Manchmal ist weniger mehr by Becci
Summary: Die 20-Jährige Franziska zieht nach dem Abi nach München, um dort ein Praktikum bei einer Tageszeitung zu machen. Durch einen Zufall muss sie zu einer Pressekonferenz des FC Bayern München und lernt dort Lukas Podolski, Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm kennen. Die erste Begegnung allerdings endet katastrophal, doch man sieht sich bekanntlich im Leben immer mehrmals.
Categories: Sonstige Fanfiction, Novel-length Characters: eigener m/w Charakter
Genres: Drama, Generell, Humor, Realfiction, Romanze
Warnings: Realfiction
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 12 Completed: Ja Word count: 27603 Read: 30869 Published: 05 Jul 2008 Updated: 07 Jun 2009
Story Notes:

Disclaimer: Alle Personen des öffentlichen Lebens, die hier vorkommen, gehören sich selbst und nicht mir. Die anderen Charaktere und die Story selbst gehört mir und ist meine eigene Idee. Die Geschichte ist frei erfunden und hat mit den betreffenden echten Personen und auch mit erwähnten Institutionen nichts zu tun.

1. Ein Unglück kommt selten allein by Becci

2. Bayrisches Temperament und der olle Schiller by Becci

3. Where´s the party tonight? by Becci

4. Jede Party hat auch ein Ende by Becci

5. Pressearbeit by Becci

6. Pech im Spiel, Glück in der Liebe by Becci

7. Der Tag danach by Becci

8. Einige unangenehme Überraschungen by Becci

9. Scheiße gebaut by Becci

10. Alles wird wieder gut by Becci

11. Dieser Weg wird kein leichter sein by Becci

12. Ende gut, alles gut by Becci

Ein Unglück kommt selten allein by Becci

Mein Blick streifte die Uhr, schon halb zwölf und immer noch konnte ich nicht schlafen, dabei waren die letzten Tage doch anstrengend genug gewesen. Erst gestern war der Umzug nach München gewesen und mir tat heute noch alles weh. Doch ich war zufrieden - oder etwa nicht? Weg von Zuhause, endlich! Aus dem dreckigen Ruhrpott nach München.

 

Nein, verstehen konnte das keiner, wieso ich mich gerade so entschieden hatte. Meine Eltern am allerwenigsten. Wieso nur hatte ich ein Jahrespraktikum bei einer Zeitung in München angenommen, wenn ich doch auch in Dortmund oder Bochum was hätte bekommen können? Selbst Witten hatte ja eine Zeitung und galt als Großstadt, auch wenn dort nichts los war und man auch besser die zehn Minuten Zugfahrt nach Dortmund auf sich nahm, wenn es um eine ausgiebige Shoppingtour ging.

Ja, ich hätte da auch all das haben können, aber ich hatte hierher gewollt, nach München, was anderes sehen! Einfach mal richtig weg und nun war ich hier.

Heute war alles so aufregend gewesen, ich hatte lange geschlafen, dann ausgepackt und mit meiner neuen Mitbewohnerin Petra zusammen gekocht. Petra und ich hatten uns auf Anhieb super verstanden, schon als sich ich mich um dieses Zimmer beworben hatte. Petra studierte Sport an der Ludwig-Maximilians-Universität München und kam ursprünglich aus Stuttgart, wie sogar mir aufgrund ihres Dialektes gleich zu Beginn aufgefallen war. Denn auch wenn ich nicht gerade firm in süddeutschen Dialekten war, den Unterschied zwischen Bayrisch und Schwäbisch konnte ich ausmachen.

 

Ja, es war ein schöner Tag gewesen und ich war glücklich hier zu sein, in München, in einer Stadt, die auch Geschichte und Kultur zu bieten hatte, wo die Leute kein Hochdeutsch sprachen und alles ein wenig anders funktionierte. Und doch hatte ich auch Angst: Würde ich mich hier einleben? Würde es mir beim „Münchener Tageblatt", wo ich mein Volontariat machen würde, gefallen?

Nun plötzlich waren die Fragen wieder da - mehr als die letzten Tage, wo ich nur mit dem Umzug beschäftigt gewesen war, in freudiger Erwartung all der Abenteuer, die mich in München erwarteten. Nun - wo ich hier war, unwiederbringlich mehrere hundert Kilometer weg von daheim und nicht schlafen konnte.

 

Ich blickte mich im halbdunklen Zimmer um, alles gefiel mir soweit. Es war cooler eingerichtet als mein Zimmer zu Hause, aber es war nicht Zuhause, es war alles noch fremd. Selbst meine persönlichen Sachen und Möbel wirkten hier fremd, in diesem fremden Zimmer.

Doch ich wollte mich nicht davon abschrecken lassen. Bald würde alles vertrauter sein und hatte nicht die Fremde auch ihren Reiz?

Mit diesem Gedanken im Kopf drehte ich mich an die Wand und machte endgültig die Augen zu.

 

Der erste Tag beim „Münchener Tageblatt" war besser als gedacht. Die Kollegen waren sehr nett zu mir. Man erklärte mir kurz meine Aufgaben und schon ging's los. Na ja, so ganz los ging es noch nicht wirklich: Die erste Woche saß ich nur im Büro rum, erledigte Anrufe, las die Seiten für den nächsten Tag Korrektur und kochte Kaffee. Nein, so hatte ich mir das nicht vorgestellt!

Klar, ich hatte sicher nicht erwartet gleich mit Fotoapparat und Diktiergerät alleine losziehen zu dürfen, aber wenigstens mit einem Kollegen mit kommen zu können, das hätte doch drin sein müssen. Freitags wagte ich es dann mal direkt zu fragen, ob ich mit einer Kollegin zur Einweihung eines neuen Kindergartens für blinde Kinder mit fahren durfte. Doch man brauche mich in der Redaktion hieß es, ich solle mich erstmal da einarbeiten. So war ich an meinem ersten ganzen Wochenende in München eher gefrustet.

Na, meine Chance würde schon kommen, dachte ich mir. Ich würde meinen ersten Einsatz als Journalistin schon bekommen. Und hätte ich gewusst, wie der ausfallen würde, wäre ich vielleicht sogar lieber beim Kaffeekochen geblieben.

 

Es begann schon am nächsten Montag. Thomas, unser Sportreporter lag mit einer heftigen Sommergrippe im Bett und konnte somit nicht die Pressekonferenz von Bayern München zum Auftakt der Bundesligasaison besuchen. Da gerade auch noch ein Hochhaus gebrannt hatte und es einen schweren Unfall auf der A9 gegeben hatte, musste ich ran. Man drückte mir die Wagenschüssel für einen der Dienstwagen in die Hand sowie einen digitalen Fotoapparat und schickte mich los, mit nichts mehr in der Hand als einer vagen Wegbeschreibung.

„Nun kannst du endlich mal zeigen was in dir steckt!", machte mir Günther, unser Chefredakteur Mut, „du musst auch keine Fragen stellen, alles ganz easy. Sei einfach nur da und schreib dir auf, was die Spieler und der Trainer auf die Fragen der anderen Journalisten antworten! Das wirst du ja wohl schaffen!"

Ich nickte stumm, aber wenig überzeugt - obwohl: Das war meine Chance! Nun konnte ich endlich zeigen, was in mir steckte. Ich war fest entschlossen alles richtig zu machen und vielleicht doch noch selbst eine Frage zu stellen. Mir würde schon etwas einfallen.

 

Leider erwies sich schon der Weg zu dem Vereinsgelände des FC Bayern München als schwierig. Zu behaupten, ich hätte je einen besonders guten Orientierungssinn gehabt, war schlichtweg gelogen, aber eigentlich hatte ich mich meist doch ganz gut zurechtgefunden und der Wagen hatte ja auch ein Navi, so machte ich mir erstmal kaum Sorgen. Doch dann begann das Navi mich immer wieder im Kreis herumzuschicken und ich musste schließlich am Straßenrand anhalten und eine Karte bemühen. Zum Glück hatte ich mir schon gleich zu meinem Umzug nach München einen Stadtplan gekauft. Nach einigem Suchen fand ich den Weg, den ich eigentlich hätte nehmen müssen. Dies jedoch nur mit mehrmaligem Anhalten und immer wieder die Karte zu Rate ziehend - wieso verdammt noch mal, war das zu Fuß soviel einfacher, als wenn hinter einem ständig jemand hupte und da noch eine Einbahnstraße war und hier eine Baustelle?

 

Als ich endlich am Gelände von Bayern München angekommen war, war ich nass geschwitzt und sehr genervt. Ich hasste diesen Verein, schon immer. Nicht, dass ich mir je viel aus Fußball gemacht hätte, aber Bayern... nee, das ging gar nicht. Und nun war ich am Ende meiner Nerven, nur weil ich eine Pressekonferenz besuchen musste von dem so ziemlich blödesten Fußballclub der Welt.

 

Doch ich ließ mir nichts anmerken, schließlich war ich ein Profi. Jedenfalls redete ich mir das ein, denn mir standen jetzt schon die Tränen in den Augen, da ich dank der Sucherei auch viel zu spät war und sicher nicht mal mehr die Hälfte der Pressekonferenz mitbekommen würde.

Schnell wollte ich den Eingang passieren, doch ein Security-Mann hielt mich auf: „Holla, junge Dame, wir wollen doch erstmal Ihren Presseausweis sehen!"

Presseausweis? Was für ein Presseausweis? Ich hatte keinen, bisher war es nicht nötig gewesen und heute Morgen hatte jeder wahrlich besseres zu tun gehabt als mir noch so einen Wisch in die Hand zu drücken.

„Ich habe keinen Presseausweis!", erklärte ich kühl. Ich versuchte meine Stimme stark klingen zu lassen, nicht so unsicher und verschreckt wie ich mich gerade fühlte. Es gelang mir nicht ganz.

„Ohne Presseausweis kommen Sie hier nicht rein!"

„Verdammt, ich bin eine Praktikantin vom „Münchener Tageblatt" und ich habe noch keinen Ausweis, der Sportreporter hat kurzfristig die Krätze bekommen, deshalb musste ich hierher."

Mein Wutausbruch schien die Herren von der Security wenig zu beeindrucken.

„Ohne Presseausweis geht hier nichts. Vielleicht können Sie ja zumindest einen anderen Nachweis erbringen, dass Sie eine Journalistin sind, dann könnten wir ausnahmsweise ein Auge zudrücken. Aber ohne so was - nee, da können wir sie nicht reinlassen. Sonst entpuppen Sie sich womöglich noch als ein Fangirl und werfen sich Podolski oder Schweinsteiger an den Hals!"

 

Ich war nahe dran die beiden Herren anzufauchen, dass ich weder von Schweini noch von Poldi etwas wolle noch von irgendeinem anderen Bayernspieler.

Meine Güte, ich wusste nicht, was all die Mädels immer mit den Fußballspielern hatten. Klar, die beiden spielten gut und waren zudem noch in der Nationalmannschaft, na und? Ich hatte nichts gegen sie, auch nicht gegen andere Fußballer, aber ich war niemand, der kreischend irgendwem hinterher pfiff oder -grölte. Gott, war so was peinlich. Nein, und wenn ich schon je anfing für einen Fußballer zu schwärmen, dann sicher für keinen Bayern-Spieler.

 

Doch da mir eigentlich eher zum Heulen zumute war und jeder Ausbruch von Gefühlen meinerseits in Tränen geendet hätte, versuchte ich ganz cool zu bleiben: „Machen Sie sich da mal keine Sorgen, ich habe nicht vor irgendeinen der unheimlich wichtigen Bayernspieler zu belästigen. Ich will nur einen Artikel für meine Zeitung!"

Und in diesem Moment kam mir die Idee, ich hatte doch diese Chipkarte vom „Münchener Tageblatt", wir alle hatten sie, damit man sehen konnte, wer wann kam und ging. Ich begann in meinem Rucksack zu wühlen und dachte mir mal wieder, wie wenig ladylike so ein fetter Eastpack in solchen Situationen doch war. Mit einer schicken Handtasche in der Hand, Stöckelschuhen und einem Kostüm hätte mich die Security auch sicher nicht aufgehalten. Doch ich war nun mal keine Lady, jedenfalls nicht im Alltag und ich brauchte immer meinen ganzen Kram und damit auch meinen riesigen Rucksack bei mir.

 

Schließlich hatte ich mein Portemonnaie gefunden. Ich zeigte den Herren von der Security meinen Personalausweis mit meiner Chipkarte, wo derselbe Name verzeichnet war: Franziska Hausmann, 20 Jahre, Volontärin des „Münchener Tageblattes". Das war ich. Und in diesem Moment war ich schon fast wieder stolz auf mich, als mich die beiden Security-Männer nun mit einem freundlichen Lächeln doch durchließen.

 

Dieses selbstsichere Gefühl hielt jedoch nicht lange an, denn kaum hatte ich meinen Notizblock herausgeholt und angefangen mitzuschreiben, hieß es schon: „Letzte Frage, bitte!"

Was? Die Pressekonferenz war schon zu Ende? Und ich hatte gerade mal zwei Fragen mitbekommen, so ein Mist! Ohne wirklich zu wissen, was ich tat, reckte ich meine Hand in die Höhe.

„Die junge Dame dahinten in dem gelben T-Shirt!", verkündete der Pressesprecher vorne und plötzlich wurde mir bewusst: Das war ja Ich!

Ich räusperte mich und begann: „Also meine Frage ist..."

„Lauter bitte!", rief der Pressesprecher von vorne und mein Gesicht wurde knallrot.

„Ich will wissen, wieso Bayern München immer Meister wird?"

Schallendes Gelächter.

 

„Und ob das eventuell damit zu tun hat, dass der Verein durch maßlosen Einkauf von Spielern anderen Vereinen die Spieler und damit auch die Chancen auf einen Titel wegkauft? Denn so viele Zweit- und Drittbesetzungen wie da an Spielern bei Bayern auf der Bank sitzen, kann ein Verein wohl kaum brauchen. Vielleicht könnten mir Herr Schweinsteiger oder Herr Podolski ja beantworten, was sie von dieser Taktik ihres Vereins halten!", fuhr ich fort.

Ich spürte mit einem Mal die verärgerten Blicke aller auf mir. Scheiße, wieso hatte ich mein loses Mundwerk nicht halten können? Hier in München stand anscheinend sogar die Presse hinter diesem großkotzigen Verein, der die Spitzenspieler anderer Vereine einkaufte, um sie auf der Bank verkümmern zu lassen.

Die Blicke des Vereinspressesprecher, Jürgen Klinsmanns und der vier Spieler, die dabeisaßen, waren noch um ein vielfaches feindseliger als die der Masse an Journalisten. In diesem Moment wünschte ich, der Boden würde sich unter mir auftun. Doch das geschah leider - natürlich - nicht.

 

Stattdessen fühlte sich Lukas Podolski zu einer Antwort berufen: „Also, ja, natürlich sind alle Spieler wichtig und es muss immer wer auf der Bank sitzen! Das Wichtigste ist das Team und tja, mehr hab ich dazu nicht zu sagen. Mit Einkauf und Taktik habe ich nichts am Hut."

Es war zumindest ein Lichtblick, dass Podolskis Antwort meiner an Dummheit in keiner Weise nachgestanden hatte, doch so wirklich konnte mich das nicht aufmuntern, zumal nun Jürgen Klinsmann sich berufen fühlte, das Thema noch weiter zu erläutern: „Natürlich kauft der FC Bayern München Spieler ein wie es auch jeder andere Profi-Club tut . Im professionellen Fußball ist es allgemein üblich Spieler anderer Vereine zu kaufen wie Sie sagen, auch wenn das in der Praxis weitaus komplizierter ist als Sie es mit dem Begriff einkaufen andeuten - es gibt schließlich keinen Supermarkt für Profispieler. Verträge mit anderen Vereinen über Spielerwechsel abzuschließen ist eine Praxis, die Sie in jedem Verein finden, der etwas auf sich hält. Das können Sie keineswegs allein dem FC Bayern München vorwerfen.

 

Sie wollten vermutlich aber mehr darauf hinaus, dass es allgemein heißt, unser Verein würde dies stärker betreiben als andere Vereine, würde keine eigenen Spieler aufbauen und übermäßig Spieler einkaufen ohne diese auch zu fördern und zu fordern. Fragen Sie gerne noch die Spieler hier genauer, ob diese das auch so sehen. Herr Lahm hier neben mir spielt schon seit seiner Jugend für den FC Bayern München mit einer einzigen kurzen Zwischenstation beim VfB Stuttgart. Ich denke kaum, dass er noch für Bayern München spielen würde, wenn er den Eindruck hätte, dass er im Verein als Spieler nicht weiterkommen kann.

Natürlich müssen immer wieder auch Spieler auf der Bank sitzen, das ist ganz natürlich in einem Mannschaftssport wie diesem, denn allein aufgrund der Verletzungsgefahr braucht es eine Zweitbesetzung für jede Position. Das heißt nicht, dass diese Spieler Geld fürs Nichtstun bekommen, und nur eingekauft wurden, damit sie vom Markt sind, wie Sie andeuteten. Vielleicht beschäftigen Sie sich auch erstmal damit, wie der Einkauf von Spielern überhaupt funktioniert, bevor Sie hier haltlose Behauptungen in die Welt setzen."

 

„Dankeschön, Jürgen Klinsmann!", erwiderte der Pressesprecher schnell, als Klinsmann geendigt hatte, als wolle er jede weitere Nachfrage von mir schon im Keim ersticken, „damit beende ich offiziell diese Pressekonferenz. Danke für Ihr Erscheinen und Ihre Aufmerksamkeit!"

Damit war es also vorbei, ich fühlte mich beschissen. Ich hatte es vermasselt, nicht nur ein bisschen vermasselt, sondern gleich auf der ganzen Linie. Ich war nicht mal eben in ein Fettnäpfchen getreten, ich war mit Anlauf hineingesprungen und zudem hatte ich nichts: Kein Bild und nur sehr spärliche Notizen. Daraus ließ sich kein Artikel basteln.

In einem plötzlichen Anfall von Verzweiflung hechtete ich Jürgen Klinsmann und den vier bis fünf Spielern, die bei ihm waren, hinterher.

„Könnte ich noch ein kurzes Interview mit Ihnen bekommen, Herr Klinsmann?", fragte ich höflich.

Der Blick des früheren Nationaltrainers war nicht sonderlich wohlwollend: „Nein, ich habe noch Termine, entschuldigen Sie mich bitte!", und mit ein wenig Sarkasmus fügte er hinzu: „Fragen Sie doch Podolski, Schweinsteiger oder Lahm! Die sind eher Ihre Altersklasse und wohl auch von mehr Interesse für Sie! Bevor Sie wieder ein Interview von mir erbitten, informieren Sie sich doch besser mal über Fußball!"

 

Ich war stinksauer. Hielt mich jetzt auch noch Jürgen Klinsmann für ein dummes Fangirl?

Na ja, sehr schlau hatte ich mich heute nicht verhalten, doch irgendwie hoffte ich, dass sich das Blatt noch wenden würde.

Ob man mich nun für ein Fangirl hielt oder nicht, vielleicht bekam ich ja noch mein Interview mit einem der Spieler.

„Würde einer von euch mir für ein Interview bereitstehen?", fragte ich hoffnungsvoll in die Runde.

Bayrisches Temperament und der olle Schiller by Becci

Das durfte doch nicht wahr sein, nun machte sich diese unverschämte Journalistin auch noch nach der Pressekonferenz an Klinsi ran, der sie allerdings recht geflissentlich abwies. Kein Wunder! Mir war beinahe die Hutschnur geplatzt, als die sich am Ende der Pressekonferenz gemeldet hatte. Was die über Bayern München losgelassen hatte, war ja eine Unverschämtheit und wirklich Ahnung von Fußball schien sie auch keine zu haben. War sie überhaupt von der Presse?

Ich musterte die junge Frau, die noch aussah wie ein Schulmädchen. Vermutlich war sie das auch, sonst würde man doch nicht in einer Pressekonferenz so dumme Fragen stellen. Ihre rotblonden Haaren waren zu einem losen Zopf zusammengebunden und in Sneakers, Dreiviertelhose und ihrem eher lässigen, gelben Shirt sah sie keineswegs aus wie eine Reporterin. Auch war sie recht klein, sicher war sie noch unter 18, denn sie war ja kleiner als…

In diesem Augenblick hörte ich auch schon Schweini loskrähen: „Nee Poldi, ich bin sicher, die will zu Lahmi, schau mal, Kleiner, hier ist mal eine Braut, die zu dir aufsehen muss.“

Ich wurde knallrot. Ich hasste es, diese Anspielungen auf meine Größe und dann noch den Spitznamen Lahmi, alles so verniedlichend. Ich war doch keiner meiner Hasen.

 

Ungehalten blickte ich zu der Reporterin rüber. Sie stand immer noch in Erwartungspose da. Worauf wartete die denn? Dass einer von uns nichts Besseres zu tun hatte als ihr ein Exklusivinterview zu geben, meine Güte!

„Lass mal, Basti!“, erwiderte ich kühl, „die sieht noch aus als wäre sie unter 18, da mache ich mich nachher strafbar. Außerdem mag ich keine Mädels, die meinen Verein schlecht machen!“

„Ich habe lediglich eine Frage gestellt, Herr Lahm! Das brauchen Sie gar nicht übel zu nehmen. Und an mehr als einem Interview bin ich schon mal gar nicht interessiert!“, erwiderte das Mädchen forsch.

Ich traute meinen Ohren kaum. Wen wollte sie hier beeindrucken? Man sah doch auf den ersten Blick, dass sie keine wirkliche Journalistin war und diese Floskeln passten zu ihr auch denkbar schlecht.

„Du meinst, du hast so getan als hättest du eine Frage gestellt und dabei meinen Verein in den Dreck gezogen“, konterte ich. Ich wusste nicht genau wieso, aber ich war dermaßen sauer. Dieses Mädchen regte mich auf, mit ihrer gekünstelt-professionellen Art. Ich hatte nichts gegen Kritik an meinem Verein, aber ich hasste es, wenn jemand seine subjektive Meinung äußerte und sie dann als objektive Wahrheit darstellte – wie dieses Mädel.

 

„Ach, jeder weiß doch, wie Bayern seine Spieler behandelt und dass deine beiden Teamkollegen neben dir öfter in der Nationalmannschaft zum Zuge kommen als in ihrer eigenen Mannschaft. Das kannste doch nicht bestreiten. Bayern München hat nur eins – viel Geld – und kauft sich damit seine Titel.“

Nun war es endgültig um meine Fassung geschehen: „Herrschaftszeiten, Madl, halt dei Goschn weilst eh ned weißt, wos'd grad daher redst! A richtigs Weibsbild, koa Ahnung, aba zu allem a Meinung! Mei, sei so guat und halt das nächste Mal einfach deinen Mund, wennst eh koan Durchblick hast, wie von Fußball zum Beispiel! Und noch ein Tipp: Wennst a Interview ham willst, derfst ned den Verein deina Interviewpartner beleidigen und bleed daher schwätzen!“

Mit diesen Worten drehte ich mich um und rauschte davon. Mann, war ich sauer! In mir brodelte es immer noch. Wieso meinte dieses Mädchen alles besser zu wissen? Ich konnte es nicht fassen! Viele Reporter waren arrogante Besserwisser, aber die meisten wussten es wenigstens noch zu verbergen. Ein weiterer Fluch kam mir über die Lippen. Meine Güte, so was hatte ich echt lange nicht mehr erlebt!!!

 

Ich trank noch eine Cola zur Beruhigung im Vereinshaus und verabschiedete mich dann von Poldi und Schweini, die zwei witzelten immer noch über das Mädchen von vorhin und meinen Gefühlsausbruch. Sie sei doch genau die Richtige für mich, eine Frau auf meiner Größe, die mir auch kontra geben würde… bähh, nee, das konnte ich mir nicht noch länger antun.

Klinsmann war mit Uli Hoeneß und den neuen Spielern im Team - Borowski und Ballack, dessen Wechsel zurück zu Bayern nach der EM wohl jeden überrascht hatte - noch zu einer Besprechung verschwunden und ich wusste auch nicht mehr wirklich, was ich hier noch machen sollte.

Ich schlenderte zu meinem Wagen und sah sie gleich auf der ersten Bank vor dem Vereinshaus sitzen. Mist, dachte ich nur. Mit der wollte ich ja nun wohl gar nicht reden. Ich beschloss mich an ihr vorbei zu schleichen, noch mal würde sie mich sicher kaum anquatschen wegen einem Interview.

