- Schriftgröße +
Author's Chapter Notes:

 

Personenverzeichnis:

Arthur Clennam – Näheres unter Kapitel eins
Mr. Meagles – Engländer auf der Rückreise
Mrs. Meagles – Gattin von Mr. Meagles
Pet Meagles – deren Tochter
Harriet, genannt Tattycoram – Ziehtochter der Meagles
Miss Wade – allein reisende Engländerin

Weiterhin ein Gesundheitsinspektor der Hafenbehörde von Marseille, die Besatzungen einer Dhau und der Brigantine Nuage d’Orient

Erwähnung finden Gabriel Clennam, Martin Brown und Méi-Hua

Orte: Auf hoher See zwischen Ceylon und Ägypten an Bord einer arabischen Dhau, in der ägyptischen Wüste zwischen As Suways und Al Qahirah, in einer koptischen Kirche in Al Qahirah, auf dem Nil und dem Mahmoudieh-Kanal zwischen Al Qahirah und Al Iskandariyah, auf hoher See zwischen Ägypten und Malta , zwischen Malta und Sardinien und zwischen Sardinien und Frankreich an Bord der Brigantine Nuage d’Orient, in La Valetta auf Malta, in Cagliari auf Sardinien und in Marseille, Frankreich.

Glossar: Kafiyah – arabisches Männerkopftuch










 

Nach dem Wechsel des Schiffes, von der Marjorie auf eine typische Dhau, waren lange Tage auf See angesagt, es war eine der langweiligsten und ruhigsten Überfahrten, die man sich denken konnte. Es gab keine Flauten, keine Stürme, es geschah wochenlang nichts!

Arthur machte das Nichtstun verrückt. Er langweilte sich zu Tode und war beinahe soweit sich einzureden, dass eine Afrika-Umrundung doch wesentlich abwechslungsreicher gewesen wäre. Er war sich selbst böse, dass er auf diese ungewöhnliche und kürzere Route bestanden hatte.

Zwischen Adan (Anm.: Aden im Jemen) und Tajoura (Anm.: heute in Djibouti) verließ man den Indischen Ozean und fuhr in das Rote Meer ein. In Tajoura gab es auch einen kurzen Landgang, da es Arthur aber kaum möglich war, sich irgendwie verständlich zu machen, verzichtete er darauf.

Er fühlte sich überdies gesundheitlich seit einiger Zeit nicht mehr ganz auf der Höhe, er schrieb das dem merkwürdigen Essen und den nicht sehr guten hygienischen Verhältnisse auf der Dhau zu.

Ab und zu plagte er sich nicht unerheblich mit Magen-Darm-Problemen herum. Er hoffte nur, dass er sich nicht die Ruhr oder eine ähnliche Krankheit eingefangen hatte.

Als sich das Rote Meer verengte und man den Sinai rechts liegen ließ, konnte Arthur zum ersten Mal richtige Wüste an der Küstenlinie bestaunen. Von weitem sah man nur ockergelben Sand, doch manches Mal, kurz vor Erreichen von As Suways, fiel der Blick auf hohe Wanderdünen, die sich jenseits des Wassers auftürmten.

Abenteuerlich wurde es mit dem Umstieg von der Dhau auf eine Karawane nach Al Qahirah. Es war nun kurz vor Weihnachten und Arthur hoffte, dass man die Stadt bis zum Weihnachtstag erreicht haben würde. Mit äußerst gemischten Gefühlen machte er sich mit seinem Kamel vertraut. Er hatte Angst vor diesem Wüstenschiff, da er schon auf einem Pferd keine gute Figur machte.

Doch als er sich an das leidige Geschaukel, vor allem beim Auf- und Absteigen, gewöhnt hatte, fand er Kamelreiten gar nicht so übel und sogar deutlich bequemer als auf einem Pferderücken sitzen zu müssen.

Über seine recht europäische Kleidung, die er nur noch teils anhatte, da enge Fräcke oder auch Gehröcke auf einem Ritt durch die Wüste nicht unbedingt geeignet waren, hatte er eine Art Kaftan gezogen, und sein Kopf wurde vor Sand und Sonne von einer Kafiyah, dem orientalischen Männerkopftuch, geschützt.

