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Story Notes:

 

DISCLAIMER


Alle Charaktere, Handlungen, Schauplätze etc. von „Regen bringt Segen... (am Kamin)", die auf der Mini-Serie „Little Dorrit" beruhen, sind Eigentum des rechtmäßigen Besitzers BBC UK.

Die von der Autorin selbst erschaffenen Charaktere und die Handlung der Geschichte „Regen bringt Segen... (am Kamin)'“ sind Eigentum der Autorin.

Die Autorin ist in keiner Weise mit den Besitzern, Erschaffern oder Produzenten irgendeiner Medienkonzession verbunden.
Vorsätzliche Verstöße gegen das Urheberrecht sind nicht beabsichtigt.

© Doris Schneider-Coutandin 2008

 

 




 

Seine strahlend-blauen Augen waren nach oben auf den trüben Himmel gerichtet. Etwas unwirsch schüttelte er den Kopf. Alles war trübe hier in England: Das Wetter, das Clennam-Haus, die Leute… es gab kaum etwas, das ihm nicht furchtbar trist und grau vorkam.

Seit seiner Rückkehr aus Fernost war die Welt für ihn in ein kaum durchdringbares Grau getaucht. Er war entsetzt gewesen über den Zustand seines Elternhauses, des Geschäftes; entsetzt darüber, wie die im Laden und dem Lager verbliebenen Stoffe aussahen und – noch schlimmer – wie abgerissen und verbraucht Jeremiah und Affrey Flintwinch daher kamen. Von seiner Mutter wagte er gar nicht erst zu sprechen.

Natürlich war ihm bewusst, dass England nicht mit dem bunten, meist überfreundlichen China verglichen werden konnte und natürlich wusste er, dass es auch in China großes Leid und Elend gab, dennoch… was er hier in seinem Heimatland zu sehen bekam, gab ihm sehr viel zu denken.

Selbst Amy Dorrit war eine graue Maus. Nein! War sie nicht, oder jedenfalls konnte sie nichts dafür, dass sie wie eine solche wirkte. Ihm war das unauffällige, stille Mädchen in diesem Fall jedoch um ein Vielfaches lieber als die in ihrem Witwenstand matronenhaft gewordene, jedoch noch immer an ihrem jungmädchenhaften Zuckerbäckerstil haften gebliebene, Flora Finching, geborene Caspy. Arthur Clennam konnte sich nichts Unpassenderes vorstellen, als diese wirklich grelle Kombination, die er so auch noch mit eigenen Augen in sich hatte aufnehmen müssen bei seinem Besuch im Hause Caspy.

Ja, in gewisser Weise tat ihm Flora leid. Er war ungerecht und gemein, wenn er so dachte und das wollte er auf gar keinen Fall sein. Arthur hatte den Drang, zu allem und jedem ein gutes Verhältnis aufzubauen. Einzig und allein zu seiner Mutter war ihm dies nie gelungen. Er war ein Mann von vierzig Jahren, weit gereist, mit guten Manieren, weltmännischem Auftreten, attraktivem Äußeren und hoher Intelligenz, aber er hatte nie richtig ergründen können, warum seine Mutter ihn von Kindheit an mit herablassender Kälte behandelt hatte.

Arthur wusste, dass es für ihn höchste Zeit war, sich eine passende Frau zu suchen. Er hatte das nie als vordringliches Ziel in seinem Leben erachtet, doch nun, da sein Vater tot und er wieder zurück in England war, musste er neue Prioritäten setzen. Flora kam, bei aller Sympathie und allem Mitgefühl, das er für sie empfand, wohl kaum mehr in Frage. Es tat ihm fast selbst weh, sie aus der sehr kurzen Liste der in Frage kommenden Kandidatinnen streichen zu müssen. Er tat dies mit großem Bedauern.

Die Auswahl war ziemlich beschränkt, er kannte in England kaum Damen, die sowohl vom Alter als auch von anderen Kriterien her zu ihm passen würden. Da gab es noch Pet Meagles… Arthur überlegte.

Eine Chinesin zu heiraten war nicht in Frage gekommen. Sein Vater hätte diesem Ansinnen nicht sonderlich wohlwollend gegenübergestanden und auch Arthur selbst hatte es niemals ernsthaft in Erwägung gezogen. Diese Frauen waren perfekte Konkubinen, das stand außer Frage, und Arthur war diesem Umstand überaus dankbar, sonst hätte er wohl kaum über einen reichen Erfahrungsschatz in dieser Hinsicht verfügt, was ihm nun, da er darüber nachdachte, nachträglich noch eine zarte Röte ins Gesicht trieb - und seine zukünftige Gattin würde es vielleicht zu schätzen wissen - doch man heiratete einfach keine Konkubine.

Das Donnergrollen kam immer näher, sicher würde es bald auch zu regnen anfangen. Ein weiterer Blick zum Himmel bestätigte diese Vermutung.

Er kam von einem weiteren erfolglosen Versuch, im Circumlocution Office Nachforschungen bezüglich der Inhaftierung von William Dorrit im Schuldnergefängnis von Marshalsea anzustellen und war nun auf dem Weg in sein Quartier im Gasthaus. Bereits nach der ersten Nacht war er aus seinem Elternhaus ausgezogen und hatte sich ein Zimmer genommen. Affrey hatte ihn zwar bekniet, dies nicht zu tun, doch Arthur hatte sich partout nicht umstimmen lassen. Seine Mutter hatte ihm den Aufenthalt zu Hause gründlich vergällt. Er legte keinen Wert darauf, mit ihr unter einem Dach zu wohnen, da sie so offensichtlich gar keinen Wert auf seine Person legte und ihn mehr oder weniger sogar des Hauses verwiesen hatte.

Die Himmelschleusen öffneten sich schneller als gedacht und Arthur würde es nun keinesfalls mehr trockenen Fußes ins Gasthaus schaffen. Er stellte sich unter das Vordach eines Schmiedebetriebes, nahm seinen breitkrempigen Hut ab und schüttelte die ersten dicken Tropfen davon ab.

Er nahm die vorbeihuschende Gestalt, eingewickelt in ein blaues Cape, nur aus den Augenwinkeln wahr, doch wusste er sofort, wer es war: „Miss Dorrit!“

Sie schnellte herum und sah, wer da gerufen hatte: „Mr. Clennam. Ich… ich muss schnell weiter, sonst werde ich noch völlig durchnässt sein. Schönen Tag Ihnen!“

„Bitte, bleiben Sie. Sie haben ohnehin schon kaum noch einen trockenen Faden an sich, wie mir scheint.“

Zögernd kam sie über die Straße zu ihm, und als sie neben ihm unter dem nun auch schon tropfenden Vordach stand, bemerkte er, dass sie bis auf die Haut nass sein musste und zudem erbärmlich fror. Fürsorglich zog er seinen Gehrock aus und legte ihn ihr über die Schultern: „Bitte sehr.“

Ihn traf ein dankbarer Blick aus ihren schönen Augen und erzeugte ein wunderbar warmes Gefühl in ihm: „Sie sind sehr freundlich, Mr. Clennam.“

Da sie jedoch ohne Unterlass weiter schnatterte und zitterte, sah er sich veranlasst, weiter zu handeln: „Ich bin in einer Minute wieder bei Ihnen. Bitte laufen Sie nicht weg.“

Er setzte seinen Hut auf und sprang schnell quer über die Straße, ungeachtet des massiven Regens.

Da er nur noch sein Hemd und seine Weste trug, wurde auch er schnell ein Opfer des starken Niederschlags. Als er eine Droschke gefunden und sich hineingesetzt hatte, fing selbst er an zu frieren. Die kleine Kutsche fuhr bei der Schmiede vor und Arthur bedeutete Miss Dorrit rasch einzusteigen. Sie krabbelte unsicher in die Droschke, denn eigentlich hatte sie keine andere Wahl.

„Miss Dorrit, sehen Sie es mir bitte nach, wir sind Opfer der widrigen Wetterverhältnisse, denn ich bin fast ebenso nass wie Sie und mein Gasthaus liegt am nächsten. Wir fahren nun dorthin, da können wir uns ans Feuer setzen und alles trocknen lassen. Sind Sie damit einverstanden?“

Amy Dorrit schaute ihn fassungslos an. Es war schon ziemlich unschicklich, mit ihm allein in dieser Kutsche zu sitzen. Alleine mit ihm im Gasthaus würde einem Affront gleichkommen. Andererseits – wer würde es wissen? Und Amy vertraute Mr. Clennam, er war ein Ehrenmann.

Nur – wie weit vertraute sie ihren eigenen Gefühlen? Sie hatte sich in den nicht mehr ganz jungen, aber extrem gut aussehenden, freundlichen und liebenswerten Mann bereits beim zweiten Hinsehen verliebt. Aber sie wusste, das durfte nicht sein. Sie würde dieses bitter-süße Geheimnis für immer in ihrem Herzen tragen, denn es war ihr klar, dass es niemals Realität werden würde. Diese Liebe war chancenlos.

Sie spürte seinen fragenden Blick weiterhin auf ihr ruhen und so nickte sie unter Zähneklappern.

Er half ihr galant aus der Kutsche. Doch der Boden war derart aufgeweicht vom Regen, dass sowohl er als auch sie ein gutes Stück im Matsch versanken. Amy Dorrit geriet dadurch ins Wanken und klammerte sich instinktiv Halt suchend an Arthur Clennam. Er reagierte sofort, nahm das durchgefrorene, zitternde und aufgeweichte Bündel Mensch auf seine starken Arme und trug Amy kurzerhand hinein in den Inn.

Sie war leicht wie eine Feder und äußerte kaum ein Zeichen des Widerstandes oder des Protestes, dazu fühlte sie sich einfach zu wohl an seiner breiten Brust, die zudem nur von einer nassen Weste und einem nassen Hemd verhüllt war. Amy war, als müsse gleich ihr Herzschlag aussetzen. Selig atmete sie den männlich-herben Duft ihres Retters ein und wagte es, ihren Kopf müde an sein Herz sinken zu lassen.

Vor einem großen, heimeligen Kamin ließ Arthur Clennam sie herunter.  

Verlegen ordnete sie die verrutschten Bänder an ihrer Haube und reichte ihm seinen Gehrock mit zitternden Händen.

„Ich… ähm, ich werde nach einer heißen Suppe schicken, ja?“

Amy nickte abwesend und setzte ihre Haube ab, die ebenfalls troff vor Wasser.

Als Arthur, nachdem er beim Innkeeper eine Bestellung aufgegeben hatte, zurück in den Raum kam, knöpfte er ungeniert seine Weste auf, löste seinen Krawattenknoten und zog diese vom Hemdkragen ab. Dann öffnete er auch noch das nasse, durchscheinende Hemd an den oberen Knöpfen und ließ sich in einen Sessel am Feuer fallen.

Amy Dorrit starrte wie hypnotisiert auf den Mann vor ihr und wagte kaum zu atmen.

Dann hörte sie ihn sagen: „Bitte, Sie müssen Ihren nassen Umhang ausziehen, sonst holen Sie sich den Tod. Die Suppe wird gleich da sein, dann geht es uns schon viel besser.“

„Danke.“ Amy Dorrit wusste sich kaum zu äußern vor lauter Unsicherheit. Sie löste die Bänder ihres Umhanges und legte ihn vorsichtig ab. Fröstelnd stellte sie sich näher ans Feuer, was gleichbedeutend damit war, dass sie auch näher an Mr. Clennam kam.

Dessen Blick erfasste nun ihre gesamte Gestalt viel besser im Schein des Feuers. Sie war schmal und zart, aber nicht schwach oder schmächtig. Und vorhin, als er sie herein getragen hatte, hatte es sich angefühlt, als würde sie genau dorthin gehören – in seine Arme! Er erschrak nicht schlecht über seine Gedanken. Das konnte nicht angehen. Er war ein alter Mann, sie eine sehr junge Frau, eigentlich noch ein Mädchen. Es trennten sie beide fast zwanzig Jahre, was seiner Meinung nach viel zu viel war. Sie hatte einen jüngeren, ihrem Alter entsprechenden Mann verdient und er würde dafür sorgen, dass sie diesen auch bekommen würde. Aber er – er musste sich zurücknehmen, zurückstecken, denn Amy und er würden niemals ein Paar sein!

Es wurde an die Tür geklopft und Arthur war somit aus seinen Gedanken gerissen. Das Dienstmädchen kam mit einem Tablett mit dampfender Suppe, Wein und Brot herein. Sie knickste und stellte das Tablett auf einem runden Tischchen ab: „Hoffe es ist recht so, Mr. Clennam.“

Er nickte und das Mädchen zog sich sofort wieder zurück.

Aufmunternd sprach er Amy an: „Das wird uns gut tun, nun greifen Sie schon zu, Miss Dorrit.“

Amy drehte sich um, sie blickte zuerst auf das Essen, dann auf Arthur Clennam und wieder retour. Dann machte sie einen Schritt auf seinen Sessel zu, sank ihm zu Füßen, nahm seine Hand auf und lehnte ihre Stirn an seinen Handrücken. Arthur hielt für einen Moment die Luft an, dann strich er ihr zärtlich über ihr dunkles, am Hinterkopf zu einem Knoten gefasstes Haar.

Die Worte kamen unwillkürlich, ohne vorgefasst zu sein, ohne nachzudenken: „Amy! Liebste Little Dorrit… nicht doch. Ich…“, er brach bewegt ab und musste die Tränen mühsam zurückhalten.

Nun presste Amy ihre Lippen auf seine Hand, eine Geste, die ihn komplett aus der Bahn warf und ihn alle seine Vorsätze über Bord werfen ließ. Arthur hob Amys Kinn an, damit sie ihn anschauen konnte.

Sie sah seine Tränen, wie er auch er jetzt ihre Tränen sehen konnte. Beide schauten sich überaus verwundert und beseelt an, bis Arthur sie vorsichtig ganz auf seinen Schoß in seine Arme zog.

Wieder und wieder küsste er ihr Haar, ihre Schultern, ihren Hals, wagte sich aber nicht weiter vor. Er wollte sie nicht überfordern, nicht überfallen oder gar erschrecken.

Amy war es schließlich, die ihn lächelnd anblickte und sagte: „Sind wir denn nun verlobt?“

Über Arthurs Mundwinkel zog sich ein immer breiter werdendes Lächeln und er antwortete mit bewegter Stimme: „Das will ich doch stark hoffen, allerliebste Little Dorrit. Wenn du mich alten Herren überhaupt haben möchtest.“

Amy legte ihm einen Zeigefinger auf den Mund und hauchte: „Sch, wie kannst du nur so reden. Ich möchte dich, mit jeder Faser meines Herzens.“

Mit diesen Worten schmiegte sie sich an Arthurs Brust und ergänzte: „Dann könntest du mich doch auch so küssen, wie ein Verlobter seine Braut küsst, oder? Ich… ich wünsche es mir so sehr.“

Arthur Clennam schaute sie mit großer Zärtlichkeit an, dann senkte er seinen Kopf: „Oh, ich mir auch, meine Little Dorrit, ich mir auch…“ und presste endlich seine Lippen auf ihren Mund.

Als sie sich zum Essen niedersetzten, war jedoch die Suppe bereits kalt.

 

 

 




Ende
doris anglophil ist Autor von 80 anderen Geschichten.

Diese Geschichte ist Teil der Serie Inspirationen 10/08.


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