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Author's Chapter Notes:

 

Personenverzeichnis:

Arthur Clennam – Näheres unter Kapitel eins
Gabriel Clennam – Näheres unter den Kapiteln eins und zwanzig
Méi-Hua – Näheres unter Kapitel sechsundzwanzig

Weiterhin der Vikar der anglikanischen Kirchengemeinde

Erwähnung finden Tan-Fu, Gilbert Clennam und Martin Brown

Orte:
In Shanghai in der anglikanischen Kirche, im britischen Club in Shanghai, im Hause Clennam in Shanghai/Xujiahu Qu

Glossar: ./.










 

Aufs Äußerste verlegen, vor allem nach den neuen Erfahrungen der vorangegangenen Nacht, begab sich Arthur anderntags zur Missionsstation. Er wohnte einem kleinen Gottesdienst bei, bei welchem nicht einmal ein Dutzend Leute anwesend waren, anschließend näherte er sich dem Vikar und fragte ihn, ob er einen Moment Zeit für ihn hätte. Der Vikar war bereit mit Arthur zu sprechen und verabschiedete den Rest der Gottesdienstbesucher.

Dann wandte er sich Arthur zu: „Mr. Clennam, was kann ich für Sie tun?“

„Also, es… es fällt mir nicht leicht es anzusprechen, aber ich denke, ich muss einige Dinge beichten.“

„Mr. Clennam, hier besteht nicht die Pflicht das zu tun, wie beispielsweise in der katholischen Kirche.“

„Ich weiß. Trotzdem würde ich mir gerne ein paar Sachen von der Seele reden, wenn ich darf.“

„Ich denke, ich weiß auf was Sie hinauswollen, da ich sehr wohl die schöne Chinesin letzten Sonntag an Ihrer Seite gesehen habe. Sie ist Ihre Konkubine, nehme ich an?“

„Das ist richtig, ja.“

„Sind Sie verheiratet? Versprochen?“

„Nein, ich bin Junggeselle.“

Der Vikar nickte bedächtig und begann mit seinen Ausführungen: „Sie begehen demnach keinen Treue- oder Ehebruch, und das ist es auf was es der Church of England in erster Linie ankommt. Von daher sind wir weit davon entfernt einem jungen, ledigen Mann vorzuschreiben, wie er sein Privatleben zu gestalten hat. Allerdings kann und will unsere Mutter Kirche natürlich nicht die Prostitution befürworten oder ihr gar Vorschub leisten, aber letztendlich richten nicht wir, sondern Gott in letzter Instanz.

Es ist richtig, dass Gott Mann und Frau geschaffen hat, damit diese fruchtbar sind und sich mehren, das ist nun einmal das vorrangige Ziel einer christlichen Ehe und dies kann ein Konkubinat eben nicht gewährleisten, aber – wir sind hier in China und dieses Land ist von ganz anderen Traditionen und einer anderen Religion geprägt. Diese Dinge lassen sich leider nicht immer mit unseren Moralvorstellungen und unserer abendländisch-christlich geprägten Erziehung vereinbaren; und wo Kulturen aufeinanderprallen, hat man grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder man schaltet auf stur, die Fronten verhärten sich und irgendwann endet es in einem Krieg, oder man geht den Weg der gemäßigten Anpassung und schließt Kompromisse. Da Jesus Christus ein Mann des Friedens und der Nächstenliebe war, dürfte klar sein welcher Weg uns vorgegeben ist.

Gehen Sie den Weg des Kompromisses, denn erst ganz am Ende, wenn Sie Angesicht zu Angesicht Ihrem Schöpfer gegenüberstehen, wird abgerechnet.“

Arthur hatte noch niemals einen Pfarrer so reden hören und war ziemlich verwundert, doch der Vikar hatte noch etwas anzufügen: „Noch eines, Mr. Clennam, ich bin ein Mann mit Bezug zur Realität und deswegen rede ich auch so. Ich habe damit nicht gesagt, dass ich oder die Church of England diese Beziehungen billigt oder diesen gar ihren Segen erteilt! Jedoch ist es auch nicht damit getan, das alles zu verteufeln. Es gibt mehr auf Gottes weiter Welt als nur Schwarz oder Weiß. Es ist eine Menge, eine ganze Menge Grau vorhanden!“

„Danke, Vikar. Sie haben mir wirklich sehr weitergeholfen und ich bin froh, dass Sie sich für das Gespräch Zeit genommen haben. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Sonntag.“

„Ebenso, mein Sohn.“

Da er nun schon in der Nähe des Clubs war, traf er sich dort mit seinem Vater zum Lunch.