Die Karawane war erstaunlich gut ausgestattet, eine Tatsache, die Arthur wirklich positiv überraschte. Es wurde am Abend immer gekocht, wenn auch nur bescheidene und sehr gewöhnungsbedürftige Speisen, es gab genügend Trinkwasser, man hatte Zelte dabei und übernachtete auch einmal in einer kleinen Siedlung am Rande einer Oase.

Als die Pyramiden von Gizeh in der Ferne sichtbar wurden, und der Nil vor ihnen lag, konnte Arthur sein Glück kaum fassen! Da bis zum Ablegen der Fluss-Dhau auf dem Nil noch Zeit war, streifte er in der Nähe der Stadt herum und fand zufällig eine koptische Kirche, diese feierte ihr Weihnachtsfest jedoch erst später, weswegen Arthur einen zwar einsamen, aber eben auch ruhigen und besinnlichen Weihnachtstag verbrachte. Er zündete dort Kerzen an, für die Toten Martin, Méi und seinen Dad, dann betete er alleine und zurückgezogen, bevor er wieder in das grelle Sonnenlicht hinaustrat.

Nilabwärts zu fahren war so einfach nicht, da sich der Fluss mehr und mehr in diverse Kanäle verzweigte, je näher er seinem Delta am Mittelmeer kam. Es waren teilweise geschickte Manöver vonnöten, da manchmal der Wasserstand nicht ausreichend war, Sandbänke auftauchten, die da zuvor noch nie gewesen waren, oder die kleinen Dhaus einfach zu ungeschickt gesteuert wurden. Arthur hatte den Eindruck, als würden die ägyptischen Binnenschiffer mehr schlafen als aufmerksam das Boot zu lenken.

Nach tagelangen Mühen und schlängelndem Flusslauf ging es dann kurz vor der Nilinsel von Mahmoudiah in den Kanal Richtung Al Iskandaryiah. Das Land war hier grün und fruchtbar, es gab in dieser Gegend viele Bauern.

Der Kanal war recht gerade gestochen, nicht so mäandernd wie der untere Nil. Wenn er die Richtung änderte, dann eher abrupt, etwas eckig und eben künstlich angelegt.

Dieser Wasserweg kam in der Tat direkt am Mittelmeer heraus, leicht südwestlich der Stadt selbst. Nach einem halben Jahr Reisezeit war er am Mittelmeer angekommen, für ihn selbst nur schwer fassbar. Es war nun Anfang Februar 1840 und er würde zusehen müssen, dass er eines der europäischen Schiffe, die mit Ägypten oder anderen Ländern des osmanischen Reiches Handel trieben, sicherlich viele italienischen oder französischen Ursprungs, um eine Passage anging.

Nach zwei miserablen Nächten in einer mehr als bescheidenen Herberge am Hafen fand er die französische Brigantine Nuage d’Orient, eine Dreiviertelbrigg mit Fock- und Großmast, getakelt mit Gaffel- und Rahsegel, mit Ziel Marseille. Er blätterte nicht gerade wenig Geld in Form seiner letzten Silbermünzen hin und durfte mitsegeln.

Als er dann noch seine bescheidenen Französisch-Kenntnisse zusammenkratzte und fragte, ob er ein wenig mitarbeiten durfte und man ihm dies gestattete, blühte er ein wenig auf. Nach dem ersten Tag taten ihm zwar alle Knochen weh und er hatte Schmerzen in den Muskeln, aber er fühlte sich nicht mehr so unnütz und eingerostet.

Zwischen Ägypten und der britischen Kolonie Malta lief Arthur zu seiner Hochform auf. Es machte ihm ganz außerordentlich Spaß, wieder aktiv zur See fahren zu können. Und er hatte mit der kürzeren Reiseroute, auch wenn diese teils etwas sonderbar gewesen war, enorm viel Zeit gespart, das freute ihn.

Das Wetter war zwar nicht so sehr warm, es war Frühjahr und man befand sich nun wieder in gemäßigten Breiten, aber trotzdem tat ihm die harte körperliche Arbeit extrem gut. Er bräunte leicht, da die Sonne begann Kraft zu entwickeln, und seine Sommersprossen, die sich in den Tropen zwischen Sumatra und Ägypten gebildet hatten, verblassten nicht ganz.

