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Während des Frühstücks versuchte Charles abermals, ihn mit den Namen der bisherigen Besucher vertraut zu machen. Es nützte wenig, er warf sie nach wenigen Minuten alle wieder durcheinander, obwohl sich Charles redlich Mühe gab, insbesondere im Hinblick auf den bevorstehenden Tanz am Abend.

Ein vernichtender Blick seines Freundes war alles, was er für seine Mühen erntete: „Charles, bei Gott, du weißt wie sehr ich solche Veranstaltungen verabscheue. Mir wäre es lieb, wenn du mit Caroline alleine hingehen würdest, wirklich.“

Aber dieser ließ keine Einwände gelten, er hätte allen bereits angekündigt, dass er in Begleitung seines Freundes erscheinen würde. Fitzwilliam rollte entnervt mit den Augen. Er wusste genau, der Abend würde schrecklich werden – für ihn und damit wahrscheinlich auch für alle anderen Beteiligten.

Fitzwilliam Darcy bemühte sich erst gar nicht, den Tag über seine schlechte Laune zu verbergen. Er ignorierte alle Versuche Miss Bingleys um oberflächliche Konversation und quittierte jede ihrer Bemerkungen beständig mit eisigem Schweigen. Lediglich gegenüber Charles ließ er hie und da mal ein knappes Wort verlauten. Mit versteinerten Gesichtszügen bestieg er am Abend die Kutsche nach Meryton, während Charles fröhlich vor sich hin pfiff und dessen Schwester bereits jetzt schon ständig anzügliche Bemerkungen über die Landbevölkerung machte und dabei Beifall heischend zu ihm herübersah. So drückte er sich tief in die Polster der Kutsche um jeglicher Konversation zu entgehen.

Er fühlte sich schrecklich unwohl, als man im Foyer sich der Umhänge und Mäntel entledigte. Der Musik nach zu urteilen war der Tanz bereits in vollem Gange. Auch das noch, man würde wohl mitten hineinplatzen, wie unangenehm. Charles zuliebe riss er sich zusammen und nahm den Kopf hoch, als sich die Tür zum Saal öffnete. Ein Gewirr von vielen Tanzpaaren, die sich zu lebhafter Musik bewegten, bot sich ihren Augen. Doch kaum wurde die Menge der Neuankömmlinge gewahr, herrschte abrupt Stille. Wie überaus peinlich! Eine Art Panik bemächtigte sich seiner, er wäre am liebsten auf der Stelle weggerannt.

Aber da setzte Charles sich langsam in Bewegung und es blieb ihm und Miss Bingley nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Die Leute hatten einen Mittelgang gebildet, durch den man nun schritt. Während Bingley mal links, mal rechts kurz hinblickte und lächelte, versuchte Fitzwilliam stur geradeaus auf das Saalende zu schauen. Bis etwa zur Hälfte des Weges gelang ihm dies, dann stieg ihm der Duft von Lavendel in die Nase. Er blickte irritiert in die Richtung, aus der ihm der Duft entgegen wehte und schaut geradewegs in ein paar fragende, große, hübsche Augen. Eine zartgliedrige Schönheit war die Besitzerin dieser Augen. Er konnte kaum den Blick von ihr wenden, aber er musste. Schnell sah er daher wieder auf das Parkett vor ihm. Unpassenderweise erinnerte ihn dieser kurze Kontakt an den Traum, den er neulich in seiner ersten Nacht auf Netherfield hatte. Der Lavendel, die junge Frau… merkwürdig. Er schüttelte leicht den Kopf.

Der Abend verlief genauso so übel, wie er es sich vorgestellt hatte. Kaum dass sich alles wieder zum Tanz zusammengefunden hatte, wurden sie von einem jovialen Sir William Lucas empfangen und dann der Familie Bennet vorgestellt. Unter deren Töchtern befand sich die nach Lavendel duftende Schönheit; Elizabeth war ihr Name. Fitzwilliam Darcy zuckte mit keinem einzigen Gesichtsmuskel, er verzog keine Miene, er war wie aus einem Eisblock geschlagen. Charles hingegen amüsierte sich königlich in der Unterhaltung mit deren älterer Schwester Jane. Dann forderte er diese zum Tanz auf.

Während die Paare tanzten, kam Miss Elizabeth Bennet auf ihn zu. Er wünschte sich sofort in ein Mauseloch. Doch sie war keineswegs kontaktscheu oder zurückhaltend ihm, einem Fremden, gegenüber und wollte wissen, ob er ebenfalls gerne tanze. Er war derart verblüfft über ihre offene Art, dass er diese Frage sofort kategorisch verneinte. Er tanze nur, wenn es sich gar nicht vermeiden ließe, gab er knapp zur Antwort. Damit schien er sie erfolgreich in die Flucht geschlagen zu haben, sie ging, er atmete erleichtert auf.

Charles hing den ganzen Abend über mit Hingabe an Miss Jane Bennet. Es war ziemlich offensichtlich, dass sich beide zueinander hingezogen fühlten. Sie war auch eine wirklich wunderschöne junge Frau, das musste man zugeben. Bingley tanzte mehrere Male mit ihr, ab und zu dann auch mal mit anderen Damen.

Einmal nahm Charles seinen Freund zur Seite, wollte ihn ebenfalls zum Tanzen bewegen, jedoch scheiterte er mit diesem Versuch jämmerlich. Stattdessen bekam er nur trockene, leicht spöttische Kommentare von Fitzwilliam Darcy über die Schwester von Jane Bennet zu hören, die er seinerseits auch recht nett fand, eine Meinung, der sich sein Freund Fitzwilliam offensichtlich gar nicht anschließen konnte. Er schüttelte daher in leichtem Unverständnis den Kopf und ließ Fitzwilliam stehen; es war in der Tat besser, ihn in dieser Art von Stimmung sich selbst zu überlassen.

Dieser konnte absolut nicht aus seiner Haut. Er startete immerhin einen kläglichen Versuch, sich in die Konversation einzuschalten, es ging um die Kraft der Poesie in der Liebe; er wollte unbedingt einen Beitrag zu diesem Thema leisten, obwohl er sich selbst verblüfft fragte, warum er sich da so vehement in die Unterhaltung einmischen musste. Aber er wurde von Elizabeth Bennet einfach abgeschmettert, links liegen gelassen. Kurz darauf wusste er dann auch aus welchem Grund, als ihm Miss Elizabeth Bennet nämlich ganz fröhlich und fast wie nebenbei bedeutete, dass sie die ganze Unterhaltung, die kurz zuvor zwischen Charles und ihm stattgefunden hatte und die ziemlich wenig erfreuliche Aspekte hinsichtlich ihrer Person aufzuweisen gehabt hatte, mitangehört hatte. Ihm blieb die Luft weg vor Schreck. Er war wirklich ein Riesentrottel!

Ja, er hatte all diese unschönen Dinge über Miss Elizabeth zu Charles gesagt, völlig richtig, aber er war schließlich nicht die Sorte Mensch, der das gleiche lockere Benehmen an den Tag legen konnte wie sein Freund. Einfach auf eine schöne Dame zugehen, mit ihr ins Gespräch kommen, mit ihr zu tanzen, das schaffte er nicht. Also wehrte er verbal ab, stellte eben die erwähnte Dame als nicht passend für ihn hin oder befand das alles ganz einfach für unter seiner Würde. Damit ließ man ihn dann wenigstens in Ruhe und das war es, was er sich wünschte.

Obwohl er vielleicht insgeheim diese junge Frau ganz anders betrachtete. Doch das würde er gegenüber Charles niemals zugeben, nein, er konnte es ja nicht einmal sich selbst gegenüber zugeben. Aber – sie hatte etwas Faszinierendes an sich. Das konnte er nicht leugnen. Und dieser Lavendelduft – absolut verwirrend. Er hatte sie brüskiert und sie hatte auf ganz außergewöhnliche Art zurückgeschlagen. Sehr ungewöhnlich.

