Unbekannt by doris anglophil
Summary:

 

Der Titel "Unbekannt" weist sowohl auf unbekannte Personen als auch - vielleicht - auf unbekannte Welten oder unbekannte Umstände/Situationen hin.


Categories: Sonstige Fanfiction, Novel-length Characters: eigener m/w Charakter
Genres: Generell
Warnings: Charakter-Tod
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 13 Completed: Ja Word count: 16392 Read: 41301 Published: 11 Jun 2015 Updated: 22 Aug 2015
Kapitel 5 by doris anglophil
Author's Notes:

 

Die Identitäten werden endlich gelüftet, doch vorher begibt sich die Dame noch einmal kurz auf eine falsche Fährte.

 

Wird Er mich recht führen
bei meinem Probieren,
mir schärfen die Sinne
bei meinem Beginne?

Wird Er bleiben bei mir
und mir öffnen die Tür?

Allein ist es schwer,
Gottes Hilfe tut Not.
Man braucht sie so sehr
wie das tägliche Brot.

(Tägliches Brot, Rainer Tiemann)

Mit einem tiefen Seufzer beginnt er einen weiteren kleinen Monolog: „Es scheint mir an der Zeit, den Irrungen und Wirrungen, die uns zusammengebracht haben, auf den Grund zu gehen. Ich glaube nicht, dass es bei alldem mit rechten Dingen zugeht. Ich fühle mich sehr angestrengt durch die fremde Umgebung und all die Fremdartigkeiten, die damit verbunden sind. Aber eines muss man Euch lassen - das mit dem Wasser im Abtritt ist eine wundersame Sache. Wenn ich wüsste, wie es zustande kommt, würde ich versuchen, eben dies in einigen meiner Burgen einrichten zu lassen. Das Wasser scheint durch Rohre ins Haus zu kommen, habe ich Recht?"

Ich nicke sichtlich beeindruckt. ... in einigen meiner Burgen... wow, das heißt, er besitzt mehrere, oder?

„Rohre, ja, im Prinzip verhält sich so."

Viel mehr kann ich nicht sagen, denn er bietet in dem Augenblick, als er seine Gestalt mit Bedacht auf den Barhocker zieht, einen gar zu komischen Anblick. Eigentlich sieht er nicht mal schlecht aus, ein bisschen hager vielleicht, was bei seiner nicht so ausgeprägten Körpergröße leicht unproportioniert wirkt. Ein paar wenige Pfund mehr auf den Rippen und fünf Zentimeter mehr an Höhe, dann wäre er regelrecht attraktiv zu nennen und unter Garantie unwiderstehlich, was das weibliche Geschlecht betrifft. Seine Augen sind von einem bestechenden Blau, sie stehen in reizvollem Kontrast zu seinen dunklen Haaren, die er lang trägt und die sich da, wo sie auf seine Schultern treffen ein wenig wellen.

Gewaltsam wende ich meinen prüfenden Blick ab von ihm und stürze mich wieder in die Unterhaltung.

„Bitte, hier ist Euer Tee und wenn es Rührei sein soll, sagt es mir einfach."

„Rührei? Meint Ihr gebratene Eier?"

Ich nicke rasch und er stiert wie hypnotisiert auf das Ceranfeld mit digitaler Anzeige, das bei jedem Fingertouch meinerseits ein kleines ‚Piep‘ von sich gibt.

Etwas leiser, fast eingeschüchtert fährt er fort: „Ich bin es nicht gewohnt auszuwählen, bei mir wird ohne Nachfrage aufgetischt und gut."

Dementsprechend beeile ich mich, die Eier aufzuschlagen und meine dabei: „Ich stimme zu, dass wir Redebedarf haben. Wer beginnt? Ihr oder ich?"

„Ihr... nein, doch besser ich."

„Dann nur zu."

„Wenn ich wüsste, wo ich ansetzen soll. Es kommt mir alles so undurchdringlich vor, wie ein verwachsenes Dickicht."

„Mir erst. Lasst uns bei den einfachen Dingen anfangen, bei den Namen. Mein Name ist... Kendra Clayden und ich komme eigentlich aus Thetford in Norfolk. Hier wohne ich erst seit ein paar Tagen."

„Kendra... die weibliche Form von Kendrick wohl. Ein schöner Name. Norfolk... daran habe ich gute und weniger gute Erinnerungen. Aber das soll nicht Eure Sorge sein. Thetford ist mir jedoch kein Begriff. Vielleicht nur ein unbedeutender Marktflecken. Und was meint Ihr mit ‚hier‘?"

Unbedeutender Marktflecken, ich muss doch sehr bitten. Doch ich sehe ein, dass es wahrscheinlich wenig bringen wird ihm zu sagen, dass der RAF-Stützpunkt Lakenheath dort gerade um die Ecke liegt. Ich wende mich freundlich um, um ihm die fertigen Eier zu servieren und präzisiere die Dinge.

„Es befindet sich unweit von Bury St. Edmunds. Und mir ‚hier‘ meine ich in diesem Haus."

„Bury St. Edmunds ist mir geläufig. Doch ich muss Euch bitten, mir diesen Ort unseres Befindens genauer zu beschreiben, um meinen deutlich verwirrten Geist zu erhellen."

Also gut.

„Hier bedeutet: Castle Hill, Berkhamsted, Hertfordshire."

Seine Miene hellt sich auf.

„Berkhamsted! Meine Mutter wohnt hier."

Ah, jetzt geht mir zum Glück ein Licht auf: der Junge hat sich anscheinend mit zugesoffenem Kopf auf dem Weg von einer Kostümparty nach Hause verlaufen. Ich bin erleichtert. Es gibt doch für nahezu alles eine einfache Erklärung.

„Schön, dann habt Ihr's ja nicht weit. In welcher Straße wohnt sie denn?"

Er sieht mich streng von Kopf bis Fuß an und antwortet mit einem Hauch von Verachtung in der Stimme: „Im Schloss, natürlich."

Natürlich. Ist ja auch gerade um die Ecke und steht nicht mehr. Von dem alten Kasten sind nur noch ein paar wenige Ruinen übrig. Klasse, so kommen wir nicht weiter. Wir drehen uns ständig im Kreis. Kaum glaubt man, einen kleinen Fortschritt erlangt zu haben, entpuppt sich dieser sogleich als Sackgasse.

Er fährt ungerührt fort, wobei sein Tonfall zunehmend ungnädig wird: „Außerdem bin ich mehr und mehr erstaunt darüber, dass Euch zu meiner Person nichts einfällt, obwohl es genügend Hinweise gegeben hat. Ihr seid nicht einmal zu einer korrekten Anrede fähig, was Euch genau genommen um Kopf und Kragen bringen kann."

Jetzt reicht's mir langsam! Was bildet der sich eigentlich ein? Schneit unbefugt hier herein, schwingt große Sprüche, glaubt, jeder müsse ihn kennen, lässt sich hinten und vorne bedienen und versaut mir meinen ganzen Samstagvormittag. Von meinem kaputten Handy, das er zu verantworten hat, ganz zu schweigen!

„Hören Sie... ähm, hört mich an: Ich weiß absolut nicht, was hier gespielt wird, aber ich habe das Spielchen echt satt. Ich habe Sie... Euch, einen Wildfremden, zu unchristlich früher Stunde in meinem Haus vorgefunden, Euch durchgefüttert und aufs Klo... das gewisse Örtchen gelassen, habe Euch meinen Namen genannt und war angesichts der ungewöhnlichen Situation noch richtig nett zu Euch. Sogar meine Mittalter-Kleidung habe ich wegen Euch angelegt. Ich laufe so gewiss nicht tagtäglich herum, um es mal deutlich zu sagen! Und jetzt Ihr, wenn ich bitten darf! Sofort!"

Mich trifft sein Blick, der voll der Entrüstung ist.

„Madame, wie redet Ihr denn mit mir! Ich sehe, Ihr wisst wirklich nicht, wen Ihr vor Euch habt und das erfüllt mich mit Traurigkeit. Es ist schlecht um mein Reich bestellt, wenn meine Untertanen ihren König nicht kennen."

Reich? Untertanen? König? Also doch einer aus der Klapse!

