und ließ dann den verdutzten Geistlichen kurzerhand alleine stehen.

In der Zwischenzeit beobachtete er, dass Mary Bennet genötigt wurde, vom Klavier aufzustehen, da ihre Singerei sich als unerträglich erwiesen hatte. Sie fing leise in einer Ecke an zu weinen. Die anderen Schwestern, Kitty und – er schnappte es zufällig auf – Lydia, alberten ohne Unterlass herum. Auch Mrs. Bennet erlaubte sich einen Fauxpas nach dem anderen, sie benahm sich kaum besser als ihre jungen Töchter. Sie tat lautstark in der Halle kund, dass sie sich sicher sei, dass man bald eine großartige Hochzeit zu feiern habe und selbstverständlich dadurch auch die anderen Bennet-Mädchen Chancen auf gute Partien hätten. Und sie fügte mit einem eindeutigen Augenzwinkern hinzu, dass sie Grund zur Annahme hätte, dass auch Lizzie bald einen Antrag erwarten könne. Ihm stockte der Atem. Was hatte diese Frau gerade eben gesagt?

Fitzwilliam Darcy nahm zwei Treppenstufen auf einmal, um sich die Worte von Mrs. Bennet in aller Ruhe noch einmal zu verdeutlichen. Konnte es sein, dass Wickham bereits auf Longbourn vorgesprochen hatte? Blass lehnte er oben an der Galerie, hörte den Balltrubel nur noch wie von ferne. Verdammt, es durfte nicht sein! Wie konnte er Wickham davon abhalten, Elizabeth derart ins Unglück zu stürzen? Er zwang sich, seinen messerscharfen Verstand besser einzusetzen. Nein, Wickham war nur auf seinen Vorteil bedacht und eine Ehe mit Elizabeth Bennet würde ihm nichts, absolut nichts einbringen. Höchstens, dass er ihr diese Versprechungen machte, sie dann kompromittierte und ruinierte, aber wozu? Nur um seinen Spaß zu haben? Das würde ihm zwar ähnlich sehen, aber dann würde er es nicht so direkt, nicht vor den Augen ihrer Familie, angehen. Mehr heimlich, das war Wickhams Art. Wie Fitzwilliam Darcy es auch drehte und wendete, er kam zu keinem plausiblen Ergebnis. Es ergab hinten und vorne keinen Sinn.

Aber er war erfüllt von Eifersucht - auf Wickham, falls er tatsächlich dahinter stecken sollte, auf einen Unbekannten, was ihn noch wütender machte, denn er hasste es, wenn er seinen Feind nicht kannte. Dann war die Situation noch schwieriger einzuschätzen.

Er zwang sich, einige Male ruhig durchzuatmen, denn er hatte einen Programmpunkt für heute noch nicht erfüllt und man würde es ihm sehr übel nehmen, wenn er dieser Pflicht weiterhin nicht nachkam. Langsam stieg er wieder die Treppe herunter, mischte sich erneut unter die Leute. Da sah er bereits Miss Bingley mit einem süffisanten Lächeln auf ihn zukommen, sie hakte sich sofort bei ihm unter, obwohl er ihr den Arm nicht geboten hatte. Dieses Weibstück!

Er seufzte innerlich und sagte dann so unbeteiligt wie möglich, ohne sie eines Blickes zu würdigen: „Nun Madam, dann sollten wir wohl jetzt unseren Pflichttanz absolvieren, nicht wahr?“

Er genoss es, wie sie bei dem Wort ‚Pflichttanz’, das er absichtlich gebraucht hatte, zusammenzuckte. Aber sie nickte graziös mit dem Kopf und sie gingen gemeinsam zur Tanzfläche. Ihm wurde gar nicht besser, als er sah, dass Miss Elizabeth mit Miss Lucas am Rande stand und redete. Aber der Tanz begann bereits und so drehte er mit Miss Bingley missmutig seine Runden. Sie versuchte mühsam, ihn mit oberflächlicher Konversation und spitzen Bemerkungen über andere Leute bei Laune zu halten. Ein vergebliches Unterfangen.

Als der Tanz zu Ende war, war auch Miss Elizabeth verschwunden. Er suchte den ganzen Raum mit seinen Augen nach ihr ab. Sie war nicht in der Halle, nicht in den anderen Räumen, er konnte sie nirgends finden. Die ersten Gäste brachen auf. Wie gerne hätte er noch einmal kurz mit ihr gesprochen, er musste ganz einfach sicher sein, dass sie Wickham nicht erhören würde. Oder jemand anderen. Er würde es nicht überleben, sollte sie ihre Hand einem anderen reichen.