„Ah, da bist du ja. Warst du in der Kirche?“

„Ja, wenn man diese Holzbaracke Kirche nennen kann.“

„Sei nicht so streng, beten kann man überall.“

„Natürlich, das habe ich während eines knappen Jahres unterwegs auf den Weltmeeren gelernt. Ich meinte es auch nicht abfällig. Der Vikar hier ist sehr nett.“

„Wir könnten am kommenden Wochenende einen Ausflug zum Kloster von Huzhou nach Songjiang machen, um das Pony zu holen. Wir müssten aber übernachten, Hin- und Rückweg sind nicht an einem Tag zu bewältigen. Sagtest du nicht, dass du eine Möglichkeit suchst schwimmen zu können? Nun, mir ist gesagt worden, dass es dort in unmittelbarer Nähe schöne Seen gibt, wäre das was für dich?“

„Das hört sich sehr gut an, Vater. Wie bringen wir das Pony zu uns?“

„Ich hatte gehofft, dass du reiten kannst. Großvater hatte den Auftrag, es dir beizubringen.“

Arthur kratzte sich am Kopf: „Er hat es mir zwar beigebracht, aber ein großartiger Reiter vor dem Herrn ist aus mir leider nicht geworden. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit meiner Körpergröße und als nur mittelmäßiger Reiter die geeignete Person bin, um dieses Pony bis nach Hause zu reiten.“

„Wir werden eine praktikable Lösung bis dahin finden. Und nun lass uns essen, mein Magen knurrt schon.“

Jetzt, wo Méi wieder da war, genoss Arthur das Zusammensein mit seinem Vater wesentlich mehr, da er zufriedener, gelöster und glücklicher war. Während ihrer Abwesenheit hatte ihn auch die Gesellschaft seines Vaters kaum aufzuheitern vermocht. Oftmals hatte er sie währenddessen regelrecht vermieden, weil er keine Lust zum Reden gehabt hatte. Doch nun hatte er Spaß daran, mit seinem Vater zu lunchen.

„Ein See, sagst du. Das klingt wirklich äußerst verlockend, ich vermisse das Schwimmen wirklich sehr, das hätte ich nicht gedacht. Auch wenn… auch wenn es zuletzt mit keinen sehr schönen Erinnerungen für mich verbunden ist.“

„Wegen des Todes des Smuts?“

„Ja. Ich bin derzeit noch nicht fähig darüber zu reden, es tut mir leid, Dad.“

„Musst du ja auch nicht. Das braucht seine Zeit, ich verstehe das.“

„Danke.“

„Was macht Tan-Fu und der Phaeton?“

„Wenn wir tatsächlich nächstes Wochenende das Pony holen könnten, dann werden wir kurz darauf auch den Wagen abholen können, hoffe ich. Ich kann mich mit ihm ja nicht verständigen, er hat mir nur gestenreich gezeigt, was er bisher begonnen hat zu bauen. Und wir brauchen Geschirr, Zügel und Fahrleinen und all das. Das wird nicht einfach.“

„Schaffst du es alleine?“

„Ich hoffe es. Da ich ein Hahn bin, der angeblich sehr zielstrebig zu Werke geht, wird es schon was werden.“

„Ein Hahn? Chinesische Astrologie?“

„Ja. Eines der Schriftzeichen, das ich inzwischen perfekt beherrsche.“

„War nicht Méis neuer Qipao gestern mit Hähnen bestickt?“

„Auf was du alles achtest, Vater. Ja, mit Hähnen und Schlangen, um genau zu sein.“

„Ich vermute, Méi ist Schlange als Tierkreiszeichen?“

„Vater, ich bewundere deinen Scharfsinn.“

Und beide Männer fingen an laut zu lachen.

Zuhause erzählte Arthur Méi von der Aussicht, einen Wochenend-Ausflug zum Kloster nach Songjiang machen zu können und dem Problem, dass man nun nicht wusste wie man das Pony nach Xujiahu Qu bekommen sollte.

„Méi können reiten.“

„Wie bitte? Du kannst reiten? Richtig gut, meine ich?“

„Gut, ja. Das müssen lernen Qiè.“

„Aber, ich dachte immer, es gibt kaum Pferde in China.“

„Geben schon, aber nix viele. Méi und andere Qiè müssen lange reisen für lernen reiten. Viele Tagesreisen weg von Shanghai und Chuansha.“

Arthur wechselte einen viel sagenden Blick mit seinem Vater, der sich dadurch befleißigt fühlte etwas zu dem Thema beizutragen: „Ich bin mir nicht sicher, ob es gern gesehen wird, dass zwei europäische Männer mit einer Chinesin alleine auf Reisen sind, aber wir können es versuchen.“

„Vater sagt, es gäbe dort auch einen See, mit klarem, reinem Wasser. Weißt du etwas davon, Méi?“

„Ja, geben viele Seen dort. Schön.“

„Und man kann darin schwimmen?“

„Wenn nicht stören Karpfen, dann gut schwimmen da, ja.“

„Mir sind glaube ich Karpfen wesentlich lieber als Haie. Wie kommen wir nach Songjiang?“

„Mit Rikschas, wie sonst?“

„Dad!“

„Sohn! Es geht nicht anders. Es ist weit. Was sagt Méi?“

„Sein weit. Selbst Arthur nix kann laufen. Juébù.“

„Ha, das Wort kenne ich! Es heißt ‚keinesfalls’.“

„Méi freuen, weil Arthur gut sein in Chinesisch.“

Mr. Clennam erhob sich: „Ich weiß nicht, ob die Kenntnis eines Wortes zu derartiger Freude Anlass bietet, ich wünsche euch aber noch einen schönen Abend, gute Nacht.“

„Gute Nacht, Dad.“

„Schlafen gut, Laoyé.“

Im Bett berichtete Arthur noch von seinem Besuch beim Vikar. Er ging nicht auf jedes Detail ein, erwähnte auch nichts direkt von seinen Gewissensnöten, denn er wollte Méi weder belasten noch beunruhigen. So sagte er nur, dass er im Gottesdienst gewesen sei und dass er kurz Gelegenheit gehabt habe, ein paar persönliche Worte mit dem Vikar zu wechseln und dieser sich als sehr freundlicher, mit beiden Beinen im Leben stehender Mann erwiesen hätte, der ihm ein paar Fragen sehr treffend hatte beantworten können.

Méi spürte aber instinktiv, dass es etwas mit ihr zu tun haben könnte und fragte: „Er nix sagen über Qiè?“

Arthur wollte nicht lügen, also antwortete er wahrheitsgemäß: „Doch. Ein wenig.“

„Sagen sicher, Qiè schlecht, Christen nix dürfen haben.“

„Méi, darüber solltest du dir deinen schönen Kopf nicht zerbrechen. Das mache ich schon mit dem Vikar aus. Oder mit Gott, wie er so treffend gesagt hat.“

„Dein Gott dich strafen für Méi?“

Arthur verzog das Gesicht zu einer Art Grinsen, das aber leicht misslang: „Höchstwahrscheinlich. Aber Gott – also mein Gott – ist nicht böse, oder gar rachsüchtig, er möchte nur, dass wir seine Gebote befolgen.“

„Oh, Méi einmal lernen, geben zehn Gebote bei Christengott.“

„Vollkommen richtig.“

„Arthur sagen Méi diese? Bitte?“

„Natürlich, wenn du möchtest.“

Er begann mit der Aufzählung der zehn Gebote und als er geendet hatte, schaute Méi ihn erstaunt an: „Aber dein Gott nix verbieten haben eine Qiè. Dürfen nix morden, nix lügen, nix brechen Ehe, nix wollen haben Frau oder Haus von andere, nix stehlen, nix Bild machen von Gott, nix haben andere Götter, nix missbrauchen Name von Gott, müssen ehren Mutter und Vater, müssen ehren Feiertag. Das sein alles. Arthur machen gut, leben nach diese Gebote.“

Arthur schloss die Augen und murmelte: „Du bist wirklich wunderbar. Ja, eigentlich ist es so einfach. Wir verstoßen gegen kein einziges dieser Gebote.“

„Dann Arthur und Méi jetzt Bett?“

Er lachte: „Ja, jetzt Bett, meine kluge, schöne Pflaumenblüte!“

 






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