Er rutscht ebenso bedächtig vom Barhocker wie er sich vor einigen Minuten auch drauf gesetzt hat und baut sich vor mir auf, wie erwähnt nicht sonderlich groß, aber... aber... wie soll ich sagen... durchaus majestätisch. In einer kleinen Ecke meines Hirns meldet sich ein aufgeregt blinkendes rotes Lämpchen. In Windeseile setze ich ein paar geschichtliche Puzzleteile zusammen und schaue mir mein Gegenüber nochmals im Detail an. Also, angenommen der Typ hält sich für einen mittelalterlichen König, für einen, dessen Mutter in Schloss Berkhamsted gewohnt hat, dann... dann ist er für Edward den Vierten echt zu klein. Bliebe nur noch... der Atem stockt mir und ich taste willkürlich nach dem zweiten Barhocker, um mich daran festklammern zu können, falls mir die Luft gleich ganz wegbleibt... bliebe nur noch...

„Ich sehe Euch das Erkennen an, Madame. Ja, ich bin's wahrhaftig, Richard Plantagenet, König von England und Frankreich und Herr über Irland, der Dritte dieses Namens."

Ach du ahnst es nicht! Obwohl, na ja, ich ahnte es bange drei Sekunden vor seinem letzten Satz doch irgendwie. Mir schwirrt der Kopf. Ist das alles real? Sicher nicht. Und wenn doch? Was sagt man da? Majestät? Quatsch, rufe ich mich selbst zur Ordnung, das kann alles nur ein schlechter Scherz sein, mach‘ dich nicht lächerlich. Ich presse mühsam „verstehe" heraus und halte ansonsten krampfhaft meine Nase in meine Teetasse.

Mit einer Seelenruhe, fast als wäre nichts geschehen, lässt sich Seine Majestät, oder was auch immer die beschissene Anrede für diesen... diesen... Menschen wäre, wieder am Esstresen nieder und schaufelt - mit einem Löffel!, die Gabel neben ihm ignorierend - ungerührt Rührei in sich hinein.

Dazu nuschelt er: „Köstlich, wenngleich ein klein wenig zu kalt."

Als sein Teller leer ist, wendet er sich mir zu und schaut mich an, als erwarte er, dass ich auf den Knien vor ihm liege.

Da dies mitnichten der Fall ist, verzieht er seine schmalen Lippen zu einer säuerlichen Grimasse und meint dann: „Ihr habt schlechte Manieren und eigentlich sollte ich eher Weib denn Madame zu Euch sagen."

„Wie Ihr denkt, Maj... Euer... Hoheit... Gnaden. Es bliebe noch die Frage, wie Ihr in mein Haus gekommen seid."

Seine Stimmungen wechseln ganz offensichtlich schneller als ein LED-Farbwechsler in einer Lampe seine Farbe; war gerade seine Stirn noch umwölkt und musste man fürchten, dass er einen gleich fürchterlich abkanzeln würde, so umspielt nun ein leichtes Lächeln seinen Mund und sofort sieht er sehr freundlich, beinahe gut gelaunt aus.

„Ich bin erfreut, Euch anderen Sinns zu sehen und danke Euch für die mir dargebrachte Ehrerbietung. Ich würde Eure Frage nur zu gern beantworten, doch ich kann es nicht. Ich kann nur sagen, dass ich im Schloss zu Besuch bei meiner Mutter weilte und... und als sie mich bat,  bei dieser Gelegenheit einige ihrer alten Juwelen zu holen, weil sie keinen Diener damit betrauen wollte, ging ich - denn bei ihr bin ich in erster Linie folgsamer Junge und dann erst König - durch einen langen Gang zum Gewölbe, wo sie wertvolle Dinge aufbewahrt, stolperte im Dunkel, da nicht überall Fackeln brannten, fiel hin und als nächstes sah ich dann Euch vor mir stehen."

Es klingt unglaublich, doch ich spüre, dass er nicht lügt. Mein Haus liegt in Sichtweite zu den Schlossruinen und der Gang, den mein Besucher... also der König, so irre das nun auch klingt... seiner Schilderung nach entlang schritt, führt möglicherweise in Richtung Castle Hill, wo ich nun wohne.

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