- Schriftgröße +
Author's Chapter Notes:

 

Personenverzeichnis:

Arthur Clennam – Näheres unter Kapitel eins
Martin Brown – Näheres unter Kapitel vier
Manoel Campos-Fuentes – Der Gouverneur von Portugiesisch-Westafrika

Weiterhin Passagiere, Kapitän, Erster Offizier, Bootsmann und Besatzung der Pride of the Seas, Angesteller der Hafenmeisterei, Diener des Gouverneurs

Erwähnung findet König Johann VI. von Portugal

Orte: Auf hoher See im Atlantik zwischen Sao Tomé und Luanda an Bord des Klippers Pride of the Seas, Luanda in Portugiesisch-Westafrika (heute Angola)

Glossar: Vollzeug – ein Schiff unter vollen Segeln
 










 

Der Kapitän wurde über den Krankheitsfall informiert, doch er sagte zu Martin Brown, der nun einarmig den Dienst in der Kombüse versah: „Ich halte es für nicht sehr wahrscheinlich, dass es ein Fall von Schwarzwasserfieber ist. Arthur war nur in Dakar an Land, in Accra gar nicht. Von daher müsste es schon viel früher bei ihm ausgebrochen sein. Hoffen wir also, dass es nur ein tropischer Hitzschlag ist, da er offensichtlich ja auch einen fürchterlichen Sonnenbrand hat. Falls noch genügend Kardinalspulver an Bord ist, verabreicht ihm ordentlich was davon. Dann dürfte er sich schon bald wieder besser fühlen.“

Sofern es in der Hitze in unmittelbarer Äquatornähe überhaupt möglich war, wickelte man den Kranken in kühle, feuchte Tücher und sorgte weiterhin für eine Behandlung mit dem Bitterpulver. Zwei Tage später ging es Arthur schon besser, aber auch das wäre nicht ungewöhnlich für einen Schub Schwarzwasserfieber gewesen, auch diese Krankheit besserte sich immer zwischendrin nach einigen Tagen wieder.

Er bat darum, an einem schattigen Ort an Deck liegen zu dürfen, da es in der Kabine furchtbar stickig war. Ein Matrose spannte ihm eine Hängematte zwischen einen Mast und einen Decksaufbau und er konnte sich unter die Schatten spendenden Segel legen, da das Schiff derzeit fast unter Vollzeug Fahrt machte. Es war ein tolles Gefühl, so direkt unter den zwar nicht ganz weißen, eher grau schimmernden Segeln an der frischen Luft zu liegen. Zwar war es sehr heiß, aber es ging doch ein schöner Seewind, und das war Arthur wichtig.

Der Sonnenbrand begann sich abzuschälen und Arthur verlor große Hautfetzen dabei. Er hatte nun auch stets ein Leinenhemd an, er würde sich hüten noch einmal splitterfasernackt an einem Traumstrand herum zu springen.

Der Bootsmann schaute kurz bei ihm vorbei: „Ach, Arthur hängt in den Seilen im wahrsten Sinne des Wortes. Man merkt es am Fraß bei den Mahlzeiten, dass wir derzeit wieder von Smut Martin bekocht werden und das auch noch einarmig. Mach bloß, dass du gesund wirst und wieder das Sagen über die Kombüse übernimmst. Wobei ich nicht behaupten will, dass du ein guter Koch bist, aber allemal ein besserer als der vermaledeite Brown!“

Damit ging er wieder seiner Wege und seine Worte hinterließen ein recht zufriedenes Grinsen auf den Lippen von Arthur Clennam.

Die Pride of the Seas war nun seit dreieinhalb Monaten unterwegs und hatte mit geschätzten fünftausend Seemeilen auch etwa ein Drittel der Strecke bewältigt. Sicher war nur, dass die veranschlagten neun Monate Reisedauer wohl überschritten werden würden. Um wie viel, das konnte zu diesem Zeitpunkt der Reise noch niemand genau sagen. Zu viel Unvorhergesehenes lag noch vor allen an Bord des Klippers.

Beim Anlaufen von Luanda in Portugiesisch-Westafrika war Arthur wieder genesen und entlastete noch immer Martin, obwohl dieser seinen gebrochenen Arm inzwischen wieder einigermaßen bewegen konnte. Sie hatten beide gemerkt, dass es viel brachte sich die Küchenarbeit zu teilen. Arthur verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Grimasse, es war erneut ein portugiesischer Hafen und er fragte sich ernsthaft, was den Kapitän und die Handels-Schifffahrtsgesellschaft antrieb, als britisches Schiff ständig andere Kolonien anzulaufen. Das würde doch sicher auch höhere Hafengebühren kosten, als wenn man in eigenen Häfen Station machen würde. Arthur wunderte sich. England hatte offensichtlich in Westafrika nicht so viele Kolonien. Das würde sich aber mit der Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung dann ändern.

Arthurs Gesundheit war gut wiederhergestellt und es stand nicht zu befürchten, dass er am Schwarzwasserfieber litt. Zwar war das nicht ansteckend für die Mitreisenden, aber gefährlich für den Kranken und mit elenden Zuständen während der akuten Schübe verbunden. Letztendlich würde diese Krankheit mit großer Wahrscheinlichkeit tödlich ausgehen.

Was Arthur vor einigen Wochen bei seinem Ausflug in Dakar bereits gesehen hatte und was ihn ziemlich gegen den Sklavenhandel aufgebracht hatte, sah er noch einmal in Luanda bestätigt, wo man ebenfalls lukrativ die Schwarzen vor allem nach Brasilien verschiffte. Von einer Kolonie in die nächste eben, auch wenn Brasilien seit kurzem ein unabhängiger Staat war, so wurden dort doch weiterhin Sklaven, vor allem auf den Zuckerrohrplantagen, gebraucht. Arthur hatte keine Ahnung, was die Afrikaner in Südamerika alles erwarten würde, er hatte sich bislang noch nie mit diesem Thema beschäftigt, doch er ahnte, dass es kaum Gutes sein würde, falls man die menschenunwürdige Überfahrt überhaupt überleben würde.

Als er von seinem Landausflug in ziemlich depressiver Stimmung an Bord der Pride of the Seas zurückkehrte, machte ihm der Erste Offizier ein Zeichen, dass er ihn kurz zu sprechen wünschte. Arthur wandte sich ihm zu: „Was gibt es denn? Sie machen ja ein sehr ernstes Gesicht.“

„Nicht minder ernst als deine Miene, Arthur. Ja, es gibt leider schlechte Nachrichten, wir müssen hier länger bleiben, da am Schiff einige Reparaturen notwendig geworden sind. Sehr bedauerlich, aber so hätten wir kaum noch sehr viel weiter fahren können.“

„Verstehe. Wie lange wird es voraussichtlich dauern?“

„Wir werden mindestens eine Woche hier liegen müssen.“

„Welche Reparaturen sind denn erforderlich?“

„Einiges an den Rudern, und Segel müssen wir neu machen lassen, es wird auch etliches an Zimmererarbeiten geben, na ja, so manches fällt einem manchmal auch erst auf, wenn man dann so richtig angefangen hat. Wir wollen jedoch nicht hoffen, dass wir noch weitere Mängel entdecken.“

Arthur wusste das alles nicht einzuordnen, war es gut oder schlecht, dass man nun hier festsaß? Luanda war portugiesisches Territorium und man sprach nur wenig Englisch in dieser Kolonie.

Er sortierte seine Wäsche in der Kabine, denn er hatte festgestellt, dass er nur noch ein wirklich weißes, sauberes Hemd im Gepäck hatte. Wenn man hier länger ankerte, konnte er die Gelegenheit nutzen, seine Kleidung waschen zu lassen. Er packte die schmutzigen Sachen in eine Extratasche, schulterte diese und ging gegen Abend wieder von Bord. Wohin er sich mit seinem Anliegen wenden sollte, war ihm jedoch noch ein Rätsel.