Er versuchte, sich in der gleichen Situation Miss Bingley vorzustellen. Das hätte ihm nun sogar fast ein Grinsen entlockt, er presste daher fest seine Lippen aufeinander. Sie hätte ihm mit dem Fächer schmerzhaft auf den Arm geklopft und ihm dann mit viel Brimborium und beleidigtem Gesichtsausdruck mitgeteilt, dass sie die gesamte Konversation ganz unfreiwillig - natürlich! - mitangehört hätte und sodann gefordert, dass er sich auf der Stelle bei ihr für die unbedachten und erniedrigenden Äußerungen entschuldigt.

Er war verwundert, dass Frauen so verschieden sein konnten. Das war ihm eigentlich nicht geläufig, alle die er bisher kennen gelernt hatte - und er nahm natürlich seine Schwester von diesem harten Urteil aus - fielen stets in die Kategorie Miss Bingleys: Hübsch, aus gutem Hause, aber sehr bemüht, stets zu gefallen. Mit einem Wort - langweilig! Eine wie Miss Bennet hatte er wirklich noch nie getroffen. In der Tat eine bemerkenswerte junge Dame.

Seine Gedanken beschäftigten sich auf der kurzen Kutschfahrt von Meryton zurück nach Netherfield weiter mit Miss Bennet. Er wollte es nicht, aber diese Gedanken gingen ihm einfach nicht aus dem Kopf. Sie war schön, ja, sicher nicht eine so großartige Schönheit wie ihre Schwester, aber doch ebenfalls schön, auf ihre Art. Er zwang sich rasch, aus dieser Gedankenwelt herauszutreten. Doch eine Minute später hatten ihn ähnliche Denkvorgänge schon wieder eingeholt. Konnte sie die Frau aus dem Traum sein? Die durch das Lavendelfeld auf ihn zu gelaufen war? Wäre doch immerhin möglich... nein niemals, seit wann gestattete er sich denn, an so einen Unsinn zu glauben? Völlig absurd!

Auf seinem Zimmer angekommen, öffnete er trotz der kühlen Nacht ein Fenster, atmete einmal sehr tief die frische Luft ein. Dann ging er schnurstracks zur Nachtkonsole, riss am Schubfach und holte den Lavendel heraus. Ohne noch einmal dran zu schnuppern warf er die trockenen Blüten in hohem Bogen aus dem Fenster. Dann klappte er dieses mit Nachdruck zu. Schluss mit wirren Träumen und vagen Spekulationen!

Aber er fand einfach keinen Schlaf in dieser Nacht. Wie er sich auch drehte und wendete, ob auf dem Rücken, in Seitenlage oder gar bäuchlings im Bett liegend, er war von einer inneren Unruhe erfasst. Er konnte es sich nicht erklären. Mehrere Male stand er auf. Einmal schenkte er sich einen Becher Wasser ein, das nächste Mal wusch er sich das erhitzte Gesicht ab, dann wieder stürzte er ein halbes Glas Wein herunter.

Und wenn er endlich wieder im Bett lag, stand ihm jedes Mal kurz das Gesicht von Elizabeth Bennet vor Augen. Er stöhnte auf. Oh Gott, wie sie ihn abgefertigt hatte zum Schluss! Natürlich hatte sie allen Grund dazu gehabt. Er fühlte sich hundeelend. Mühevoll versuchte er sich zu beruhigen, indem er sich einredete, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben würde, ja sie vermutlich nicht einmal wieder sehen würde. Es gelang ihm, sich mit derlei Gedanken ein bisschen einzulullen, so dass er wenigstens für einige Zeit in einen jedoch angespannten Schlummer fiel.

 





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