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Author's Chapter Notes:

 

Personenverzeichnis:

Arthur Clennam – Näheres unter Kapitel eins
Martin Brown – Näheres unter Kapitel vier
Manoel Campos-Fuentes – Näheres unter Kapitel sieben
Donha Maria Campos-Fuentes – die Gattin des Vorgenannten
Rafaela Campos-Fuentes – die Tochter der beiden Vorgenannten

Weiterhin Diener (Boys) des Gouverneurs

Erwähnung findet König George IV. von England

Orte: Im Gouverneurs-Palast von Luanda, an Bord des Klippers Pride of the Seas / Liegeort Luanda in Portugiesisch-Westafrika

Glossar:
Senhor/Senhora/Senhorita – portugiesisch: Herr/Frau/Fräulein (im Spanischen wird es Señor/Señora/Señorita geschrieben)
Kaffer – sehr abwertende Bezeichnung der afrikanischen Bevölkerung (siehe auch Kapitel vier)
 










 

Er wurde kurz herumgeführt, die Bibliothek, der Schreibsalon, das Damenzimmer, dann traten sie hinaus auf eine zauberhaft schöne Terrasse, inmitten von exotischen Gewächsen und Blumen; Pflanzen, die Arthur niemals zuvor gesehen hatte.

„Nehmen Sie doch bitte Platz, ich bin in Kürze wieder bei Ihnen. Möchten Sie eine Erfrischung zu sich nehmen? Dann sage ich dem Personal Bescheid, dass man Ihnen eine kühle Limonade serviert. Oder lieber Tee? Ihr Briten schwört ja auf Tee, nicht wahr?“

Arthur lächelte: „Ja, das tun wir. Aber eine Limonade wäre mir bei diesen Temperaturen ehrlich gesagt lieber, danke.“

„Wunderbar. Wir sehen uns dann gleich wieder.“

Er verschwand und keine fünf Minuten später kam ein Boy und brachte die gewünschte Limonade.

Kaum war dieser weg und hatte Arthur erneut allein zurückgelassen, kam eine Erscheinung durch die Terrassentür geschwebt, die Arthur sofort von seinem Stuhl aufspringen ließ. Artig verbeugte er sich vor der jungen Dame, die ihn abschätzend musterte. Ohne ein Wort zu sagen verließ sie die Terrasse wieder, nur um wenige Augenblicke später mit Senhor Campos-Fuentes und einer deutlich älteren Dame mittleren Alters wiederzukehren.

„Mr. Clennam, erlauben Sie mir, Ihnen meine Frau Donha Maria und meine Tochter Rafaela vorzustellen. Dies, meine Lieben, ist Senhor Clennam aus England, der auf seiner Reise nach China hier Station macht.“

Senhora Campos-Fuentes schien der englischen Sprache nicht mächtig zu sein, deswegen fächelte sie sich nur elegant Luft zu und nickte gnädig mit dem Kopf. Rafaela Campos-Fuentes hatte nach ihrem zweiten Betreten der Terrasse einen zierlichen Sonnenschirm aufgeklappt und knickste nun gegenüber Arthur: „Enchanté, Mr. Clennam.“

Auch ihr Englisch war von einem starken südeuropäischen Akzent durchzogen, genau wie das ihres Vaters.

Arthur war heilfroh, wenigstens zwei Leute gefunden zu haben, die seiner Sprache halbwegs mächtig waren, dass diese auch noch gesellschaftlich so hoch standen, war ein großer Glücksfall.

Er erzählte, dass er auf der Reise zu seinem Vater in der Nähe von Shanghai war, um dort seine Ausbildung zu vollenden, damit er später einmal das alteingesessene Familienunternehmen Clennam & Sons würde weiterführen können. Er berichtete offen, aber mit einer gewissen, ihm eigenen Zurückhaltung; was geschäftliche Dinge betraf, gab er mehr Einblick, in die privaten Belange der Familie Clennam deutlich weniger.

Als Senhor Campos-Fuentes sich eine Zigarre anzündete und Arthur höflich ebenfalls eine reichte, seufzte sein Gastgeber und fragte mit einem Seitenblick auf die beiden Damen: „Nun, da es scheint, dass das Schiff, mit dem Sie reisen, hier noch ein paar Tage liegen wird, wäre es mir und meiner Familie eine große Freude, Sie für übermorgen zum Geburtstagsball meiner Tochter einzuladen. Sie müssen wissen, es mangelt ein klein wenig an tanzbegabten, schneidigen jungen Männern in dieser Kolonie und Sie würden die Ball-Gesellschaft mit Ihrer Anwesenheit erheblich aufwerten.“

Arthur war sichtlich überrascht: „Oh, danke Senhor Campos-Fuentes, aber… ich kann wirklich nicht kommen, ich habe leider keine Ballkleidung mit auf diese Reise genommen, da mir die Wahrscheinlichkeit einer solchen Einladung während einer einfachen Seereise äußerst gering schien. Es tut mir leid, dass ich der Einladung somit kaum werde Folge leisten können.“

„Aber, aber. Diesen Einwand lasse ich nicht gelten. Hier wird sich bis übermorgen auf alle Fälle entsprechende Kleidung auftreiben lassen, es gibt sicher nicht viele europäische Herren in Luanda, die ebenfalls Ihre Größe und Statur haben, aber man wird etwas auftreiben, dessen dürfen Sie gewiss sein. Ich werde sofort veranlassen, dass entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.“

Er ließ wirklich keinen Einwand mehr von Arthur gelten und strahlte aus allen Knopflöchern, während er weiterhin genüsslich seine Zigarre rauchte.

Arthur fühlte sich ein klein wenig unbehaglich, vor allem, als der Gouverneur auf Portugiesisch mit seiner Frau und seiner Tochter redete. Er vermutete, dass er Donha Maria über die Einladung in Kenntnis setzte, denn diese unterzog ihn erneut einer strengen Musterung. Dann sagte sie etwas zu ihrem Gatten, der dies Arthur schließlich übersetzte: „Meine Frau sagte gerade, dass sie jemanden wüsste, der Ihnen Abendkleidung zur Verfügung stellen könnte. Notfalls kann man auch daran etwas umändern lassen, das geht schnell. Sie freut sich ebenfalls, wenn Sie am Ball teilnehmen könnten.“

Arthur nickte Donha Maria lächelnd zu, blickte dann zu Rafaela und stellte ihr eine Frage: „Ich hoffe sehr, dass das Arrangement Ihres Vaters Ihren Plänen für den Ballabend nicht zuwiderläuft. Dann würde ich selbstverständlich von der freundlichen Einladung Abstand nehmen, Miss.“

Die Portugiesin blickte weiterhin auf einen unbestimmten Fleck auf dem Terrassenboden und schaute Arthur nicht an, als sie leise antwortete: „Ich… ich verstehe Ihre Sprache nicht so gut. Verzeihen Sie. Aber ich wünsche sehr, dass Sie den Ball besuchen. Danke.“

Er fand ihren Akzent, ihr gebrochenes Englisch unglaublich entzückend, wie er auch ihre ganze Erscheinung als überaus wohltuend empfand. Dass er so eine reizende junge Dame im tiefsten Afrika treffen würde, wer hätte das gedacht.

Sie war ungewöhnlich groß für eine Frau, sehr schlank und zierlich und hatte die dunkelbraunen Haare zwar hochgefasst, aber nicht streng zurückgekämmt, es fielen ihr einige lange Locken aus der Frisur heraus und kringelten sich an ihrem Rücken hinab. Irgendwie hatte sie eine gewisse Ähnlichkeit mit Flora Casby und dann wiederum auch nicht. Arthur musste lächeln. Ganz offensichtlich hatte er eine kleine Schwäche für brünette Frauen.

Obwohl er kein guter und vor allem kein sehr sichererer Tänzer war, begann er sich so langsam mit dem Gedanken anzufreunden auf das Ballereignis zu gehen und sich darauf zu freuen. Ein Tanz mit Senhorita Rafaela würde ihn für allen Ungemach mehrfach entschädigen.

Als er auf das Schiff zurückkehrte, war er aufgedreht und konnte lange nicht einschlafen. Er blickte an die Reling gelehnt lange Zeit auf den nächtlichen Ozean hinaus und sah die Sterne am klaren tropischen Nachthimmel funkeln. Sie waren ja bereits auf der südlichen Hemisphäre angelangt und der Sternenhimmel, der Arthur bekannt war, bot sich ihm hier nicht. Er suchte vergebens nach den bekannten und auch markanten Sternbildern. Er würde sich erneut intensiv mit dem Thema Navigation beschäftigen, das gesamte bereits erworbene Wissen neu aufrollen müssen.

Martin Brown riss erstaunt die Augen auf, als am nächsten Tag ein würdevoller, aber pechschwarzer Dienstbote am Quai danach verlangte, Mr. Clennam im Auftrag des Gouverneurs sprechen zu wollen.

Martin kam atemlos in dessen Kabine geschossen: „Ey, was wird denn hier gespielt? Da unten vor dem Schiff steht ein Kaffer, der tut vornehmer als unser guter König George IV. persönlich und sagt, dass er dich auf Befehl des Gouverneurs aufsuchen muss. Rück sofort mit der Sprache raus, du Geheimniskrämer!“

Arthur wusch sich gerade den letzten Rasierschaum aus dem Gesicht, dann drehte er sich zu Martin um und grinste: „Nichts Besonderes. Ich gehe hier morgen Abend auf einen Ball.“

„Waaas? Wie… wie kommt das denn?“

„Das erzähle ich dir, wenn wir mehr Zeit haben. Ich spreche nun schnell mit diesem Abgesandten des Gouverneurs, falls wir uns überhaupt gegenseitig verständigen können und dann sorgen wir beide für ein anständiges Mittagessen.“

Martin wollte gerade die Kabine verlassen, da rief ihm Arthur hinterher: „Und Martin, ich sagte ‚anständiges Mittagessen’, ja?“

Der Dienstbote aus dem Haus Campos-Fuentes hatte zwei Körbe mit dabei. Im ersten Korb befanden sich Kniehosen, Strümpfe, Hemd, Weste, Krawattentuch und Frack von allerfeinster Qualität, und wenn jemand das beurteilen konnte, dann war es Arthur Clennam von Clennam & Sons. Im zweiten Korb waren drei geschlachtete und gerupfte Hühner, sowie getrocknete Bohnen und recht frisch aussehende Karotten. Das würde doch eine leckere Suppe geben, Arthur freute sich darüber fast mehr als über die Festkleidung.

Da er sich mit dem Neger nicht verständigen konnte, war es ihm auch nicht möglich, sich für die Gaben zu bedanken oder gar Protest über die enorme Großzügigkeit des Gouverneurs zu äußern.

So nahm er die Körbe einfach an sich und strahlte den Schwarzen vor ihm eine Weile an. Dieser strahlte jedoch nicht zurück, sondern verbeugte sich ohne eine Miene zu verziehen und machte sich dann wieder auf den Rückweg.

Arthur brachte die Kleidung schnell in seine Kabine und begab sich dann mit dem Vorratskorb auf zur Kombüse, wo er Martin mit breitem Grinsen triumphierend entgegen trat: „Es wird sogar ganz sicher ein anständiges Mittagessen geben, wage ich zu behaupten!“

 

 






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