- Schriftgröße +



 

Dort saß bereits Miss Elizabeth.

„Sie haben einen Ausritt gemacht? Respekt, so früh. Haben Sie schlafen können?“

Er nickte und nahm sich eine Tasse Kaffee: „Danke Miss Elizabeth, der Trank scheint mir recht gut getan zu haben. Ich bin rasch eingeschlafen, ja.“

„Das freut mich zu hören, aber Sie hätten eigentlich länger schlafen müssen. Wenn Sie bereits ausgeritten sind, müssen Sie enorm früh wach gewesen sein.“

Verdammt, dieser Frau entging aber auch nichts!

Dann, sie ging ein ganzes Stück auf ihn zu, kam es sehr leise von ihr: „Ich habe Sie gehört, so gegen halb sechs, es klang sehr verzweifelt.“

Sie machte fast den Anschein, als wollte sie eine Hand auf seinen Arm legen, zog ihre Hand aber in letzter Sekunde wieder zurück: „Sie hatten einen Alptraum, nicht wahr?“

Er setzte die Kaffeetasse klirrend ab, konnte aber den Blick nicht von ihr wenden. Ein dicker Kloß im Hals hinderte ihn daran zu sprechen.

„Möchten Sie darüber reden?“ bot sie ihm Hilfestellung an.

Er konnte nur stumm den Kopf schütteln.

Sie ging an ihm vorbei, zur Tür.

„Schade“, stellte sie bedauernd fest „ich bin überzeugt, es würde Ihnen besser gehen, wenn Sie sich jemandem mitteilen würden.“

Sie verschwand. Er blieb einen Moment mit all seinen kreuz und quer gehenden Gedanken alleine.

Dann gesellte sich Charles Bingley zu ihm und nach einem weiteren Augenblick auch Miss Bingley. Sie sprachen nun über die bevorstehende Abreise der Bennet-Schwestern. Charles schien überaus mitgenommen darüber.

Dann erschien plötzlich ein Lakai und meldete steif: „Eine Mrs. Bennet, eine Miss Bennet, eine Miss Bennet und eine Miss Bennet, Sir!“

Alle drei starrten sich an.

Miss Bingley konnte sich eine spitze Bemerkung natürlich nicht verkneifen: „Um Himmels willen, werden wir denn von allen Bennets dieses Landes heimgesucht?“

Man bedeutete dem Lakaien, die Damen in den Salon zu führen und begab sich ebenfalls dorthin.

Auf dem Weg dorthin fuhr sich Fitzwilliam Darcy nervös durch die Haare. Er hatte gestern bereits befürchtet, dass die gesamte weibliche Sippschaft hier auftauchen würde, um Jane und Elizabeth nach Hause zu eskortieren. Gehofft hatte er, umsonst wie sich nun herausstellte, dass vielleicht nur Mr. Bennet mit der Kutsche kommen würde. Als man im Salon zusammentraf, hörte man sogleich, dass die Damen bereits Station in Meryton gemacht hatten, bevor sie Netherfield angesteuert hatten.

Auch Elizabeth Bennet kam herbei, sie hatte gerade noch selbst gepackt und Jane, die oben noch dabei war, beim Zusammenpacken geholfen. Mit einem wohligen Seufzer kamen die Bennet’schen Frauen der Aufforderung von Charles Bingley nach, sich doch hinzusetzen. Es war eine merkwürdige Aufteilung der Parteien: Auf dem rechten Sofa hatten sich die vier Damen aus Longbourn hingequetscht, hinten am Fenster standen nun die beiden Herren Bingley und Darcy, davor saß auf einer Bank Miss Bingley. Das linke Sofa okkupierte Miss Elizabeth ganz alleine.

Mrs. Bennet führte das Wort, das war zu befürchten gewesen. Nur einmal sah sich Fitzwilliam Darcy genötigt, eine Antwort zu geben, als er nämlich direkt von Charles auf die Vorzüge des Landlebens angesprochen wurde. Obwohl er versuchte, sich sehr diplomatisch auszudrücken, schien seine Antwort Mrs. Bennet gar nicht zu passen, sie gab sogleich kräftig Kontra. Er gab es auf, sich noch irgendwie an der Konversation zu beteiligen, da er es offensichtlich eh nicht recht machen konnte.

Dafür gerieten die jungen Damen in regelrechtes Entzücken, als Charles versprach, dass er in Kürze auf Netherfield einen Ball veranstalten würde. Fitzwilliam Darcy beobachtete Miss Elizabeth, die unbehaglich auf ihrem Platz hin- und herrutschte. Sie schien das Benehmen ihrer Schwestern und die nervtötende Art ihrer Mutter ebenfalls nicht gutzuheißen.

Er verfiel immer mehr in eine melancholische Stimmung. Wenn sie jetzt abreiste, würde es sehr still hier werden. Auch wenn in einigen Tagen der Ball hier stattfinden würde, so wäre es doch bis dahin eine arge Geduldsprobe für ihn. Ob sie dann mit ihm tanzen würde? Er wagte kaum, es sich auszumalen. Er tanzte nicht oft, er tanzte meist nicht sehr gerne, aber er war trotzdem ein sehr versierter, sicherer Tänzer. Er würde sie führen können, durch die Reihen der anderen Tänzer, er konnte ihre Hand dabei halten, sie berühren… er erschauerte bei dem Gedanken. Aber in wenigen Minuten stand ihre Abreise bevor. Wäre es nicht doch möglich, jetzt schon eine solche Berührung herbei zu führen? Er dachte angestrengt nach, aber es wollte ihm keine passende Möglichkeit einfallen. Er hasste es, diese Dinge dem Zufall zu überlassen, aber anscheinend blieb ihm nichts anderes übrig.

Inzwischen war Jane Bennet auch heruntergekommen und wurde enthusiastisch von ihrer Familie begrüßt. Fast wie eine verlorene Tochter, dabei hatte sie nur wenige Tage hier verbracht. Er fing einen kaum zu deutenden Blick von Miss Elizabeth auf, fast schien sie ihn um etwas bitten zu wollen. Er sah zu Boden und schwieg weiterhin eisern in dem unerhörten Trubel. Die gesamte Familie Bennet strömte nach draußen, gefolgt von Charles Bingley und seiner Schwester. Langsam setzte sich auch Fitzwilliam Darcy in Bewegung. In der Halle schleppte ein Diener das Gepäck zur Kutsche. Elizabeth Bennet kam nun die Treppe herunter, offensichtlich hatte sie sich oben noch ihren Mantel geholt, geradewegs auf ihn zu.

„Ich wünsche Ihnen, dass Sie von nun an wieder besser schlafen können, vielleicht ist es ja hilfreich, dass wir heute das Haus verlassen“, raunte sie ihm im Vorbeigehen zu.

Er schüttelte ein wenig den Kopf.

„Nein, ich glaube sogar eher, das Gegenteil ist der Fall“, riskierte er zu antworten.

Sie sah ihn erstaunt an. Ihre Augen wurden ganz groß. Sie wagte nicht, ihn weiter zu fragen.

Er beugte sich ein kleines Stück zu ihr hin und murmelte dann: „In meinen Träumen…“, dann biss er sich auf die Lippen und verstummte.

Er machte sofort auf dem Absatz kehrt und stürzte nach draußen.

Die jüngeren Bennet-Schwestern und die Mutter hatten bereits in der Kutsche Platz genommen, waren sich gerade am Verabschieden. Charles Bingley stand neben der Kutsche. Fitzwilliam Darcy nahm schnell gegenüber von Charles Aufstellung. Miss Jane Bennet knickste nun vor ihm, er neigte zum Abschied den Kopf. Mit Charles wechselte sie natürlich einige Worte mehr und er brachte sie abermals durch irgendwelche galante Albernheiten zum Lachen. Dann stieg sie in die wartende Kutsche.

Plötzlich wusste Fitzwilliam Darcy, was zu tun war. Es ging ihm siedendheiß durch Kopf und Körper. Er drehte sich ein bisschen nach rechts und sah, dass Miss Elizabeth gerade von Miss Bingley verabschiedet wurde.

Jetzt trat sie auf ihn zu, knickste: „Mr. Darcy.“

Er verbeugte sich kurz: „Miss Elizabeth.“

Sie wandte sich für einen Moment Charles zu, um vor ihm zu knicksen und trat dann an die Kutsche heran. Das war sein Augenblick! Mit einem Blick, der einen Marmorblock zum Schmelzen gebracht hätte, ergriff er beherzt ihre Hand und half ihr beim Einsteigen. Er war sich absolut sicher, noch nie in seinem Leben eine derart elektrisierende Wirkung gespürt zu haben. Es war, als ginge das Kribbeln durch seinen ganzen Körper.

Sie schaute ihn an, als hätte er drei Köpfe. Spürte sie das etwa auch? Konnte das sein? Das wäre ja…, nein, er konnte solche Gedanken einfach nicht zulassen. Schnell wandte er sich von der Kutsche ab, stapfte rasch in Richtung Haus. Seine rechte Hand schien zu brennen wie Feuer. Er musste sie wie zwanghaft ausschütteln, damit er das Kribbeln loswurde.

Doch es nutzte nichts. Es war unwiderruflich geschehen, jetzt endlich hatte sich die Erkenntnis auch in ihm durchgesetzt. Wieder im Haus zurück, begab er sich eilends auf sein Zimmer, um die Situation zu analysieren. Er setzte sich zwar aufs Bett, sackte aber sofort an der Seite herunter, kam auf dem Boden zum Sitzen, mit dem Rücken an die Bettseite angelehnt. Er betrachtete nachhaltig seine rechte Hand.

Die gesamte Tragweite der Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag, er stöhnte auf, barg sein Gesicht in beiden Händen. Tagelang hatte er es sich nicht eingestehen wollen, hatte er an seinem Verstand und seiner Urteilskraft gezweifelt, mit sich selbst gehadert. Doch es half alles nichts. Er wusste es, er sah es nun völlig klar, die Einsicht schärfte sein Bewusstsein kolossal, er konnte es nicht länger verleugnen, sich nicht länger selbst etwas vormachen: Ja, er liebte Elizabeth Bennet! Mit jeder Faser seines Herzens.

Lange, lange Zeit blieb er fast reglos auf dem Boden sitzen, bis die Abenddämmerung hereinbrach und es Zeit wurde, zum Dinner zu gehen. Dass er es sich selbst eingestanden hatte, war ein erster Schritt, doch wie und wann und ob überhaupt den zweiten machen? Er ahnte irgendwie, dass seine Qualen damit noch lange nicht zu Ende waren.

 

 






Bitte gib den unten angezeigten Sicherheitscode ein: