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Author's Chapter Notes:

 

Personenverzeichnis:

Arthur Clennam – Näheres unter Kapitel eins
Gabriel Clennam – Näheres unter den Kapiteln eins und zwanzig
Cha-Li – Näheres unter Kapitel zwanzig
Cha-Dong – Näheres unter Kapitel einundzwanzig

Erwähnung finden Clubmitglied Mr. Stewart, Mönche in einem Kloster, die Dame Méi-Hua und die Dame Wenróu-Yù

Orte: Am Fluss Huangpu in Shanghai, im Hause der Clennams in Shanghai/Xujiahu Qu

Glossar:
Ni hao – chinesisch: Guten Tag
Xiayù – chinesisch: Regen
Qiè – chinesisch: Konkubine
Méi-Hua – chinesischer Name, bedeutet Pflaumenblüte
Wenróu-Yù – chinesischer Name, bedeutet sanfte, weiche Jade
 










 

Daher ließ Gabriel Clennam sich trotz der schwülen Hitze von seinem Sohn überreden einen kleinen Spaziergang zu machen. Sie gingen ein Stück am Fluss entlang, während Mr. Clennam Arthur einige Orte und Plätze erklärte: „Bis zum Liegeplatz der Knighthood werden wir wohl nicht kommen. Der Fluss ist nur auf dieser Seite richtig besiedelt, die andere Seite ist überwiegend Ackerland.“

„Und die Seide? Wo wird sie hergestellt?“

„Großvater hat dir gesagt, dass man dafür Maulbeerbäume braucht? Eine ganze Plantage davon, um korrekt zu sein.“

„Das weiß ich. Es wird also kaum hier im Stadtbereich sein. Vielleicht aber doch in Nähe des Flusses und der Docks, damit man es mit dem Verschiffen der Stoffe einfacher hat.“

„Sehr gut. Genau so ist es. Es ist ein Stück hinaus aufs Land, auch Richtung Süden, immer am Fluss entlang. Zwar liegt unser Haus ebenfalls im Süden der Stadt, jedoch weiter landeinwärts.“

„Wann kann ich die Spinnerei sehen?“

Mr. Clennam wischte sich den Schweiß auf der Stirn mit einem Taschentuch ab und antwortete dann: „Heute nicht mehr, Arthur. Es ist zu anstrengend bei dieser Hitze. Außerdem wolltest du doch keine Rikscha mehr fahren, wenn ich dich richtig verstanden habe. Ich habe eine kleine Überraschung für dich: Mr. Stewart hat mir gesagt, dass es ein kleines Kloster in der Nähe gibt, wo die Mönche sich ein paar Ponys halten. Vielleicht verkaufen sie uns ein Tier gegen ein paar Münzen. Falls es klappt, kümmerst du dich darum, dass ein Wagen entsprechend umgebaut wird. Und du musst auch kutschieren lernen. Die Chinesen werden sich nämlich weigern, das zu tun. Es wird schon schwer genug werden einen zu finden, der das Tier in einem Unterstand versorgt.“

Auf Arthurs Gesicht zeigte sich ein breites Lächeln. „Oh Dad, das ist ja wunderbar! Ich danke dir. Es wird kein Problem sein, einen Wagen entsprechend umzubauen. Dafür sorge ich schon. Nur mit dem Geschirr für das Pony könnte es schwierig werden.“

„Wenn es soweit ist, finden wir auch dafür eine Lösung. Die Chinesen brauchen nur eine Anleitung, dann fertigen sie uns aus Büffelleder auch Leinen und Zügel.“

„Ich bin sprachlos. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne nach Hause laufen, während du die Rikscha zurück nimmst.“

„Bei dieser Hitze? Junge, du bist halbtot, wenn du ankommst. Weißt du den Weg? Und beeil dich, es werden bald heftige Regenfälle, Teil des Sommermonsuns, kommen.“

„Ich kenne den Weg, keine Angst. Und woher weißt du das mit dem Regen?“

„Es hat schon einige Zeit nicht mehr geregnet, sehr unüblich für diesen Monat, und es liegt schon förmlich in der Luft.“

Gabriel Clennam hatte Recht, er wohnte ja auch schon seit Jahren in Shanghai. Arthur war zum Glück nur noch wenige Schritte vom Haus entfernt, da öffnete der inzwischen bleigraue Himmel seine Schleusen und es fing heftig zu schütten an. Mit Riesenschritten sprintete Arthur vom Tor durch den Vorgarten zum Hauseingang und schüttelte dort die schweren Tropfen von der Kleidung.

Cha-Dong stand schon bereit und nahm ihm grinsend wie immer seinen Hut und seine Jacke ab: „Ni hao, Shaoyé. Xiayù.“

„Danke, Cha-Dong. Xiayù?“

Cha-Dong zeigte auf die Tropfen auf Arthurs Jacke.

„Ah, Regen, ja. Viel Regen, Cha-Dong.“

Arthur krempelte sich die Ärmel hoch; trotz des Regens, oder vielleicht gerade deswegen, weil die Luftfeuchtigkeit so hoch war, fand er es unerträglich stickig. Dann setzte er sich nur mit dem offenen Hemd und seiner Hose bekleidet an einen Tisch und sortierte seine Papiere. Die Türen zum Innenhof waren geöffnet und der Regen klatschte laut auf das Dach des Hauses und auf die Erde im Hof.

Sein Vater öffnete sein Arbeitszimmer ebenfalls zum Hof hin und winkte seinem Sohn zu. Arthur stand auf und sprang schnell durch den schweren Regen hinüber: „Sag mal Dad, wie ist es hier im Winter?“

„Es kann schon ziemlich kalt werden. Unangenehm manchmal.“

„Aber – wie wärmt man das Haus? Ich sehe keine Kamine oder Feuerstellen.“

„Wir stellen dann Kohlebecken und Kohleöfen hier herein. Das geht recht gut und wärmt zumindest so, dass man nicht frieren muss.“

„Verstehe. Im Sommer also feucht-heiß und im Winter feucht-kalt. Kein sehr verträgliches Klima.“

„Man gewöhnt sich daran. Was machst du gerade?“

„Ich wollte meine gesamten Unterlagen, die ich auf der Reise angefertigt habe, und die ich zum Glück in diesem chinesischen Nest in Kanton wiederbekommen habe, sortieren und durchsehen. Aber ich stelle gerade fest, dass ich total müde bin, wahrscheinlich, weil ich heute Nacht furchtbar schlecht geschlafen habe.“

„Dann leg dich hin und schlafe. Bei diesem Wetter ist das kein Vergehen, sondern eine Notwendigkeit.“

Arthur zierte sich ein wenig: „Aber ich bin doch kein kleines Kind mehr, dass einen Mittagsschlaf nötig hat. Außerdem geht es schon stramm auf den Abend zu.“

„Junge, wenn du sterbensmüde bist, dann schlaf! Ohne Wenn und Aber. Du kannst es dir ruhig selbst gestatten, nach all den hinter dir liegenden Strapazen sowieso. Also, ab ins Bett!“

„Wie du meinst, Vater. Wir sehen uns später.“

Er ging, diesmal nicht quer über den Hof, sondern außen herum über die Flure. Völlig erledigt warf er sich auf sein Bett und war keine Minute später eingeschlafen.

Cha-Dong wollte ihn zum Dinner wecken, doch Cha-Li bestand darauf, ihn schlafen zu lassen. Darüber gerieten die Brüder sogleich in einen Streit, da Cha-Dong der Meinung war, der junge Herr müsse unbedingt etwas essen und Cha-Li argumentierte dagegen, dass er den Schlaf nötiger hatte. Die hitzige Diskussion rief Mr. Clennam auf den Plan, der nachsehen kam, um was es bei den Streithähnen ging: „Cha-Li, was ist denn los, um Himmels willen? Seid doch nicht so laut, mein Sohn schläft!“

Diese Äußerung veranlasste Cha-Li, seinem Bruder einen mehr als schadenfrohen Blick zuzuwerfen und ihm rasch zu übersetzen, was der Herr gesagt hatte. Dann verneigten sich beide vor Mr. Clennam und Cha-Li verkündete: „Streiten wegen Shaoyé. Cha-Li sagen lassen schlafen, Cha-Dong sagen müssen essen.“

„Lasst ihn schlafen, er wird nicht verhungern. Wir hatten einen ziemlich üppigen Lunch im Club. Und nun an eure Arbeit, oder habt ihr nichts zu tun?“

Die beiden trollten sich, sprachen aber kein Wort mehr miteinander für den Rest des Tages.

Am nächsten Morgen verhielt es sich kaum anders, nur war der Anlass des Streits zwischen den Brüdern dann bereits ein neuer. Gabriel Clennam fuhr sich entnervt mit den Fingern durch die etwas spärlich gewordenen Haare und rief sie beide zu sich: „Wenn ihr nur streitet, um was auch immer, kann ich euch nicht beide hier behalten. Dann muss Cha-Dong wieder gehen, da er zuletzt in meinen Dienst getreten ist.“

„Ja, Laoyé. War dumm, war wegen Qiè.“

„Bitte? Wegen welcher Konkubine, wenn ich fragen darf?“

„Qiè für Shaoyé.“

Gabriel Clennam musste sich das Lachen verbeißen, er schaute daher angestrengt auf die Tischplatte vor sich und erwiderte: „Ich verstehe. Seid ihr der Meinung, dass er eine haben sollte?“

„Ja. Cha-Dong wollen Méi-Hua, Cha-Li wollen Wenróu-Yù.“

„Sollte nicht mein Sohn selbst entscheiden?“

„Laoyé weise. Shaoyé sagen, wen wollen.“

„Gut. Das hätten wir geklärt. Und – es eilt nicht! Er ist vorgestern erst angekommen und braucht Zeit. Verschwindet. Er wird bald aufwachen und ein Bad nehmen wollen. Also sputet euch!“

Arthur hatte wahrlich geschlafen wie ein Toter. Als er aufwachte, nach fast fünfzehn Stunden Dauerschlaf, rauschte der Monsun jedoch noch immer auf das Hausdach nieder.

Cha-Dong nötigte ihn gestenreich in einen anderen Raum, der sich als eine Art Waschraum entpuppte.

Dabei trällerte er ständig das einzige englische Wort, das er bisher kannte, nämlich ‚Regen’.

Da er hier nirgends schwimmen konnte, war er froh um das Bad, das man ihm vorbereitet hatte. Er genoss es sogar, umsorgt, gepflegt und verhätschelt zu werden, obwohl ihn so etwas normalerweise eher peinlich berührte. Er war kein Mann, der auf Rundum-Bedienung Wert legte. Es mochte es nicht, dass Leute nur dafür bezahlt wurden, dass er sich wohl fühlte. Das erzeugte in ihm meist ein gegenteiliges Gefühl, ein gewisses Unbehagen. Doch Cha-Dong tat das auf so rührende und manchmal auch lustige Art und Weise, dass es Arthur sogar amüsierte. Dass er dabei nur Chinesisch brabbelte, machte Arthur nichts aus. Er lehnte sich träge zurück und hörte dem fremdartigen Wortschwall gerne zu, während er seine Haare gewaschen bekam.

Aber er war nun sehr gespannt auf die Seidenherstellung, er wollte das endlich alles sehen, dort mitarbeiten, dabei etwas lernen und nicht nur faul im Haus herumsitzen.

 





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