Unbekannt by doris anglophil
Summary:

 

Der Titel "Unbekannt" weist sowohl auf unbekannte Personen als auch - vielleicht - auf unbekannte Welten oder unbekannte Umstände/Situationen hin.


Categories: Sonstige Fanfiction, Novel-length Characters: eigener m/w Charakter
Genres: Generell
Warnings: Charakter-Tod
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 13 Completed: Ja Word count: 16392 Read: 40808 Published: 11 Jun 2015 Updated: 22 Aug 2015
Kapitel 11 by doris anglophil
Author's Notes:

 

Nicht wundern, es geht hier heute schon weiter, denn mir sitzt die Zeit ein wenig im Nacken, nicht direkt wegen "#44on22nd", aber es hat entfernt natürlich mit dem Datum etwas zu tun. 

Kendra und Richard versuchen also gemeinsam, ihn wieder in seine Zeit zurück zu bringen. Ob's gelingt?

 

Wie hab ich das gefühlt was Abschied heißt.
Wie weiß ich‘s noch: ein dunkles unverwund‘nes
grausames Etwas, das ein Schönverbund‘nes
noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.

Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen,
das, da es mich, mich rufend, gehen ließ,
zurückblieb, so als wären‘s alle Frauen
und dennoch klein und weiß und nichts als dies:

Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen,
ein leise Weiterwinkendes - schon kaum
erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum,
von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen.

(Abschied, Rainer Maria Rilke)

Uff, wir sind den Typen endlich los. Mein Aufatmen ist deutlich hörbar. Die Sektflasche ist durch die überschäumende Flüssigkeit beinahe halbleer, doch ich nötige Richard, daraus zu trinken.

„Probier‘, es ist etwas ganz Besonderes."

Er setzt die zum Glück unversehrte Flasche an und trinkt. Als er absetzt, muss er rülpsen, zu viel Kohlensäure.

„Oh, Schaumwein. Sehr teuer. Wir armen Söhne Yorks, auch wenn wir Könige sind und waren, können uns den kaum leisten. Als ich im Exil in Brügge war, an meines Schwagers Hof, da gab es ab und zu Schaumwein. Charles ist so viel reicher drüben in Burgund als wir in England. Brügge ist eine der florierendsten Handelsstädte überhaupt. Wirklich sehr reich. Sie essen dort ständig von goldenen Tellern. Nahezu unvorstellbar hier."

„Dann trink‘ die Flasche leer, los", ermuntere ich ihn.

„Gleich. Ich... ich sehe kein Schloss, Kendra. Aber vielleicht sagst du mir, wo Nord, Süd, Ost, West ist, dann kann ich die Dinge besser einordnen und Orientierung erlangen."

Ich zeige ihm gehorsam und kooperativ, wo sich die Himmelsrichtungen befinden. Richard nickt und trinkt - endlich - die Flasche leer.

Leicht schwankend läuft er auf dem Erdwall entlang Richtung Süden, rudert unsicher mit den Armen und meint: „Dort hinten im Nordosten auf dem Burgstall steht der Bergfried. Hier unten ist der innere Burghof... und hier, direkt vor mir, der Wohnturm!"

„Dein Gemach ist wo, Dickon?"

Er dreht sich verwirrt um die eigene Achse: „Ich weiß... weiß nicht so genau. Irgendwo hier, vermutlich. Es... es ist sehr schwer, dies im Augenblick zu bestimmen."

Richard lässt sich fallen wie ein Stein und liegt nun - in den Himmel starrend - rücklings auf dem Wall. Er ist inzwischen voll wie eine Haubitze, definitiv. Der Schampus hat ihm den Rest gegeben. Ich hoffe nur, er irrt sich mit seinem zugedröhnten Kopf nicht in der Örtlichkeit.

„Kendra", ruft er mit schwerer Zunge, „warum kommst du nicht mit mir?"

Das wäre ja was. Obwohl - so verlockend die Idee auch ist, wie sollte ich das anstellen, wo ich ja nicht einmal weiß, ob er überhaupt die Zeitreise zurück antreten kann. Was würde er mir versprechen, wenn es möglich wäre? Er hat selbst gesagt, er müsse wieder heiraten. Käme ich in Frage? Ein Anflug von Größenwahn und Eitelkeit durchrennt mich kurzfristig.

Lächelnd setze ich mich neben ihn ins Gras. Ein kleiner Flirt zum Abschied kann ja nicht schaden, denke ich.

„Ich würde, wenn ich genau wüsste wie."

„Wir sind doch schon ein... ein Hochzeitspaar. Ich bin der König, ich könnte dich heiraten."

„Das würdest du wirklich tun, Dickon?"

Er nickt fest, jedoch mit eher trotzigem Gesichtsausdruck.