Er sprach in der Hafenmeisterei deswegen vor. Doch der zuständige Angestellte verstand kaum Englisch und konnte ihm daher nicht weiterhelfen. Arthur bedankte sich trotzdem und stand unschlüssig in Nähe der Quais herum. Erneut nahm er die schwere Reisetasche auf, drehte sich damit um und rempelte versehentlich jemanden an: „Oh, entschuldigen Sie vielmals, Sir. Ich habe Sie wirklich nicht gesehen, als ich mich gerade mit der schweren Tasche umdrehte.“

Er blickte in das gütliche Gesicht eines älteren, weißen Herren, der vornehm gekleidet war.

Dieser verzog seinen Mund zwischen zwei grauen Backenbärten zu einem freundlichen Lächeln und antwortete in gebrochenem, aber relativ gut verständlichen Englisch: „Kein Grund, sich zu entschuldigen. Es ist ja nichts passiert. Sie sehen so aus, als würden Sie etwas suchen. Kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?“

Arthur war überaus erleichtert: „Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich suche in der Tat eine Einrichtung, wo ich meine Wäsche sauber gewaschen bekomme. Mein Name ist Arthur Clennam, ich bin Passagier auf der Pride of the Seas auf dem Weg von London nach Shanghai.“

„Und ich bin Manoel Campos-Fuentes, der Gouverneur dieses Landes.“

Arthur war sichtlich erstaunt, dass der Gouverneur Seiner Majestät König Johanns VI. von Portugal hier am Hafen herumschlich – andererseits, warum auch nicht?

Senhor Campos-Fuentes machte eine einladende Handbewegung: „Bitte, Mr. Clennam, meine bescheidene Villa ist ganz in der Nähe und meine Dienstboten werden sich gerne um Ihr Wäscheproblem kümmern, das kann ich Ihnen versichern.“

„Ich bitte Sie, Mr. Campos-Fuentes, das ist zuviel des Aufwands. Es reicht mir vollkommen, wenn Sie mir jemanden nennen, der die Sachen am Ufer eines Flusses oder Baches auswaschen kann.“

„Mr. Clennam, die Flüsse Congo und Cuanza sind viele Meilen weit entfernt von hier. Keine falsche Bescheidenheit, ich bitte Sie. Mein Haus steht Ihnen offen und meine Familie wird sich sicher freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Und nun folgen Sie mir einfach, wie gesagt, es ist nicht weit.“

Arthur war erstaunt, sagte aber nichts mehr und setzte sich in Bewegung, lief mit der schweren Tasche dem Gouverneur immer hinterher.

Nach kurzer Wegstrecke kamen sie an einer Toreinfahrt an, dahinter sah man nur dicht gewachsene Bäume und Büsche. Doch kaum hatten sie die erste Wegbiegung der Hausauffahrt hinter sich gelassen, da tauchte eine traumhafte Villa, fast schon ein kleiner Palast vor ihnen auf.

Das versetzte Arthur noch mehr in Staunen, denn er hatte absolut nicht erwartet, dass ein Gouverneur und Hausherr eines solch imposanten Anwesens ohne Equipage und Kutscher, sondern viel mehr zu Fuß unterwegs in der Stadt gewesen war.

Ein livrierter Diener nahm würdevoll seinen Herrn und dessen Besuch in Empfang.  Senhor Campos-Fuentes wechselte nur wenige leise Worte mit ihm und schon hatte er Arthur sein Gepäck abgenommen.

„Sehen Sie, es wird sich bereits darum gekümmert, keine Sorge. Willkommen im Gouverneurs-Palast von Luanda, Mr. Clennam!“

 

 






Bitte gib den unten angezeigten Sicherheitscode ein: