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Erwartungsgemäß war er am nächsten Tag völlig erschlagen. Er sagte aber zunächst einmal nichts, als man ihm gegen Mittag fröhlich mitteilte, dass Caroline für den Abend darauf die älteste Miss Bennet nach Netherfield eingeladen hatte. Charles strahlte wie ein Honigkuchenpferd, obwohl er für sich und Fitzwilliam Darcy eine Einladung zum Regimentseinstand von Colonel Forster für den gleichen Abend erhalten hatte. Man würde also wahrscheinlich gar nicht auf Jane Bennet treffen. Fitzwilliam war beruhigt. Charles fand es nicht ganz so passend und überlegte schon, ob man zum Colonel nicht auch ein Stündchen später kommen konnte. Aber seine Schwester wies ihn diesbezüglich gehörig in die Schranken.

Charles und er verbrachten den Tag damit, sich die Ländereien und die damit verbundene Jagd anzuschauen. Erst ritten sie über das Gebiet, dann setzten sie ihre Erkundungen bei einem ausgedehnten Spaziergang fort. Fitzwilliam Darcy hörte dabei nicht ohne ein gewisses Erstaunen, welch tiefen Eindruck Jane Bennet am vorherigen Abend auf seinen Freund gemacht hatte. Da er aber müde und abgespannt war, ging er nicht näher auf die begeisterten Äußerungen von Charles ein und ließ ihn gewähren. Immerhin war sein Geplauder recht unterhaltsam.

Beim Dinner drehte sich das Gespräch nicht mehr nur um Jane Bennet, da Caroline ihren Bruder bereits nach wenigen diesbezüglichen Kommentaren seinerseits nur einmal viel sagend anfunkelte und schon war sein Mitteilungsbedürfnis drastisch versiegt. Fitzwilliam Darcy fragte sich allerdings, wieso Miss Bingley sich dann die Mühe gemacht hatte, ebendiese Jane Bennet hierher einzuladen, obwohl sie sie doch ganz offensichtlich ablehnte. Aber er schwieg beharrlich zu diesem ganzen Themenkomplex. Der Tag heute war ihm eindeutig zu „bennet-lastig“ gewesen.

Als er auf sein Zimmer kam, um sich für die Nacht zurückzuziehen, erstarrte er für einen Moment. In einer Vase auf dem kleinen runden Tisch stand ein frischer Blumenstrauß, mit allerlei herbstlichen Blüten, darunter befanden sich aber auch mehrere Rispen mit Lavendel, wie man am vorherrschenden Duft im Raum unschwer erkennen konnte. Aber Fitzwilliam Darcy konnte sich nicht dazu überwinden, den schönen neuen Strauß mit Vehemenz aus dem Fenster zu werfen. Er öffnete zwar einen Flügel, aber nur um den Lavendelduft mit der kalten Herbstluft, die nun von draußen herein zog, zu verdünnen.

Er rieb sich mit der Hand über die Stirn. Warum konnte er diesem Duft, diesen Blüten, diesen Assoziationen mit dem Traum und letztendlich der Verknüpfung mit Elizabeth Bennet nicht entkommen? Es war schier wie verhext!

Er schlief etwas besser in dieser Nacht, was aber in erster Linie seiner völligen Erschöpfung zuzuschreiben war. Am nächsten Morgen bereitete sich das Haus bereits auf den Besuch von Jane Bennet vor. Nicht dass man dafür einen enormen Aufwand betrieben hätte, aber es herrschte doch etwas mehr Betriebsamkeit als üblich. Die junge Dame aus Longbourn wurde bereits am späten Nachmittag erwartet, aber die Herren würde sie vermutlich nicht mehr antreffen, da Charles und sein Freund schon zur Teestunde beim Regiment eintreffen sollten.

Gegen die Mittagsstunde begann sich das Wetter zu verschlechtern. Kurz darauf fing es an leicht zu regnen. Nicht heftig, nicht strömend, aber doch ausreichend, so dass Charles und Fitzwilliam beschlossen, nicht nach Meryton zu reiten, sondern die Kutsche fertig machen zu lassen. Gegen vier Uhr am Nachmittag verließen die beiden Netherfield.

Eine gute halbe Stunde später kam völlig durchnässt und in erbarmungswürdigem Zustand Miss Jane zu Pferd in Netherfield an. Miss Bingley traute ihren Augen kaum.

Als Charles Bingley und Fitzwilliam Darcy in leicht angeheitertem Zustand spät am Abend, eher schon in der Nacht, nach Netherfield zurückkehrten, war zu ihrer Überraschung noch Licht im Haus. Einer der Lakaien vermeldete, dass die Besucherin erkrankt sei und die Schwester des gnädigen Herrn bei ihr im Gästezimmer weile. Charles blickte seinen Freund mit großen, leicht glasigen Augen an und nahm dann sofort zwei Stufen auf einmal die Treppe hinauf. Sein Schwips war plötzlich wie weggeblasen, als er an die Tür des entsprechenden Zimmers im Gästetrakt klopfte. Caroline öffnete die Tür einen Spalt und als sie ihren Bruder sah, schlüpfte sie rasch zu ihm auf den Gang hinaus.

„Sie kam heute Nachmittag hergeritten, bei diesem fürchterlichen Regen, stell dir das vor“, informierte sie ihn sogleich über die Geschehnisse, „beim Abendessen hatte sie bereits leichtes Fieber und ist dann zusammengebrochen. Es ist nicht sehr schlimm, aber ich denke, wir sollten morgen zur Sicherheit den Arzt kommen lassen. Eine Nachricht für ihre Familie habe ich bereits geschrieben und lasse sie gleich in der Frühe nach Longbourn übersenden.“

Charles nickte betreten, räusperte sich und fragte dann: „Kann ich sie sehen, wenigstens nur für einen Moment?“

Seine Schwester baute sich mit einem Schritt etwas mehr vor die Tür.

„Oh nein, das kommt natürlich nicht in Frage. Ich bin heilfroh, dass sie nun eingeschlafen ist, außerdem wäre das überhaupt nicht schicklich, selbst wenn ich mit im Raum wäre. Nein Charles, schlag dir das aus dem Kopf!“

Er nickte zwar verständnisvoll, trottete aber mit hängendem Kopf auf die andere Seite des Treppenhauses, den dortigen Korridor entlang, wo sich die Herrschaftszimmer befanden. Langsam öffnete er die schwere Eichentür zu seinen Gemächern und schlich hinein. Er war ziemlich beunruhigt wegen Jane Bennet, andererseits – es war irgendwie schön, dass sie nun hierbleiben musste, er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass so alles seine Richtigkeit hatte.

Der Morgen brachte nicht viel Neues. Das Fieber von Miss Bennet war zwar nicht mehr angestiegen, aber sie hatte nun angefangen, arg zu husten. Der Arzt war auf dem Weg nach Netherfield. Beim Frühstück wurde dann Fitzwilliam Darcy klar, dass nicht nur Miss Bennet wegen ihrer Krankheit einige Tage würde hier bleiben müssen, sondern auch, dass man somit natürlich mit dem Besuch von irgendwelchen Familienmitgliedern aus Longbourn rechnen musste. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, erstens, weil er sich soeben, da tief in Gedanken, den Mund am heißen Kaffee verbrannt hatte und zweitens, weil er an die Invasion einer keifenden Mrs. Bennet mitsamt ihrer restlichen Töchterschar dachte. Obwohl… – er dachte den gerade angefangenen Gedanken nicht zu Ende, er verbot es sich geradezu.

Der Arzt kam, stellte aber nur einen fieberhaften Infekt fest und diagnostizierte nichts Schlimmes. Mit viel Bettruhe und leichter Kost sowie einem Hustenmittel war das Ganze in wenigen Tagen zu überstehen. Charles Bingley zeigte sich etwas erleichtert. Außerdem hatte er Caroline keine Ruhe gelassen, bis sie ihm wenigstens einen kurzen Blick in das Krankenzimmer gestattet hatte. Miss Jane hatte es nicht mitbekommen, da sie gerade schlief. Er fand, sie sah in ihren Kissen wie ein Engel aus, wenngleich auch ein recht mitgenommener.

Fitzwilliam Darcy gab es nicht gerne zu, aber dadurch dass Charles derzeit nur von seinem kranken Gast redete und sich kaum um andere Dinge kümmerte, musste er ehrlich sagen, dass er begann, sich auf Netherfield zu langweilen. Er ertappte sich dabei, dass er in Gedanken Pläne für eine Abreise nach London machte. Dadurch entging er vielleicht auch dem Besuch von Mrs. Bennet, von der er fest erwartete, dass sie hier erscheinen würde. Wenn er in der Bibliothek bei einem Glas Brandy und einem guten Buch saß, spitzte er oftmals die Ohren, um ja das Geräusch der herannahenden Kutsche nicht zu verpassen, damit er rechtzeitig den Rückzug antreten konnte, aber er wurde enttäuscht. Nichts dergleichen tat sich, jedenfalls nicht an diesem Tag.

Die Meldungen aus dem Krankenzimmer am nächsten Morgen besagten noch keine nennenswerte Veränderung. Charles hatte gerade den Frühstückstisch verlassen und Fitzwilliam Darcy schaute überaus gelangweilt über den halb leer gegessenen Tisch. Er warf halbherzig einen Blick in die ihm vorliegende Zeitung, während Miss Bingley ihm auszugsweise aus dem Brief einer Bekannten vorlas, was ihn nicht im Geringsten interessierte, es war ihm völlig egal, wer da nun seinen Ballsaal neu ausstatten ließ und wer nicht.

Er blickte daher zunächst auch kaum auf, als ein Lakai den Raum betrat und mit leiernder Stimme einen Besuch ankündigte: „Miss Elizabeth Bennet.“

Dann aber fuhr er wie von der Tarantel gestochen vom Stuhl hoch, als auch schon eine Miss Elizabeth eintrat, die einen ganz außergewöhnlichen Anblick bot. Er schluckte, als er sah, dass sie ihre Haare nicht frisiert und nach oben gesteckt hatte. Sie fielen ihr lang über die Schultern den Rücken herab. Ihre Augen blitzten, ihre Wangen waren leicht gerötet. Sie war – sie war ganz wunderbar anzusehen. Er konnte kaum selbst glauben, was sein Körper ihm in diesem Moment gerade zu verstehen gab, aber die Zeichen waren nicht zu missdeuten: All sein Blut schoss in einem Schwall der Erregung an eine ganz bestimmte Stelle. Er wäre am liebsten in den Boden versunken.

Dann hörte er neben sich am Tisch die Stimme von Miss Bingley nölen: „Großer Gott, Miss Elizabeth, sind sie etwa zu Fuß hier?“

Die erste Welle der Erregung legte sich ein wenig bei ihm, dank dieser Frage. Er ärgerte sich maßlos über den Streich, den ihm sein Körper da spielte, aber er konnte es nun mal nicht verhindern.

Er schaute Elizabeth Bennet an, als sei sie eine Erscheinung aus einer anderen Welt.

Sie indessen blickte irritiert zwischen ihm und Miss Bingley hin und her, dann holte sie Luft und stellte ihre Frage: „Verzeihen Sie, aber – wie geht es meiner Schwester?“

Bevor er weiter fassungslos, idiotisch und untätig herumstand, presste er schnell die Worte heraus: „Sie ist oben.“

Es gab ihm zunächst das Gefühl, wenigstens nicht stumm wie ein Fisch gewesen zu sein, im nächsten Augenblick aber merkte er, dass diese unergiebige Antwort ihn komplett zum Hanswurst abstempelte. Alles krampfte sich in ihm zusammen.

Mit einem zaghaften Dankeschön auf den Lippen verschwand die märchenhafte, ja fast nymphenhafte Gestalt Miss Bennets und er atmete fürs erste erleichtert auf. Miss Bingley blickte ihr ebenfalls hinterher, als wäre sie ein Schlossgespenst.

Dann ertönte abermals ihre Stimme: „Liebe Güte, haben Sie ihren Kleidersaum gesehen, Mr. Darcy? Es sah so aus als wäre sie durch zentimetertiefen Schlamm gewatet, nicht wahr?“

Er wollte auf diese Feststellung reagieren, aber irgendwie konnte er es nicht. Stattdessen ließ er sich wortlos zurück auf den Stuhl fallen und bemerkte zu seinem Erstaunen, dass ihm Schweißperlen auf der Stirn standen. Mit dem Zipfel einer Serviette wischte er sich rasch über das Gesicht. Miss Bingley war hingegen schon äußerst hoheitsvoll am Hinausrauschen. Gut so.

Minutenlang saß Fitzwilliam Darcy wie vom Donner gerührt da. Fast meinte er, einen Hauch von Lavendel zu erschnuppern, der durch den Raum zu ihm geweht kam, obwohl Miss Elizabeth doch recht weit von ihm entfernt gestanden hatte. Er konnte sich auch nicht erinnern, jemals so stark körperlich auf eine Frau reagiert zu haben, seit... ja seit jenem Sommer als diese Sache mit dem Dorfmädchen gewesen war. Seit dieser Zeit wohl nicht mehr. Aber es war nicht sein plötzliches heftiges Begehren, das ihm hauptsächlich Sorgen machte. Er war vielmehr beunruhigt über die Tatsache, dass er noch etwas anderes verspürte, etwas nicht richtig Greifbares, etwas noch nicht Aussprechbares.

Er schüttelte verwirrt den Kopf als er sich langsam erhob und das Frühstückszimmer nachdenklich verließ. Es war doch nicht etwa sein Seelenfrieden, um den er bangte?

 



Chapter End Notes:

 

Ende des ersten Teils der Serie "Pride & Prejudice - was der Film nicht verrät"! Die Serie wird mit Teil zwei "Liebe kommt auf leisen Sohlen" fortgesetzt!

Ende
doris anglophil ist Autor von 80 anderen Geschichten.

Diese Geschichte ist Teil der Serie Pride & Prejudice - was der Film nicht verrät. Die nächste Geschichte in dieser Serie ist Liebe kommt auf leisen Sohlen.


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