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Author's Chapter Notes:

 

Personenverzeichnis:

Arthur Clennam – Näheres unter Kapitel eins
Martin Brown – Näheres unter Kapitel vier

Weiterhin Rafaela Campos-Fuentes und deren Eltern

Erwähnung finden der Boy Rabou sowie der Segelmacher der Pride of the Seas

Orte: In Luanda und an Bord des Klippers Pride of the Seas / Liegeort Luanda in Portugiesisch-Westafrika

Glossar: ./.










 

Er probierte im Verlauf des Tages die Festkleidung an und versuchte, einen Blick von sich in diesem vermaledeiten, halbblinden und viel zu kleinen Spiegel zu erhaschen, was ihm natürlich nicht gelang.

Doch Martin, der da und dort an ihm zupfte, meinte mit angestrengt in Falten gelegter Stirn: „Also Arthur, du siehst schon fantastisch aus. Die Hose ist nicht mehr ganz gemäß der aktuellen Mode, aber ich denke, das fällt hier in Afrika wohl nicht auf. Die Weste ist dir ein wenig zu weit, und der Frack wohl auch. Der Segelmacher könnte dir das abnähen. Wollen wir ihn fragen?“

Arthur schaute Martin voller Entsetzen an: „Wo denkst du hin! Den lasse ich doch nicht an fremder Leute Kleidung rumpfuschen. Besorge mir Nadel und Faden und ich werde selbst nähen.“

„Du kannst nähen?“

„Ich bin kein Schneider, wenn du das meinst, aber in meinem Beruf, wo man täglich Umgang mit Stoffen aller Art hat, sollte man zumindest ein wenig mit Nadel und Faden umgehen können. Besser als der Segelmacher sollte ich es auf alle Fälle können.“

„Ich bin beeindruckt, Arthur, wirklich.“

„Halt keine langen Reden, hol Nähzeug!“

Im Schein der Kerzen nähte er am Abend mühsam die Nähte ein wenig enger und musste zum Schluss zugeben, dass der Segelmacher es sicher auch nicht schlechter gemacht hätte. Er hatte einfach zu große Hände für derart feine Arbeiten. Die Nähnadel zu führen war etwas für jemanden mit zarten, feinen Frauenhänden. Flora hatte oft einen Stickrahmen vor sich gehabt und er hatte ihr gerne dabei zugesehen, wie das filigrane Stickmuster entstanden war. Nun, die Kleidung würde ihren Zweck erfüllen und äußerlich sah man fast nichts, außer ein paar Falten an Stellen, wo der Stoff eigentlich keine Falten schlagen sollte. Es würde hoffentlich niemandem auffallen. 

Er schlief erneut unruhig und träumte davon, dass er beim Tanzen kläglich versagte, den Damen auf die Füße trat, die Reihenfolge der Figuren vertauschte und zu allem Überdruss jeder Anwesende beim Ball über seine stümperhaft abgenähte Kleidung tuschelte.

Mehrmals erwachte er schweißgebadet, etwas, das er seit seinem schweren Hitzschlag öfters nachts hatte. Ausgerechnet in dieser Nacht trat es noch verstärkt zutage. Er würde am nächsten Morgen eine Runde schwimmen gehen müssen, um den Körperschweiß nachhaltig loszuwerden.

Im Dreck des Hafenbeckens wollte er nicht baden, deswegen spazierte er am Morgen ein gutes Stück an den Docks vorbei, ließ die letzten Häuser der Bebauung hinter sich und suchte sich nordwestlich davon eine Stelle, wo Strand war und der Atlantik direkt auf den Sand traf. Luanda hatte einen riesigen Naturhafen, der aber durch vorgelagertes Land eher brackig war und in den durch Form und Größe bedingt nicht genügend Frischwasser eingespült wurde. Auf dieses vorgelagerte Land jenseits des Hafens traf hier nun endlich ungehemmt der Ozean und dies befand Arthur für eine wundervolle Stelle zum Baden. Zwar hatte er nach wie vor Angst vor Haien, aber er würde vorsichtig sein und sich stets nach diesen Biestern umschauen.

Er ließ definitiv sein Leinenhemd dieses Mal an - ein schwerer Sonnenbrand hatte ihm gereicht, er würde nicht noch einmal seine blasse englische Haut und seinen gesamten Körper dieser Tortur aussetzen – als er sich in die Fluten stürzte.

Endlich, endlich konnte er wieder schwimmen. Er hatte sich regelrecht danach gesehnt, hatte das Meerwasser total vermisst. Begeistert ließ er sich von Wellen überrollen und warf sich ihnen entgegen. Mehr als einmal gab er seiner Begeisterung auch durch laute Ausrufe Ausdruck und fühlte sich rundum wohl. Dass keine Haifische zu sehen waren, steigerte sein Glücksgefühl noch um einiges. Leider hatte er nicht viel Zeit, denn er hatte Martin versprochen, sich gemeinsam mit ihm um das Mittagessen zu kümmern, auch wenn dessen Arm inzwischen wieder ganz gut verheilt war. Bis zum nächsten Halt in Südwest-Afrika war bestimmt alles vollständig wiederhergestellt und Martin würde dann die Kombüse wieder voll übernehmen können. Er hatte aber vor, da nach wie vor ein Auge drauf zu haben, vor allem auf die Vorratshaltung und den Speisenplan, denn er wusste, Martin würde dies allein nicht unter einen Hut bekommen.

Rundum zufrieden und erfrischt kehrte er zum Schiff zurück und half Martin sogleich beim Zubereiten des Essens.

Dieser war eher schweigsam und in sich gekehrt, etwas, das Arthur gar nicht von ihm kannte: „Was ist los? Haben die Ratten etwas Wichtiges weggefressen, oder was?“

Martin Brown schüttelte den Kopf und rührte abwesend in einem Topf.

„Was dann? Rück schon raus mit der Sprache. Ist es, weil ich zu lange am Strand gewesen bin? Oder ist es, weil ich heute Abend auf den Ball gehe? Bist du sauer auf mich? “

Ein weiteres Kopfschütteln war die Antwort.

„Herrgott, dann rede doch, Menschenskind!“

Martin blickte Arthur an und antwortete dann lahm: „Kann es nicht sagen. Will dir den Spaß heute Abend nicht verderben.“

„Wie bitte? Na, du bist gut. Jetzt hast du mich erst recht neugierig gemacht. Sag sofort, was los ist, sonst werfe ich dir irgendwas in den Topf hier, was das Essen ungenießbar macht und sage der Mannschaft, du warst es!“

„Arthur, du wirst nicht auf den Ball gehen wollen, wenn du es weißt, und das möchte ich nicht riskieren.“

„Ich werde nicht gehen, wenn ich es nicht weiß, ganz einfach. Und ich werde dem Gouverneur sagen, dass du die Schuld an meinem Nichterscheinen trägst.“

Sein Gegenüber schnaubte und nickte: „Also gut. Du wirst mich hassen dafür, dass ich dir die ganze Sache gründlich verdorben habe. Aber du hast es ja nicht anders gewollt. Ich habe heute einige Leute, Hafenarbeiter und Mitarbeiter der Hafenbehörde vor allem, sagen hören, dass die schöne Miss Campos-Fuentes ein düsteres Geheimnis hütet. Und der Gouverneur und seine Frau natürlich dementsprechend auch.“

„Was faselst du denn da? Drück dich gefälligst etwas deutlicher aus.“

„Wie du meinst. Aber es wird dich schockieren, ganz gewiss. Vor etwas mehr als einem Jahr ist Miss Rafaela von einem jungen Mann attackiert worden. Er wollte sie anscheinend vergewaltigen.“

„Und? Es klingt zwar entsetzlich, das muss ich zugeben, aber völlig geschockt bin ich nicht.“

„Es geht noch weiter, hör zu: Der Mann war Boy im Gouverneurs-Palast und hatte sich in die junge Miss verguckt. Es war ihr nicht ganz verborgen geblieben und sie hat ihn daher schamlos ausgenutzt. ‚Rabou hol mir bitte das, Rabou mache bitte dies…’ und so weiter. Zunächst dachte er wohl, er könnte sich bei ihr beliebt machen, wenn er ihr blindlings Folge leistet, doch irgendwann wurde ihm ihre Rumkommandiererei wohl zuviel und er wollte sich dies nicht länger gefallen lassen. Das wiederum hat ihr dann nicht ins Konzept gepasst und sie haben sich gestritten. Dann muss er ausgerastet sein und ist über sie hergefallen.“

„Ich verstehe.“

„Nein, du verstehst noch gar nichts, leider. Denn nun kommt’s: Miss Rafaela hat sich gewehrt, natürlich, und hat an der Ecke ihres Schreibtisches einen spitzen Brieföffner zu fassen bekommen. Mit diesem Teil hat sie dann Rabou erstochen.“