Als er in Malta britischen Boden betrat, war er so glücklich wie schon seit Monaten nicht mehr. Er genoss es, mit den Leuten in seiner Sprache zu kommunizieren, er bekam Essen vorgesetzt, dass er seit fünfzehn Jahren nicht mehr gegessen hatte und strahlte regelrecht.

Er kleidete sich teilweise neu ein, kaufte frische Hemden und einen wundervollen Hut neuester Machart aus beigefarbenem edelstem Filz, der fein gekämmt und gearbeitet war, und sich viel bequemer trug als diese hohen, steifen Zylinder.

Nicht mehr zu halten war er, als er in einem Laden in La Valetta tatsächlich Stoffe von Clennam & Sons erspähte. Er fühlte sich mit einem Mal so weit weg von China und so nah der Heimat, obwohl noch ein gutes Stück Seereise und Landweg vor ihm lagen, dass er es selbst kaum glauben konnte, dass er fünfzehn Jahre in Asien verbracht hatte.

Der Sturm kam, als man die winzige Insel Pantelleria zur Linken und Sizilien zur Rechten passiert hatte und auf Sardinien zusteuerte.

Arthur stöhnte in böser Vorahnung auf, als dunkle Wolken heraufzogen, der Wind böig auffrischte und der Kapitän befahl, alle Segel bis auf eines einzuholen.   

Es ging ihm schlecht bis kurz vor Cagliari auf Sardinien. Ach, wenn doch die ganze Welt nur aus Land und nicht aus so viel Wasser bestünde! Wie furchtbar, dass er die Seekrankheit einfach nicht im Griff hatte, sie nicht besiegen konnte. Er hasste es. In besagtem sardischen Hafen teilte man ihm mit, dass er für mindestens einen Monat in Quarantäne in Marseille würde bleiben müssen, da er aus Ländern anreiste, die bekannt dafür waren, dass von dort unbekannte, schwere Krankheiten nach Europa eingeschleppt werden konnten.

Arthur verdrehte die Augen, als ihm dies gesagt wurde. Ach, das hatte ihm gerade noch gefehlt! Ein Gutteil der Zeit, die er nun über Ägypten eingespart hatte, ging ihm dadurch wieder verlustig. Er ärgerte sich. Machen konnte man gegen diese Verfügung jedoch wenig und er sah natürlich die Notwendigkeit dieser Maßnahme nach dem ersten Moment des Unverständnisses ein.

Es war sonnig und angenehm auf Sardinien nach dem überstandenen Frühjahrssturm. So dachte Arthur, dass er versuchen könnte, im Mittelmeer zu baden, etwas, das ihm in seiner Sammlung noch fehlte. Doch er merkte rasch, dass die Osterzeit - selbst wenn das Wetter schön war - einfach zum Schwimmen in diesen Breiten wohl weniger geeignet war. Er kam nicht einmal bis zu den Hüften ins Wasser und musste umdrehen, weil es einfach zu kalt war. Er klappert mit den Zähnen, zog sich eilends wieder an und kehrte leicht enttäuscht zur Nuage d’Orient zurück.

Kurz vor seinem achtunddreißigsten Geburtstag kam er wohlbehalten in Marseille an. Für Arthur war es ein überwältigendes Gefühl, seinen Fuß nach so langer Zeit wieder auf europäischen Boden zu setzen.

In Marseille herrschte sehr viel Betrieb im Hafen und er wurde auch gleich vom Gesundheitsinspektor der Hafenmeisterei begrüßt und in drei Sprachen über die Quarantäne-Maßnahmen instruiert. Dann führte man ihn gemeinsam mit weiteren Ankömmlingen von anderen Schiffen zu dem abgesperrten Bereich, neben ihm ging sehr selbstbewusst eine Frau, die er in gleichem Alter zu ihm einschätzte. Er nickte ihr höflich zu, da er nicht wusste, welcher Nationalität sie angehörte. Sie nickte knapp zurück, machte aber keinerlei Anstalten, sich auf eine Unterhaltung einzulassen. Offensichtlich, weil auch sie sich nicht sicher war, in welcher Sprache man reden sollte.