„Vor allem natürlich aus Dankbarkeit."

„Keine Liebe?"

„Liebe? Vielleicht. Du bist eine nette Frau, ein bisschen ungewöhnlich vielleicht, aber durchaus ansprechend."

„Danke", sage ich trocken.

So voll er auch ist, so ernüchternd sind seine Worte. Aus Dankbarkeit. Fantastisch! Es wird Zeit, ihn dahin zurück zu befördern, wo er hingehört. Ich stecke ihm das Zettelchen aus meinem Beutel unauffällig in seine Wams-Tasche und beuge mich über ihn.

„Ich wünsche dir eine angenehme Rückreise, Dickon."

Dann befreie ich das Nudelholz aus dem Tuch, mich vergewissernd, dass wir keine Zuschauer haben oder diese wenigstens so weit weg vom Geschehen sind, dass sie nicht sehen können, was vor sich geht.

Doch bevor ich noch den Griff des Nudelholzes für den auszuführenden Schlag fest umklammern kann, kommt die große Überraschung, denn Richard murmelt träge unter halb geschlossenen Lidern: „Würdest du mir einen Abschiedskuss geben?"

Ich stoße perplex die Luft aus. Dieser kleine, durchtriebene, alkoholisierte Wi... - okay, nicht in alte Muster verfallen und taktlos ordinär-modern werden, Kendra! - ... Schwachkopf aber auch! Allerdings bin ich nun doch emotional weichgeklopft, ganz ohne Frage. Wenn es ihm hilft, den Schmerz, den ich ihm gleich zufügen werde, besser zu ertragen - bitte.

Folglich nähere ich mich seinen Lippen und hauche leicht beseelt „natürlich", dann drücke ich sanft meinen Mund auf seinen. Doch es ist mehr als nur der Wunsch in mir, seine Bürde zu erleichtern. Die Welt versinkt, ich küsse - mit sichtlichem Vergnügen - König Richard den Dritten! Elektrisiert fahre ich hoch. Beinahe hätte ich mich völlig vergessen und ihn angefleht, mich mitzunehmen, wie auch immer das zustande kommen sollte. Ich kann mir ja schlecht selbst eins überbraten, oder? Der Mann hat definitiv ein Charisma, dem man sich irgendwie nicht entziehen kann. Mit dem Mut der Verzweiflung und der letzten Kraft, die ich aufbieten kann, setze ich mich auf, meinen Körper als Sichtschutz gegenüber etwaiger Zuschauer nutzend, und schlage zu. Bumm!

Ich blinzele verwirrt und stöhne laut auf! Nichts ist geschehen. Richard liegt regungslos da und langsam bieten wir beide wohl ein merkwürdiges Schauspiel. Vielleicht habe ich nicht fest genug zugeschlagen? Doch ich traue mich nicht, noch einmal das Nudelholz zu heben. Die Gefahr, dass entfernte Passanten aufmerksam werden, ist nun einfach zu groß.

„Dickon?"

Keine Reaktion. Oh Gott, hoffentlich war es nicht zu fest und er ist nun - tot!

Ich komme unter Mühen auf die Füße und stupse ihn leicht mit dem Fuß an.

„Dickon!"

Nichts. Scheiße, verdammte! Alles war umsonst. Er wird nicht zurückkehren. Er wird mit höllischen Schmerzen aus der Bewusstlosigkeit erwachen und sich enttäuscht zu mir ins Haus zurückschleppen. Ah, schau an, ein sturzbetrunkener Bräutigam, werden die Leute denken. Und dann? Keine Ahnung.

Verzweifelt schließe ich die Augen, drehe mich im Kreis und sinke zu Boden. Ich bin so hundemüde, so elend erschöpft, einfach kaputt.

Als ich die Augen wieder öffne und abermals in den Himmel blinzele, werfe ich sofort suchend den Kopf herum. Ich bin allein! Was? Wo ist er? Wo... wo ist König Richard, verflucht noch eins? Doch wohin ich auch schaue - er ist weg! Ich breche in Tränen aus. Tränen der Erleichterung, aber auch Tränen der Trauer und der Enttäuschung. Meine Gefühle fahren Achterbahn und ich bin komplett durch den Wind. Diesen Samstag werde ich nie, nie in meinem Leben vergessen. Ich taste tränenblind nach dem Fotoapparat und klicke mich durch die wenigen digitalen Bilder, die von uns beiden existieren, die definitiv beweisen, dass ich nicht geträumt habe, während langsam meine Tränen trocknen. Er hat Recht, die blöden Bilder, die in allen möglichen Quellen von ihm kreisen, spotten seiner wahren Person nur. In Wahrheit sieht er anders, nämlich sehr, sehr viel besser aus.

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