Arthur wurde bleich und musste sich hinsetzen: „Nein“, hauchte er, „aber… aber das ist in Notwehr gewesen.“

„Das ist richtig. Trotzdem hat sie einen Boy ermordet und die ganze Stadt scheint es zu wissen, auch wenn man krampfhaft versucht hat, die Wahrheit zu vertuschen. Offiziell hieß es, Rabou wäre von einer Raubkatze angefallen worden. Was ja vielleicht nicht einmal völlig gelogen ist. Miss Rafaela Campos-Fuentes muss etwas Raubkatzenartiges an sich gehabt haben. Welchen Eindruck hat sie auf dich gemacht, Arthur?“

Arthur Clennam fuhr sich verwirrt durch die Haare und sah zu Martin auf: „Einen komplett anderen Eindruck. Sie war sehr zurückhaltend, richtiggehend schüchtern und wagte kaum den Blick zu heben, geschweige denn, sich mit mir zu unterhalten.“

„Ja. Es scheint, dass dieses Erlebnis sie komplett verändert hat. Sie muss sehr lebenslustig und aufgeschlossen gewesen sein, kein Kind von Traurigkeit, wenn du verstehst, was ich meine. Und ziemlich herablassend in ihrer Art Untergebenen gegenüber. Noch etwas: Seit diesem Vorfall versucht ihr Vater, sie an jeden halbwegs annehmbaren jungen Mann zu verheiraten, der ihm über den Weg läuft. In der Gesellschaft dieser Kolonie ist das so gut wie unmöglich, denn jeder kennt die Wahrheit, wenngleich auch niemand öffentlich darüber spricht. Alle Heiratskandidaten, die in Portugiesisch-Westafrika in Frage kommen, würden sofort höflich, aber bestimmt einen Rückzieher machen. Auf den Ball gehen, sich auf Kosten des Gouverneurs durchfuttern und durchsaufen, ja, das machen sie, du wirst sehen, aber Rafaela will keiner von denen, so viel ist sicher. Auch wenn dieser Kaffer, dieser Rabou, im Prinzip keinen Pfifferling wert war, außerdem hatte er den Tod schließlich verdient. Miss Rafaela jedoch haftet seit dem Vorfall etwas Unheimliches an. Wahrscheinlich haben alle Angst, sie würden eines Morgens mit einem Messer in der Brust aufwachen – also eigentlich natürlich nicht mehr aufwachen, du weißt schon.“

Nun stand Arthur auf und nickte: „Ich verstehe. Auch wenn ich nicht mag, wie du über einen Neger sprichst. Er ist auch ein Mensch. Aber du meinst… sie haben den Köder nach mir ausgeworfen.“

„Natürlich. Sag mir, wann kommt ein Mann deines Alters, gesund an Leib und Seele, recht gut aussehend, wohl situiert und gebildet, in diesem gottverdammten Land schon vorbei? Nicht einmal alle Schaltjahre! Das ist die Gelegenheit für Campos-Fuentes, seine Tochter an den Mann zu bringen. Und welch ein Glücksfall, dass du auch noch zu ihrem Geburtstag den Weg in dieses Land gefunden hast. Du bist für diese Familie wie der weiße Ritter, der in schimmernder Rüstung am Horizont auftaucht.“

Die Antwort von Arthur klang trotzig, überraschte Martin jedoch fast gar nicht: „Ich werde zum Ball gehen. Trotzdem. Der Gouverneur war sehr freundlich zu mir, auch wenn ich nun den Grund dafür weiß, wieso er mich mit all diesen Nettigkeiten überschüttet hat. Er ist ein verzweifelter Vater, ein Familienoberhaupt, ein Vertreter der portugiesischen Krone, der diesen Makel leider nicht mehr abschütteln kann. Er tut mir leid. Rafaela und Donha Maria natürlich auch. Aber wie kann ich ihnen begegnen, ohne ihnen zu deutlich zu zeigen, dass ich von der Geschichte weiß? Ich möchte sie nicht vor den Kopf stoßen. Und doch werde ich es müssen, wenn man mir vermutlich heute auf dem Ball Rafaela anpreisen und es wirklich darauf anlegen wird, sie an mich zu verkuppeln.“

Arthur war der Verzweiflung nahe, die Situation war äußerst prekär und verfahren. Wie am besten reagieren, wie sich verhalten? Er kam sich vor, als hätte ihn eine Kutsche überrollt.    

Er konnte an nichts anderes mehr denken, als er sich fast wie in Trance für das Ballereignis zurechtmachte.

 

 






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