In der Halle stand dieser merkwürdige Kauz von einem Pfarrer und starrte auf ein armseliges Blümchen in seiner Hand. In der Tat ein komischer Kerl.

Er fing Charles ab, der traurig wie ein kleines Kind darüber war, dass die Bennets sich nun gleich verabschieden wollten. Miss Jane hingegen hatte sich bereits in den Kreis ihrer Familie begeben und sah nicht einmal mehr zu Bingley herüber. Immer noch keine Spur von Elizabeth Bennet.

Er wurde kurz abgelenkt, da sich Colonel Forster und seine Frau von ihm verabschieden wollten. Als er nach ein paar Minuten mit den Forsters vors Portal trat, fuhr auch gerade die Bennet’sche Kutsche vor. Doch Elizabeth war mitnichten bei ihrer Familie, er erhaschte gerade noch einen Blick auf sie, als sie zusammen mit diesem Pfarrer, wie hatte er sich ihm vorgestellt, ach ja, Mr. Collins, in dessen kleiner Chaise davonfuhr.

Es durchzuckte Fitzwilliam Darcy wie ein Blitz: Machte sich dieser schleimige Pfaffe vielleicht Hoffnungen auf Elizabeth? Hatte nicht Colonel Forster gerade vorhin erwähnt, dass dieser Mensch verwandt mit den Bennets sei und derzeit auf Longbourn logierte? Meine Güte, das war anscheinend die Lösung, nach der er vorhin so händeringend gesucht hatte! Er wäre am liebsten hinter dem Gefährt hergestürmt und hätte sie diesem Kirchenkasper entrissen. Es schmerzte ihn kolossal. Aber es war wohl zu spät.

Die Bennet-Kutsche war nun auch gefüllt und fuhr ab. Mrs. Bennet winkte enthusiastisch. Oben auf der Loggia standen Charles und Caroline. Charles sah erbarmungswürdig aus, Caroline eher als hätte sie in eine Zitrone gebissen.

So konnte das alles nicht weitergehen. Wenn er es genau betrachtete, waren sie alle schon viel zu lange hier in Hertfordshire. Es wurde Zeit für einen Tapetenwechsel, dann würde auch ein für alle mal Schluss sein mit diesen Gefühlsduseleien. Seinetwillen, damit er Miss Elizabeth endlich aus dem Kopf bekam - sollte sie doch heiraten, wenn sie wollte! - und um Charles willen, der drauf und dran war, sich eines schönen Mädchens wegen an eine unmögliche Familie zu ketten. Nein! Der ganzen Sache musste sofort ein Riegel vorgeschoben werden.

Unter normalen Umständen hätte er sich eher die Zunge abgebissen, als mit Caroline Bingley freiwillig über mehr als über das Wetter zu reden, aber außergewöhnliche Umstände erforderten nun mal außergewöhnliche Maßnahmen. Ins Haus zurückgekehrt, goss er sich ein Glas Brandy ein und winkte Caroline kurz zu sich. Das Gespräch mit ihr dauerte noch keine Viertelstunde und der Plan war schnell gefasst. Miss Bingley zeigte sich hocherfreut über den Verlauf des Gesprächs und begann ihrerseits sofort auf ihren Bruder einzureden. Mit vereinten Kräften überzeugten sie den übermüdeten und erschöpften Charles, dass es das Beste sein, schon am kommenden Tag Netherfield zu verlassen. Das Personal wurde angewiesen, alles für eine schnelle Abreise vorzubereiten.

In dieser Nacht schlief Fitzwilliam Darcy zum ersten Mal hier richtig gut. Tief, fest und traumlos. Anscheinend hatte er diese radikale Zäsur gebraucht. Er wäre sonst nicht von ihr losgekommen. Jeder weitere Tag hier in Hertfordshire war für ihn vergeudete Zeit und würde ihn unter Umständen noch seine Gesundheit kosten. Damit war nun Schluss. Und Charles dürfte ihm auch unendlich dankbar sein.

Dafür wälzte sich drei Meilen weiter entfernt jemand schlaflos und unruhig im Bett herum - Elizabeth Bennet. Und wenn ihr dann mal die Augen zufielen, redeten im Traum drei Männergesichter ununterbrochen auf sie ein:

Der junge Mr. Darcy und ich, wir sind zusammen aufgewachsen… Er ignorierte komplett den Wunsch seines Vaters und gab die Pfarrei einem anderen…“

„…meine Patronin, die geschätzte Lady Catherine de Bourgh… sie hat mir meine Leichtfüßigkeit beim Tanzen gewissermaßen attestiert…“

So etwas tragen Sie in der Tasche Ihres Morgenrocks herum?... Miss Elizabeth, darf ich um den nächsten Tanz bitten?... bitte… bitte… bitte… bitte…“

Es war Mr. Darcys Stimme, die sie beim Aufwachen hörte. Er hatte sie so flehentlich um etwas gebeten, dass sie sich verwirrt umschaute, um sicher zu gehen, dass er nicht doch hier irgendwo im Zimmer war. Aber sie hatte es nur geträumt.

Auf Netherfield frühstückte man in gedrückter Stimmung. Die Lakaien schleppten das Gepäck zum Bagagewagen, einen kleinen Teil davon in die Reisekutsche. Charles Bingley sah wie Not und Elend persönlich aus.

Seine Schwester und sein Freund hatten alle Mühe, ihn zu guter Letzt in die Kutsche zu bugsieren. Caroline Bingley hatte noch am Frühstückstisch einen Brief an Jane Bennet geschrieben, in welchem sie die Abreise ankündigte. Mit großer Genugtuung setzte sie einige spitze Bemerkungen hinzu. Dann wurde das Schreiben versiegelt und einem Boten übergeben, der es sofort nach Longbourn bringen sollte.

Als die Kutsche und die Begleitwagen sich in Bewegung setzten, fiel Miss Bingley ein Stein vom Herzen. Charles machte den Eindruck, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Fitzwilliam Darcy starrte merkwürdig berührt aus dem Kutschenfenster. Komisch, ihm sollte es doch nur recht sein, dass man diesen Ort hier hinter sich ließ, es war überdies seine Idee gewesen. Aber irgendwie überkam ihn das genaue Gegenteil von Freude. Es gab einen kurzen Moment, da wäre er fast panisch aus der Kutsche gesprungen und hätte am liebsten die ganze Aktion abgeblasen. Er zwang sich zur inneren Ruhe, dann war diese Panikattacke zum Glück vorüber.

Hertfordshire gehörte der Vergangenheit an. Es war unwahrscheinlich, dass er, dass sie alle jemals hierher zurückkehren würden. Und – er würde Miss Elizabeth Bennet nie mehr wieder sehen. Er seufzte, drückte sich tiefer in die Kutschenpolster und schloss die Augen. Nun hatte die Qual doch ein Ende, hoffte er. Aus und vorbei!

An der nächsten Poststation vertraten sie sich alle für eine Weile die Füße. Fitzwilliam Darcy steckte einen Daumen in seine Westentasche und fand darin eine kleine Ausbuchtung. Vorsichtig fasste er mit zwei Fingern nach und förderte den Korken einer Weinflasche zutage. Seine linke Augenbraue zog sich in die Höhe, in einem Schreckensreflex legte er sich die rechte Hand auf den Mund: Der Korken war derjenige aus der Nacht mit Miss Bennet im Weinkeller. Das Teil reiste mit ihm, fast wie ein Souvenir. Er betrachtete ihn für eine Weile, ähnlich einem faszinierenden Kristall. Dann steckte er mit einer resignierenden Geste den Korken wieder in die Weste zurück. Es war ein Symbol – für die Vergangenheit, für das gemeinsam Erlebte, aber auch, und das wurde ihm langsam klar, anscheinend für die Zukunft. Er konnte seinem Schicksal nicht weglaufen, es würde ihn einholen.

 

 




Chapter End Notes:

 

Ende des zweiten Teils der Serie "Pride & Prejudice - was der Film nicht verrät"! Die Serie wird mit Teil drei "Ostern auf Rosings" fortgesetzt!

 

Ende
doris anglophil ist Autor von 80 anderen Geschichten.
Diese Geschichte ist auf der Favoritenliste von 1 Mitgliedern. Mitglieder, denen Liebe kommt auf leisen Sohlen gefallen hat, mochten auch 6 andere Geschichten.
Diese Geschichte ist Teil der Serie Pride & Prejudice - was der Film nicht verrät. Die vorige Geschichte in dieser Serie ist Annäherung in Hertfordshire. Die nächste Geschichte in dieser Serie ist Ostern auf Rosings.


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