Der Quarantäne-Block war großzügig angelegt, mit Unterkünften, Speisesaal, und einer großen Außenanlage, von wo aus man einen Teil der Stadt und das Meer überblicken konnte.  

Hinter sich hörte er einen Mann englisch sprechen: „Ah, wir werden uns damit abfinden und uns arrangieren müssen, nicht wahr Tattycoram?“

Arthur drehte sich erfreut um und sah sich einem Mann von etwa Mitte Fünfzig gegenüber, umringt von drei Frauen, wovon eine ganz sicher seine Ehefrau zu sein schien. Die andere junge Frau war eine Farbige, offensichtlich ein Mischlingskind und die dritte Dame zauberte Arthur sogleich ein Lächeln auf die Lippen. Sie war groß, schlank, blond und durch und durch eine englische Rose vom Lande, das sah er sofort.

Er ging ein paar Schritte auf diese Leute zu, verbeugte sich und sagte: „Wie ich höre, kommen Sie aus England, meinem Heimatland. Mein Name ist Arthur Clennam, gerade hier in Marseille angekommen von einer sehr langen Reise aus Asien. Ich schätze, wir werden ein Weilchen hier gemeinsam interniert sein.“

„Ach, welch eine Freude, einen Landsmann hier zu treffen! Meine Familie und ich sind hocherfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich bin Robert Meagles, dies ist meine Gattin, unsere Tochter Pet und unsere Ziehtochter Tattycoram… ähm, Verzeihung Harriet eigentlich.“

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Mr. Meagles, Mrs. Meagles, Miss Meagles, Miss Harriet.“

Und er konnte seinen Blick kaum noch abwenden von der leicht kühlen Schönheit, die Pet Meagles repräsentierte.

Er lächelte noch immer versonnen, als sich ihm die andere Dame näherte, die er auf dem Weg in die Quartiere bereits gesehen hatte, und die ihn nun ebenfalls sehr selbstbewusst auf Englisch ansprach: „Sie sind also auch Engländer, das habe ich mir fast gedacht.“

„Um ehrlich zu sein, ich mir auch. Arthur Clennam, sehr erfreut.“

„Ich bin Miss Wade, angenehm.“

Er war froh, dass er etliche Engländer getroffen hatte, mit diesen zur Gesellschaft würden die Tage der Quarantäne sicher schnell vorübergehen. Dazu lag sein Geburtstag inmitten dieser Zeit. Arthur war zuversichtlich und recht guter Dinge. Und Pet Meagles! Was für ein zauberhaftes Wesen sie doch war!

 

Epilog 

Arthur Clennam war sich bei seiner Rückkehr nach England so sicher gewesen, dass er und Pet Meagles ein Ehepaar werden würden. Sie hatte zuerst all das für ihn verkörpert, was er sich in seinen Träumen von einem Eheleben in England zusammengesponnen hatte.

Und dann – kam alles ganz anders! Es passierten Dinge, die er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hatte, Dinge, die er niemals für möglich gehalten hätte: Schöne Dinge, furchtbare Dinge.

Am Ende erschloss sich Arthur Clennam das Familiengeheimnis, dessen Existenz ihm ja durch die letzten Worte seines Vaters und die ihm vererbte Taschenuhr offenbart worden war, und er fand auch sein persönliches Liebesglück – jedoch nicht bei Pet Meagles!

Als er heiratete, war er vierzig Jahre alt und der glücklichste Mann der Welt, jedenfalls nach seinem Dafürhalten. Doch bis dahin hatte er noch einiges an Abenteuern in der Heimat zu durchleben – das jedoch sollte man bei Charles Dickens „Little Dorrit“ nachlesen oder sich in der gleichnamigen, mehrteiligen Verfilmung der BBC aus dem Jahr 2008 ansehen, deren wundervoller Arthur Clennam natürlich eindeutig Pate gestanden hat für diese Abenteuer-Geschichte von mir!

 




Chapter End Notes:

 

Mehrere Bilder zu diesem Kapitel im Forum!

Ende
doris anglophil ist Autor von 80 anderen Geschichten.



Bitte gib den unten angezeigten Sicherheitscode ein: