- Schriftgröße +
Author's Chapter Notes:

 

Personenverzeichnis:

Arthur Clennam – Näheres unter Kapitel eins
François Meilhac – Offizier auf der Jeanne d’Arc
Charles Fairbanks – Direktor der Britischen Ostindien-Kompanie in Batavia

Weiterhin Kapitän und restliche Besatzung der Jeanne d’Arc, Angestellte der BOK, sowie Herr Vandemaan, Gastwirt und der Erste Offizier der Knighthood

Erwähnung finden Flora Casby, deren Vater Mr. Casby und Martin Brown

Orte: Auf hoher See an Bord der Brigg Jeanne d’Arc im Indischen Ozean zwischen Pulau Panjang (West-Insel der Kokos-Inseln) und der Weihnachtsinsel, auf der Weihnachtsinsel, auf hoher See an Bord der Brigg Jeanne d’Arc zwischen der Weihnachtsinsel und Batavia (heute Jakarta auf Java), in Batavia

Glossar:
BOK – gängige Abkürzung für Britische Ostindien-Kompanie
Goedemiddag – niederländisch: Guten Tag!
Heft u en kamer voor me – niederländisch: Haben Sie ein Zimmer für mich?
Evenzo – niederländisch: ebenfalls
Geen probleem – niederländisch: Kein Problem
Mijn naam is… - niederländisch: Mein Name ist…
 










 

In der Nacht, als man sich von Pulau Panjang entfernte, dachte Arthur das erste Mal seit langer Zeit wieder an Flora Casby. Was sie wohl machte? Er seufzte bei dem Gedanken, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach mit ihrem Vater in trauter Runde im Salon bei Kaminfeuer gemeinsam das Weihnachtsfest begangen hatte, mit einem köstlichen Mahl vermutlich, während er auf den Komoren von Piraten gefangen gehalten worden war.

Er hatte alle Abenteuer der Fahrt bis Moçambique weitgehend genossen, abgesehen von den Tagen der Seekrankheit und der anderen gesundheitlichen Störungen; da aber nun Martin tot war, empfand er die Weiterfahrt über den Indischen Ozean kaum noch als angenehm. Ihm fehlte der Freund, der Kumpan. Meist saß er nun zurückgezogen in einem stillen Eckchen der Brigg und fertigte ein neues Reisetagebuch an, da ihm das erste Exemplar natürlich beim Überfall der Piraten abhanden gekommen war. Das ärgerte ihn mächtig, weil es alle Berichte, Aufzeichnungen und Zeichnungen der Fahrt enthalten hatte und viele nautische Informationen, die er kaum noch zu rekonstruieren vermochte. Die Franzosen konnte er schlecht fragen, auch wenn sein Französisch sich leicht verbesserte, war er noch immer weit von einer einfachen Konversationsfähigkeit entfernt. Und genau für die Fachbegriffe der Seefahrt hätte er mehr Sprachkenntnisse benötigt. Also ließ er es bleiben und rief sich die auf der Pride of the Seas gelernten Dinge soweit möglich ins Gedächtnis zurück.

Arthur blieb an Bord der Jeanne d’Arc ein Einzelgänger, der kaum am Bordleben teilnahm. Er sagte höflich Guten Morgen und wünschte ebenso höflich eine Gute Nacht, doch dabei beließ er es auch weitgehend. Ab und zu redete er ein paar Sätze mehr mit Monsieur Meilhac, der sein einziger richtiger Kontakt zur Mannschaft war. Man schob seine zurückhaltende, fast schüchterne Art auf den Tod seines Freundes. Würde dieser noch leben, wäre auch sicher Monsieur Clennam ein fröhlicherer und mitteilsamerer Zeitgenosse.

Zwar ging er auf der Weihnachtsinsel mit an Land, tat dies aber ohne sichtbar große Freude. Er schwamm auch ein wenig im Meer, da er dies als erfrischend empfand und zur Körperhygiene nutzte, doch Spaß hatte er keinen mehr dabei. Immerzu musste er an den Hai denken, der Martin das Leben gekostet hatte. Deswegen wagte er sich auch nicht mehr weit weg vom Strand ins Meer hinaus und schwamm nur ein klein wenig halbherzig hin und her.

Das Einzige, worüber er ein klein wenig schmunzeln musste, war die Tatsache, dass man die Weihnachtsinsel kurz vor Ostern anlief.

Nach einer ziemlich unspektakulären Reise, vom Tod Martin Browns vor den Kokos-Inseln abgesehen, kam die Jeanne d’Arc am Abend des Ostersonntags in Batavia auf Java an.