Wir waren fast auf gleicher Höhe, als ich merkte, dass sie weinte. Mein Gewissen meldete sich prompt. Ich mochte zwar immer mal ausrasten, aber ich konnte niemanden unglücklich sehen und Mädchen schon mal gar nicht. Bei Nicola früher kam ich immer als Erstes nach einem Streit wieder angedackelt und fragte, ob nun alles wieder gut sei. Ich war eine Memme, wenn es um so Sachen ging, und nun fühlte ich mich richtig mies wegen meiner bösen Worte vorhin.

 

„Alles in Ordnung?“, fragte ich und setzte mich neben sie. Herrschaftszeiten, fiel mir nichts Besseres ein! Natürlich war nicht alles in Ordnung, sonst würde diese unbekannte Reporterin wohl kaum weinen. Ich hätte mich echt mal wieder in den Hintern treten können für mein fehlendes Einfühlungsvermögen. Erst ein Mädchen ohne wirklichen Grund beleidigen und dann noch dumme Sprüche kloppen, wirklich Philipp, du hast es voll drauf, dachte ich mir.

„Klar!“, sie blickte aus Tränen zu mir hoch, das Kinn in die Höhe gerückt, „ich übe nur für ein Theaterstück. Ich versuche gerade die Szene in meinem Lieblingsfilm ‚Stolz und Vorurteil’ nachzustellen, wo Elizabeth erfährt, dass ihre Schwester mit Mr. Wickham durchgebrannt ist.“

Ich sah sie fragend an. Stolz und Vorurteil? Irgendwann hatte ich das mal gehört.

„Sagt dir sicher nichts, ist eine Literaturverfilmung!“, erwiderte sie schnell, und wie mir vorkam leicht schnippisch, und stand auf.

Nun packte mich wieder der Zorn: „Na hör mal, Madl, nur weil ich ein Fußballer bin und a Bayer, heißt das nicht, dass ich nichts von Literatur versteh. Und ich habe den Titel auch ma gehört, kann’s aber nicht zuordnen, aber deshalb bin ich nicht dumm, Miss Superschlau! Ich habe dafür andere Qualitäten! Und hör a mal, zumindest vom ollen Schiller kann ich noch Sachen auswendig:

 

Zu Klinsmann, dem Tyrannen, schlich

Poldi, den Dolch im Gewande.

Ihn schlugen die Häscher in Bande,
"Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!"
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
"Die Spieler vom Trainer befreien!"
"Das sollst du auf der Ersatzbank bereuen."

 

"Ich bin", spricht jener, "für die Ersatzbank bereit
Und bitte nicht um mein Leben:
Doch willst du Gnade mir geben,
Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Schweini gefreit;
Ich lasse den Lahm dir als Bürgen,
Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen."

 

Ich wusste nicht, wieso ich nun mit so einem Quatsch anfing, irgendwie wollte ich der jungen Journalistin was beweisen und mir saß gerade auch mal wieder der Schalk im Nacken. Ab und an kam es so über mich, dass ich andere mit solchen Albernheiten überraschte. Das Mädchen mir gegenüber fing an zu kichern, was mich ermunterte noch weiter zu rezitieren:

 

Da lächelt der Klinsi mit arger List
Und spricht nach kurzem Bedenken:
"Drei Tage will ich dir schenken;
Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,
Eh' du zurück mir gegeben bist,
So muß er statt deiner die Stammelf verlassen,
Doch dir ist die Strafe erlassen."

Und er kommt zum Lahmi: "Der Klinsmann gebeut,
Daß ich auf der Ersatzbank mit dem Leben
Bezahle das frevelnde Streben.
Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Schweini gefreit;
So bleib du dem Klinsi zum Pfande,
Bis ich komme zu lösen die Bande."

 

Und schweigend umarmt ihn der treue Lahm
Und liefert sich aus dem Klinsemann;
Der andere ziehet von dannen.
Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
Hat er schnell mit dem Schweini die Schwester vereint,
Eilt heim mit sorgender Seele,
Damit er die Frist nicht verfehle.

 

Mittlerweile konnte sich mein Gegenüber vor Lachen kaum noch halten und auch mir zuckte es verdächtig um den Mundwinkel, doch nun wollte ich die kleine Geschichte auch noch zu Ende bringen. Schließlich kam ich zum Ende, nachdem ich im Mittelteil ein wenig Ideenlos war und größtenteils nur den wirklichen Text rezitiert hatte.


Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
Und malt auf den glänzenden Matten
Der Bäume gigantische Schatten;
Und zwei Reporter sieht er die Straße entlangziehn,
Will eilenden Laufes vorüber fliehn,
Da hört er die Worte sie sagen:
"Jetzt wird er auf die Ersatzbank getragen."

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
Ihn jagen der Sorge Qualen;
Da schimmern in Abendrots Strahlen
Von ferne die Zinnen vom Stadion,
Und entgegen kommt ihm Uli Hoeneß,
Des Hauses redlicher Hüter,
Der erkennet entsetzt den Gebieter:

"Zurück! du rettest den Lahm nicht mehr,
So rette das eigene Leben!
Die Ersatzbank erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
Ihm konnte den mutigen Glauben
Der Hohn des Trainers nicht rauben."

"Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht,
Ein Retter, willkommen erscheinen,
So will ich mich auf der Ersatzbank ihm vereinen.
Des rühme der blut'ge Trainer sich nicht,
Daß der Poldi dem Lahm gebrochen die Pflicht,
Er schlachte der Opfer zweie
Und glaube an Liebe und Treue!"

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor,
Und sieht die Spieleraufstellung schon erhöhet,
Das die Menge gaffend umstehet;
An dem Seile schon zieht man den Lahm vom Platz,
Da zertrennt er gewaltig den dichten Fanchor:
"Mich, Schiri", ruft er, "erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget!"

Und Erstaunen ergreifet die Fans umher,
In den Armen liegen sich beide
Und weinen vor Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Auge tränenleer,
Und zum Klinsi bringt man die Wundermär';
Der fühlt ein menschliches Rühren,
Läßt schnell in die Kabine sie führen,

Und blicket sie lange verwundert an.
Drauf spricht er: "Es ist euch gelungen,
Ihr habt das Herz mir bezwungen;
Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn -
So nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der Dritte!"

 

Nun konnte ich endgültig nicht mehr an mich halten und brach in schallendes Gelächter aus, die junge Reporterin tat es mir gleich und lächelte mich dann schließlich verschmitzt an, als wir uns beide wieder gefangen hatten: „Eine solche Rezitationskunst, Herr Lahm, hätte ich Ihnen ja nun gar nicht zugetraut, nur scheinen mir einige Stellen ein wenig fehlerhaft gewesen zu sein.“

Wieder musste ich losprusten. Ihr ging es da kaum anders, doch dann blickte sie plötzlich auf die Uhr: „Mist, ich muss los! Du, darf ich das für einen Artikel verwenden?“

„Was?“, ich war völlig perplex.

„Das eben, das war urkomisch, so was wäre sicher der Brüller!“

Oh Gott, bitte nein, dachte ich nur! Wie peinlich wäre das denn, wenn so was in der Zeitung stände. Lahm rezitiert Schillers „Bürgschaft“ in Bezugnahme auf seinen Verein! Ich sah die Schlagzeilen schon vor mir. Und wenn dann nachher noch der Trainer oder einer der anderen erwähnten Personen etwas dagegen hätte. Ich geriet in Panik: „Nee, auf keinen Fall! Das war jetzt nur so, das geht wirklich nicht. Wenn du das veröffentlichst, dann werd ich es bestreiten! So einfach ist das!“

 

Sie nickte nur enttäuscht: „Schon klar!“, und drehte sich um ohne Verabschiedung, ohne alles.

Wieder meldete sich mein schlechtes Gewissen, sie hatte kein Interview bekommen, ich hatte sie angeraunzt und unsere kleine Witzelei konnte sie auch nicht in einen Artikel verpacken. Sie musste ziemlich gefrustet sein und auch deprimiert, sonst hätte sie ja eben nicht geweint.

„Ich, also es tut mir leid!“, rief ich ihr noch hinterher ohne wirklich zu verstehen, wieso es mir plötzlich so wichtig war ihr das zu sagen, „aber ich… mir, mei, diese blöde Sache mit der Schiller-Ballade, des ist mir scho peinlich!“

„Kein Ding, macht ja nichts!“

Sie drehte sich nicht einmal herum und dabei wusste ich doch, dass es ihr schon was ausmachte keinen Artikel zu haben und so.

„Wie hoaßd denn du eigentlich?“, fragte ich noch, „falls ich doch mal für ein Interview zur Verfügung stehe?“

„Lahm, vergiss es einfach! Ich bin keine Sportjournalistin und irgendwas hier mit Bayern werd ich wohl eh nicht mehr machen wollen und dürfen!“, war ihre einzige Antwort. Dann stieg sie in ihren Wagen und fuhr weg. Etwas länger als notwendig starrte ich ihr hinterher. Eigentlich ein recht nettes Madl!

Where´s the party tonight? by Becci

Wie erwartet war Günther sauer, als ich ihm von meinem Misserfolg erzählte. Doch da ich eine Anfängerin war und mich auch keiner wirklich auf diesen Einsatz vorbereitet hatte, meinte er schließlich nur, ich solle dann wenigstens einen kleinen Artikel schreiben, der die Pressekonferenz zumindest erwähne und diesen mit ein paar Informationen über die Spieler spicken. Das gab mir einen Vorwand, den ganzen Nachmittag nach Infos zu Philipp Lahm im Netz zu googeln.

Ich wusste auch nicht, warum ich hier im Netz nach diesem mir eigentlich doch immer noch fremden Fußballspieler suchte. Irgendwie hatte er mich wohl fasziniert. Erst hatte ich ihn gar nicht abgekonnt, so ein Schwätzer, wie der seinen blöden Verein verteidigen musste. Konnte ihm doch egal sein, was ich vom FC Bayern München hielt.

Doch nachher hatte sich mein Bild von ihm noch einmal verändert. Er war witzig, nett und irgendwie auch sehr normal gewesen in diesem Gespräch auf der Bank, was mich irgendwie beeindruckt hatte. Auch dass er sich entschuldigt hatte, das hätte ich von so einem berühmten Fußballstar ja nun nie gedacht.

 

Nein, er war anders als die anderen Spieler, Podolski und Schweinsteiger waren das beste Beispiel. Sie konnten ja gut kicken, aber mit viel Verstand schienen sie nicht gesegnet zu sein, Lahm dagegen – er engagierte sich bei vielen Projekten und Organisationen, schien sehr interessiert an seiner Umwelt. Und warum er auf meine Kritik an Bayern München so bissig reagiert hatte, verstand ich nun auch: Er hatte dort angefangen zu kicken, nicht direkt bei FCB, sondern beim FT München Gern, aber schon als Jugendlicher hatte bei Bayern München bei den Amateuren gespielt, bevor dann mit dem VfB Stuttgart seine Bundesliga-Karriere so richtig ins Rollen kam.

Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Wieso interessierte mich das alles überhaupt? Warum saß ich stundenlang am PC und las ein um den anderen Artikel über diesen Mann?

Ich gab es vor mir zu, ich fand ihn interessant, nicht als Mann, so ein Quatsch, aber als Fußballer, als Star. Ein Interview mit ihm wäre mit Sicherheit interessant gewesen. Da hätte man was draus machen können. Doch ich hatte es verbockt: beim FC Bayern München und auch bei ihm. Außerdem würde mich das Münchener Tageblatt so schnell auch nicht noch mal von der Leine lassen. Schade eigentlich!

 

Am nächsten Tag kam dann das Donnerwetter. Im Münchener Merkur war in dem Bericht über die Pressekonferenz mein Auftritt auch erwähnt worden und Günther kochte vor Wut: „Sagen Sie mal, Frau Hausmann, was haben Sie sich denn dabei gedacht?“

Er knallte mir die Schlagzeile auf den Schreibtisch. Ach du Schreck, da war ja sogar ein Bild von mir drin. Ich schluckte. Ich wünschte, der Boden würde sich unter mir auftun und mich verschlingen.

„Ich, ähm also, ich wollte noch eine Frage stellen, um wenigstens was zu haben, worüber ich schreiben kann, aber irgendwie ging das etwas in die Hose…“

„Etwas in die Hose?“, Günther tobte, „Am liebsten würde ich dich jetzt wieder zurück in den Ruhrpott schicken, Franziska! Sind da etwa alle so??? Fällt man da als Journalist so mit der Tür ins Haus? Kann ich mir nicht denken! Jeder versteht ja, wenn man als Anfänger mal einen Fehler macht, aber so etwas…“

Er grummelte weiter vor sich hin und ich erwartete schon noch heute meine Sachen packen zu müssen, doch aus irgendeinem Grund zeigte er sich dann doch milde: „Okay, Franziska, du hast nun deinen ersten großen Fehler in diesem Business gemacht. Ich hoffe, es bleibt der einzige. Natürlich wirst du demnächst nichts mehr auf eigene Faust unternehmen und für diesen Patzer bist du mir – oder eigentlich eher dieser Zeitung - noch eine fette Entschädigung schuldig. Nun mach dich wieder an die Arbeit und das nächste Mal, wenn du ein Interview führst, schalte erst das Hirn ein, bevor du den Mund aufmachst.“

 

Ich war nicht entlassen worden, was ein Glück. Dennoch hatte mich dieses Gespräch sehr mitgenommen. War ich hier überhaupt am richtigen Platz? War dieser Job was für mich? Im Augenblick dachte ich eher, einen riesigen Fehler gemacht zu haben. Vielleicht wäre ich doch besser in Witten geblieben und hätte da ein Praktikum gemacht. Dort kannte ich mich zumindest aus und war mit der … den Menschen vertraut. Hier war alles so fremd.

Diesen Abend verbrachte ich wie den gestrigen schon damit Süßigkeiten in mich hineinzustopfen und mir Period Dramas anzuschauen. Zumindest kam ich so dazu mir endlich wieder „North & South“ anzuschauen. Doch so wirklich toll fühlte ich mich nicht.

Petra bemerkte das auch und schüttelte nur den Kopf: „Du hockst doch nicht schon wieder hier. Das gibt’s doch nicht. Du bist doch gerade erst hierher gezogen, da kannste dich doch nicht vor den Fernseher verziehen, nur weil mal eine Sache schief läuft. Morgen gehen wir zusammen weg. Im P1 ist immer was los.“

„Ja, ja, machen wir…“, erwiderte ich nur und verschwand ins Bett. Über so was konnte man morgen immer noch diskutieren. Was war dieses P1 eigentlich? Klang nach einer lauten, überfüllten Disko – das brauchte ich ja nun gar nicht.

 

Petra hatte ihr Versprechen - oder wohl eher ihre Drohung – am nächsten Tag nicht vergessen. Als ich am Nachmittag heimkam, wartete sie schon auf mich mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Führte sie vielleicht irgendetwas im Schilde?

Ich war auf der Hut und verweigerte mich erst ganz und meinte, ich wolle einen Film im Fernsehen sehen. Sie schlug vor, dann später ins P1 zu gehen.

„Die Stimmung wird nachher eh noch besser sein!“, meinte sie mit einem Grinsen. Was wusste sie, was ich nicht wusste? Mir war ganz kribbelig zumute.

Schließlich machten wir uns um kurz nach zehn Uhr auf den Weg, nachdem Petra, die ihre kurzen braunen Haare mit Gel fesch hochgestylt hatte, mich in Jeans und T-Shirt nicht gehen lassen wollte. Sie begann tatsächlich meinen Kleiderschrank zu durchwühlen und nahm mich erst mit, als ich mir ein hellblaues Sommerkleid angezogen und mich in ein paar Stöckelschuhe gezwängt hatte, in denen ich kaum laufen konnte.

Dafür dass Petra Sport studierte und sonst recht locker war, war es doch leicht verwunderlich, wie viel Wert sie anscheinend abends auf solches Styling legte. Na ja, vielleicht ging ihr Schwarm auch in diesen Club und sie machte sich deshalb so hübsch. Nur - warum dann musste auch ich mich herausputzen?

 

Kaum waren wir beim P1 angekommen, wusste ich, wieso. Das sah mir nicht nach einer normalen Disko aus, sondern nach irgend so ein Schickimicki-Club. Ich fühlte mich sofort unwohl. Was sollte ich hier? Das war nicht meine Welt! Doch Petra schleifte mich an der Hand mit, während sie mit dem Türsteher verhandelte. Er kannte sie offensichtlich und ließ mich daher auch mit hinein. Ich war völlig von der Rolle, woher kannte sich Petra in solchen Kreisen aus und wieso schleppte sie mich in eine solche Disko? Ich wollte schon wieder raus, aber Petra zog mich unbarmherzig hinter sich her.

„Jetzt habe ich extra mit Tim verhandelt, nun bleibst du auch hier!“

An der Bar bestellten wir uns was zu trinken. Ich bestellte mir wohlweislich nur ein Wasser, selbst das würde mich hier wahrscheinlich ein Vermögen kosten. Ich war richtig sauer auf Petra und beinahe schon dankbar, als sie einige Bekannte traf und sich für einen kurzen Moment von mir verabschiedete. Nur kaum war sie weg, fühlte ich mich plötzlich sehr allein und verloren. Hätte ich mir doch noch was Schickeres angezogen, so wirklich cool sah dieses Kleid auch nicht aus, nicht im Gegensatz zu dem, was viele andere Mädels hier trugen. Ich beschloss Petra demnächst genauer auszufragen, wo es hinging, wenn sie mich noch einmal irgendwohin mitschleppen wollte.

Na ja, vermutlich würde ich mit Petra nach heute nirgendwo mehr hingehen. Wie die mich hatte auflaufen lassen.

 

Ich hatte nichts Besseres zu tun als mich umzusehen. Schön war es hier ja, nur alles eine Spur zu luxuriös. Ich war an so was nicht gewöhnt und die Mädchen, die hier herumliefen, schienen auch alles Tussis zu sein. Wo war ich bloß gelandet?

Hinter mir hörte ich laute Männerstimmen: „So, da sind wir ja, dann mal los!“ „Ja, auf geht’s, wir müssen ja, dem Kleinen noch eine Frau verschaffen!“

Die dritte Stimme kam mir bekannt vor: „Naa, loass! Echt, Basti, Lukas, bloss kurz was trinken. Morgen hamma wieder Training und übermorgen des Spiel! Eigentlich bin i ned mid kemma damits ihr mir oana aufreisst!“

War das nicht…? Mein Gehirn begann wild zu arbeiten.

„Wer sagt denn, dass wir das machen? Musst schon selber auch was tun. Wir suchen dir eine raus und dann gehst hin und lädst sie auf ein Bier ein. Und der Klinsi wird das schon verstehen!“

Ja, es waren tatsächlich Lukas Podolski, Sebastian Schweinsteiger und Philipp Lahm. Ich war nahe dran einen Fluch loszulassen, doch hatte ich Angst mich damit zu verraten. Ganz vorsichtig suchte ich mit den Augen einen Fluchtweg. Doch drei ließen sich genau in meiner Nähe in bequemen Sesseln nieder und es war schnell klar: Das Einzige, was mir blieb, um nicht möglicherweise erkannt zu werden, war ihnen weiter den Rücken zuzuwenden und ruhig abzuwarten. Vielleicht würden sie ja bald wieder gehen. Ich hoffte es!

 

Doch das Glück war mir nicht gerade hold. Poldi, Schweini und Lahm schienen keineswegs gleich wieder gehen zu wollen, angeregt unterhielten sie sich und da die drei recht laut sprachen und die Musik in diesem Bereich des Clubs nicht so laut war, bekam ich einiges mit. Sie redeten über Philipps Liebesleben und langsam wünschte ich mir doch gegangen zu sein, selbst auf die Gefahr hin erkannt zu werden.

„Du musst endlich wieder unter Leute kommen, Phil!“, redete Bastian auf Philipp ein.

„Ich geh doch unter Leute!“, verteidigte sich Philipp.

„Schon, aber was der Schweini meint, ist: Du brauchst ne Frau!“, warf Lukas Podolski ein.

„Ach, hört doch auf. Seit das mit Nicola aus ist, redet ihr ständig auf mich ein deswegen. Vielleicht will ich ja gerade keine Beziehung!“, wehrte Philipp sich.

„Das sagst du nur aus Enttäuschung, du musst dein Herz neu öffnen!“, erklärte Lukas voller Inbrunst.

Sowohl Bastian als auch Philipp konnten kaum an sich halten und verschluckten sich an ihrem Weizenbier.

„Da muss ich dem Lukas aber mal voll recht geben!“, stimmte Schweini kichernd zu.

„Mensch, hört a mal auf! Ich bin schon lang über Nicola hinweg, ich muss deswegen ned auf Teufel komm raus nach einer andern suchen. Die richtige wird mir schon übern Weg laufen!“

 

„Mensch Phil, mit der Überzeugung findest du nie eine. Du musst auch etwas Einsatz zeigen! Schau mal die da an der Bar, sie sitzt da ganz alleine, sprich sie doch mal an!“, riet Bastian seinem Kumpel.

Die da an der Bar? Warte, da konnte er doch nur mich mit meinen? Ich dachte daran aufzustehen und wegzurennen, obwohl – halt, damit hätte ich wohl erst recht die Aufmerksamkeit der drei Fußballspieler erregt. Also blieb ich stocksteif sitzen und wartete, wie Philipp reagieren würde. Mein Herz schlug mir bis zum Halse.

„Ach, lass mal! Ich kenn die doch gar!“, Philipp war zu meiner großen Erleichterung von dieser Idee nicht sonderlich begeistert.

„Dann lernst sie halt kennen!“, machte Bastian seinem Teamkollegen Mut.

„Ey, los Alter, die ist doch eine richtig geile Zuckerschnecke und von der Größe müsste es auch passen.“

 

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht aufzustehen und Lukas Podolski eine zu scheuern.

Geile Zuckerschnecke? Bitte was? Wie sprach denn der Bayern-Stürmer über mich?

Zuckerschnecke klang grausig, es klang nach zuckrig-süßer Stimme, Highheels, blondierten Haaren und viel Schminke – sprich nach allem, was ich nicht war und auch nie werden wollte.

Außerdem sahen die Herren ja auch nicht viel mehr von mir als meine Rückenansicht, wie konnte man denn da entscheiden, ob ich eine „geile Zuckerschnecke“ war? Ich war echt auf hundertachtzig und wünschte mir sehnlichst, ein Blitz würde einschlagen und Lukas Podolski treffen.

Das jedoch geschah nicht, stattdessen meinte Bastian lachend: „Vielleicht hat unser Kleiner auch sein Herz schon an eine andere verloren, nicht Philipp? Die kleine Journalistin von Montag hatte es dir doch ein wenig angetan, nicht wahr? Wie du nachher dreimal nachfragtest, ob du arg beleidigend ihr gegenüber warst.“

„Mei, hört’s halt auf jetzt! Nur weil es mir leid tat, dass mein Temperament mit mir durchgegangen ist, heißt das doch noch lange nichts. Mir tat’s nachher nur leid, weil sie offensichtlich wirklich bloß keine Ahnung hatte und vermutlich einfach nur neu in dem Job war - eine Praktikantin am ersten Tag vielleicht. Und da dachte ich eben, dass es blöd war, sie dann auch noch so anzuschnauzen!“, verteidigte Philipp sich.

„Natürlich Phil, es war allein reine Nächstenliebe, die dich deine Sünden später bereuen ließ!“, zog Basti ihn weiter auf.

„Genau, gib’s doch zu, dass du sie scharf findest!“, stimmte Lukas mit ein.

 

Was redeten die denn da? Philipp hatte von mir gesprochen? Die anderen dachten, er würde was von mir wollen?

Ach du Schreck, glaubte ich das? Wollte ich das glauben? Gerade wollte ich einfach nur hier weg. Mir wurde das langsam zu surreal. Es war eine zu komische Situation, Basti und Lukas wollten, dass Philipp mich - das Mädel an der Bar – ansprach und redeten dann noch von mir in meiner Eigenschaft als Journalistin damals und wollten mich auch da mit Philipp verkuppeln.

Eins war mir jedenfalls klar, ich hatte die Nase gestrichen voll von diesen Fußballern. Im Geist verfluchte ich Petra, die mich hierher gelotst hatte.

