Dezember in Yorkshire by doris anglophil
Summary:

 

Hoch im Norden Englands, in Yorkshire... wir schreiben das Jahr 1473.


Categories: Freie Werke, Short Stories Characters: Keine
Genres: Realfiction
Warnings: Realfiction
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 5 Completed: Ja Word count: 7488 Read: 13578 Published: 24 Dec 2015 Updated: 31 Dec 2015
Story Notes:

 

Es geht nicht direkt um Weihnachten, weil das damals, zur Zeit besagter Geschichte, so noch nicht gefeiert wurde wie wir es heute kennen. Es gab keine Weihnachtsbäume, es gab auch keine Geschenke, aber es gab festliche Bankette, Musik und Tanz, oftmals auch Theatervorführungen. Deswegen spielt sich vieles, was ich beschreibe auch vorher ab, vor allem am Sankt Nikolaus-Tag, denn die Feste der Heiligen waren damals sehr, sehr wichtig und wurden immer irgendwie begangen/gefeiert. Hier erzähle ich die Geschichte, wie sagenhafte Juwelen bzw. ähnlich geartete Schätze, die auf Burg Middleham in Yorkshire gefunden wurde, dorthin kamen. Natürlich spielt das alles im 15. Jahrhundert... und dann ahnt ihr sicher schon, auf was es letztendlich hinausläuft.  
Es handelt sich um fünf Kapitel, also eine Short Story, die nun jeweils täglich gepostet werden!

Ich wünsche allen auf diese Weise gesegnete Festtage.

© 2015 Doris Schneider-Coutandin

 

 

Kapitel 1 by doris anglophil

 

Raureif kam zur Nacht; fast gläsern
Wirkt im Lichte welker Farn,
Lautlos riss auf Laub und Gräsern
Reifen Herbstes rotes Garn.

Wo an Sommertagen blitzte
Klaren Taues Silberschein
Am erblühten Morgen, ritzte
Erster Frost sein Zeichen ein.

Schnitt je tiefer seine Klinge,
War sein Mal seit je so weiß,
Trägt der Kälte weiße Schwinge
Nur verderbliches Geheiß?

Mit des Alters Demut neigen
Krumme Ebereschen sich
Ihrem Schatten zu und schweigen,
Schweigen, schweigen winterlich...

Wind kommt auf; die losen Reste
Ihres Laubes er verweht,
Haucht im Labyrinth der Äste
Ein verlorenes Gebet.

(Erster Frost, Uwe Nolte)

6. Dezember 1473

Mit gesenktem Kopf wegen des scharfen Nordost-Winds, lenkte der Reiter mit geübter Hand sein Pferd über das zugefrorene Feld. Trotzdem er der Witterung entsprechend angezogen war, pfiff der eisige Wind durch die vielen Stofflagen und die Fasern der groben Wolle hindurch bis auf des Reiters Knochen. Er fror nun erbärmlich und sehnte sich nach seinem Heim, den mollig-warmen Feuerstellen in dessen Mauern, und auch nach einem Becher heißen Weins, besser noch etwas Stärkeres wie ein Brand. Mit zusammengekniffenen Augen, weil diese bereits tränten, hielt der Mann auf dem Pferderücken Ausschau, um seinen Weg ausmachen zu können und nicht im Halbdunkel, da der Abend mit Macht übers Land hereinbrach, noch von seinem Pfad abzukommen. Das wäre unschön, wenngleich recht unwahrscheinlich, da der geschickte und sichere Reiter jeden Stein in dieser Gegend bestens kannte. Sein Reittier, beileibe kein plumper Ackergaul, sondern ganz klar ein Ross edleren Geblüts, war trittsicher und gehorchte sowohl Stimme als auch jedem noch so kleinen Schenkeldruck seines Reiters sofort. Es lag Schnee in der Luft, sobald sich die Wolken in der Nacht verdichten würden, würden aus ihnen große, dicke, weiße Flocken zur Erde fallen und diese mit einer pudrigen Schicht, mitunter auch mit einer ordentlichen Decke von Schnee überziehen. Seit Tagen schon waren Baum und Strauch von Raureif überzogen gewesen, doch nun würde Schnee der ohnehin schon verzauberten Landschaft noch mehr an weißer Farbe verleihen. 

In der Ferne vor sich sah er die Lichter eines Gehöfts aufblitzen, wahrscheinlich Tran-Lichter, gefasst in Stall-Laternen, die vor dem kleinen Anwesen im Wind heftig hin und her schaukelten. Er wusste genau, wessen Hof das war, er kannte fast jeden Mann, jede Frau und jedes Kind dieser Gegend, egal ob in unmittelbarer Nachbarschaft oder etwas weiter entfernt gelegen, persönlich und mit Namen.

Als er zielstrebig auf das Licht zuritt, fasste er den Entschluss, kurz am Gehöft Rast zu machen, auch wenn er es nicht mehr sehr weit nach Haus hatte, so war er doch froh, sich kurz aufwärmen zu können; und waren die Stube und der Herd auch noch so einfach, das machte ihm nicht das Geringste aus.

Vor der geduckten Bauernkate, teils aus grauen Bruchsteinen, teils aus Holz errichtet und mit Reet und Moos gedeckt, saß er erleichtert ab und führte als erstes das Pferd in den Stall, vor welchem eine der Laternen, die er zuvor aus einiger Entfernung gesehen hatte, hing. Dort band er das Tier an, damit es mit Ziege oder Kuh keinen Aufruhr gab und marschierte stracks zum winzig kleinen Haus, vor dessen Tür die zweite Laterne baumelte.

Er streifte seine Handschuhe ab, die ledernen zuerst, dann auch die wollenen, die sich darunter verbargen, und klopfte mit entblößten Fingern an die leicht morsche Tür.

„Wer da zu solch später Stund‘, bei Wind und Wetter?"

„Herr Nachbar, lasst mich ein, bevor ich erfriere, wenn's beliebt."

Er hörte Schritte hinter der Tür, die sich nun einen Spalt öffnete und erblickte das Licht einer Fackel aus Kienspan.

„Wer...", die Worte des Bauern erstarben auf seinen Lippen, als er eine vage Ahnung ihn ergriff, wer sein einsamer Gast war.

„Sei so gut und lass mich ein, es soll nur für ein kleines Weilchen sein, weil mir wirklich furchtbar kalt ist."

„Ihr... Ihr seid wohl kaum zu Fuß da, oder?"

„Nein, ich kam zu Pferd und habe es bereits in deinem Stall untergebracht, so's denn recht ist."

„Wie könnte es mir nicht recht sein? Tretet ein, rasch, damit die Kälte nicht ins Haus zieht."

Mit diesen Worten öffnete sich die Tür kurz ganz und schloss sich ebenso schnell hinter dem Reisenden wieder.

„Folgt mir ans Feuer, Euer Gnaden."

„Bitte nicht, ich habe nur als Reisender an deine Tür geklopft. Du kennst meinen Namen, so wie ich deinen kenne, Albin of Gollinglith (nicht im Sinne eines ‚Albin von Gollinglith‘, gemeint ist hier viel mehr ‚Albin aus Gollinglith‘)."

„Ganz wie Ihr wünscht, oh Herr."

Der nicht sehr große, nicht sehr schwere Mann legte lachend seinen Wollumhang ab und streifte die Gugel aus grauem Filz von seinem Kopf, wodurch sein braunes, halblanges Haar sichtbar wurde. Seine blau-grauen Augen, in denen trotz der nachwirkenden Kälte nun der Schalk blitzte, hefteten sich auf seinen Gastgeber.

„Der Herr ist unser Vater im Himmel, oder etwa nicht?"

„Na... natürlich", stammelte der verunsicherte Bauer aus Gollinglith, einem schroffen Landstrich südlich von Middleham.

„Ich freue mich, dass du darin mit mir übereinstimmst. Das Wort ‚Herr‘ mir gegenüber möchte ich also nicht hören."

Dem Bauern schien es ratsam, in dieser Frage nicht weiter mit seinem Gast zu diskutieren und so nickte er ergeben. Er hatte schon viel von dessen Freundlichkeit,  Fürsorge und Menschlichkeit gehört, allesamt Eigenschaften des hier vor ihm stehenden noblen und mächtigen Lords of the North, doch an eigenem Leib erfahren hatte er diese Eigenschaften noch nie, bis zum heutigen Abend, von einer persönlichen Begegnung wie dieser ganz zu schweigen.

„Da... dann darf es ein Becher warme Milch sein, Euer Gna... ähm... Master Dickon?"

„Sehr gern - und wie du siehst, sitzt dein Kopf noch auf dem Hals, was davon zeugt, dass du nun den rechten Umgangston gefunden hast und es mir unter den gegebenen Umständen nur recht ist, als einfacher Reisender behandelt zu werden. Ich", und nun beugte er sich zu dem ihn immer noch ungläubig anstarrenden Albin hin, „bin nämlich einer von euch, nicht mehr und nicht weniger."

Er  nahm die ihm angebotene Milch mit einem dankbaren Lächeln an und trank in kleinen Schlucken davon.

„Sehr gut, Albin, danke."

„Es freut mich, dass es Euch... dir schmeckt, Dickon."

Ganz glatt kam dem Bauern die Anrede weiterhin nicht von den Lippen, zu ungewohnt war die Situation für ihn.

„Hast du denn Frau und Kind?"

Ein Nicken war die Antwort.

„Wo sind sie aber dann?"

„Bei der Schwester meiner Frau, die im Kindbett liegt."

„Ah, eine freudige Nachricht. Seitdem ich im Sommer selbst Vater - wenn auch nicht zum ersten Mal, so doch zum ersten Mal im Ehestand - geworden bin, weiß ich ein schreiendes Bündel in der Wiege sehr zu schätzen."

„Na, du wirst doch nicht sagen wollen, dass dein trautes Weib und du keine Kinderfrau beschäftigt und du selbst nach deinem Kindlein siehst? Ein Mann deiner Herkunft, der Bruder des Königs?"

Der Dickon genannte Mann, der natürlich niemand geringerer als Richard Plantagenet, Duke of Gloucester war, stellte den leeren Becher auf den wackeligen Holztisch und wischte sich ganz unkompliziert mit dem Handrücken den Milchbart von der Oberlippe.

Dann erwiderte er: „Doch, unser Sohn Edward hat eine Amme, eine Kinderfrau. Er... er ist ein sehr kleines, zartes Kind, musst du wissen und von ebensolcher Gestalt ist meine Frau Anne. Dennoch bin ich bei ihm an der Wiege, so oft ich nur kann. Er ist wie ein Wunder für mich."

„Das verstehe ich. Alle Kinder sind ein Geschenk des Himmels, nicht wahr?"

„Ja, das stimmt. Albin, ich muss weiter, es ist noch etwa eine Stunde Ritt durch die Kälte bis Middleham. Was schulde ich dir für die Milch?"
„Wir sind Nordvolk, du, ich... und wir schulden einander nichts."

„Das hast du trefflich ausgedrückt. Ich sehe aber auch, dass du arm bist. Willst du meine Münze nicht nehmen, was ich verstehe, weil du kein Almosen haben möchtest, so nimm denn mein Wohlwollen. Solltest du jemals meine Hilfe brauchen, sende nach mir, ja?"

„Das will ich tun, my Lo... Dickon."

Er geleitete seinen hohen Gast zur Tür, der sich währenddessen Gugel und Handschuhe anzog, und als er diese öffnete, stiebten mit einem Wirbelwind die ersten zarten Schneeflocken über die Schwelle der Kate. Der Bauer blickte besorgt gen Himmel.

„Eile, Dickon, bevor's zu einem schlimmen Schneesturm wird. Behüt‘ dich Gott."

„Und Gott auch mit dir, Albin. Gute Nacht."

Mit diesen Worten schlang sich der Bruder des englischen Königs seinen Wollumhang um den Körper und strebte dem Stall zu, wo er sein Pferd losband, aufsaß und leidlich aufgewärmt im ersten Schneegestöber des kommenden Winters davonritt.

Auf Middleham Castle lief Anne, Duchess of Gloucester, unruhig hin und her. Jetzt hatte auch noch Schneefall eingesetzt und Richard war noch immer draußen unterwegs. Sie hoffte einerseits, dass er schlau sein und für die Nacht Unterschlupf suchen würde, andererseits hoffte sie aber auch, dass er binnen kürzester Zeit in den Burghof einreiten würde.

Sie drehte sich vom Fenster, durch dessen beschlagene Scheiben sie dem Schneetreiben zugesehen hatte, zum besten Freund ihres Gemahls und klagte ihm ihr Leid.

„Francis, wie konntest du ihn nur allein reiten lassen? Warum hat er sich nicht wenigstens einen Burschen mitgenommen? Einen Jäger, oder, wenn er das halt nicht wollte, einen Reitknecht oder Knappen?"

„Er hat es so verfügt. Er hat sicher nicht damit gerechnet, dass es heute schon zu schneien anfängt. Außerdem wollte er niemanden der Kälte aussetzen, auf dass keiner Husten oder Fieber bekomme."

„Sehr fürsorglich von ihm. An sich selbst denkt er wieder nicht. Was ist, wenn er vor lauter Unterkühlung krank wird? Er wird dann den ganzen Winter über husten und prusten und darüber jammern."

„Dickon jammert, wenn er einen Nasenkatarrh hat? Das wusste ich ja gar nicht. Er ist doch auch nicht zimperlich, wenn sein Rücken ihn schmerzt oder er in einer Schlacht verwundet wird. Das trägt er immer tapfer und ohne zu klagen."

Anne lachte kurz auf.

„Natürlich. Das ist ja auch um ein Vnielfaches heroischer, als mit einer Triefnase, einem Bello, der in direkten Wettbewerb zu den Burghunden tritt, und lebensgefährlich hohem Fieber wie ein kleines Kind ans Bett gefesselt zu sein. Jammerst du etwa nicht über einen derartigen ach so beklagenswerten Zustand?"

„Ich? Niema... ähm... manchmal... ein klein wenig."

„Aha. Männer! Sie verbluten lieberund ohne mit der Wimper zu zucken in einem kriegerischen Gemetzel, aber kommt es zu ein bisschen Schiefen und Schnaufen, ist das für sie nicht zum Aushalten. Ich möchte nicht wissen, was los wäre, wenn ihr die Kinder bekommen müsstet. Die Welt wäre bald entvölkert, weil das keiner von euch ein zweites Mal aushalten würde."

„Tja, Anne, was soll ich sagen: das hat der Herrgott schon alles vollkommen richtig eingerichtet."

„Es war mir klar, dass du das nun sagen würdest, lieber Francis."

Francis Lovell horchte auf, allerdings nicht nur wegen der Worte der Duchess of Gloucester.

„Und ich höre gerade Hufgetrappel und denke, der Burgherr ist in seinem Heim angekommen."

„Gepriesen sei der Herr!"

 

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