Arthur verabschiedete sich am folgenden Morgen herzlich, aber dennoch recht distanziert von allen an Bord der französischen Brigg. Da er auch über kein Bargeld oder sonstige Wertgegenstände mehr verfügte, musste er sofort bei der Britischen Ostindien-Kompanie vorsprechen, da er sich sonst nicht einmal ein Hotelzimmer würde leisten können.

Es war nicht ganz einfach, die Angestellten der BOK zu überzeugen, dass der Mann vor ihnen kein abgerissener einfacher Seemann war, sondern der Erbe des Handelshauses Clennam & Sons, dem auf der Überfahrt von London nach China einiges Übel widerfahren war. 

Nachdem er aber keinen Deut von seiner Geschichte abrückte und man merkte, dass er sich sehr gewählt und gepflegt auszudrücken vermochte, kam man zu dem Schluss, dass an der Sache etwas Wahres sein musste und verwies Mr. Arthur Clennam an den Direktor der Niederlassung, Mr. Charles Fairbanks.

Dieser wühlte in seinen Papieren und zog dann mit triumphierendem Lächeln eine Notiz aus einem Stapel hervor: „Ah, da ist es ja. Es ist uns bekannt, dass ein Schiff der BOK unter Anwendung von Gewalt unweit von Sansibar den Klipper Pride of the Seas aus Piratenhand befreit hat. Dabei wurde das britische Schiff jedoch so stark beschädigt, dass man es zu keiner Weiterfahrt mehr verwenden konnte. Man hat einige wichtige Dinge von Bord genommen, wie beispielsweise Segel, Segeltuch, Holz und andere für die Seefahrt wichtige Dinge, sowie ein paar persönliche Habseligkeiten der vormaligen Besatzung. Dann ging die Pride of the Seas leider unter. Traurige Geschichte, aber bedauerlicherweise Alltag in unserem Geschäft. Wie schön, dass Sie mit dem Leben davongekommen sind, Mr. Clennam.“

„Wo wurden die persönlichen Besitztümer denn hingebracht, wenn ich fragen darf?“

„Soweit ich das dem Bericht entnehmen kann, hat das andere Schiff die Sachen in eine bescheidene Niederlassung in der Nähe von Macao, nach Kanton (Anm.: Hongkong als solches war zu dieser Zeit noch nicht bekannt) mitgenommen. Reisen Sie nicht auch nach China, Mr. Clennam?“

„So ist es. Ich kann also die Gegenstände in der Niederlassung der BOK in Kanton einsehen?“

„Davon gehe ich aus, ja. Allerdings unterhalten wir nur ein bescheidenes Büro in diesem chinesischen Vorposten. Eine Passage nach Kanton und Shanghai ist kein Problem, nur wissen wir nicht genau, wann das nächste Schiff unserer Kompanie mit Ziel Kanton, und in Ihrem Fall Shanghai, Batavia anlaufen wird. Es kann morgen sein, es kann aber auch zehn Tage oder länger dauern.“

„Ich verstehe. Wird die BOK Batavia mir eine bescheidene Summe Bargeld zur Verfügung stellen, dass ich in Shanghai wieder zurückzahle, damit ich mir hier ein Hotelzimmer nehmen kann?“

„Das werden wir. Gegen eine rechtmäßige Schuldverschreibung natürlich.“

„Natürlich.“

Batavia. Erneut eine niederländische Niederlassung. Offensichtlich hatten Niederländer und Portugiesen die Länder dieser Erde unter sich aufgeteilt. Arthur hatte auf dieser Reise ein ganz anderes Bild dieser Welt bekommen, als es ihm als Schüler und während seiner Weiterbildung vermittelt worden war. Er wunderte sich nicht schlecht, dass vieles in England gar nicht bekannt war, ob es der Bevölkerung willentlich oder unabsichtlich vorenthalten wurde, vermochte er jedoch nicht zu sagen. Er vermutete, dass ein nicht unerheblicher Teil jedoch Aufschneiderei sein musste und England längst nicht die riesige Vormachtstellung in fernen Ländern hatte, wie man allgemein die Briten glauben machte.