„Ach, Jungs, ihr seht Gespenster! Was will ich denn mit einer Journalistin? Die würde doch nur mit mir ausgehen, um eine tolle Story zu kriegen“, meinte Philipp und erhob mit einem Seufzer: „Wisst’s woas? Ich ’werd's jetzt doch mal probieren!“

Mir stockte der Atem. Oh mein Gott, bitte nicht! Mich packte die Panik, konnte ich vielleicht doch schnell noch verschwinden? Irgendwie schien jeder Ausweg versperrt. Ich drehte schnell den Kopf schon mal in die andere Richtung, damit er mich vielleicht nicht sofort erkennen würde. Oh du meine Güte, war das peinlich!

 

„Hallo, ich bin Philipp, ähm darf ich dich auf ein, ähm Bier einladen?“

Ich schwieg rigoros, ich wusste, es war fies gar nicht darauf zu antworten, aber ich hielt das für die beste Taktik unerkannt zu bleiben.

Einen Augenblick schien es mir, als würde er wieder gehen, doch dann startete er einen neuen Versuch. Seine Stimme zitterte leicht: „Du… ich, ähm wollte nicht aufdringlich erscheinen, dachte nur, ähm es ist vielleicht blöd für dich hier so alleine rumzuhocken.“

„Ja, es ist wahrlich nicht toll, hier zu sitzen und sich anhören zu müssen, wie du mit deinen Fußballerkollegen über mich tratscht. Ich bin so sauer, dass ich wirklich nahe dran bin, darüber einen Artikel zu schreiben, aber ich bin nicht der Mensch, der so was machen würde. Und dass ich mal mit dir ausgehe, hast du dir jetzt eh versaut, Philipp Lahm! Und sag deinem Kumpel Poldi, der dank seiner vielen Kopfbälle schon kein Gehirn mehr zu haben scheint, dass er eine gescheuert bekommt, wenn er mich noch einmal als geile Zuckerschnecke bezeichnet!“

Wütend stand ich von dem hohen Barhocker auf und knickte um, sodass ich mich am Tresen festhalten musste. Diese verdammten Highheels!!! Nie wieder würde mich Petra dazu bringen solche Schuhe zu tragen.

Philipp prustete los und Bastian und Lukas brachen im Hintergrund in schallendes Gelächter aus. Ich hasste mein Leben. Ich warf Philipp noch einen mörderischen Blick zu und stakste so schnell es meine Stöckelschuhe erlaubten hinaus.

Draußen blickte ich mich um. Wo war nun die nächste U-Bahnstation? Welche Linie musste ich denn überhaupt nehmen. Ich wollte den U-Bahn-Plan aus meiner Handtasche herauskramen, da bemerkte ich, ich hatte meine Handtasche wohl drinnen liegen gelassen. So eine verdammte Scheiße aber auch!!!

Jede Party hat auch ein Ende by Becci

Ich wusste nicht genau, wie ich mich verhalten sollte. Irgendwie war die ganze Situation ja schon recht lustig, wie wir die junge Reporterin erst gar nicht wieder erkannt hatten und wie diese nun beleidigt aus dem Raum gestürmt war, immer darauf bedacht mit ihren Highheels nicht umzukippen. Das war zu komisch gewesen, doch so ganz konnte ich nicht in das schallende Gelächter von Lukas und Basti einfallen. Sie tat mir leid!

Natürlich war es ein blöder Zufall gewesen und wer konnte schon ahnen, dass sie unser dummes Gerede mitbekam, aber trotzdem war mir nicht gerade wohl dabei, wie die ganze Sache gelaufen war. Poldi und Basti waren manchmal auch einfach zu offenherzig. Sie dachten oft nicht nach, was sie eigentlich sagten, und zudem posaunten sie auch immer alles hinaus, was sie gerade zu sagen hatten, egal ob es angebracht war oder nicht. So sehr ich die beiden mochte, das hatte mich schon immer an ihnen gestört und heute störte es mich noch etwas mehr als sonst.

„Jungs, nun kriegt euch mal wieder ein. So witzig war das nun auch nicht“, erklärte ich, als mir etwas ins Auge stach.

 

An dem Barhocker, auf dem die junge Journalistin gesessen hatte, hing noch eine Handtasche. Die musste sie wohl vergessen haben. Ich nahm die Tasche an mich.

„Hat sie die vergessen?“, fragte Bastian und fügte gleich hinzu: „Das ist doch die Gelegenheit sie näher kennen zu lernen, wenn du die bei ihr zu Hause vorbeibringst. Schau mal, was sie da alles dabei hat und wie sie heißt!“

Ich schüttelte abweisend den Kopf, als würde ich in fremden Handtaschen schnüffeln.

„Ich schau mal, ob ich sie noch erreiche“, sagte ich und ging hinaus, gefolgt von lauten „Ahhs“ und „Ohhs“ meiner beiden Freunde.

Manchmal wünschte ich mir die beiden auf den Mond. Jedenfalls wäre es schön gewesen, wenn heute wenigstens Michi oder Otti noch mitgekommen wären. Allein mit Schweini und Poldi unterwegs zu sein, konnte sehr nervenaufreibend sein.

Ich war noch am Überlegen, was ich nun zu dieser Reporterin sagen sollte, wenn ich sie traf, da rannte mich plötzlich jemand um. Da das junge Mädchen, das mich angerempelt hatte, durch den Zusammenprall ins Stolpern geraten war, hielt ich sie instinktiv fest.

„Hoppala, nicht so stürmisch!“, meinte ich. In diesem Moment schaute sie mich an und ich sah in die blauen Augen der Reporterin.

 

Unwillig löste sie sich von mir: „Sie schon wieder! Rennen Sie mir etwa neuerdings hinterher?“

„Ähm, ich wollte dir nur ähm deine Handtasche geben!“, brachte ich stockend heraus. Ich war eigentlich nicht schüchtern, aber Frauen gegenüber versagte dann doch immer mal mein Mut. Und ich war es auch nicht gewöhnt von jemand Wildfremdes so angeraunzt zu werden.

Ruppig griff sie nach der Tasche: „Danke!“, und wollte schon wieder gehen.

„He, warte mal, ich also, ähm, Poldi und Schweini, die sind immer so, das, ähm, hat nichts mit dir zu tun.“

„Das hatte ich mir schon fast gedacht!“, kam es zynisch von ihr zurück.

Musste sie so kühl sein? Ich verstand ja, dass sie wütend war, aber ich konnte doch auch nichts für das Verhalten meiner Teamkollegen. Ich wollte nicht, dass sie mir und den beiden anderen noch weiter böse war und versuchte sie in ein Gespräch zu verwickeln: „Gehst du jetzt nach Hause?“

„Ja“, kam es gereizt von ihr.

„Alleine?“, fragte ich leicht beunruhigt.

„Ja, klaro, oder siehst du hier noch jemanden?“

„Du solltest so spät nicht mehr hier alleine in der Innenstadt unterwegs sein!“, meinte ich.

„Ich bin keine 17 mehr, auch wenn du das vielleicht glaubst. Ich bin 20 Jahre und kann schon ganz gut auf mich selbst aufpassen!“, entgegnete sie wütend. Sie schien sich wirklich auf kein normales Gespräch einlassen zu wollen.

 

„Dennoch, du bist doch sicher nicht mit dem Auto da und bis zur nächsten U-Bahn-Station ist es eine Viertelstunde Fußweg. Bist du denn auch so ganz alleine gekommen?“

„Ich werde schon in der Viertelstunde nicht geklaut werden und nein, ich bin nicht alleine gekommen, sondern mit einer Freundin, aber die habe ich sicher in der letzten Stunde nicht mehr gesehen, also geh ich jetzt alleine heim“, war ihre harsche Antwort.

Mann, oh Mann, sie war ja ganz schön geladen. Irgendwie auch kein Wunder, die Freundin hatte sie offensichtlich alleine stehen lassen und dann kamen auch noch so drei Fußballprofis daher und zogen über sie her. An ihrer Stelle wäre ich wohl auch sauer gewesen.

Ich wusste nicht genau wieso, aber ich wollte wenigstens, soweit es mich betraf, die Fronten klären und sie besänftigen. Sie schien ein nettes Mädel zu sein und irgendwie hatte ich den Eindruck, das Schicksal und wohl auch wir Fußballer hatten ihr in den letzten Tagen arg zugesetzt, und sie war nur deshalb so giftig. Ich hatte einen Artikel von der Pressekonferenz gesehen, wo auch sie abgelichtet war. Das war bei ihrer Zeitung mit dem betreffenden Kommentar sicher nicht gut angekommen, zumal sie ja auch kein Interview von einem der Spieler oder dem Trainer bekommen hatte. Irgendwie tat mir das Leid für sie und ich wollte das wieder ein wenig gut machen.

 

„Ich kann deine Freundin für dich suchen gehen oder dich heimfahren!“

„Hey, Philipp, lass mich doch einfach in Ruhe! Du und deine Kumpels, ihr hattet euren Spaß und nun tu nicht so, als müsstest du dich bei mir entschuldigen, ja? Mir ist egal, was ihr von mir denkt. Ich denke ja auch so von euch wie es mir passt. Und mit dir heimfahren - mit jemandem, den ich überhaupt nicht kenne - ist wohl genauso gefährlich wie die U-Bahn, meinst du nicht? Weißt du, ich habe wirklich beschissene Tage hinter mir und will nun einfach nur noch nach Hause. Also tschüss!“

„Wart mal, wegen damals, dem Interview, wie wär’s, wenn ich dir nun eins geben würde?“

Ungläubig starrte sie mich an: „Jetzt? Hier?“

„Nein, natürlich nicht, aber du, ähm, kannst morgen zu unserem Training kommen und mich danach, ähm, kurz interviewen.“

„Meinst du das ernst?“, ihr Interesse schien plötzlich geweckt.

„Ja, klar, sonst würde ich es dir nicht anbieten.“

„Nun, ich werd’s mir überlegen!“, erwiderte sie, doch ich war sicher, sie hatte angebissen. Vielleicht konnte ich auch noch Basti und Lukas überreden sich dann bei ihr zu entschuldigen.

 

Ich hielt inne. Wie kam ich denn auf so was? Und du meine Güte, ich hatte ihr ein Interview versprochen ohne dass die Presseabteilung davon Bescheid wusste. Eigentlich wurde so etwas nicht gerne gesehen. Was tat ich hier eigentlich? Und wieso?

Sie nutzte diesen Augenblick des Nachdenkens, um sich zu verabschieden: „Also, dann bis eventuell bald, Philipp!“ und ging weg.

Einen Moment war ich perplex, dann rief ich ihr hinterher: „Wie heißt du denn nun eigentlich? Das muss ich wissen für die Presseabteilung.“

„Franziska, Franziska Hausmann“, kam es von ihr zurück. Dann war sie weg.

Shit, nun fuhr sie ja doch alleine mit der U-Bahn heim, dachte ich mit einem Mal, aber noch einmal wollte ich ihr nicht hinterher rennen.

Denn ich musste auch ehrlich zugeben, sie hatte mich verwirrt. Verwirrt und durcheinander gebracht. Mochte ich sie vielleicht, wie es Bastians und Lukas´ Meinung war? So ganz sicher war ich mir da nicht. Irgendwie war sie süß, aber andererseits hatte sie sich auch schon mehrmals von ihrer eher biestigen Seite gezeigt. Ich hatte zwar den Eindruck, dass sie eigentlich nett war und einfach die Situationen es ergeben hatten, dass wir beide keinen guten Start miteinander gehabt hatten, doch gleichzeitig fragte ich mich, ob ich nicht gerade einen Riesenfehler gemacht hatte.

 

Als ich wieder hereinkam, bestürmten mich Lukas und Basti mit Fragen. Für die beiden waren Franziska und ich schon fast ein Paar. Da konnte ich mich ja morgen warm anziehen. Wenn Franziska wirklich zum Training kam, würden die zwei sicher keine Gelegenheit auslassen mich mit ihr aufzuziehen.

Es nervte mich doch ein wenig, wie meine Mannschaftskollegen damit umgingen, dass ich wieder ein Single war. Man stellte mir die Freundinnen ihrer Partnerinnen vor, schleppte mich auf Parties und Feste, nur um mir irgendein Mädel vorzustellen. Und wenn ich mal mit einer redete, dann war das die Auserkorene und ich wurde die nächsten Wochen wegen ihr bestürmt. Lukas und Bastian waren da die Extrembeispiele für, doch die anderen waren kaum besser. Selbst Marcell und seine Freundin hatten mich mal nur zum Essen einzuladen, um mir Katharina, eine gute Freundin von Julia vorzustellen. Ich war nahe dran gewesen, gleich wieder zu gehen, doch dafür war ich dann doch zu höflich.

Warum nur verstand es keiner von denen, dass ich gerade einfach meine Ruhe haben wollte und mir - wenn schon - eine Frau selber aussuchen konnte?

 

Es war nicht so, dass ich noch an Nicola hing, das nicht, wir hatten uns in gegenseitigem Einverständnis getrennt, nachdem klar geworden war, dass wir doch andere Ziele hatten.

In der Winterpause der letzten Saison hatte ich mich mit dem Ende meines Vertrages bei Bayern München intensiver mit der Möglichkeit auseinandergesetzt Deutschland zu verlassen und zu einem der ausländischen Spitzenvereine zu gehen. Angebote von denen gab es genug. Nicht, dass ich genug von München gehabt hätte. Ich liebte München und auch meinen Verein hier und hatte deswegen auch lange die Möglichkeit eines Weggangs nicht in Betracht gezogen. Doch dann Ende 2007 wurde mir plötzlich deutlich, dass so ein paar Jahre im Ausland meiner Karriere sehr dienlich wären.

Es zeugte zwar von Heimatverbundenheit und Treue, wenn man immer bei seinem Verein blieb, doch es brachte mich nicht voran. So wuchs die Idee für eine Weile ins Ausland zu gehen.

Damit allerdings begannen bei Nicola und mir die Probleme. Sie wäre bereit gewesen mit mir in Deutschland umzuziehen, aber ins Ausland wollte sie nicht. Wir besprachen die ganze Sache mehrmals, sie schlug vor vielleicht nur für eine oder zwei Saisons zu einem anderen Verein zu wechseln. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob ich nicht doch lieber länger wegwollte. Ich hatte eigentlich nie was anderes gesehen als München und Stuttgart als kurze Zwischenstation, nun packte mich plötzlich das Reisefieber.

Es endete damit, dass wir uns beide bewusst wurden, dass mit diesen unterschiedlichen Zielen aus uns nichts werden konnte. Wir wollten beide nicht den anderen einschränken in seiner Lebensplanung: Für sie stand das Ende des Studiums und der Start in den Beruf an, für mich ein Start eventuell bei einer neuen Mannschaft fernab von Deutschland. Anfang des Jahres trennten wir uns dann.

 

Zunächst war es eine harte Zeit für uns beide, doch wir lernten damit umzugehen und blieben Freunde. Als ich dann letztlich doch meinen Vertrag bei Bayern verlängerte, war Nicola eine der ersten Personen, die mich anrief und darauf ansprach.

„Du Phil, hast du das wegen mir gemacht?“, hatte sie unsicher am Telefon gefragt.

„Nein, ich habe das wegen mir gemacht. Ich denke, Klinsmann wird noch mal richtig viel aus dem FC Bayern München herausholen. Ich arbeite gerne mit ihm zusammen und man kam mir auch ein wenig vom Gehalt entgegen.“

„Sag bloß, du bleibst nur wegen des Geldes hier in München“, scherzte sie.

„Schmarrn, es ist aus vielen Gründen, aber es ist nicht, weil ich damit bei dir noch was erreichen wollte. Ich weiß, dieser Zug ist schon lange abgefahren.“

„Puhh, Phil, da bin ich ja beruhigt, ich dachte schon… ich meine, nicht dass ich dich nicht mehr mag, aber es ist eben nun doch schon wieder fast ein halbes Jahr mit uns her und da ist nun auch noch jemand anderes…“, sie hatte verunsichert gewirkt, wie ich ihre Neuigkeiten aufnehmen würde.

„Ich wünsche dir alles Gute, Nicola! Du müsstest mich doch gut genug kennen, um das zu wissen. Und du hast eben Recht, man kann die Vergangenheit nicht mehr zurückdrehen.“

„Dank dir Philipp“, hatte sie mit einem Lächeln erwiderte, dass ich durch die Telefonleitung spüren konnte. Ich hatte unwillkürlich auch grinsen müssen.

 

Nachdenklich strich ich mir durch die Haare. Ja, es war echt viel passiert im letzten Jahr.

„Träumst du schon von deiner Süßen, Philipp, dass du mir nicht mal mehr antwortest?“, unterbrach Basti meine Gedankengänge.

„Nee, ich bin nur müde, werd wohl besser mal heimfahren, schlaf hier sonst gleich ein!“, erwiderte ich und machte mich auf den Heimweg.

Es war beinahe ein Uhr, als ich nach Hause kam. Na bravo, und morgen würde Klinsmann uns sicher noch einmal alles abverlangen vor dem Spiel. Ich schaute noch kurz nach Brownie, bevor ich schlafen ging. Irgendwie komisch, Milky Way war schon so lange tot und ich hatte Brownie immer noch keinen neuen Gefährten gekauft. Da musste meine Brownie ja auch manchmal ganz schön einsam sein. Ach, was war das doch bei Hasen einfach? Da konnte man einfach einen neuen kaufen. Bei Menschen war das etwas schwieriger, man konnte sich keine neue Freundin im Tierhandel erwerben.

Ich war irgendwie melancholisch gestimmt, würde ich jemals die Frau fürs Leben finden? Bei Nicola war ich mir so sicher gewesen und es hatte beinahe alles gepasst, aber dann war es doch in die Brüche gegangen und nur, weil ich Trottel nicht gewusst hatte, was ich wollte. Denn letztlich hatte sich ja karrieremäßig für mich nichts verändert, nur hatte ich wegen meiner unausgegorenen Karrierepläne eine wunderbare Frau verloren.

Aber das war ja immer so! Immer wieder verlangte einem das Leben solche Entscheidungen ab, von denen man nie genau wusste, welche nun die richtige war und immer etwas verlor.

Ich seufzte, es war Zeit, dass ich ins Bett kam, bevor ich noch ganz depressiv wurde. Vielleicht würde mir die Richtige ja tatsächlich bald über den Weg laufen!

Pressearbeit by Becci
Am nächsten Morgen war ich sehr müde, da ich doch nicht sofort die richtige U-Bahn-Linie gefunden hatte und noch eine kleine U-Bahn-Rundfahrt durch München hatte machen dürfen, aber dennoch kam ich recht gut aus dem Bett. Dafür dass ich eigentlich ein Morgenmuffel bin, war ich heute sehr fit und gut gelaunt. Nach einer ausgiebigen Dusche rief ich erstmal bei der Zeitung an, dass ich später kommen würde, was dort nicht unbedingt mit Wohlwollen aufgenommen wurde. Doch ich machte mir keine Sorgen. Wenn ich erstmal mein Starinterview mit Philipp Lahm vorweisen konnte, würde es nicht mehr stören, ob ich nun heute später im Verlag gewesen war.

Doch bevor ich ein Interview machen konnte, brauchte ich noch einen Fotoapparat. Ich selbst hatte nur eine Kamera in meinem Handy, die keine gute Bildqualität hatte, aber ich kannte jemanden mit einer Digicam; jemanden, der mir auch so noch einen Gefallen schuldig war.

„Guten Morgen Petra!“, rief ich, nachdem ich kurz an ihre Zimmertür geklopft hatte, und trat ein.

Petra war noch viel später als ich heimgekommen und schien nicht sonderlich erfreut darüber, dass ich sie aufweckte.

„Komm, geh Franzi! Ich muss noch net raus!“

„Schon klar, ich hab nur ne kurze Frage, dann geh ich wieder und du kannst weiterschlafen.“

„Ja?“

 

„Kann ich deine Digitalkamera haben und wo ist die?“

„Wie? Die Digicam? Wofür brauchst die denn? Aber klar, wo hab ich die nur hingelegt…“, Petra wurde so langsam wacher.

„Ein Interview!“, erwiderte ich schnell. Ich hatte keine Lust auf neugierige Fragen. Petra würde schon früh genug erfahren, wofür ich ihre Digitalkamera gebraucht hatte.

„Gut, wart mal, die Kamera müsste in einer der Schreibtischschubladen sein. Wen interviewst du denn eigentlich?“, meine Petra, nun schon weitaus gesprächiger.

„Ach wirst schon sehen!“, meinte ich ausweichend, während ich die Schreibtischschubladen durchforstete.

Voilà, da war die Kamera ja, da konnte es nun ja losgehen.

„Also danke! Bis heute Abend dann!“, verabschiedete ich mich, doch so schnell gab Petra nun nicht auf. Mit einem Sprung war sie aus dem Bett und bei mir.

„Nun warte mal!“, hielt sie mich auf: „Wenn ich dir schon meine Kamera ausleihe, will ich auch wissen, wen du nun interviewst.“

„Geheimnis!“, erwiderte ich und machte mich mit einem verschwörerischen Lächeln von ihr los.

Doch so leicht ließ sie mich nicht gehen, sie packte mich und kitzelte mich am Bauch: „Komm, sag schon! Welcher Star gibt dir heute ein bedeutendes Interview?“

„Nur Philipp Lahm!“, ergab ich mich schließlich.

 

„Oh, der kleine Lahm schon wieder“, neckte sie mich, „da hat das mit dem Interview also doch noch geklappt. Ihr habt euch gestern im P1 getroffen?“

„Ja und ja, und du brauchst gar nicht so zu gucken. Ist rein beruflich!“

„Ich hab ja gar nichts gesagt!“, kicherte Petra, „Freut mich nur für dich, dass du nun doch noch ne Chance bekommst da was wieder gutzumachen. Der Lahm ist auch ein Netter.“

„Woher willst denn du das wissen?“, fragte ich provozierend.

„Ich kenn den über den Timo, meinen berühmten Großcousin, hab ihn ein- oder zweimal getroffen. A bissel schüchtern am Anfang, aber sonst ganz lieb.“

„Und das erfahre ich jetzt. Und daher kommst du auch ins P1, oder wie?“, hakte ich nach

„Nicht so ganz, war da auch schon mal mit Timo und Phil und da wurde dort gerade ne Bedienung gesucht und ich habe dort dann angefangen und ne Weile gearbeitet und komm da nun rein, wann immer ich will“, erklärte Petra.

„Aha, du hättest mich ruhig auch gestern mal vorwarnen können“, knurrte ich.

„Warum? Du hast dich doch offensichtlich nicht blamiert, wenn du nun ein Interview mit einem EM-Helden hast.“

 

„Du hast mich extra dahingeschleppt. Du wusstest, dass Philipp da sein würde“, beschuldigte ich sie aufgebracht.

„Nee, nicht die Spur, ich dachte zwar, dass du da vielleicht die Bekanntschaft von ein paar anderen Stars und Sternchen machen könntest, aber soweit hab ich das nun net geplant. Aber dennoch lief ja alles super.“

Ich hätte Petra erwürgen können. Ja, sie hatte sich ja auch nicht Poldis dumme Sprüche anhören müssen. Soo leicht war ich nun ja auch wieder nicht an das Interview gekommen. Und Mensch, heute würde ich Schweini und Poldi auch wieder sehen müssen. Das hielt mich beinahe noch davon ab, wirklich zu dem Training der Bayern zu gehen, doch ich wollte dieses Interview und daher griff ich, einen Fluch unterdrückend, nach meiner Jacke, verabschiedete mich von Petra und machte mich auf in die Säbener Straße.

Als ich aus der U1 ausstieg, war mir schon komisch zumute, und als ich das Gelände betrat, pochte mein Herz ganz laut. Dabei kannte ich das Areal doch schon. Keine Angst, flüsterte ich mir zu.

Das Training war nur in der ersten halben Stunde öffentlich. Ich setzte mich etwas weg von den ganzen Fangirls, die Lahmi, Poldi oder Schweini auf dem Trainingsplatz zujubelten, und machte einige Fotos vom Training, dann mussten wir gehen. Ich wartete im Presserondell auf Philipp. Ich hoffte, er würde nach dem Training noch kommen und hatte seine Zusage für ein Interview nicht über Nacht vergessen.

Ich wartete mehr als eine Stunde und war schon nahe dran zu gehen. Er musste mich wohl auf den Arm genommen haben, doch dann sah ich ihn kommen.

 

„Entschuldige, Training dauerte etwas länger… und ähm guten Tag, Franziska, Frau Hausmann!“, begrüßte er mich. Er trug nun Jeans und keine Trainingsklamotten mehr und seine Haare waren noch nass, offensichtlich war er gerade erst unter der Dusche gewesen und hatte sich danach umgezogen

Ich musste schmunzeln ob seiner Unsicherheit, ob er mich duzen oder siezen sollte.

„Hallo Herr Lahm, ist doch nicht schlimm, dass ich warten musste. Wo wollen wir das Interview führen?“

Er schaute mich irritiert an: „Sag bitte doch du zu mir, passt besser nach all unseren bisherigen Zufallsbegegnungen. Ich heiße Philipp wie du weißt.“

Ich prustete los und versuchte nervös nicht ganz die Fassung zu verlieren.

„Gut, meinen Namen kennst du ja mittlerweile auch.“

Er führte mich etwas weg vom allgemeinen Trubel und ließ sich in einer der Ecken an einem Tisch nieder.

„Soll ich jemanden bitten dir ein Glas Wasser zu bringen?“, fragte er fast schon schüchtern und wollte schon wieder aufspringen.

„Nein, nein, ich bin versorgt soweit.“

Er nickte stumm und setzte sich. Ich ließ mich ihm gegenüber nieder. Einen Moment schwiegen wir uns beide an.

 

Dann reichte er mir scheu einen Fragebogen: „Musst du ausfüllen für die Pressestelle, die wollen immer genau wissen, wer hier wen interviewt.“

„Kein Ding!“, antwortete ich und füllte schnell den Fragebogen aus. Ich reichte ihm das Papier zurück.

„Manches weiß ich nicht so genau, da müsste ich noch mal nachfragen, Auflagenzahlen und so, aber ich denke, es reicht auch so aus. Ansonsten kann die Pressestelle mich ja noch einmal kontaktieren.“

Er nickte stumm und ich fuhr fort: „So, eigentlich bist du nun dran mit Fragen beantworten.“

Er lächelte: „Ja, das vermute ich!“

Sein Lächeln war so offen und freundlich, dass es mich einen Moment umzuhauen schien. Seine blauen Augen funkelten richtig. Ich musste mich zusammenreißen, um einen Blick auf einen Notizblock zu werfen, was ich denn eigentlich fragen wollte.

Zunächst stellte ich ein paar Fragen zu der EM, wie er das erlebt hatte, dann kam ich auf den Verein, den Trainerwechsel und seine neue Rolle als Kapitän zu sprechen.

„Wie fühlt es sich an mit 24 schon Kapitän zu sein? Gibt es da viele Neider in der Mannschaft? Die Presse äußerte sich ja sehr gemischt dazu? Und gerade für Michael Ballack, der ja in der Nationalmannschaft Kapitän ist, muss es komisch sein, nun hier dir als Kapitän untergeordnet zu sein.“

 

Philipp lachte: „Von untergeordnet sein kann keine Rede sein, denke ich. Ein Kapitän ist ja insoweit nunmehr Sprecher und Koordinator einer Mannschaft, nicht ihr Boss. Ansonsten denke ich Micha hat da gar keine Probleme mit. Er ist ja gerade erst wieder zu Bayern München zurückgekehrt. Er weiß, dass ich die Spieler besser kenne als er und daher auch besser für diesen Posten geeignet bin, auch wenn er weitaus mehr Erfahrung hat. In vielen Dingen baue ich auch auf seinen Rat als erfahrener Spieler und Kapitän der Nationalelf, aber er kommt gut damit klar, dass ich Kapitän bin. Da gibt es keine Eifersüchteleien zwischen uns. Wir verstehen uns gut und kennen uns auch schon lange. Und auch sonst erfahre ich wenig Neid von meinen Teamkollegen. Manche hätten sich diesen Posten vielleicht auch erhofft, aber sie wissen auch, dass das die Entscheidung des Trainers war, und machen mir nun nicht das Leben schwer. Zu deiner ersten Frage, es fühlt sich sehr gut an mit 24 schon die Kapitänsbinde tragen zu dürfen. Das ist eine große Ehre und eine ebensogroße Verantwortung. Ich fühle mich gut mit der Entscheidung den Posten des Kapitäns übernommen zu haben, aber natürlich bin ich auch noch jung und habe sicher nicht so viele Erfahrungen gemacht wie andere, aber ich bin bereit dafür. Das Einzige, was etwas komisch ist, ist dann der Umgang mit den älteren Spielern der Mannschaft. Viele kenne ich beinahe seit ich bei Bayern angefangen habe. Nun hab ich ihnen gegenüber plötzlich was zu sagen, das fühlt sich schon etwas komisch an.“

 

Ich musste unwillkürlich grinsen. Ich mochte Philipp, er sprach so frei über seine Mannschaft und über sich. Ich stellte noch einige Fragen zu seinen Zielen für die Mannschaft für diese Saison, seine Meinung zu Jürgen Klinsmann als neuem Trainer und dann musste ich auf einen Bereich zu sprechen kommen, den ich mir für zuletzt aufgehoben hatte, aber irgendwie auch etwas gescheut hatte – Philipps Privatleben.

Die Beziehung zu Eltern, Schwestern, Freunden war schnell abgehakt, dann aber musste ich die Frage der Fragen stellen, die aber besonders die weiblichen Leser interessieren würde.

Ich atmete tief durch. Es war nur eine übliche Frage, eine Frage, die jeder Journalist stellen würde, und wenn er sie nicht beantworten wollte, würde er es nicht tun, Schluss, aus!

„Ich habe in mehreren Zeitungsartikeln gelesen, die Beziehung zu Nicola Valentina sei Vergangenheit. Nun interessiert natürlich vor allem unsere Leserinnen, gibt es eine Neue oder hat noch jede Fännin die Möglichkeit Philipp Lahms Herz im Sturm zu erobern?“

Philipps Wangen färbten sich rot und er blickte einen Augenblick lang auf den Tisch zwischen uns.

„Ich ähm…also diese Frage, ähm, ist mir ein wenig unangenehm, aber, ähm, ich hätte wohl damit rechnen müssen, allein schon als Rache für gestern.

 

Ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Ich musste seinem Blick ausweichen, um nicht in den Bann seiner blauen Augen zu geraten. Sie waren gar nicht wirklich blau, da war ein Schimmer Grün zu erkennen und ein Schimmer Grau. Seine Augen wirkten in jedem Winkel leicht andersfarbig, es war faszinierend, aber ich riss mich davon los. Schließlich wollte ich hier ein Interview führen.

„Wie du wohl gestern auch gehört hast – ich habe derzeit keine Freundin, ich…“

Er schien weiterreden zu wollen, ließ es dann aber und fuhr stattdessen mit einem Lachen fort: „Allerdings glaube ich kaum, dass mich aufgrund dieser Tatsache nun jedes Fangirl im Sturm erobern kann wie du es formuliert hast.“

„Warum nicht? Willst du etwa gar keine Beziehung?“, fragte ich neugierig nach.

„Doch, ich denke jeder Mensch wünscht sich Liebe, ähm, das Gefühl zu jemandem dazuzugehören. Ich auch, allerdings ist, ähm, vielleicht gerade nicht der richtige Zeitpunkt und in einer Beziehung… ähm, es geht mir nicht um Bewunderung, ich will eine Frau an meiner Seite, die mich mag, mich als Menschen, ähm, nicht als Fußballer. Deshalb käme ein Mädchen, was mir mit leuchtenden Plakaten „Lahmi“ hinterher schreit, nicht unbedingt für mich in Frage. Ich, ähm, will ein bodenständiges Madl, eine, mit der man, ähm, Pferde stehlen kann. Ich denke, ähm, es muss einfach passieren und dann passt es oder nicht…“

 

Philipp schaute mich an und einen Augenblick schien die Zeit stehen zu bleiben. Ich erinnerte mich an Schweinis und Poldis Worte von gestern. War es wahr? Mochte Philipp mich? Und wenn ja, was dachte ich dazu? Mochte ich ihn auch?

Verdammt, rief ich mich innerlich wieder zur Ruhe, das war ein Interview, kein Date.

„Das klingt verständlich und sehr normal. Also das Aussehen eines Models ist nicht Vorraussetzung für die zukünftige Frau Lahm?“, versuchte ich die ganze Situation wieder ein wenig zu entspannen.

Er lachte, herzlich, erfrischend und ein Schauer lief mir über den Rücken: „Nein, sicher nicht, obwohl ein bisschen Wert aufs Aufsehen legt wohl jeder und jeder hat auch so seine Vorlieben. Ich zum Beispiel hätte ungern eine Freundin, die größer ist als ich. Da würd’ ich mich dann noch kleiner fühlen. Aber der Charakter ist das Entscheidende, das macht es aus, nicht das Aussehen.“

Ich nickte, es war interessant. Philipp Lahm hatte genau ausgesprochen, was ich selbst zu diesem Thema für mich auch hätte denken und sagen können, okay, mit der Ausnahme, dass ich einen Mann wollte, der größer als ich war, keinen, der kleiner war.

 

„Hmm, wie lebt es sich als Single? Macht das Singleleben dir auch Spaß? Und in welchen Situationen wärst du gerne nicht alleine?“, fragte ich weiter. Es kam alles wie von selbst und nichts stand mehr davon auf meinem Notizzettel.

„Ganz gut lebt es sich. Man kann machen, was man will, hingehen wo man will, heimkommen, wann man will. Man ist frei. Es ist kein, ähm, schlechtes Gefühl. Ich habe die Beziehung mit Nicola sehr genossen, nun genieße ich die Zeit jetzt auch, ich bin kein Trauerkloß, der zu Hause versauert, weil er eben, ähm, keine Freundin hat. Ich lebe mein Leben so oder so.

Natürlich gibt es Momente, in denen man sich jemanden, ähm, wünscht, in denen man nicht alleine sein will. Unangenehm sind immer Treffen mit anderen Paaren, ähm, zumal da doch oft wohlmeinende Freunden noch irgendeine Bekannte mitbringen, die mir Gesellschaft leisten soll und mit der man mich, ähm, heimlich zu verkuppeln sucht.

Ansonsten habe ich auch meine Familie und Freunde und bin daher nicht einsam.

 

Es gibt jedoch Momente, wo da der Wunsch nach mehr ist, ähm, die Familie das nicht auffangen kann, was an Nähebedürfnis da ist. Nach Niederlagen ist das bei mir sehr stark, da wünscht man sich eine Umarmung, jemanden, der einen hält. Wenn ich dann, ähm, sehe, wie meine Teamkollegen ihre Frauen haben und von ihnen Trost erfahren, und ich selbst habe niemanden, dann tut das weh.

Nach dem Finalspiel bei der EM war das sehr schlimm. Das Gefühl, das Siegtor der anderen nicht verhindert zu haben, die Risswunde, die mich am weiterspielen gehindert hatte und in der Mannschaftskabine genäht werden musste, all das wog sehr schwer an diesem Abend. Ich habe dann mit anderen gefeiert und, ähm, ich blieb auch lang, zwar nicht länger als die meisten anderen, aber auch nicht viel früher und dann ging’s zurück ins Hotel und da auf dem Hotelzimmer da, ähm, da war dann niemand mehr, ich war allein und ich fiel wie in mich zusammen. Es war ein schreckliches Gefühl.

Dann später am Tag auf der Fanmeile bei unserem Empfang sah die Welt wieder etwas, ähm, freundlicher aus, ich bin, ähm, ein optimistischer Mensch, aber in diesen wenigen Stunden, in denen alle noch etwas Schlaf tankten, konnte ich kein Auge zutun. Ich war so einsam, so verloren. Ich war froh, als wir dann weiter nach Berlin mussten.

Ich hab dann auf dem Flug gepennt und alle haben gescherzt, dass der kleine Lahm wohl etwas mehr Schlaf noch bräuchte als die anderen und dass ich so lange doch auch nicht aufgeblieben wäre, aber sie, ähm, wussten ja nicht, dass ich trotz Erschöpfung kein Auge hatte zutun können.“

 

Mir standen beinahe Tränen in den Augen. Wie selbstverständlich hatte ich meine Hand auf Philipps gelegt, die auf dem Tisch ruhte. Nun erst fiel es mir auf und mein Herz pochte schneller. Sollte ich sie wegziehen oder einfach nicht bewegen, als wäre nichts? Ich entschied mich für Letzteres.

„Das tut mir...“, ich stoppte mich, ich würde nicht sagen, dass es mir leid tat, damit würde ich es auch nicht besser für ihn machen. Ich wartete einen Moment, dass er was sagte. Ich hatte erwartet, dass er hiernach sagen würde, dass ich das bitte nicht drucken solle, aber er schwieg. Also fuhr ich fort mit Fragen: „Aber hast du auch Freunde, mit denen du über solche Dinge reden kannst?“

„Doch schon, ich habe einige gute Freunde, ich habe mit Timo kurz danach telefoniert. Das war sehr befreiend, mit ihm kann ich gut über solche Dinge reden. Und mein Schwesterherz hat mich, als ich zurück nach München kam, extrafest in die Arme genommen, sie kennt mich da auch sehr gut. Man ist ja nicht allein, nur es fehlt was. Aber ich habe eine sehr enge Bindung zu meinen Eltern und meiner Schwester, das hilft über vieles hinweg.“

 

Ich nickte. Ich fühlte, wie tausend weitere Fragen sich in meinem Kopf bildeten, aber ich stellte sie nicht. Ich wusste in diesem Moment, nun musste genug sein. Ich bedankte mich bei Philipp, fragte, ob ich noch ein oder zwei Fotos machen könnte, dann machte ich mich auf den Heimweg. Philipp brachte mich noch bis zum Ausgang.

„Du wirst doch was Gutes daraus machen, oder?“, fragte er leicht unsicher.

„Natürlich“, versicherte ich ihm.

„Und wann erscheint es dann?“

„Keine Ahnung, mal sehen, was mein Chef so dazu meint. Ich denke aber, er wird begeistert sein und es wird dann auch recht bald erscheinen. Morgen oder übermorgen.“

„Passend zum Spiel also“, meinte er.

Ich nickte.

„Willst du auch zum Spiel kommen?“, fragte er aus dem Nichts heraus.

„Was?“, ich fühlte mich überrollt.

„Ich kann dir eine Karte besorgen für dich als Reporterin. Ich lasse sie dir dann einfach hinterlegen, kein Problem. Du kannst das Spiel sehen und auch darüber schreiben. Ne weitere Chance für dich auf einen guten Artikel.“

 

Ging es ihm um den Artikel oder um was anderes, fragte ich mich, aber ich traute mich nicht auszusprechen, was ich dachte.

„Ja, das würde mich freuen. Ich habe noch nie ein Spiel der Bundesliga live gesehen.“

„Dann wird es höchste Zeit, würde ich sagen, wo du nun Sportjournalistin bist“, er lächelte mich breit an.

Was bedeutete das alles? Das war doch nur Arbeit. Philipp Lahm, Nationalspieler und Kapitän bei einem der deutschen Spitzenvereine konnte doch nicht mich nett finden, oder etwa doch?

Ich war verunsichert und verabschiedete mich sehr schnell.

Angekommen an meinem Arbeitsplatz zitierte mich Günther erstmal in sein Büro, für eine Standpauke. Ich erließ seine Beschwerden wortlos über mich ergehen und packte dann aus. Erst glaubte er mir nicht recht, dachte ich hätte es sicher schon wieder vergeigt, dann allerdings spielte ich ihm Teile des Interviews vom Diktiergerät vor. Er war begeistert und überschlug sich fast mit Lob, wie ich das Blatt da denn bloß gewendet hatte.

Ich freute mich, nur als er mir vorschlug, jemand anderes würde den Artikel dann schreiben oder einfach das ganze Interview veröffentlichen, ging ich auf die Barrikaden.

Nein, das war mein Interview und ich wollte es schreiben, ich hätte es geführt, ich würde es auch schreiben. Er stimmte zu, allerdings würde er es natürlich Korrektur lesen und noch einmal überarbeiten. Ich stimmte zu und alles war gebongt. Das Interview würde nach dem Eröffnungsspiel gleichzeitig mit einem Artikel zu diesem Spiel veröffentlicht werden und beides oblag mir. Ich schwebte wie auf Wolken. Das war mein Weg zum Erfolg!

Im Freudenrausch darüber, wie viel ich heute erreicht hatte, vergaß ich sogar fast, wie eigenartig die Stimmung zwischen mir und Philipp zum Ende des Interviews hin gewesen war.

Pech im Spiel, Glück in der Liebe by Becci

Ich wusste nicht, ob ich zufrieden damit sein konnte, wie das Interview verlaufen war. Ich hatte zuviel von mir preisgegeben, ich war nie sehr verschlossen gewesen gegenüber der Presse, hatte aber immer gewusst, was man sagen konnte und was nicht, aber die Tatsache, dass ich Franziska mochte, hatte bei diesem Interview mein Urteilsvermögen getrübt. Doch meine Angst, sie würde es ausnutzen, hielt sich in Grenzen. Ich vertraute ihr, obwohl sie noch recht jung in diesem Job war, würde sie schon wissen, was sie schreiben konnte und was nicht.

Ach Quatsch, schalt ich mich. Mit Vertrauen hatte das wenig zu tun, ich hatte mich in sie verliebt, so war das! Es war ein wenig komisch es vor sich selbst zuzugeben, aber es stimmte. Ich hatte sie von Anfang an gemocht, tja, okay, erst nachdem ich nicht mehr sauer auf sie war wegen dem Blödsinn, den sie über meinen Verein erzählt hatte, aber seitdem hatte sie mich fasziniert. Sie war nicht wahnsinnig hübsch, aber sie hatte ein nettes Gesicht, schöne klare blaue Augen und war einfach… was denn überhaupt?

 

Normal, sie war normal und das mochte ich an ihr, sie fauchte mich an im Gegensatz zu all den Mädels, die mir die Füße küssen würden und ganz verrückt nach mir waren. Für sie war ich trotz der Tatsache, dass ich unser Land ins Finale der EM geschossen hatte, nur ein ganz normaler Typ. Und das liebte ich an ihr.

Ich schlug mir die Hand vor die Stirn. Lieben? Was dachte ich da? Ich kannte sie ja noch kaum und zudem war sie Journalistin. Wo hatte ich mich da bloß rein verstrickt? Das konnte doch nicht gut gehen.

Ich beschloss mich erstmal lieber aufs Training und das morgige Spiel zu konzentrieren. Da würde ich sie ja mit viel Glück wieder sehen. Dann würde man weitersehen. Nur nicht zu viel erwarten Phil, redete ich mir selbst zu.

 

Das Spiel am nächsten Abend war ausverkauft, schließlich war es das Auftaktspiel der neuen Bundesligasaison. Ich war total nervös, ich war immer ein wenig nervös vor den Spielen, aber heute war ich nervöser als sonst. Es war mein erstes Spiel als neuer Kapitän des FC Bayern Münchens und zudem würde mir heute Franziska zuschauen. Würde sie auch wirklich kommen?

Gestern hatte sie nicht so begeistert gewirkt und das Interview hatte heute auch noch nicht in der Zeitung gestanden. Aber es hatte dennoch den Eindruck gemacht, als hätte sie mich auch ein bisschen gern oder auch ein bisschen mehr oder bildete ich mir das nur ein?

Als das Spiel angepfiffen wurde, wandte meine Aufmerksamkeit sich erstmal allein dem Spiel zu. Der Hamburger SV war kein zu unterschätzender Verein. Zunächst merkte man bei uns den Heimvorteil, wir hatten einige gute Chancen, aber Luca Toni traf einfach nicht. Man konnte es ihm kaum zum Vorwurf machen, man konnte ja auch nicht immer treffen. Doch dann wendete sich während eines Konters der anderen Mannschaft das Blatt.

 

Beim Angriff war ich weit nach vorne gegangen, doch nun sprintete der linke Außenverteidiger des HSV, Thimothee Atouba, in einem Konterversuch an mir vorbei. Ich schaltete meinen Turbogang ein. Ich musste Atouba den Ball wieder abjagen. Ich erreichte ihn erst in der Nähe unseres Strafraums, versuchte ihn zu bedrängen, nicht zum Schuss kommen zu lassen, doch plötzlich umdribbelte er mich geschickt. Ehe ich mich versah, war er an mir vorbei.

Noch einmal versuchte ich ihm den Ball abzujagen und ihn nicht zum Schuss kommen zu lassen, doch gerade als ich bei ihm war, schoss er den Ball zu Rafael van der Vaart und schon war das Leder in unserem Netz. Es tat mir fast schon körperlich weh, zu sehen, wie der Ball geradewegs oben ins Eck ging. Scheiße!!! Das war mein Fehler gewesen.

 

Bis zur Halbzeit schafften wir keinen Ausgleich und als mich in der Kabine Poldi mehr im Scherz fragte, was denn los gewesen sei mit dem neuen Kapitän, antwortete ich nur patzig: „Ach, lass mich doch! So was kann jedem doch mal passieren!“

In der nächsten Halbzeit ersetzte Poldi Luca Toni, doch auch das half uns wenig. Der HSV hatte sich eingespielt und wollte uns, nachdem sie die Führung übernommen hatten, erst recht nicht zum Zug kommen lassen. Es bedeutete schließlich auch etwas, das erste Spiel der Saison zu gewinnen. Sie gingen voll auf Angriff und wir bekamen hinten ganz schön viel zu tun, während unsere Flanken nach vorne nicht ankamen. Es ergaben sich für uns keine guten Chancen und die Chancen, die wir hatten, nutzten wir nicht.

 

Die Zeit lief uns langsam, aber sicher davon und langsam wurde ich auch sauer, sauer auf mich selbst. Wenn ich nicht unaufmerksam gewesen wäre, dann sähe das alles ganz anders aus, dann stünde es noch 0:0, dann könnte uns der HSV nicht so an die Wand spielen, dann hätten wir wenigstens einen Punkt geholt, aber so…

Ich versuchte zu koordinieren, Mut zu machen, doch mir selbst gingen bereits die Kräfte aus. Wieder versuchte Atouba einen Vorstoß über die linke Seite, ich hielt mich an ihn, doch er kam dem Strafraum gefährlich nahe. Ich konnte ihn nicht stoppen außer… - ich wusste, ich musste es tun! Von hinten ging ich ihm zwischen die Beine und schoss den Ball ins Aus. Atouba ging zu Boden. Der Schiedsrichter pfiff. Foul. Foul im Strafraum. Wie durch einen Schleier nahm ich wahr, wie der Schiedsrichter auf den berühmten weißen Punkt auf dem Rasen zeigte und ein Elfmeter gegeben wurde. Olic schoss den Ball sicher ins Tor. 2:0 für den HSV. Ich hatte es versaut!

 

Die Zeit lief uns nun noch schneller davon. Noch eine gute Chance bekamen wir, Schweini flankte zu Poldi und Poldi schoss den Ball mit Schwung ins Tor. Jubel brach aus, aber ich fragte mich, was uns das jetzt noch half? Es waren noch fünf Minuten zu spielen. Ich puschte die Mannschaft nach vorne, nach Poldis Tor war wieder mehr Kampfgeist da, aber es reichte nicht. Der Schiri pfiff ab und es stand 2:1 für den HSV.

Ich fühlte mich bescheiden und die Tränen standen mir schon in den Augen, heute hatte ich echt scheiße gespielt. Das tat noch mehr weh als dass wir verloren hatten. Wir hatten verloren wegen mir.

Ich riss mich zusammen, schließlich war ich Kapitän. Ich lobte die anderen Spieler: Schweini, Poldi, die uns noch mal etwas nach vorne hatten kommen lassen, aber auch Michi, Andi, Ribery, einfach alle, die dabei waren. Für jeden hatte ich ein gutes Wort übrig. Doch mit Duschen ließ ich mir Zeit. Ich wollte noch ein wenig meine Ruhe haben.

Als ich fertig war mit Duschen, blieb ich noch eine kurze Weile in der Kabine sitzen. Ich wollte nicht gleich wieder unter die Löwen, die Journalisten, die tausend Fragen zum Spiel hatten, einen förmlich auseinander nahmen.

So wartete ich, bis ich endlich aus der Kabine Richtung Ausgang schlurfte. Es war nicht mehr viel los. Die Journalisten schienen alle abgezogen zu sein und auch von den Spielern war keiner mehr da, alles leer. Ich atmete dankbar auf und da sah ich Franziska, die offensichtlich auf mich wartete. Schüchtern stand sie an da, an eine der Wände gelehnt.

Lass sie nicht wegen einem Interview hier sein, lass sie wegen mir hier sein, schickte ich still ein Stoßgebet zum Himmel.

 

„Oh, du bist echt noch da. Schweini meinte, du seiest noch nicht aus der Kabine gekommen, aber ich war schon unsicher, ob das stimmte. Hier war alles schon ziemlich leer, als ich kam. Ich bin mit meinem Presseausweis hierein gekommen, musste ein bissel betteln, aber es ging. Ich wollte doch noch Danke sagen für die Karte für das Spiel“, begrüßte sie mich aufgeregt.

Mir stockte der Atem, Franziska war gekommen, um mit mir zu reden, wow!!! Mein Herz klopfte schneller, es gab also doch noch was Gutes an diesem Tag. Doch dann fiel mir ein, dass sie vielleicht im Hinterkopf doch ein Interview hatte und dass das Spiel, das sie gesehen hatte, schlecht gewesen war, und dass vor allem ich total schlecht gespielt hatte. Ich hatte nicht gewollt, dass sie als ersten Eindruck von mir auf dem Spielfeld eine derart schlechte Leistung zu sehen bekam.“

 „Na ja, für dieses Spiel hat sich dein Kommen ja kaum gelohnt. Wir haben grottig gespielt.“

Sie schaute mich nachdenklich an und meinte dann: „Du bist ziemlich fertig wegen dem Spiel, nicht?“

Ich nickte stumm. Sie schien mich zu durchschauen, so dass Lügen sowieso keinen Sinn gehabt hätte.

„Es tut mir leid, aber ihr habt euch ja bemüht!“, versuchte sie mich aufzumuntern.

„Die anderen haben sich bemüht, ich habe scheiße gespielt!“, platzte es aus mir heraus, „Ich war an beiden Toren schuld, ich habe die falschen Entscheidungen getroffen, ich bin ein schlechter Kapitän. Ach Mist!“

Ich senkte den Blick, sie sollte nicht sehen, dass mir einzelne Tränen die Wange hinunter liefen, aber sie nahm es dennoch wahr.

„Ach Philipp, red doch nicht solchen Blödsinn. Du hast dein Bestes gegeben, wie du immer von vorne nach hinten geflitzt bist. Dieser andere, dieser Atouba war eben nur schneller als du, so was kann ja mal passieren.“

 

„So was kann passieren, sollte einem guten Fußballspieler aber nicht zweimal in einem Spiel passieren. Außerdem kannst du dazu doch eh nichts sagen, ob ich gut war oder nicht. Du kennst dich doch mit Fußball sowieso nicht aus!“, kam es zornig von mir.

Sie wich zurück. Ich sah, dass ich sie verletzt hatte und sofort tat es mir leid. Ich versaute heute aber auch alles. Sicher würde Franziska sich jetzt umdrehen und gehen, doch sie ging nicht.

Sie erwiderte bestimmt: „Ich kenne mich nicht gut aus im Fußball, aber ich habe genug Spiele gesehen, um sagen zu können, ob jemand grottenschlecht war. Du hast heute nicht gut gespielt oder vielmehr nicht gut genug. Du warst heute nicht so überragend wie sonst, dazu kam ein starker Gegner und Pech und deswegen habt ihr verloren, nicht weil du scheiße auf dem Platz warst.“

Ich setzte mich auf eine der Bänke an der Seite und stützte den Kopf in die Hände.

„Ich wünschte, ich könnte dir glauben!“, murmelte ich.

„Du kannst mir glauben, Philipp!“, Franziska ließ sich neben mir nieder und nahm meine Hand, „du hast nicht scheiße gespielt, Phil, wirklich nicht.“

 

Ich wusste nicht, was es war, das mich in diesem Augenblick hoch schauen ließ in ihre klaren blauen Augen. Ich war wie gebannt von ihr, wie sie mich ernst ansah. Ich sah in ihren Augen, dass sie mich auch mochte und ich fühlte mich plötzlich sehr euphorisch trotz des verlorenen Spiels. Ich betrachtete einen Moment lang ihr Gesicht: Sie hatte ein paar Sommersprossen auf den Wangen, die ich jetzt erst wahrnahm, und eine kleine Narbe an der einen Schläfe. Ich fuhr mit den Fingern zärtlich darüber, konnte gar nicht meine Finger bei mir behalten.

„Danke Franziska, danke!“, flüsterte ich und beugte mich zu ihr und küsste ganz leicht ihren Mund. Einen Moment lang schien sie irritiert, dann legte sie sanft ihre Hand auf meine Wange. In meinem Bauch schwirrten tausend Schmetterlinge und ich dachte nicht mehr an das vergeigte Spiel. Ich dachte nur noch daran, wie süß Franziska doch war.

„Wo bleibst du denn, Philipp?“, mit diesen Worten kam uns Bastian vom Gang her entgegen. Franziska und ich fuhren schnell auseinander, doch er hatte es dennoch gesehen.

„Ja mei!“, entfuhr es ihm, während er verwundert zwischen mir uns Franziska hin und her schaute, „Wusst ja gar ned, dass dös scho so ernst ist und du den Lahmi deswegen hast sehn wolln!“

 

Franziska war rot geworden und sprang nun schnell auf: „Ich muss dann jetzt auch wieder. Tschüss!“

Ich funkelte Basti an: „Hat dös sein müssn?“

„Kann ja ned wissn, was du hier treibst!“, verteidigte er sich und grinste anzüglich, „Gut, dass ich jetzt gekommen bin und ned a paar Minuten später. Du weißt scho, dass sich selbst jetzt hier noch Journalisten herumtreiben können und was dös für an Wind machn würd? Philipps Lahms neue Freundin – ist sie der Grund für seinen schlechten Saisonstart?“

„Basti, lass es!“, entgegnete ich wütend, „Ich weiß, was ein Reporter daraus hätte machen können, aber hier san koane Reporter mehr, die letzte von denen hast du grad vertrieben. Und es war ja auch ned geplant. Es passierte eben einfach so.“

„Einfach so? Mensch, und dös soll ich dir glauben, Phil! Du hattest doch schon recht bald ein Auge auf die kleine Journalistin geworfen. Pass bloß auf bei ihr, ned, dass sie darüber noch einen tollen Artikel in ihrer Zeitung schreibt – „Mein erster Kuss mit Philipp Lahm“

Ich stöhnte genervt auf: „Basti, halt dei Goschn! So oane ist sie ned!“

„Scho gut, scho gut! Nun weiß ich wenigstens, wieso du heute so unkonzentriert warst. Da war wohl einer in Gedanken nur bei seiner Liebsten.“, zog Basti mich weiter auf und fügte hinzu: „Übrigens der Trainer will dich sprechen, also ned weiter trödln, schick di!“

 

Ich nickte und packte meine Sachen zusammen. Auf ein Gespräch mit dem Trainer hatte ich nun wahrlich null Bock, ich wusste selbst, was heute schief gelaufen war, aber na ja, musste wohl sein. Und zumindest hatte ich was, womit ich mich aufmuntern konnte. Franziska und ich hatten uns geküsst.

Blöd war nur, dass Basti es mitbekommen hatte, da würde es ja in Nullkommanix in der ganzen Mannschaft herumgegangen sein, dass Philipp Lahm eine neue Freundin hatte, aber okay, zu verhindern war das nun auch nicht mehr. Sollten die es doch alle wissen, dann würden sie mich wenigstens nicht mehr mit anderen Frauen belästigen. Ich überlegte schon, wie ich mich wieder mit Franziska treffen konnte, entweder ihr noch ein Interview geben oder lieber sie auf ein Date einladen. Ich fühlte mich seit unserem Kuss als hätten wir das Spiel und damit gleich die ganze Saison gewonnen und nicht mehr wie der Loser des Abends.

Der Tag danach by Becci

Ich konnte es kaum fassen. Ich eilte mit hochrotem Kopf aus dem Stadion, wollte niemanden sehen. Ich hatte Philipp geküsst und es war wunderbar gewesen, aber dann war Schweini dazugekommen und nun würde es wohl alle Welt erfahren, zumindest Philipps Welt.

Ich war verwirrt, mit mir selbst unzufrieden und doch irgendwie glücklich. Ich hatte nicht geplant mich in Philipp zu verlieben, einen deutschen Nationalspieler, Kapitän einer Topmannschaft. Das war alles nicht geplant gewesen und nicht gut.

Nein, nein, nein, das konnte doch nicht funktionieren. Wir waren zu unterschiedlich, kamen aus ganz anderen Welten. Nicht einmal seine Sprache verstand ich richtig, wenn er denn mal ins Bayrische verfiel. Und zudem war ich noch Journalistin und er ein schwer berühmter Fußballspieler, wirklich wir gaben das perfekte Paar ab! Oder eben auch nicht!

In der U-Bahn war es gerammelt voll, überall waren Fans, größtenteils waren sie sogar besoffen beziehungsweise nicht mehr ganz nüchtern. Ich fühlte mich schrecklich inmitten dieser Massen an Menschen. Ich hatte das Gefühl, jeder würde mir ansehen, was eben geschehen war. Es kam mir so vor, als klebte da ein Schild auf meiner Stirn mit der Aufschrift „Ich habe Philipp Lahm geküsst!“, es war schrecklich und ich musterte puterrot im Gesicht den Boden.

Vielleicht hatte uns ja noch jemand außer Schweini bemerkt und morgen würde es in den Zeitungen stehen. Scheiße, scheiße, scheiße, wie hatte mir das nur passieren können?

 

Zu allem anderen Mist war mir auch sonst nicht sehr wohl in der überfüllten U-Bahn zumute. Nun wusste ich wieder, wieso ich selten bis nie mit dem Zug nach Dortmund zum Einkaufen gefahren war, wenn da samstags ein Spiel anstand. Obwohl ich kein Bier getrunken hatte, stank ich regelrecht nach ebendiesem, als ich endlich wieder in meiner leeren und ruhigen Wohnung war.

Ich ließ mich auf den nächstbesten Stuhl fallen und schenkte mir erstmal ein Glas Wasser ein. Endlich konnte ich in Ruhe nachdenken oder nein, doch eher nicht, denn da ich eine Karte zum Spiel hatte, war es mir auch vergönnt, noch einen Bericht zu dem Spiel für die Zeitung abzufassen. Ich hatte mich darüber gefreut in dieser Woche damit eine weitere Möglichkeit auf einen Artikel bekommen zu haben. Der Spielbericht würde im Sportteil gleich neben meinem Interview mit Philipp stehen. Nur leider hatte ich gerade gar keine Lust über das Spiel zu schreiben. Ich wollte nicht an Philipp denken oder an das verlorene Spiel, denn nun wo es auch um Philipp ging, tat mir die Niederlage der Bayern doch irgendwie weh.

Ich versuchte nicht daran zu denken und schrieb. Es dauerte länger als gedacht mit dem Bericht und er trudelte wohl gerade noch rechtzeitig für den Druck in der Redaktion ein.

Ein Gutes hatte es allerdings: Ich war rechtschaffen müde und schlief beinahe sofort ein, nachdem ich das Licht gelöscht hatte.

 

Am nächsten Morgen erwachte ich aus wirren Träumen, in denen ich mit Philipp Lahm herumgeknutscht hatte. Es brauchte eine Schrecksekunde, bis mir wieder klar war, dass ich tatsächlich mit Phil geknutscht hatte. Daraufhin brauchte ich erstmal einen starken Kaffee, um das erneut zu verdauen.

Kaum glaubte ich, diese Erkenntnis, dass ich Phil geküsst hatte und auch in ihn verliebt war, recht gut verkraftet zu haben, kam Petra in die Küche, wild mit der Zeitung wedelnd: „Schau mal, was hier drin ist!“

Um ein Haar erwartete ich ein Bild von dem Kuss von Philipp und mir und schlug mit bangem Herzen die Zeitung auf. Das war es nicht und mein Puls ging wieder ruhiger, bis ich die Überschrift meines Artikels sah: „Fußballprofi Philipp Lahm will bodenständiges Madl zum Pferdestehlen“

Fast hätte ich meinen Kaffee ausgespuckt, das war nicht meine Überschrift. Bang las ich mir den Artikel durch. Es war mein Artikel, mein Interview, aber in der Nachbearbeitung war soviel verändert worden, dass es mir graute.

Ich hatte ein allgemeines Porträt über den Sportler Philipp Lahm geschrieben, dieser Artikel drehte sich nur um den Single-Mann Philipp Lahm. Ich konnte nicht glauben, was man aus meinem Artikel gemacht hatte und zusammen mit dem, was gestern zwischen mir und Philipp passiert war, kam es einer mittelschweren Katastrophe gleich.

 

Ich dachte, das Schlimmste sei schon überstanden, als ich die letzten Sätze las: „Es wäre wohl gut gewesen, hätte Philipp diese Frau schon gefunden, denn die Niederlage des letzten Abends wird wohl kaum spurlos an dem neuen Kapitän des FC Bayern München vorbeigegangen sein. Doch die Saison ist noch lang und auch ein bodenständiges Madl für unseren Philipp, von Freunden liebevoll Fips genannt, wird sich doch hoffentlich finden lassen. Jedenfalls wünscht die Redaktion des Münchener Tageblattes ihm das!“

Oh mein Gott, dachte ich und beinahe hätte ich mich vor Schreck übergeben. Das konnte doch nicht wahr sein. Das klang ja so, als hätte ich es auf unseren Kuss gestern angelegt, als sei ich der wohlgemeinte Trost für Philipp Lahm, gespendet vom „Münchener Tageblatt“. Das war es doch, was Phil denken musste. Es machte alles, was zwischen uns geschehen war, zunichte, es machte es zu einer billigen PR-Aktion, die es nicht gewesen war.

„Gib mir das Telefon, ich ruf da jetzt an und beschwer mich!“, sagte ich noch wie in Trance zu Petra.

„Was?“; fragte diese verwundert.

„Das ist nicht mein Artikel und so was lasse ich nicht unter meinem Namen stehen!“

„Aber du hast doch das Interview geführt, oder etwa nicht?“, Petra war völlig verwirrt von meiner Reaktion auf meinen ersten richtigen Artikel.

 

„Schon, aber so habe ich diesen Artikel nicht geschrieben!“, keifte ich sie an, obwohl sie ja eigentlich nichts dafür konnte. Ich so wütend, dass ich Angst hatte, gleich überzuschäumen und irgendwas zu zertrümmern, vielleicht die Kaffeetasse, die ich fest umklammert hielt.

„Na ja, sie haben wohl auch ein wenig Hand angelegt, doch das ist normal. Was hast du denn erwartet?“, versuchte mich Petra zu beschwichtigen.

„Ein wenig ist gut, sie haben alles völlig verdreht. So war das nicht gemeint, so habe ich diesen Artikel nicht gewollt!“, ich war den Tränen nahe.

„Ach bitte, reg dich nicht so auf, Franzi! Der Artikel ist doch sonst ganz nett gemacht! Peppig geschrieben und mei, sie gehen halt etwas mehr auf Philipp als Person als auf Sportler ein, aber das wollen die Leute doch lesen.“

„Die Leute oder irgendwelche Teeniemädchen, die total auf ihn abfahren? Ich hoffe, Philipp liest diesen Artikel nicht, was soll er denn sonst von mir denken?“, jammerte ich.

„Nichts wird er von dir denken, wieso auch?“, erwiderte Petra, „Jetzt sei mal nicht so perfektionistisch und hör auf, dich aufzuregen! Dies ist ein ganz normaler Artikel und nur weil er nicht exakt so gedruckt wurde, wie du ihn geschrieben hast, heißt das noch lange nicht, dass er schlecht ist.“

„Du verstehst einfach nichts, verdammt! Mit diesem Artikel stehe ich vor allen dumm da und vor Philipp am meisten! Und dabei habe ich diesen Mist nicht einmal selbst verzapft. Ich gehe jetzt wieder ins Bett! Heute kann mich die Welt mal!“, polterte ich und ließ die Küchentür hinter mir zufallen.

„War da irgendwas mit dir und Philipp?“, rief Petra mir hinterher, aber ich reagierte nicht.

 

Am Abend war eine Party des Fachbereichs Sport und Petra drängte mich mitzukommen. Nachdem ich mich mehrfach versichert hatte, dass dort sicher kein berühmter Fußballspieler auftauchen würde. Die Party fand im NAGA statt, Nachtgalerie eigentlich. Ich wunderte mich ein wenig, dass auch in den Semesterferien Studentenpartys stattfanden, aber Petra meinte, das sei hier gang und gebe. Irgendwo gäbe es immer ne Party.

Nun gut, nur weil es immer irgendwo ne Party gab, musste ich nicht dabei sein, aber Petra war mal wieder stur geblieben und vielleicht war es besser raus zu gehen und Leute zu treffen als aus Frust mir die ganze letzte „Sex and the City“-Staffel erneut rein zu ziehen. Vielleicht kam ich hier ja ein bisschen auf andere Gedanken.

Tatsächlich war es ganz nett, ich zog Petra erstmal auf die Tanzfläche und tanzte mir meinen Frust von der Seele. Danach gönnten wir uns beide erstmal einen Cocktail. Es war nett und ich hätte Philipp fast vergessen, zumal ich zufällig ins Gespräch gekommen war mit einem netten, dunkelhaarigen und hoch gewachsenen Sportstudenten. Hans-Georg war sein Name, zugegeben fand ich das eher altbacken, aber ansonsten war er genau mein Typ. Und er war groß, so ein Typ, der einen beschützen könnte, nicht ebenso klein wie ich und wie es Philipp war.

 

Ich erzählte gerade, was ich so in München machte, da fragte er plötzlich: „Ahh, sag mal, hast du dann nicht den Artikel heute über Philipp Lahm geschrieben?“

Ich wurde rot. Wieso musste das bloß kommen?

„Ja, habe ich, na ja, man sollte vielleicht hinzufügen, dass der Artikel nicht ganz aus meiner Hand war“, erwiderte ich.

„Interessant, ich kenne Philipp auch, von früher. Wir haben mal bei demselben Verein gespielt, damals als ich noch in der Juniorenmannschaft des FCB war“, sprang Hans-Georg auf die Information an.

„Super“, entgegnete ich nicht unbedingt begeistert und rollte genervt mit den Augen. Musste denn in dieser Stadt jeder Philipp kennen?

„Wir waren mal richtig gute Freunde, aber mittlerweile nicht mehr.“

Ich nickte nur, ehrlich gesagt interessierte mich Hans-Georgs Geschichte mit Philipp Lahm keineswegs und ich überlegte schon, wie ich mich schnell aus der Affäre ziehen konnte. Hans-Georg schien ja ansonsten ganz nett zu sein, aber ich hatte wahrlich Besseres zu tun als mich an diesem Abend über Philipp Lahm zu unterhalten. Genau um den zu vergessen, war ich doch hergekommen.

 

„Ich könnte dir da einiges erzählen, das ließe Philipp nicht mehr so als Liebling aller vor den Medien dastehen.“

Ich nickte eher unbeteiligt. Aha, Hans-Georg war also neidisch auf Philipp. Nur mit einem Ohr lauschte ich der Geschichte, die er zu erzählen hatte. Ich wartete, dass mir Hans-Georg die traurige Geschichte erzählen würde, wie Philipp ihm beim Verein ausgebootet hatte, wie er ihm das Herz gebrochen hatte oder was auch immer. Doch was ich dann zu hören bekam, war weitaus brisanter.

„Tja, ich wusste schon länger, dass Philipp dopte, was genau er geschluckt hat, keine Ahnung, aber man bekommt so was bei einem Teamkollegen ja mit. Erst redete ich mit ihm, wir waren schließlich lange Zeit Freunde gewesen, aber Phil wollte nicht hören. Dann redete ich mit dem Trainer, aber der wollte mir nicht zuhören, glaubte ich sei nur eifersüchtig, weil Philipp Stammspieler war und ich nicht.

Dann kurz bevor unsere Mannschaft die Meisterschaft 2002 gewann, wurde beim Training ein Dopingtest durchgeführt: Der Urintest zeigte an, dass Philipp Erythropoetin geschluckt hatte, einen Wirkstoff, der den Sauerstofftransport im Blut erhöht und so die Ausdauer steigert. Alle waren schockiert nur ich nicht, denn ich wusste ja bereits, was los war. Philipp machte einen Riesenaufstand wegen des Tests und beteuerte seine Unschuld. Es wurde ein weiterer Test gemacht, ein Bluttest, wieder musste die ganze Mannschaft ran. In Phils Blut fand sich nichts, dafür in meiner Blutprobe, die der Trainer oder sonst einer aus dem Trainerstab wohl mit Philipps Blutprobe vertauscht haben musste. Ich flog aus der Mannschaft. Philipp blieb im Team und spielt nun in der Profimannschaft. Darüber solltest du mal schreiben, das wäre mal ein Skandal, aber so was will ja niemand über den Lieblingsspieler von München lesen.“

 

Ich schaute Hans-Georg mit offenem Mund an: „Das ist doch nicht wahr, du erzählst mir hier doch gerade irgendein Märchen.“

Ich lachte, um zu zeigen, dass ich ihm das nicht glaubte.

Doch Hans-Georg erwiderte ernst: „Nein, ganz sicher nicht. Was ich dir hier erzähle, ist die Wahrheit und ich kann dir auch noch einige Informationen mehr zu dieser Story geben, wenn du mal über wirklich was Interessantes schreiben willst.“

„Aber… aber… Philipp würde das doch jetzt nicht mehr tun, bei den Profis sind doch noch viel mehr Kontrollen und so…“, ich stammelte verwirrt vor mich hin. Mein Kopf fühlte sich ganz matschig an und das sicher nicht nur wegen des Cocktails.

„Ach, diese Kontrollen sind doch alles nur Schau, er wird vermutlich immer noch dopen, tja, außer sein Trainer ginge persönlich dagegen vor.“

Immer noch wollte ich es nicht glauben: „Aber er hat gestern nicht mal wirklich gut gespielt… wie kann er dann dopen?“

„Keine Ahnung, vielleicht hat Klinsmann bei den Bayern wirklich mal eine andere Spielmoral umgesetzt und nun soll mal echte Leistung ohne Doping erbracht werden, ich kann dazu wenig sagen, aber ich würde sagen, diese Doping-Geschichte von damals wäre für dich als Journalistin einen genaueren Blick wert.“

Ich nickte nur stumm, gab Hans-Georg sogar noch meine Durchwahl in der Redaktion, damit er mir seine Informationen zu diesem Thema zukommen lassen konnte, dann verabschiedete ich mich schnell.

 

Irgendwie drehte sich alles. Philipp dopte – das konnte doch nicht möglich wahr sein. Aber na ja, ich hatte ihn ja kennen gelernt. Er war durchaus ehrgeizig und ich konnte mir vorstellen, dass er selbst so etwas für einen Sieg tat. Seine Enttäuschung gestern hatte mir gezeigt, wie wenig er mit Misserfolg umgehen konnte. Doch dass er so weit gehen würde, dafür war er mir zu natürlich und bodenständig erschienen.

Aber halt, eigentlich kannte ich ihn ja kaum, da konnte ich mir schlecht ein Urteil über ihn bilden. Außerdem war ich in ihn verliebt, da war es vielleicht doch mehr die rosarote Brille gewesen, die mich seine Verbissenheit nicht hatte sehen lassen.

Doch nun machte alles einen Sinn, seine Wut gestern nach dem Spiel, wie er über seine Gefühle nach der Niederlage gegen Spanien gesprochen hatte. Da hatte ich wohl ein Stück vom wahren Philipp Lahm gesehen.

 

Ich war enttäuscht, zu allererst von Philipp und dann auch von mir, dass ich mich so hatte blenden lassen von seiner immer fröhlichen Art, die vielleicht doch nur eine Maske war. Jedenfalls hatte mein Philipp ein Geheimnis und kein kleines zudem und ich beschloss, dass es mit uns beiden nie etwas werden würde.

Für diesen Abend war mit mir nichts mehr anzufangen. Ich wollte nur noch heim. Ich suchte Petra und unter dem Vorwand, dass mir schlecht sei, machten wir uns auf den Heimweg. Sie merkte vermutlich, dass etwas nicht stimmte, aber ich schob es auf meine Gesundheit und sie wagte nicht nachzufragen. Sie kannte mich mittlerweile schon gut genug, um zu wissen, dass ich bei Nachfragen teils sehr schnippisch reagieren konnte. Na ja, zumindest sie hatte eine gute Menschenkenntnis im Gegensatz zu mir.

Einige unangenehme Überraschungen by Becci

Am nächsten Morgen fühlte ich mich gut und voller Kraft, die Niederlage war schon beinahe wieder vergessen. Ich war sicher, dass es mit mir und Franziska etwas werden konnte, und als ich die Zeitung aufschlug und ihren Artikel las, musste ich schmunzeln.

„Es wäre wohl gut gewesen, hätte Philipp diese Frau schon gefunden, denn die Niederlage des letzten Abends wird wohl kaum spurlos an dem neuen Kapitän des FC Bayern München vorbeigegangen sein. Doch die Saison ist noch lang und auch ein bodenständiges Madl für unseren Philipp, von Freunden liebevoll Fips genannt, wird sich doch hoffentlich finden lassen. Jedenfalls wünscht die Redaktion des Münchener Tageblattes ihm das!“

Hatte Franziska das so geschrieben? Ich konnte es nicht wirklich glauben, sie war dazu zu sehr um Professionalität bemüht, obwohl - vielleicht waren da ja ein paar Gefühle, die sie für mich hegte, mit ihr durchgegangen.

Jedenfalls wirkte der Artikel wie ein Spiegel für das, was mit uns passiert war: Wir hatten uns beruflich getroffen und dann noch öfter durch Zufall und nun hatten wir uns gestern geküsst und ich glaubte, dass es nicht bei diesem einen Kuss bleiben würde.

 

Ich holte mein Handy heraus. Ich wollte Franziska anrufen, mit ihr reden, ihr zu ihrem Artikel gratulieren, ein offizielles Date ausmachen, doch da fiel mir auf: Ich hatte ihre Nummer gar nicht!

Einen Augenblick war ich wie vor den Kopf geschlagen, doch dann fiel mir ein, dass ich sie ja auch bei der Zeitung am Montag anrufen könnte. Die Telefonnummer der Redaktion des Münchener Tageblattes herauszufinden war sicher nicht schwer und dann musste ich mich nur noch nach Franziska durchfragen, alles eigentlich ganz einfach.

Ich freute mich jetzt schon auf unser Gespräch und konnte es kaum abwarten, wieder ihre Stimme zu hören. Ich stellte mir vor, wie sie leicht schüchtern, aber dennoch erfreut auf meinen Anruf reagierte und ein breites Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.

 

Montag rief ich nach der Trainingseinheit am Vormittag beim Münchener Tageblatt an, ich nannte nicht meinen vollen Namen, sagte nur, dass ich Philipp hieße und Franziska sprechen wollte. Schließlich wollte ich nicht, dass gleich Fragen gestellt wurden an Franziskas Arbeitsplatz. Darauf konnten wir echt gut verzichten. Doch Franziska sei im Moment nicht da, erklärte mir die Sekretärin, nachdem sie in der Redaktion nachgefragt hatte.

Ein wenig enttäuscht widmete ich mich der Teambesprechung. Auch am Nachmittag erreichte ich sie nicht. Immer wenn ich versuchte, hieß es, sie sei nicht da.

Ich verschob unser Gespräch auf den nächsten Tag mit der Hoffnung dann mehr Erfolg zu haben. Vermutlich war sie einfach beschäftigt und wirklich den ganzen Tag unterwegs. Als Journalistin war das ja nicht gerade unwahrscheinlich.

 

Am nächsten Morgen rief ich deshalb extra früh in der Redaktion an.

„Sie ist noch nicht da, aber ich kann ihr gerne Ihre Telefonnummer aufschreiben!“, bot die Sekretärin an. Einen Moment war ich versucht, sie der Sekretärin zu geben, doch dann ließ ich es. Es war zu riskant meine private Handynummer einfach herauszugeben.

„Ach, nicht nötig, ich denke, ich werde es einfach später noch mal probieren. Wann wird Franziska denn in der Redaktion sein?“, erwiderte ich.

„Das weiß ich nicht“, entgegnete die Sekretärin, sie wirkte genervt, „meist kommt sie so um zwischen halb zehn und halb elf, aber ich glaube auch gar nicht, dass sie Sie sprechen will.“

„Was?“, fragte ich schockiert.

„Na ja, gestern hat sie gesagt, ich solle sagen, dass sie nicht hier sei. Sie will nicht mit Ihnen reden und ehrlich gesagt habe ich auch Besseres zu tun als hier die Vermittlerin in einem privaten Zwist zu spielen. Klären Sie, was Sie mit ihr klären wollen, doch am besten privat.“

 

Ich hatte das Gefühl, das eine eiskalte Hand nach mir griff. Franziska wollte nicht mit mir sprechen, aber wieso? Welchen Grund gab es dafür?

Wir hatten uns doch Freitag noch geküsst und da hatte sie keineswegs so gewirkt, als sei es ihr unangenehm gewesen. Ich verstand nicht, was nun los war.

„Gut, ich verstehe“, presste ich heraus, „Sagen Sie ihr doch bitte, dass ich mit ihr reden will, was immer auch gewesen ist, was sie gegen mich eingenommen hat. Und sagen Sie ihr noch, dass sie ja weiß, wo sie mich findet. Vielen Dank!“

Mit diesen Worten legte ich auf. Immer noch perplex starrte ich auf das Handy in meiner Hand. Alles wirkte so unwirklich. Was war denn bloß mit Franziska los? Und wie sollte ich das klären können, wenn sie sich weigerte mit mir zu reden?

An diesem und am nächsten Tag wartete ich, dass Franziska vielleicht in der Säbener Straße auftauchen würde, aber nichts geschah. Langsam kam mir die Erkenntnis, dass Franziska mich vielleicht nur benutzt hatte. Alles war nur für eine gute Story gewesen. Vielleicht sollte unser Kuss ja auch eigentlich von irgendeinem Paparazzi fotografiert werden und dann groß in der Zeitung erscheinen.

Jedenfalls konnte ich mir nicht mehr vorstellen, dass unser Kuss Franziska etwas bedeutet hatte. Es nagte an mir, doch ich ließ die ganze Sache möglichst nicht an mich heran und konzentrierte mich aufs Training. Ich hatte nicht geahnt, dass es noch schlimmer kommen würde.

 

Am Freitag schlug ich die Zeitung auf und mich traf beinahe der Schlag. Da war ein Artikel über mich mit der Überschrift: „Was ist los mit Philipp Lahm?“

Das war nun nicht verwunderlich, dass die Zeitungen darüber schrieben, wenn man mal eine schlechtere Leistung in einem der Spiele erbrachte. Doch als ich den Artikel überflog, verschluckte ich mich beinahe an meinem Brötchen.

„Aber die Vergangenheit des Münchener Außenverteidigers Philipp Lahm, der als fairer und teambewusster Spieler gilt, ist nicht so blütenweiß wie man gerne glauben möchte. Vor vielen Jahren, als er noch in der Jugendmannschaft des FC Bayern München spielte, war Philipp Lahm einmal schon den Verdacht geraten zu dopen. Tatsächlich wurde Lahm in dieser Zeit positiv auf Erythropoetin getestet, jedoch wurde betreffender Test nachher als fehlerhaft erklärt“, las ich entsetzt. Es folgte ein Bericht über die damaligen Ereignisse.

Mir wurde richtig schlecht, als ich das Ende des Artikels las: „Das wirft Fragen auf, ob damals nicht jemand ein Auge zugedrückt hat. Schließlich galt Lahm zu jener Zeit schon als talentierter Amateurfußballer. Mittlerweile hat Lahm einen Stammplatz in einer deutschen Topmannschaft und ebenso in der Nationalmannschaft, aber die schwächer werdende Spielleistung des Nationalspielers wirft die Frage auf, ob Philipp Lahm wirklich durch Können oder eventuell auch durch Doping so weit gekommen ist und nun vor dem Absturz steht. Das stellt auch die Frage, ob die Dopingkontrollen im Bereich des Fußballs nicht auch wie im Bereich des Radrennsportes verschärft werden sollten.“

 

Schockiert starrte ich in die Zeitung. Das konnte doch nicht wahr sein. Wer hatte diesen Artikel geschrieben? Und woher wusste betreffender Journalist von der damaligen Geschichte?

Bei genauem Hinsehen konnte zwar leicht bewiesen werden, dass damals bei dem Dopingtest alles mit rechten Dingen zugegangen. In Wirklichkeit war ein Dopingtest durchgeführt worden, bei dem es wundersamer Weise zwei Proben gegeben hatte, die der Aufschrift nach mir zugeordnet werden konnten, dabei hatte ich nur eine abgegeben. Eine von diesen beiden war positiv gewesen. Ich wurde kurzzeitig vom Training ausgeschlossen und es wurde ein erneuter Urin- und diesmal auch Bluttest bei mir und auch in der restlichen Mannschaft durchgeführt. Hierbei kam heraus, dass bei einem der Spieler EPO im Urin nachgewiesen wurde und auch seine Blutwerte auf einen Missbrauch des Mittels schließen ließen, ich allerdings sauber war.

Dennoch war es nicht gut, dass diese Sache nun wieder ans Licht kam, denn der Verdacht, dass diese Sache damals nicht mit rechten Dingen zugegangen war, würde in den Köpfen vieler Menschen bestehen bleiben.

 

Ich war gebrandmarkt als Doper, dabei war ich mit diesem Zeug nie in Kontakt gekommen, aber wen interessierte das, wenn so was erstmal in der Klatschpresse bekannt geworden war?

Wütend suchte ich nach dem Namen des Schmutzfinken, der diesen Artikel verbrochen. Ich wollte nicht glauben, was ich da las. Das konnte, das durfte nicht wahr sein, doch es war eindeutig Franziskas Name, der mir beinahe ins Auge sprang.

Plötzlich war mir ganz anders zumute. Ich schob meinen Teller von mir weg und legte den Kopf auf dem Tisch ab. So ein Mist, so ein verdammter Mist! Wieso nur hatte ich dieser Schlampe jemals vertraut? Sie war wie alle Journalisten, nein, sie war sogar noch schlimmer.

Verzweifelt knallte ich meinen Kopf gegen die Tischplatte, laut fluchend. Ich war so ein verdammter Idiot gewesen.

Ich hätte mir wohl selbst eine Gehirnerschütterung zugefügt, hätte nicht in diesem Augenblick mein Telefon geklingelt. Es war Melanie, die den Artikel auch gelesen hatte. Kurz darauf riefen meine Eltern an.

 

Ich kam viel zu spät in der Säbener Straße an. Dort war auch schon die Hölle los. Ich kämpfte mich durch Massen an Reportern, die mein Statement zu den Vorwürfen hören wollten. Ich weigerte mich irgendeinen Kommentar abzugeben.

Klinsmann fing mich gleich ab zu einer Sondersitzung. Ich erklärte, was es mit den Vorwürfen von damals auf sich hatte und führte auch Basti als Zeugen auf, der damals zusammen mit mir in der A-Mannschaft gespielt hatte. Jürgen Klinsmann glaubte mir alles, was ich zu meiner Verteidigung vorbrachte, dennoch wurde für den Abend eine spontane Pressekonferenz einberaumt und ich wurde bis auf weiteres vom Training und den kommenden Spielen ausgeschlossen. Unter diesem Druck solle ich nicht spielen und mir besser mal eine Pause gönnen, ein wenig Abstand von allem suchen, meinte Klinsmann. Vielleicht hatte er auch Recht. Dennoch kam ich mir vor wie ein Verbrecher, dessen Tat nicht bewiesen werden konnte, dem jedoch auch keiner seine Unschuld glaubte.

 

Die Pressekonferenz lief erstaunlich gut, dafür dass ich regelrecht in die Mangel genommen wurde, da Klinsmann und der Rest des Trainerteams sich schützend vor mich stellten. Auch schien ich die richtigen Worte zu finden, die damalige Situation zu erklären ohne in unglaubhaften Unschuldsbeteuerungen zu verfallen. Trotzdem zitterten mir während der ganzen Zeit die Knie und ich hätte diese ganze unangenehme Prozedur nicht durchgehalten, hätte ich Franziska unter diesen Reportern erkannt. Doch sie war nicht da, was mich verwunderte, da sie es ja gewesen war, die diese ganze Sache ins Rollen gebracht hatte.

Nach der Pressekonferenz fuhr ich direkt zu meinen Eltern. Ich wollte nun nicht alleine sein, hatte aber auch nicht den Nerv mich von Ottl, Schweini oder Poldi aufmuntern zu lassen. Die ganze Mannschaft schien plötzlich beteuern zu müssen, dass sie mir glaubten und dass wir doch noch was zusammen machen sollten, doch ich wollte nicht.

 

Einzig Micha bekam mich einen Moment länger zu fassen. Er war einer dieser Typen, die man nicht abwimmeln konnte so wie Poldi, Schweini, Michi, Ottl und Janssen. Wenn Michael Ballack etwas mit dir zu bereden hatte, dann konntest du dem nicht entgehen, das wusste ich schon seit langem.

„Du weißt, wir stehen hier alle zu dir! Und du hast Mut bewiesen dich der geifernden Menge zu stellen. Nun gönn dir etwas Ruhe, schalte ab, fahr vielleicht weg, entspann dich! Aber lass dich nicht unterkriege und entfremde dich nicht von der Mannschaft! Hier stehen alle hinter dir und du weißt, du kannst immer mit mir reden. Vielleicht habe ich mal einen guten Rat für dich parat!“

„Danke Micha!“, ich wollte schnell an ihm vorbeikommen.

„Noch was: Basti und Lukas haben irgendwas gesagt, was mich stutzig gemacht hat beim Training: Sag mal, kennst du diese Reporterin, die den Artikel verzapft hat?“

Mir stockte der Atem, ich konnte nichts erwidern. Tränen bildeten sich in meinen Augen. Ich fühlte mich mit einem Mal wieder völlig überrannt.

„Bitte Micha, lass uns nicht davon reden. Ich muss jetzt heim!“, bat ich erstickt.

„Ich will nur wissen, ob es irgendeinen privaten Grund gibt für so einen Artikel?“, Michas Augen bohrten sich in meine.

„Keinen, den ich kenne. Ich… ich hätte nie gedacht, dass sie so etwas macht. Ich dachte, sie mag mich!“

Mit diesen Worten rannte ich zu meinem Wagen. Ich hätte Michas mitfühlenden Blick nicht ertragen können.

 

Das Wochenende blieb ich bei meinen Eltern, bei denen das Telefon nicht mehr stillstand, da alle Journalisten ein Interview mit den Eltern des missratenen Fußballersohn haben wollten. Schon am nächsten Tag stöpselten wir rigoros das Telefon aus, wir wollten alle unsere Ruhe haben. Es war nicht leicht unser Auswärtsspiel am nächsten Tag im Fernsehen zu sehen. Ich hätte mitfahren und das Spiel von der Tribüne aus sehen können, doch das wollte ich nicht. Der Gedanke dort dann wieder von Journalisten belagert zu werden, war mehr als ich ertragen konnte.

Die nächste Woche schleppte ich mich so durch, ich war ausgeschlossen vom Training und Mannschaftsbesprechungen und hatte nichts zu tun. Aus Frust machte ich Großputz, aber selbst das half wenig. Ich hatte zuviel Zeit und zu viele Dinge, über die ich nachdenken musste. Immer wieder kamen meine Gedanken auf Franziska zurück. Was war nur geschehen? Hasste sie mich so sehr, dass sie mich in der Öffentlichkeit niedermachen musste?

Ich verstand das alles nicht. Ich verstand nur eins, dass ich unendlich sauer auf sie war und dennoch immer noch hoffte, dass alles sich irgendwie noch klären ließe.

Eigentlich hätte ich Nachforschungen anstellen sollen, woher Franziska ihre Informationen hatte, aber ich hatte einerseits vom Trainer gesagt bekommen, mich aus dieser Sache nach der Pressekonferenz herauszuhalten und nichts auf eigene Faust zu unternehmen, und andererseits war ich einfach auch zu erschlagen von dem allem, um da selbst groß etwas zu unternehmen. Im Augenblick wollte ich einfach nur noch meine Ruhe haben und einfach nicht mehr daran denken. Wenn es doch zumindest nicht Franziska gewesen wäre, die diesen Artikel verfasst hatte.

Scheiße gebaut by Becci

Unsicher betrachtete ich die Zeitung in meinen Händen. Eigentlich hatte ich gar keinen Artikel über diese Dopingsache schreiben wollen. Ich hatte nur die Wahrheit wissen wollen und dann privat ein bisschen herumgeforscht. An ein paar Informationen war ich leicht herangekommen, auch wenn ich es noch nicht geschafft hatte ein Gespräch mit Philipps altem Trainer zu führen.

Ich wusste nicht, wieso ich Anja, einer Kollegin, davon erzählt hatte. Ich wollte die Sache wohl einfach mit jemandem bereden und mich dabei nicht an Petra wenden, die sowieso schon dachte, dass zwischen mir und Philipp irgendetwas war.

Anja hörte sich die Geschichte an und ihre Meinung war, dass Philipp ganz eindeutig gedopt hatte und dass das die Story des Jahres sei. Ich solle Hans-Georg dazu interviewen und dann es groß in der Zeitung bringen. Das war leider nicht möglich, da ich dessen Nummer nicht hatte und ehrlich gesagt, wollte ich eine solche Sache auch nicht publik machen und Philipp in dieser Weise bloßstellen.

 

Jedoch hatte ich nicht damit gerechnet, dass Anja schon mit Günther darüber geredet hatte und nun ein Artikel her musste. Ich war wütend auf Anja, dass sie mein Vertrauen so missbraucht hatte. Doch es half alles nichts.

Ich schrieb den Artikel, die Informationen, die ich bisher gesammelt hatte, reichten zumindest für einen allgemeinen Artikel über diese unleidliche Geschichte von damals. Schon das Schreiben fiel mir schwer. Ich wollte Philipps Karriere nicht durch einen solchen Artikel zerstören. Ich war unendlich enttäuscht von ihm, dass er offensichtlich dopte oder zumindest früher gedopt hatte, und wollte ihn nie wieder sehen, aber ich wollte ihm nicht sein Leben zerstören.

Als ich dann den Artikel schwarz auf weiß sah, wusste ich, dass ich genau das getan hatte. Ich empfand Abscheu vor mir selbst. Ich würde durch diesen Artikel meine Karriere ausbauen, mir einen Namen machen, aber seine Karriere wäre vollständig zerstört.

Tränen traten in meine Augen. Ich hasste und verachtete mich unendlich. Dabei war er doch selbst daran schuld! Er dopte schließlich und nicht ich! Und vermutlich wäre die Wahrheit früher oder später auch ohne meine Hilfe ans Licht gekommen, dennoch konnte ich nicht anders als mich unendlich mies zu fühlen.

 

In der Redaktion klingelte das Telefon an diesem Freitag beständig, doch die meisten Sachen regelte Günther. Ich war ein wenig empört darüber, denn es war ja mein Artikel gewesen, der für so viel Rummel gesorgt hatte, aber irgendwie war ich auch ganz dankbar, dass ich nicht diese ganzen Anrufe entgegennehmen musste. Dann am Nachmittag stellte eine Kollegin ein Gespräch doch zu mir durch. Als ich abhob, schallte mir ein wütendes: „Was hast du dir dabei gedacht?“ entgegen.

Ich glaubte erst Philipp in der Leitung zu haben, dann aber als der Anrufer fortfuhr: „Hast du mal einen Moment daran gedacht, was du dem Philipp damit antust?“, war mir klar, dass es sich nicht um Philipp handeln konnte.

Während ein weiterer wütender Wortschwall über mich erging, erschloss sich mir nach und nach, dass ich Sebastian Schweinsteiger in der Leitung hatte.

„Hey, jetzt mach aber mal halblang!“, unterbrach ich ihn schließlich, „Ich habe doch nur die Wahrheit geschrieben. Philipp hat einmal gedopt und tut es vermutlich immer noch, also ist er selbst schuld, wenn er solche Schlagzeilen macht!“

„Du weißt nichts, du stockdummes Madl! Der Phil hat nie gedopt. Was du da geschrieben hast, ist ein Wirrwarr aus Halbwahrheiten und haltlosen Beschuldigungen. Und wegen so was kann der Philipp vielleicht nie mehr Fußball spielen. Verstehst, was das bedeutet? Verstehst du überhaupt die Tragweite dessen, was du angerichtet hast?“, machte mich Bastian nieder.

„Ich lasse mich hier nicht fertig machen!“, entgegnete ich erbost, aber auch mit einem leichten Beben in der Stimme, „ich habe recherchiert, dass es diesen Urintest wirklich gegeben hat und Philipp positiv getestet war.“

 

„Gegeben hat es diesen Test, ja, aber es gab damals eine Urinprobe zuviel und damit zwei mit der Aufschrift Philipp Lahm. Eine davon war negativ, die andere positiv. Der Trainer sonderte Philipp dann aus und ließ seinen Urin gleich noch einmal untersuchen und auch sein Blut. Es gab keine Anzeichen auf jeglichen Drogenmissbrauch. Daraufhin wurde noch einmal die ganze Mannschaft untersucht, diesmal wurden bei jedem Spieler eine Urin- und eine Blutprobe abgenommen. Und bei nur einem Spieler konnte EPO im Urin nachgewiesen werden und genau bei diesem Spieler fanden sich auch im Blut Anzeichen auf einen Missbrauch von Erythropoetin. Dieser Spieler musste dann sofort die Mannschaft verlassen, Philipp blieb, die Sache wurde zu den Akten gelegt und nun kommst du und wirbelst alles wieder auf.

Phil hatte damals schon genug mit der Sache zu kämpfen gehabt, da der Spieler, der den Verdacht auch ihn gelenkt hatte, ein guter Freund von ihm gewesen war, und es zudem lange brauchte, bis er keine dummen Fragen mehr zu diesem Test von damals beantworten musste. Nun steht er wieder da wie der Sündenbock und selbst wenn er erklärt, was damals wirklich los war, wird er erstmal gesperrt bleiben. Auch wenn sein guter Ruf wieder halbwegs wiederhergestellt ist, ein Verdacht wird immer bleiben. Vielen herzlichen Dank auch!“

 

Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen und langsam nur kam die Erkenntnis, dass Hans-Georg mir eine ziemliche Lüge aufgetischt hatte. Eine Lüge, die zunächst so glaubhaft gewirkt hatte, dass ich sie sogar in die Zeitungen gebracht hatte. Mir wurde schwindelig und übel, wenn ich nur daran dachte.

„Ich... ich glaube, ich habe dann wohl eine Fehlinformation bekommen!“, stotterte ich.

„Eine Fehlinformation trifft es ziemlich genau. Mensch, hat man dir nie beigebracht, solche Sachen erstmal zu überprüfen?“, herrschte Basti mich an.

„Schon, aber mit dem damaligen Trainer konnte ich noch nicht reden und die Informationen, die man mir zugetragen hatte, deckten sich auch sonst mit den Fakten und der Artikel sollte bald raus und... tja da habe ich nicht weiter nachgeforscht...“

„Wunderbar!“, Schweinis Stimme klang zynisch an mein Ohr: „Und dem Philipp zerstörst du damit mal eben so seine Karriere. Ich bin begeistert! Wer hat dir diese Geschichte von damals eigentlich aufgetischt?“

„Ich, ich... also es war der Spieler, der aus dem Team geflogen ist.“

 

„Herrschaftszeiten!“, fluchte Bastian: „Und das hast du einfach so geglaubt?!“

Ich bejahte verschüchtert.

Ein erneutes Fluchen war die Antwort.

„Ich weiß, ich hätte es nicht einfach so ungefragt glauben sollen, aber es klang so überzeugend. Und dann stimmten auch noch alle Fakten, die Hans-Georg nannte. Und das kam mir dann eben schon sehr suspekt vor.“

„Verstehe!“, erwiderte Bastian kühl: „Und an den Philipp hast du dabei gar nicht gedacht, oder wie? Mann, ich hab doch gesehen, wie ihr geknutscht habt und dann ziehst du so etwas ab. Phil war schon ganz niedergeschlagen, dass du nicht mit ihm sprechen wolltest und nun machst du ihn auch noch öffentlich fertig.“

Ich war mittlerweile den Tränen nahe, beziehungsweise einzelne Tränen rollten mir schon über die Wangen, während ich die Schluchzer, die sich in meinem Hals gebildet hatten, mit aller Mühe unterdrückte. Ich wollte nicht vor Bastian losheulen. Meine Tränen konnte er ja nicht sehen, aber hätte ich laut geweint, hätte er das sicherlich gehört.

„Ich wollte das doch alles nicht! Ich habe diese Sache von Hans-Georg am letzten Wochenende gehört und dann etwas recherchiert. Leider habe ich einer Kollegin davon erzählt und die hat es dann prompt weitergetratscht. Als erstmal der Redaktionsleiter davon Wind bekommen hatte, musste ein Artikel dazu geschrieben werden. Ich wollte es wirklich nicht öffentlich machen, ich mag den Philipp doch eigentlich!“

„Dös kannst’ erzählen, wem’sd willst, aber ned mir!“, mit diesen Worten legte Bastian auf.

 

Ich brach in Tränen aus, als ich das Tuten in der Leitung hörte. So ein Mist! Was hatte ich nur getan? Philipps Karriere war vielleicht ruiniert und das alleine wegen mir. Und wieso hatte ich Hans-Georg, einem Fremden, mehr Glauben geschenkt als meinem Gefühl, dass Philipp so etwas nicht gemacht hätte?

Langsam wurde es mir klar: Ich hatte einen Fehler an Philipp finden wollen, weil ich mir sicher gewesen war, dass er, der große Fußballstar, doch nie etwas mit mir anfangen würde. Nach unserem Kuss war ich verwirrt gewesen, der Artikel in der Zeitung hatte mein Selbstbewusstsein noch weiter in den Keller getrieben und dann, als mir jemand von Philipps großen Fehlern erzählte, war ich bereit alles zu glauben, nur um nicht zuzugeben, dass ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte.

Ich hätte mir in den Hintern treten können für soviel Dummheit, denn nun hatte ich das mit Philipp und mir ein für allemal versaut. Nach der Scheiße, die ich hier verzapft hatte, würde Philipp vermutlich nicht einmal mehr ein einziges Wort mit mir sprechen.

 

Ich meldete mich für den Rest des Tages krank und fuhr heim. Dort verfolgte ich mit klopfendem Herzen die Pressekonferenz mit Philipp. Ich sah, wie die Journalisten ihn förmlich auseinander nahmen. Ich sah, wie er den Kopf hochhielt und gleichzeitig konnte ich geradezu spüren, wie fertig er war. Wieder kamen die Tränen und ich kümmerte mich gar nicht darum, wie diese meine Wangen hinunterliefen.

„Warst du das echt?“, schallte es mir plötzlich vom Flur her entgegen. Petra war offensichtlich auch endlich von ihrem Schwimmtraining heimgekommen.

„Was meinst du?“, fragte ich zurück.

„DAS!“, Petra hielt mir die Schlagzeile von heute morgen ins Gesicht.

Ich nickte stumm und verzog mich wieder in meine Ecke vor dem Fernseher.

„Stimmt das? Und wieso schreibst du so was? Ich dachte, du magst Philipp…“

„Es stimmt nicht, das weiß ich aber erst seit heute Nachmittag. Und ja, ich mag den Philipp, ich habe Riesenmist gebaut!“, informierte ich Petra, bevor mich meine Gefühle erneut übermannten und ich wieder in Tränen ausbrach.

Nach und nach erzählte ich Petra die ganze Geschichte. Sie versuchte mich so gut es ging aufzuheitern, aber wir wussten beide, dass ich mich ziemlich in die Scheiße geritten hatte. Sie riet mir, erstmal abzuwarten und mich, wenn sich alles wieder etwas beruhigt hatte, bei Philipp zu entschuldigen. Soweit wäre ich allerdings auch noch alleine gekommen. Bei dem, was ich angerichtet hatte, half eine Entschuldigung wenig. Philipp würde mir das niemals verzeihen und ich verstand ihn vollkommen, denn ich hätte ihm mein Verhalten auch nicht verzeihen können.

 

Die nächste Woche wurde hart. Ich bekam mit Günther ganz schön Stress, als sich nach und nach herausstellte, dass mein Artikel nicht gut genug recherchiert gewesen war. Glücklicherweise konnte ich darauf hinweisen, dass ich das schon vor der Veröffentlichung angemerkt hatte. Das half mir aber auch nur insoweit, dass ich meinen Job behalten konnte. Denn nachdem ich nach dem ersten Artikel über Philipp Lahm immer mehr größere Artikel zu schreiben gehabt hatte, war ich nun wieder völlig bei kleinen Praktikantinnenarbeiten angelangt. Bald schon kannte ich mich mit der Kaffeemaschine beinahe besser aus als mit meinem Computer. Zudem plagte mich das schlechte Gewissen. Ich hatte mehrmals versucht ein Interview mit Philipp über die Presseabteilung des FC Bayern zu bekommen. Aber Philipp gab keine Interviews und zu sprechen war er auch nicht. Er sei in dieser Woche nicht in der Säbener Straße, hieß es, was wohl auch stimmte, da Jürgen Klinsmann in der Pressekonferenz am Freitag davon gesprochen hatte, dass Philipp Lahm sich erst einmal eine Auszeit nehmen würde.

 

Ich verstand das gut, nur wie sollte ich mich nun bei ihm entschuldigen. Ich hatte keine private Nummer von ihm. Schließlich schrieb ich zunächst eine Mail an seine Kontaktemailadresse für Fans und schickte dann noch einen Brief an seine Fanadresse und legte noch eine Schachtel Pralinen dazu. Ich hoffte nur, dass Philipp meine Entschuldigung auf diesem Weg auch erreichen würde. Am liebsten wäre ich persönlich in die Säbener Straße gefahren, um mich bei ihm direkt zu entschuldigen, aber erstens schien er in dieser Woche kein Training zu haben und zweitens glaubte ich nicht, dass er mich sehen wollte. Vielleicht war ein Brief wirklich das Beste, sagte ich mir und dennoch konnte ich es die ganze Woche nicht vergessen, dass ich nicht wusste, ob Philipp meine Entschuldigung schon erhalten hatte.

Am Ende der Woche hatte Petra die Faxen dicke von meinem Verhalten und beschloss, wir beide müssten uns ein Wochenende weg von München gönnen. Wir fuhren mit Petras kleinen, alten Karre nach Stuttgart. Petras Familie lebte etwas abseits von Stuttgart und wir genossen  dort im Garten die leckere Schwarzwälderkirschtorte von Petras Mama.

Aber Petra war es in dem „Kuhkaff ihrer Eltern“ wie sie es nannte zu langweilig und so scheuchte sie mich nach dem Kaffeetrinken weiter nach Stuttgart in die Innenstadt. Da würden wir uns mit ihrem Cousin treffen, bei dem wir auch übernachten könnten.

 

Als wir das Cafe betraten, wo wir uns mit Petras Großcousin verabredet hatten, kam mir plötzlich ein unangenehmer Gedanke. Hatte Petra nicht mal erzählt, dass einer ihrer Cousins Philipp kannte? Ich hoffte inständig, dass es nicht dieser war, doch da sah ich ihn schon. Philipp saß an dem Tisch mit einem anderen blonden Mann, welcher Petra nun wild zuwinkte, und starrte in sein Glas. Mein Herz pochte ob der Tatsache, dass er gleich aufschauen und mich sehen musste. Er blickte hoch, sah mich und sein Blick wurde kalt, wütend, distanziert.

Ich wollte schon wieder gehen, doch Petra hielt mich fest.

„Wusstest du das?“, zischte ich ihr stinksauer zu.

„Nein, also, dass Timo ein Freund von Philipp ist, wusste ich schon. Ich hatte auch daran gedacht, dass du ihn ja nach Philipps Nummer fragen könntest, um dich zu entschuldigen, aber ich wusste nicht, dass Philipp auch hier ist. Mit so einem Glück hatte ich nicht gerechnet.“

„Von Glück kann hier glaub ich keine Rede sein!“, stellte ich leise fest, so dass uns die beiden Fußballer nicht hören konnten.

„Kennt ihr euch?“, fragte Timo nun, an mich und Philipp gewandt, weil er Philipps Erstaunen über mein Kommen und auch meine Reaktion beobachtet hatte.

„Leider“, spie Philipp aus, „das ist diese Reporterin, von der ich dir erzählt hatte!“

Ich schluckte, als ich sah, wie Timo mich erst verblüfft und dann ungehalten musterte. Dieser Trip nach Stuttgart war offensichtlich eine ganz blöde Idee gewesen.

Alles wird wieder gut by Becci

Das konnte doch nicht wahr sein. Da war ich nach Stuttgart gefahren, um ein wenig meine Ruhe zu haben und dann musste ich hier schon wieder auf diese Reporterin treffen, die offensichtlich eine Freundin von Timos Großcousine war. Wenn es dicke kommt, dann kommt es gleich richtig dicke.

Ich nahm einen tiefen Schluck aus meinem Glas. Eigentlich brauchte ich jetzt was Stärkeres als Cola, aber das stand mir gerade nicht zur Verfügung.

Während Petra und Timo offensichtlich darüber beratschlagten, wie nun weiter zu verfahren sei, setzte sich Franziska mit einem deutlichen Abstand zu mir an den Tisch.

„Also Philipp, ich… ähm… also es tut mir leid. Basti hat gesagt…“, begann sie.

„Halt einfach dei Goschen!“, fuhr ich sie an. Was sollte das denn bitte schön? Erst mich anmachen, dann mich abservieren und an eine Meute von sensationsgeilen Reportern verfüttern und nun wieder angeschlichen kommen, als sei das alles nichts gewesen, das passte mir gar nicht.

„Ich weiß ja, dass du sauer bist“, gab sie nicht auf, „aber Hans-Georg hat mir erzählt, dass du dopst und ich musste das doch wissen und dann…“

„Weißt woas? Ich will es gar net wissen. Halt einfach dei Goschen und lass mich in Ruhe!“, erwiderte ich nun noch ein wenig zorniger.

In mir brodelte es. Sie hatte vielleicht meine Karriere kaputtgemacht, verstand sie das nicht? Und das nur um selbst wohl ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen. Und ich hatte tatsächlich gedacht, dass sie mich mochte. Ein schwerer Fehler.

 

„Bitte lass mich doch erklären, Philipp, dann wirst du auch verstehen, wie es zu dem allem gekommen ist“, bat sie mich mit sanfter Stimme, mit viel zu sanfter Stimme für meine Begriffe.

„Verdammt, lass mich einfach in Ruhe! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben, nichts würde rückgängig machen können, was du mir angetan hast, also lass auch dein Gesäusel. Tief drinnen bist du doch eh eine ganz falsche Schlange und eine Schlampe zudem“, schrie ich sie an.

Erschrocken blickte sie mich an, brach dann in Tränen aus und rannte aus dem Raum. Timo und seine Großcousine blickten mich tadelnd an.

„Was?“, fragte ich erbost, „Wenn sie so empfindlich ist. Kann wohl nur austeilen, aber nicht einstecken.“

„Philipp, die ganze Sache war ein dummes Missverständnis“, teilte mir Petra mit, „sie wollte eigentlich nur herausfinden, ob du wirklich dopst und hat sich als Reporterin ausgegeben, um an die Informationen zu kommen. Und als dann ihr Chef das mitbekam, da wollte er die Story unbedingt gedruckt haben.“

„Und? Das ist nicht meine Schuld. Wenn sie sich von anderen so einen Schmarrn über mich erzählen lässt.“

Nun schaltete sich Timo ein: „Du hast ja Recht, Philipp, richtig war das alles nicht, aber nun ist sie hier und wir müssen zu viert auskommen, wenigstens für den einen Abend.“

Ich stöhnte vernehmlich, das konnte ja heiter werden.

 

Es dauerte lange, bis Petra mit Franziska zurückkam, die total verheult aussah. Na super, nun konnte ich mich auch noch schuldig fühlen, dass ich sie zum Weinen gebracht hatte. Es war eine vertrackte Situation. Sie hatte mir vielleicht die Karriere zerstört, aber sie war es, die ein Bild des Jammers bot und die jedermann, der vorbeikäme, bemitleiden würde.

Den Rest des Abends hüllte ich mich in Schweigen und trank ein Bier nach dem anderen. Es war nicht klug sich zu betrinken, wenn Franziska dabei war. Zu schnell konnte mir die Zunge locker werden und ich konnte Dinge sagen, die sie nicht wissen sollte. Und damit meinte ich keine Beleidigungen.

Bevor sie mich verraten und an die Presse verkauft hatte, hatte ich einmal mehr für sie empfunden, hatte gedacht, sie sei anders als all die anderen Mädchen. Gott, wie hatte ich mich geirrt!

Währenddessen fragte Timo Franziska aus und schien sich sogar relativ gut mit ihr zu verstehen, was ich mit ziemlicher Skepsis betrachtete. Mir gefiel es nicht, dass Timo bei Franziska auf Gutfreund machte, nachdem sie sich mir gegenüber so mies verhalten hatte, aber ich konnte da gerade auch nichts dran ändern.

 

Als wir endlich wieder in Timos Wohnung waren, wurde beschlossen, dass ich auf dem Sofa schlafen sollte, während sich Petra und Franziska das Gästezimmer teilen würde. Mein Rücken würde es mir sicherlich danken, dachte ich missmutig und packte meinen Kram, den ich schon im Gästezimmer abgelegt hatte, ins Wohnzimmer. Währenddessen blieb ich kurz an der Küchentür stehen, durch die ich Timos und Franziskas Stimmen hörte.

„Nun sag mal, wie kam denn das nun mit diesem Artikel über Philipp?“, fragte Timo Franziska gerade und hielt unwillkürlich inne.

„Ich… ich habe von jemandem gehört, dass Philipp früher gedopt hat und das hat mich erstmal nur privat beschäftigt – aus na ja, aus privaten Gründen – und dann habe ich da ein wenig rumtelefoniert und mich halt immer auch als Reporterin ausgegeben, um wirklich an Informationen heranzukommen. Dummerweise hatte ich nur auch einer Kollegin mal kurz Andeutungen dazu gemacht und irgendwie fand dann mein Chef heraus, hinter was für einer Geschichte ich her war und die wollte er natürlich für seine Zeitung haben.

 

Bisher hatte ich noch niemanden gefunden, der Philipp ob des Verdachtes zu dopen hätte entlasten können und mein Chef drängte mich die Informationen zu veröffentlichen, bevor eine andere Zeitung uns den Clou wegschnappte. Für mich hieß es entweder nachgeben oder gehen und so gab ich nach, da ich eh nicht glaubte, dass Philipp unschuldig war und habe den Artikel dann auch gleich selbst geschrieben.

Und kaum stand es drin in der Zeitung, meldeten sich plötzlich tausend Leute, die beweisen konnten, dass der positive Dopingtest damals nicht von Philipp gestammt hatte und dass die ganze Angelegenheit nicht so einfach war, wie man erst hatte annehmen können. Da bekam ich dann auch gleich wieder eins auf den Deckel von meinem Chef, weil ICH falsche Informationen rausgegeben hatte. Wirklich sehr toll! Und wegen Phil tat es mir auch leid, selbst zu dem Zeitpunkt noch, als ich glaubte, dass ich die Wahrheit schreibe.“

 

„Hmm, das ist ja sehr dumm gelaufen. Hast du ihm das denn alles gesagt?“, fragte Timo nach. Ich konnte nicht umhin, weiter an der Tür zu lauschen. Franziskas Antwort interessierte mich sehr, auch wenn es eigentlich wenig zur Sache tat, denn dass sie mich so hintergangen hatte, das würde ich ihr nie verzeihen können.

„Nicht in so vielen Worten, nein, doch er hört mir ja gar nicht zu. Aber ich verurteile ihn deswegen nicht. Ich würde an seiner Stelle kaum anders handeln. Ich habe riesigen Mist gebaut, ich hätte Hans-Georg nie Glauben schenken sollen, zumal ich den ja erst auf einer Party kennen gelernt habe, aber na ja, ich war damals so unsicher, was ich von Philipp halten sollte. Er wirkte so lieb und nett und dennoch fühlte ich mich in seiner Gegenwart so unsicher… ich… ich… bin einfach nicht so berühmt wie er. Und dann hörte ich diese bösen Gerüchte über ihn und ich musste einfach herausfinden, ob da etwas dran war, wie er wirklich war, bevor ich…“

 

„Bevor du was?“, hakte Timo nach.

„Bevor wir uns näher kennen gelernt hätten und Freunde geworden wären.“

„Du meinst doch nicht nur das, oder?“, erkundigte sich Timo mit leichter Ironie.

„Nein, nein, natürlich nicht. Ich war damals schon leicht in Philipp verliebt und ich wollte einfach nicht mich in eine Beziehung stürzen, bevor ich ihn kenne. Und dann hat Hans-Georg so schlecht von ihm geredet und ich war so verunsichert, weil ich nicht wusste, ob ich meinem Gefühl glauben konnte oder Hans-Georg recht hatte. Und dann habe ich soviel in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, was los war und damit alles nur noch schlimmer gemacht. Und nun hab ich alles versaut und Phil und ich werden nicht einmal Freunde werden.“

 

Ich sog tief die Luft ein. Franziska war in mich verliebt? Mein Kopf schien sich zu drehen. Ich hatte mir so sehr gewünscht, dass wir zusammenkämen, und nun erfuhr ich, dass sie dieselben Gefühle hegte wie ich und dennoch war da ein Graben zwischen uns. Sie hatte mir nicht vertrauen können, als ihr jemand Lügen über mich erzählt hatte, und nun konnte ich ihr nicht mehr vertrauen.

Sehr nachdenklich legte ich mich an diesem Abend auf der Couch zu Ruhe. Ich fühlte jetzt, dass es Franziska ehrlich leid tat, dass sie solche Halbwahrheiten über mich in der Presse geschrieben hatte, aber konnte ich ihr verzeihen? Sie fühlte dasselbe wie ich, aber würden wir nach diesen Dingen noch einen Weg zueinander finden? Wollte ich das überhaupt?

Ich war mir nicht sicher. Erst recht spät fiel ich in einen leichten, unruhigen Schlaf, aus dem ich allerdings auch schon sehr schnell wieder aufwachte, da das Bier, was ich am Abend getrunken hatte, auf meine Blase drückte.

Noch ziemlich schlaftrunken schlurfte ich auf die Toilette und erschrak sehr, als mir danach plötzlich eine Gestalt im Flur entgegenkam.

 

„Sorry, aber ich habe mir noch ein Glas Wasser geholt. Ich hatte solchen Durst, dass ich nicht schlafen konnte“, erklärte Franziska, die es gewesen war, die mir auf meinem nächtlichen Spaziergang in den Weg getreten war.

„Schon okay, bei mir war eher das Gegenteil der Fall. Das Bier von heute Abend forderte seinen Tribut. Bleibt nur zu hoffen, dass ich dann jetzt schlafen kann und nicht noch einmal raus muss.“

Ein leichtes Lächeln bildete sich um Franziskas Mundwinkel. „Tja, selber schuld kann ich da nur sagen.“

Ungewollt lächelte ich zurück. „Hast du wohl Recht!“

„Du, Philipp, es tut mir echt sehr leid, das alles, du weißt schon. Wenn ich es rückgängig machen könnte, dann würde ich es rückgängig machen, aber das geht wohl nicht.“

„Nein, das geht nicht“, meinte ich ruhig.

 

„Ich weiß, wir werden wohl nie wieder Freunde werden, aber es wäre toll zu wissen, dass du mich irgendwann dafür nicht mehr hassen wirst“, flüsterte Franziska und strich sich unsicher eine Strähne aus dem Gesicht.

Ich wollte etwas erwidern, doch wusste nicht, was. Irgendwie schien ich keine Worte mehr zu haben. Und ohne groß darüber nachzudenken, beugte ich mich zu Franziska hinunter und hauchte einen leichten Kuss auf ihren Mund.

Einen Augenblick schien sie zurückweichen zu wollen, doch dann zog sie mich näher an sich heran und küsste mich leidenschaftlich zurück.

Ich wusste nicht, wohin das mit uns gehen würde und ob wir das Richtige taten, ob wir trotz aller Missverständnisse, die zwischen uns gewesen waren, einen Weg zueinander finden würden, aber ich folgte in diesem Moment einfach nur meinem Gefühl und gab mich ihrem Kuss hin.

 

Dieser Weg wird kein leichter sein by Becci

Ich hätte nie gedacht, dass die Versöhnung mit Philipp letztlich so einfach werden würde. Eine Weile standen wir so im Flur und küssten uns. Ich konnte es gar nicht glauben, dass Philipp und ich hier knutschend standen, ja, ich war fast überzeugt, dass es ein Traum sein musste und ich gleich wieder aufwachen würde. Doch dem war nicht so.

Schließlich zog Philipp sich leicht zurück. „Vielleicht sollten wir noch etwas Schlaf tanken“, meinte er, ein wenig schüchtern.

Ich nickte nur. Ich spürte, wir waren uns beide noch unsicher, nicht ob wir zusammen sein wollten, sondern wie es dann jetzt weitergehen sollte. Nun waren wir beide so von Gefühlen überrollt, dass wir wohl sehr leicht etwas getan hätten, was wir vielleicht noch nicht wollten.

„Gute Nacht Franziska“, verabschiedete sich Philipp und gab mir noch einen Kuss, diesmal verhaltener.

„Gute Nacht Philipp!“

Ich kam nicht darum herum, mich noch einmal zu ihm umzudrehen, bevor ich die Tür des Gästezimmers hinter mir schloss.

Ich ließ mich auf mein Bett fallen und atmete tief ein und aus. Philipp und ich waren ein Paar. Wer hätte das nach all dem Schlamassel noch für möglich gehalten?

Ich wälzte mich im Bett hin und her, aber jetzt konnte ich natürlich nicht mehr schlafen. Mein Herz pochte laut in meiner Brust und ich hatte Schmetterlinge in meinem Bauch. Es muss schon früher Morgen gewesen sein, als ich endlich Schlaf fand.

 

Am nächsten Morgen realisierte ich beim Aufwachen erst gar nicht, was geschehen war. Nach und nach erst kam die Erinnerung und zauberte mir ein breites Lächeln aufs Gesicht, doch so ganz konnte ich meiner Erinnerung nicht trauen. War es nicht vielleicht doch ein Traum gewesen? Ich rieb mir müde die Augen.

In diesem Augenblick platzte Petra ins Zimmer. Sie war offensichtlich schon vor mir aufgestanden. Dass ich das gar nicht mitbekommen hatte.

„Philipp fragt, ob er dir dein Frühstück ans Bett bringen soll. Also Franzi, willst aufstehen oder lieber von einem Nationalspieler bedient werden?“

Petra grinste breit von einem Ohr zum anderen und in diesem Moment wusste ich, dass es kein Traum gewesen war. Philipp und ich waren ein Paar. Ich errötete leicht, da es offensichtlich schon alle zu wissen schienen, auch wenn Philipp und ich gestern gar nicht mehr darüber geredet hatten, wie es nun weitergehen sollte.

„Ich stehe schon auf“, meinte ich schnell und setzte mich auf.

„Das will ich auch hoffen, sonst schicke ich Philipp zu dir“, foppte mich Petra.

Ich rollte mit den Augen, schnappte mir meine Klamotten und verschwand ins Bad.

 

Das Frühstück gestaltete sich insoweit eher peinlich, dass Timo und Petra sich einen Spaß daraus machten, mich und Philipp aufzuziehen, nun da wir zusammengekommen waren.

„Wie ist das denn so schnell nun gekommen?“, fragte Timo, „Gebt es doch zu, ihr Beiden, ihr wart euch schon die ganze Zeit einig und dieser kleine Streit war nur Show.“

Hochrot bestrich ich mein Brötchen mit Butter, unfähig Philipp auch nur anzusehen.

Dieser zeigte sich etwas schlagfertiger. „Timo, du warst doch derjenige, der Franzi gestern auf Herz und Nieren geprüft hast… und da ich zufällig euer Gespräch mitbekommen habe, ging es dann doch ganz schnell mit der Versöhnung.“

Philipp zwinkerte mir zu, doch ich konnte nicht anders als die Stirn zu runzeln. Er hatte mein Gespräch mit Timo belauscht?

Doch Philipp formte ein „Sorry“ mit den Lippen und sah mich aus seinen treuen blauen Augen an. Da konnte ich ihm wahrlich nicht länger böse sein, schließlich hatte dieser Umstand auch erst dazu geführt, dass wir einander wieder nähergekommen waren.

Nach dem Frühstück zeigte Timo uns Stuttgart, doch Philipp und ich hatten mehr Augen füreinander als für die Stadt, sodass Timo und Petra beständig einen Grund hatten uns aufzuziehen.

 

Es wurde ein schönes Wochenende zu viert in Stuttgart und zurück nach München fuhr ich dann tatsächlich bei Philipp in seinem Wagen mit, auch da Petra doch am Sonntagnachmittag noch einmal bei ihrer Familie hineinschauen wollte.

Es war das erste Mal, seit wir zusammengekommen waren, dass wir beide wirklich ganz allein waren und zu Beginn der Fahrt waren wir beide noch ein wenig mundfaul. Während die anderen dabei gewesen waren, hatten wir sie uns ständig weggewünscht, geredet, gequatscht, Händchen gehalten und uns geküsst, wenn denn mal Timo und Petra uns nicht beobachteten, und nun waren wir beide wieder ganz schüchtern.

Unsicher bat ich, das Radio anzumachen. Aber spätestens als „Der Weg“ von Xavier Naidoo begann zu spielen und Philipp leise mitsang, war das Eis gebrochen. Ich stimmte mit ein und lachend sangen wir das Lied gemeinsam.

 

Dieser Weg wird kein leichter sein.
Dieser Weg wird steinig und schwer.
Nicht mit vielen wirst du dir einig sein,
doch dieses Leben bietet so viel mehr.

 

Zurück in München wurde es dann leider wirklich schwieriger als gedacht. Zwar war mit mir und Philipp nun alles klar, doch seine Kollegen beim Verein hatten immer noch Vorurteile gegen mich, weil ich dafür verantwortlich gewesen war, dass Philipp von der Presse in die Mangel genommen worden war. Zwar zeichnete sich hier für Philipp wieder eine etwas positivere Entwicklung ab, denn nun endlich hatten sich sein ehemaliger Trainer und einige seiner früheren Teamkollegen zu Wort gemeldet, sodass die Beschuldigung des Dopings letztendlich fallengelassen wurde. Doch auch wenn Philipp wieder spielen konnte, dieses böse Gerücht, was ich gestreut hatte, war noch in vielen Köpfen haften geblieben. Und dass mir Basti und Lukas dafür nicht so schnell verzeihen konnten wie Philipp, verstand ich sehr gut.

Aber das machte es für unsere Beziehung auch sehr schwer. Wenn die beiden oder seine anderen Spielkollegen was mit ihm unternehmen wollten, war ich grundsätzlich nicht erwünscht. Ich selbst hatte keinen Freundeskreis in München außer Petra und empfand es als sehr hart, dass Philipp und ich uns immer alleine trafen und ich nicht eingeladen wurde, wenn Lukas, Basti und Philipp samt Anhang einen trinken gingen.

Ich wollte Philipp aber auch nicht drängen, dass er sich mehr für mich und unsere Beziehung einsetzte. Ich wusste, es brauchte einfach noch Zeit, um da eine Basis zu haben, auf der ich auch mit den anderen von Bayern München wieder locker und freundschaftlich zusammensein konnte. Aber auf mir lastete dieser Konflikt dennoch und so manches Mal, wenn Philipp mir am Telefon sagte, dass er keine Zeit hätte, weil er mit den Jungs wegginge, musste ich mit den Tränen kämpfen.

 

Nach zweieinhalb Wochen geschah dann das Unvermeidliche, was unsere Beziehung noch auf eine härtere Probe stellen sollte: Es wurde bekannt, dass ich Philipps neue Freundin war. Wir waren ausnahmsweise einen Abend weggegangen zum Essen, was wir doch eher selten taten, und auch wenn wir nicht in das angesagteste Lokal der Stadt gingen, sondern zu einem Italiener, der zwar nobel, aber doch eher ein Geheimtipp war, wurden wir fotografiert.

Am nächsten Morgen konnte ich mich in der Bild auf einem halbseitigen Foto bewundern:

„Lahms neue Freundin – wer ist das unbekannte Mädchen und welche Beziehung hat Philipp Lahm mit ihr?“

Ich faltete die Bild wieder zusammen und wollte sie schon in den Mülleimer stecken. Ich interessierte mich nur sehr wenig für die Klatschpresse und solange diese Klatschreporter nicht herausfanden, wer ich war, war doch alles gut.

So dachte ich zumindest, aber ich hatte die Zeitung noch nicht zerknüllt, als Günther in mein Büro trat.

„Madel, dass du uns des verschweigst, is fei a Ding. Ich will bis heute Abend einen Bericht von dir, über deine Beziehung zu Philipp Lahm.“

 

„Was?“, fragte ich recht perplex. Ich würde doch keine Reportage über meine Beziehung schreiben. Was dachte sich Günther da bloß?

Doch Günther nickte nur. „Du hast schon Recht g’hört, nach diesem Patzer letztens, bist du uns des schuldig. Oder läuft da etwa nichts zwischen dir und dem Lahmi?“

Ich schluckte erstmal. Ich wusste, ich musste mir meine nächsten Worte genau überlegen. Ich war nicht bereit, Günther einen Bericht über meine Beziehung zuzusagen, aber wie sollte ich so was absagen? Für die Zeitung wäre es der Bericht überhaupt: Eindrücke der neuen Freundin von Philipp Lahm, aus ihrem Mund, exklusiv, wer konnte das schon sonst bieten?

„Ich kann Philipp gern um ein Interview, unter anderem zu dem Thema bitten, aber ich möchte nicht selbst damit an die Presse gehen. Ich bin keine öffentliche Person im Gegensatz zu Philipp und ich weigere mich, meine Beziehung zu vermarkten.“

Günther seufzte. „Madel, wach auf! Das ist deine Chance! Und wenn du nicht im Rampenlicht stehen willst, hätt’st dir das vielleicht überlegen sollen, bevor du mit Philipp Lahm ins Bett gesprungen bist.“

„Ich bin nicht mit Philipp ins Bett gesprungen“, wehrte ich hochrot ab. Tatsächlich war es soweit zwischen uns noch nicht gekommen.

 

Doch Günther wehrte nur lachend ab, die Tatsache, dass ich noch Jungfrau sein könnte, schien ihn köstlich zu amüsieren. „Dann kannst ja dann auch gleich über euer erstes Mal schreiben, sofern es denn stattfinden sollte.“

„Ich werde über nichts dergleichen schreiben“, erwiderte ich empört.

„Hör zu, Madel“, meinte Günther und beugte sich nun vertraulich zu mir hinunter, „Entweder du bietest uns wenigstens etwas oder… oder wir werden uns nicht mehr in der Lage sehen, dich hier zu beschäftigen. Denn irgendwer wird dich früher oder später interviewen oder ausfindig machen, wer du wirklich bist. Wenn demnach diese Sache nicht dem „Münchener Tageblatt“ zukommt, ist unser Ruf hin, also denk besser nach, Kleine, was du tust. Du kannst hier groß rauskommen oder auf die Schnauze fallen, deine Entscheidung!“

Mit diesen Worten war Günther auch schon wieder verschwunden.

Ich seufzte. Was für ein Mist! Ich sah nicht ein, meine Beziehung zu Philipp an die große Glocke zu hängen und in der Zeitung abzuhandeln. Ich war ein Mensch wie jeder andere und hatte ein Recht auf ein Privatleben. Und auch Philipp hatte dies. Konnte man uns nicht einfach in Ruhe lassen?

 

Doch nein, daran dachte Günther gar nicht. Bevor ich an diesem Abend Feierabend machte, drängte er mich noch einmal, mir diese Sache durch den Kopf gehen zu lassen. Genervt winkte ich nur ab. An diesem Bericht hing vermutlich mein Volontariat hier, aber ich würde doch nicht meine Beziehung zu Philipp ausschlachten, um beruflich besser dazustehen. Diesen Fehler hatte ich einmal gemacht, private Dinge in die Öffentlichkeit zu zerren, noch einmal würde mir das nicht geschehen

Eigentlich wäre ich an diesem Abend wieder mit Philipp verabredet gewesen, doch Phil war sehr erschöpft vom Training und meinte auch, es sei vielleicht besser, sich heute nicht zu treffen nach diesem Artikel in der Bild. Ich gab leicht frustriert nach. Schon jetzt beeinflusste dieser Zeitungsartikel unsere Beziehung, da konnte ich doch nicht noch eins draufsetzen.

Müde zappte ich durch die Fernsehprogramme und blieb schließlich bei einer Vampirserie hängen.

„Was tust du, wenn die eine Sache, die dein Leben retten würde, das Leben unerträglich machen würde?“, fragte da ein dunkelhaariger Vampir.

Der Satz ging mir durch und durch, war es nicht bei mir ähnlich? Ich konnte meine berufliche Zukunft sichern, aber das könnte meine Beziehung zerstören.

 

Als Günther mich am nächsten Tag noch einmal wegen einer Reportage ansprach, gab ich ihm erneut eine Absage. Zum Ende der Woche war ich meinen Job los, aber ich wusste, ich hatte das Richtige getan. Für meine Beziehung zu Phil hatte ich hart bleiben müssen. Nur wie sollte ich nun meinen Eltern davon berichten, was passiert war? Sie wussten bisher nicht einmal, dass Philipp und ich zusammen waren. Offensichtlich hatte von meinen Bekannten daheim niemand die Bild genauer gelesen.

Und Philipp würde ich auch davon erzählen müssen, jedenfalls spätestens dann, wenn ich kein Geld mehr für die Miete haben würde und aus München zurück nach Witten ziehen müsste.

Ich war mir sehr unsicher, wie er reagieren würde. Würde er verstehen, wieso ich es hatte tun müssen, oder würde er mich wie meine ganze Redaktion für bescheuert und sehr eigen in diesen Dingen halten? Schließlich war er das Rampenlicht mehr oder weniger gewohnt, vielleicht würde er denken, dass meine Weigerung etwas über uns zu schreiben, hieß, dass ich gar nicht offiziell seine Freundin sein wollte. Vielleicht würde er aber auch mein Opfer so verstehen, wie es gemeint war und dann wäre das Problem, dass er sich wegen mir eventuell schuldig fühlte, weil ich wegen ihm meinen Job verloren hatte. Wie es auch immer war, es würde nicht leicht werden, mit Philipp über dieses Thema zu reden und daher zögerte ich es hinaus.

End Notes:
Liedzeilen von Xavier Naidoo "Dieser Weg"
Ende gut, alles gut by Becci

Irgendwie hatte ich gedacht, dass es zwischen mir und Franzi zu einem Happy End kommen würde, nachdem sich an unserem Wochenende in Stuttgart alle Probleme erstmal in Nichts aufgelöst hatten. Doch ganz so leicht war es dann doch nicht. Basti und Lukas wollten Franziska nicht akzeptieren und mir blieb nichts anderes übrig, als meine Beziehung mit Franzi recht privat zu führen. Zunächst war dennoch alles super, ich merkte zwar, dass Franziska diese Situation nicht ganz so recht war, dass sie es nicht mochte, wenn ich sie sozusagen aus meinem restlichen Privatleben ausschloss, aber ich hätte nie gedacht, dass es sie so sehr belasten würde.

Doch eines Abends - es war Freitagabend und wir hatten uns einen Film geliehen, bei mir etwas gekocht und einfach nur auf dem Sofa gefaulenzt - meinte Franziska plötzlich: „Ich gehe weg aus München.“

Verwundert blickte ich sie an. „Das ist doch wohl ein Scherz. Und was ist mit deinem Praktikum? Schmeißt du das?“
„Ich bin gefeuert worden“, bemerkte Franzi sehr kühl, stand auf und brachte ihren leeren Teller in die Küche.

Wütend folgte ich ihr. Ich wusste, dass sie irgendwie unzufrieden gewesen war in den letzten Wochen, aber ich dachte nicht, dass sie so von mir enttäuscht war, dass sie München verlassen wollte.

 

„Was ist los?“, verlangte ich zu wissen, meine Stimme überschlug sich beinahe.

„Nichts“, erwiderte Franziska, während sie die Spülmaschine einräumte, „ich wurde nur bei der Zeitung nicht mehr benötigt und meine Eltern können mir die Wohnung hier nicht ewig zahlen.“

Ich griff ein wenig grob nach ihrem Arm. „Was habe ich falsch gemacht? Ist es wegen Basti und Lukas? Ich kann sie doch nicht zwingen dich zu mögen.“

„Nein, aber du hättest dich mehr für mich einsetzen können“, ihre Stimme war beißend, doch sogleich schlug sie wieder in einen neutraleren Tonfall um, „Es ist nicht deswegen, Phil. Es ist nicht, weil ich dich verlassen will. Wirst du mich denn besuchen kommen?“

„Natürlich, Franzi-Maus, aber nun sag doch schon, weswegen hast du deinen Job aufgegeben? Was stimmt nicht?“

Ich führte Franziska, die mittlerweile in Tränen ausgebrochen war, zurück zum Sofa, wo immer noch der Film lief. Schnell schaltete ich den Fernseher aus und zog Franzi mit mir aufs Sofa, ihre Hand nicht loslassend.

„Ich hab den Job wegen dir verloren, wegen uns, sie wollten einen verdammten Scheißbericht von mir über unsere Beziehung, aber das hätte ich nicht tun können. Ich… ich hab gewartet, bis ich es meinen Eltern gebeichtet hab und hab auch angeboten mir hier was anderes zu suchen, hab überall nach einem Job gefragt. Aber was ich kriegen könnte, würde nicht reichen. Und meine Eltern wollen nicht, dass ich mich hier mit Kellnern durchschlage.“

 

Sanft strich ich die Tränen von Franziskas Wangen.

„Aber wieso hast du mir bisher nichts gesagt? Ich verstehe, dass du den Bericht nicht geschrieben hast, aber vielleicht hätte man was anderes mit deiner Zeitung arrangieren können.“

„Das wollte ich nicht, Philipp“, flüsterte Franziska tränenerstickt, „dieser ganze doofe Job von mir hat schon einmal alles kaputt gemacht. Ich wollte, dass diese Beziehung nur uns beiden gehört.“

Liebevoll streichelte ich ihre Hand. „Ach Franzi, aber so ganz wird es das niemals sein. Mit mir an deiner Seite werden immer Leute Bilder von dir machen und dich interviewen wollen. Denkst du, dass du dich daran gewöhnen kannst mit der Zeit?“

„Das denke ich schon, aber ich will nicht meine Beziehung vermarkten. Wenn andere Fragen stellen und Fotos machen, ist das eine Sache. Wenn ich hingehe, mich auf dem Präsentierteller zeige und über unsere Beziehung schreibe, eine ganz andere. Ich hätte Geld dafür bekommen, mit dir zusammen zu sein. Und nein, das konnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“

Ich stupste mit dem Zeigefinger gegen Franziskas Nase. „Du bist so süß, weißt du das, aber was machen wir beide denn nun? Ich kann doch nicht immer in den Ruhrpott fahren, wenn ich Sehnsucht nach dir habe.“

„Was anderes wird kaum zu machen sein, Phil“, entgegnete Franziska betrübt, „aber sobald ich dann eine Uni wählen kann, werde ich hierher zurückkommen. Vielleicht kann ich hier schon zum nächsten Sommersemester anfangen zu studieren. Dann wären wir nur ein halbes Jahr getrennt. Wäre das nicht machbar, Phil?“

 

Machbar war es, doch ich musste vor mir selbst zugeben, dass mir dies nicht gefiel. Ich musste aufgrund meines Berufes schon viel reisen und wollte nicht auch noch lange Fahrten auf mich nehmen, um meine Freundin zu sehen. Fast war ich versucht, Franzi zu bitten, bei mir einzuziehen, aber ich wusste, dass dies zu verfrüht war.

Doch am Sonntagmorgen stellte ich dann endlich Franziska meinen Eltern vor. Es ärgerte mich nun, dass ich solange damit gewartet hatte. Ich hatte gedacht, dass es für mich und Franzi das Beste sei, erstmal Zeit füreinander zu haben. Aber nun, wo sie bald wieder weggehen musste, ärgerte ich mich, die Zeit, sie in mein restliches Privatleben einzubeziehen, vergeudet zu haben.

Meine Eltern schlossen Franzi gleich in ihr Herz, auch wenn gerade meine Mutter sehr verwundert war, als ich ihr davor am Telefon davon berichtete, wie das mit Franzi zustande gekommen war. Da schien sie mir fast noch entschlossen, Franziska es möglichst schwer zu machen, in unsere Familie zu finden.

„Was will dieses Mädel noch von dir, Bub, nachdem sie deine Karriere fast ruiniert hat?“, fragte sie ungehalten.

Es war ein hartes Stück Arbeit sie zu überzeugen, dass Franziska selbst eigentlich keine bösen Absichten hatte.

 

So war es für mich das größte Wunder, dass meine Mutter und Franziska, kaum nachdem ich sie einander vorgestellt hatte, gut miteinander auszukommen schienen. Vielleicht lag das auch daran, dass meine Mutter sie gleich für ein paar Minuten zur Seite genommen und auf Herz und Nieren geprüft hatte. Jedenfalls bestand Franziska den Test, auch wenn sie danach erstmal etwas scheu wirkte.

„Was hast du mit ihr gemacht?“, fragte ich meine Mutter, als ich ihr in der Küche half, das Sonntagsessen aufzutragen.

„Nichts, hab dös junge Ding nur etwas ausgefragt.“

„Und?“

„Als sie sagte, dass sie ihren Beruf nun los ist, weil sie ned über eure Beziehung schreiben wollt’, war ich zufrieden. Ich denke, sie iss scho recht. Sie hat ihren Fehler gemacht und daraus gelernt.“

 

Damit war zumindest zwischen meiner Familie und Franziska eine Brücke geschlagen. Doch bei Basti, Lukas und den anderen Teamkollegen herrschte weiterhin eine klare Front gegen meine neue Freundin. Als ich sie zu einer Überraschungs-Abschiedsparty für Franziska einlud, wollte keiner von ihnen daran teilnehmen. Es war zum Verrücktwerden, sollte dieser eine Fehler Franziskas unsere Beziehung für immer überschatten.

„Ihr seid’s so was von bleed“, entfuhr es mir nach dieser Absage meiner Teamkollegen und ich packte stumm meine Sachen aus der Umkleidekabine und ging. Ich war noch nicht einmal umgezogen oder geduscht, aber ich war so sauer auf die Jungs, dass ich keinen Augenblick länger hätte dort bleiben können ohne mit dem einen oder anderen von ihnen eine Rauferei anzufangen.

An diesem Abend bekam ich einen Anruf von Lukas. „Also Alter, es tut mir leid, also uns allen tut’s leid. Wir mögen sie halt nicht, aber sie ist deine Freundin und du bist unser Kumpel… und… ähm wir kommen doch. Aber… weil du doch sie eigentlich nicht gehen lassen willst, da ist ein Job in der Presseabteilung frei geworden. Ist sicher nicht das Richtige für Franziska, sie mag ja unseren Verein nicht mal, aber du kannst ja mal nachhaken und sie darauf aufmerksam machen.“

„Danke Lukas, das ist ja total nett von dir. Ich werd’ sie gleich anrufen und dass ihr kommt, ähm, das bedeutet mir sehr viel. Wenn ihr sie erst mal kennenlernt, werdet ihr sie auch mögen.“

„Ey, ist doch logisch… und wenn’s schon was umsonst zum Saufen gibt, da sind wir doch dabei, der Basti und ich…“, meinte Lukas flapsig, aber ich wusste, dass er nicht nur wegen dem Freibier kommen würde – und auch die anderen würden nicht allein deswegen kommen, sondern weil ich ihr Teamkamerad war.

 

Franziska war derweil weniger begeistert vom Jobangebot von Bayern München.

„Was soll ich denn da, Phil? Ich habe keine Ahnung von Fußball und noch weniger von deinem Verein. Die würden mich da nie nehmen. Zudem habe ich mir immer eine etwas andere Richtung vorgestellt.“

„Versuchs doch wenigstens“, bat ich sie und versuchte mein Anliegen mit Küssen zu untermauern. „Für uns, was wird denn aus uns, wenn du so weit weg wohnst? Und ich bin sicher, die nehmen dich mit Kusshand, bei deiner Begabung und den Beziehungen, die du hast.“

„Okay, okay, du bist ganz schön eingebildet, weißt du das?“, erwiderte Franziska.

„Ich kann’s mir auch erlauben, schließlich spiel ich auch in der Nationalelf.“

„Angeber“, schimpfte mich Franziska und warf ein Kissen nach mir. Sehr schnell entspann sich daraus eine wilde Kissenschlacht, bei der wir schließlich beide kapitulierend aufs Sofa sanken. Sanft wollte ich Franzis T-Shirt hochschieben, aber sie wehrte ab. „Nicht jetzt, Phil. Ich… ich habe noch nie, also ich bin noch…“
„Jungfrau“, führte ich den Satz für sie zu Ende.

„Genau und wenn… also wenn das mit unserer Fernbeziehung doch nichts wird, will ich nicht zu sehr an dich gebunden sein.

„Miststück“, schalt ich sie im Spaß, „da gehst du schon weg und dann lässt du mich auch noch mit nichts zurück. Das ist unfair.“ Schmollend schob ich die Oberlippe vor.

„Ich lasse dich nicht ganz mit nichts zurück“, entgegnete Franziska und küsste mir zärtlich meinen Schmollmund weg.

 

Es war der Tag von Franziskas Abschiedsparty. Ich war sehr aufgeregt, da ich nicht ganz ausmachen konnte, ob meine Teamkollegen sich auch wirklich freundlich gegenüber Franzi verhalten würden. Zudem war heute noch ihr Vorstellungsgespräch bei Bayern München gewesen und ich hatte dazu noch nichts von ihr gehört. Vielleicht feierten wir hier eine Abschiedsparty für jemanden, der überhaupt nicht weggehen würde. Doch ich rief mich wieder zur Vernunft. Ich konnte nicht davon ausgehen, dass Franzi so mir nichts, dir nichts einfach diesen Job bekam. Ich sollte besser damit rechnen, dass sie wirklich übermorgen zurück zu ihren Eltern ziehen würde.

Petra hatte sogar schon eine Nachmieterin für Franzis Zimmer gefunden. Da das Wintersemester bald starten würde, war dies kein Problem gewesen. Auch war auch alles schon gepackt. Alle Zeichen standen auf Abschied, doch so ganz konnte ich es noch nicht glauben. Sagen wir, ich wollte es einfach nicht glauben!

Die Teamkollegen trafen nach und nach ein, während ich für uns Steaks auf dem Grill im Garten briet. Ich hatte das Fest zu meinen Eltern verlegt, da auch sie sich von Franziska verabschieden wollten und wir hier auch mehr Platz hatten.

Schließlich waren alle da, alle bis auf Franziska. Einen Moment hatte ich Angst, ob sie überhaupt zu dem Abschiedsessen bei meinen Eltern – so hatte ich es unverfänglich Franzi gegenüber genannt – kommen würde.

 

Doch dann klingelte es an der Tür. Am liebsten wäre ich gleich selbst zum Eingang gerannt, doch ich befand mich im Gespräch mit Lukas, der mir erklärte, was der Unterschied war, wenn ein Kölner oder ein Bayer grillten. Und als ich mich gerade bei Lukas entschuldigen wollte, war schon meine Schwester Melanie gegangen, um die Tür zu öffnen.

„Oh“, stieß Franziska erstaunt aus, als sie in den Garten sah und all die Gäste sah. Angewurzelt stand sie einen Moment da. „Ich dachte, ich hätte eine Neuigkeit, aber wie’s aussieht, bin wohl ich mehr die Überraschte.“

„Ich hoffe, es macht dir nichts aus. Ich dachte, wir müssten deinen Abschied aus München doch noch einmal so richtig feiern.“ Mit wenigen Schritten war ich bei ihr und hatte meinen Arm um sie gelegt.

Sie zog die Nase kraus und blickte verwundert zu mir hoch. „Phil, das ist superlieb, aber… aber eine Abschiedsparty ist nicht mehr nötig. Ich gehe nicht aus München weg, die Presseabteilung von Bayern München hat mir den Job angeboten und ich hab gleich ja gesagt. Ich weiß nur nicht, wo ich dann jetzt wohnen soll, denn schließlich hat Petra mein Zimmer schon vergeben.“

„Du kannst erstmal bei mir wohnen, wenn es weiter nichts ist“, rief ich erfreut aus. „Leute, meine kleine Franzi bleibt hier in München, habt ihr das gehört?“, wandte ich mich nun auch an unsere Gäste.

„Klein? Ich?“, fragte Franziska leicht indigniert, „Schau lieber dich mal an.“

Daraufhin brachen alle in schallendes Gelächter aus.

„Wenn du so frech bist, muss ich mir das mit uns noch einmal überlegen“, schalt ich Franziska leicht empört.

Doch natürlich gab es da nichts mehr zu überlegen für mich. Es war Schicksal gewesen, dass Franzi in München blieb, da war ich mir sicher, sowie es Schicksal gewesen war, dass sie überhaupt nach München gekommen und dabei gleich auf mich gestoßen war. Ob es dann aber auch Schicksal war, dass Franziska Hausmann noch in dieser Nacht ihre Unschuld verlor, darüber kann man eventuell streiten.

 

Diese Geschichte ist archiviert auf http://rafanfiction.janeites.net/viewstory.php?sid=70