Er fand eine nicht zu teure, aber ansprechende Unterkunft unweit des Hafens und konnte seine wenigen Brocken Niederländisch zögerlich, aber nicht ganz ohne Stolz anwenden: „Goedemiddag. Heeft u en kamer voor me?“

Der Besitzer des Gasthauses schmunzelte, da Arthur sehr langsam und mit unüberhörbarem englischen Akzent gesprochen hatte und antwortete dann auf Englisch, mit höflicher Erwiderung des Grußes in Niederländisch: „Evenzo goedemiddag. Selbstverständlich können Sie ein Zimmer haben. Für wie lange gedenken der Herr zu bleiben?“

Arthur bemühte sich, nicht allzu erleichtert über die Tatsache zu sein, dass der Gastwirt Englisch sprechen konnte: „Das ist leider ungewiss, da ich auf eine Schiffspassage nach China warte.“

„Geen probleem. Auf Situationen wie diese sind wir stets eingerichtet. Sie bekommen Zimmer Nummer vier. Mit Meeresblick.“

Arthur nickte leicht: „Danke. Sehr freundlich von Ihnen, Mr. …?“

„Mijn naam is Vandemaan.“

„Arthur Clennam. Danke nochmals.“

„Wünsche einen schönen Aufenthalt in Batavia, Mr. Clennam.“

Er spazierte zu Fuß in der Stadt herum und entdeckte eine völlig neue Kultur. Zwar war die Sprache die gleiche wie in der Kapkolonie, in Kapstadt, doch ansonsten war man hier in einer völlig anderen Welt. Es war merkwürdigerweise gar nicht so schmutzig, alles wirkte wesentlich sauberer und europäischer als im südlichen Afrika, obwohl dieser Teil der Erde viel weiter weg von Europa lag. Arthur bestaunte die Einheimischen, die gar nichts Afrikanisches mehr an sich hatten, aber auch seiner Vorstellung von Chinesen nicht nahe kamen. Sie schienen eine ganz eigene Rasse zu sein, und Mr. Vandemaan sagte, dass hier Einflüsse von Indien, Siam, China, Australien und der Südsee zu spüren seien.

Er sah Mädchen, junge Frauen, die so unglaublich schön waren, dass er dachte, er würde träumen. Er musste sich in der Tat selbst kneifen, um zu registrieren, dass es wirkliche exotische Schönheiten waren. Doch Vandemaan ernüchterte ihn auch da schnell, indem er ihm mitteilte, dass die Prostitution ein sehr einträgliches und weit verbreitetes Geschäft in Batavia war. Wo es solche Niederlassungen mit viel Seefahrt gab, gefördert von den Ostindien-Kompanien von Holland und England oder auch Portugal, blieb das nicht aus.

Nach nur drei Tagen auf Java bekam er von der BOK die Nachricht ins Hotel übermittelt, dass am kommenden Tag die Knighthood nach Kanton auslaufen würde. Er sprach noch einmal bei Mr. Fairbanks vor und erhielt bei ihm vorläufige Papiere und Reisedokumente von der BOK.

„Ich wünsche Ihnen eine gute und glückliche Weiterreise. Wie schön, dass Sie Batavia ein wenig haben genießen können und ich hoffe, dass Sie das Ungemach, was Ihnen bislang auf der Reise hierher widerfahren ist, ein wenig vergessen konnten. Good-bye, Mr. Clennam.“

„Good-bye, Mr. Fairbanks und herzlichen Dank für Ihre prompte Hilfe.“

Am Hafen betrat er den Klipper Knighthood mit gemischten Gefühlen. Wieder eine längere Seereise. Was würde ihn denn noch alles erwarten? Wenn er ehrlich war, war er mit Abenteuern so ziemlich bedient und wünschte sich nur eine ruhige, möglichst ereignislose Überfahrt. Er meldete sich beim Ersten Offizier und zeigte diesem seine Reisepapiere.

„Ah, Mr. Clennam. Willkommen an Bord der Knighthood. Wir laufen morgen gegen zwei Uhr mittags aus, mit der Flut. Der nächste Landgang ist in Kuala Balai (Anm.: heute Kuala Belait im Sultanat Brunei) auf Borneo geplant, danach steuern wir gleich Kanton an. Sie haben nicht viel Gepäck? Waren Sie schiffbrüchig?“

„Nein, Sir, das nicht. Aber ansonsten habe ich neun sehr erlebnisreiche Monate hinter mir und möchte so schnell wie möglich nach Shanghai. Wie lange wird die Überfahrt nach Kanton dauern?“

„In etwa vier bis sechs Wochen, länger auf keinen Fall.“

„Das klingt gut. Und von dort nach Shanghai?“

„Höchstens vier Wochen, wenn alles gut geht. Das ist in etwa die Hälfte der Strecke.“

„Ich bin sehr erfreut, das zu hören. Ich werde morgen pünktlich da sein. Vielen Dank einstweilen.“

 






Bitte gib den unten angezeigten Sicherheitscode ein: