'Wales' by doris anglophil
Summary:

 

Zum Muttertag bzw. zu Christi Himmelfahrt/Vatertag 2011 etwas zum Thema "Mütter, Großmütter - zukünftige Mütter; Väter, Großväter - zukünftige Väter", verpackt in einen vielleicht ungewöhnlichen königlichen Rahmen!


Categories: Sonstige Fanfiction, Freie Werke, Short Stories Characters: Keine
Genres: Realfiction, Romanze
Warnings: Realfiction
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 2 Completed: Ja Word count: 3604 Read: 3878 Published: 08 May 2011 Updated: 02 Jun 2011
Story Notes:

 

DISCLAIMER

Diese Geschichte ist frei erfunden und hat keinerlei Bezug zum wirklichen Leben der darin beschriebenen Personen.

Die Personen gehören sich selbst, ausser denen, die von der Autorin erfunden / geschaffen wurden.

Die von der Autorin selbst erschaffenen Charaktere und die Handlung der Geschichte sind Eigentum der Autorin.

Vorsätzliche Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte sind nicht beabsichtigt.

© Doris Schneider-Coutandin 2011

 

1. Teil 1 by doris anglophil

2. Teil 2 by doris anglophil

Teil 1 by doris anglophil
Author's Notes:

 

Ein Zweiteiler, der möglicherweise trivial anmutet, der aber ein bisschen dem Thema "Mütter" im weiteren Sinne gewidmet ist. Den zweiten Teil gibt es dann - witzigerweise - an Vatertag/Himmelfahrt!

Dazu eine Anmerkung noch: Ich habe das Ganze übrigens geschrieben bevor einiges, was darin beschrieben wird sich so ähnlich tatsächlich und wahrhaftig Ende dieser Woche (also kurz vorm 8. Mai 2011) zugetragen hat! Ein Link mit diesem aktuellem Bezug wurde dazu im Forum/Board gesetzt!

 

Der blonde junge Mann ließ sich halb erleichtert, halb angespannt in die Polster der großen Audi-Limousine fallen, die sogleich nahezu lautlos, beinahe wie schwebend anfuhr.

„Bitte keine Umstände; ich möchte nur einige Einkäufe machen, ein paar Lebensmittel, ein paar Sachen des alltäglichen Bedarfs.“

„Sir…“, doch der zweite Mann im Fahrzeug kam nicht weit, da ihm das Wort sofort abgeschnitten wurde: „Es ist alles in Ordnung. Sie werden deswegen nicht ihren Job verlieren, keiner wird es merken. Ich halte dicht.“

„Dass Sie das niemandem weitersagen, Sir, ist mir vollkommen klar, doch man weiß nie, wer das noch alles mitkriegt.“

„Genau das meine ich. Warum muss man aus so einer stinknormalen – Sie verzeihen die Wortwahl - Situation einen Staatsakt machen? Warum kann ich nicht mehr selbst zum Einkaufen fahren? Ja, ich weiß die Antwort, danke! Dennoch fällt es mir ungemein schwer, mich drein zu fügen. Wenn Sie nun bitte anhalten würden, damit ich in diesen Supermarkt gehen kann, danke.“ 

Bevor noch jemand weiteren Protest anmelden konnte, war der groß gewachsene, in einem Fliegeroverall steckende junge Gentleman aus dem schweren Wagen gesprungen und mit ausladenden Schritten in der Tür des Supermarktes verschwunden.

Er hatte immer schon über eine ungewöhnliche Portion Selbständigkeit verfügt, zumindest für seine Verhältnisse. Und er konnte ungemein stur sein, wenn es darauf ankam. Sein Sternzeichen war Zwilling, da lag ein gewisses Maß an Sturheit wohl schon in den Sternen.

Er wusste, dass sie ihm folgen würden, aber er wusste auch, dass sie hier nicht wie ein ständiger Schatten an ihm kleben, sondern ihn nur aus der Ferne passiv und so diskret wie möglich beobachten würden. Immerhin etwas.

Mit seinem unnachahmlichen charmanten Lächeln, das er ganz sicher von seiner Mutter geerbt haben dürfte, ließ er sich ein paar frische Sachen an den Bedienungstheken zurechtmachen, was den Servicekräften stets aufs Neue eine verlegene Röte auf die Wangen zauberte.

„B… bitte sehr. Kann ich sonst noch irgendwie behilflich sein, kö…, doch ein halblaut gezischtes „Pscht, nicht doch“ von Seiten des Kunden ließ die dienstfertige Supermarkt-Kraft rasch verstummen. 

So wanderten die Lebensmittel nach und nach in die große Tüte und auch an der Kasse wehrte der junge Mann jeden ab, der ihm mit beflissener Geste den Vortritt lassen wollte: „Nein, ich stehe genauso an wie Sie auch, vielen Dank.“ 

Dafür liebten sie ihn. Er war einer von ihnen. Ungleich seiner Familie - dort vor allem die ältere Generation - die ganz sicher nicht wussten, was ein Pint Milch kostete, es sei denn, ein Privatsekretär würde es ihnen leise und diskret zuflüstern.

Außer seiner Mutter war er der Erste in der Familie, der sich fast ständig mit den Dingen des alltäglichen Lebens befasste und das nicht nur theoretisch. Gut, der Fairness halber musste er zugeben, dass es Zweige der Familie gab, wo man auch so ähnlich lebte, aber in der direkten Linie zum… - ja, er sprach es nur ungern aus, aber die Tatsachen ließen sich einfach nicht verleugnen – zum Thron also, gab es niemanden außer seinem Bruder und ihm, die ein einfaches, wie man immer so schön sagte „normales“ Leben versuchten zu führen. Sein Vater gab sich zwar gern den Anschein, modern zu sein, war es aber in Wahrheit ganz gewiss nicht. Lediglich seine Verdienste für die biologisch-ökologisch wertvolle Landwirtschaft konnte man bei ihm ansatzweise als Pluspunkte anführen. Wer sich nicht einmal selbst ein Paar Manschettenknöpfe anlegen konnte, konnte sich kaum auf einer Ebene mit denen befinden, die täglich einem normalen Alltag in Großbritannien ins Auge blicken mussten. 

Er war auch jemand, der stets einen Geldbeutel mit sich führte, niemand sonst aus der Familie tat das. Man ließ sich entweder alles liefern oder beauftrage Dritte mit dem Einkauf und den Abrechnungen dafür.

So blätterte er brav und konzentriert seine Pfundnoten und sein Münzgeld – alles mit dem Konterfei seiner Großmutter darauf - an der Kasse hin, wobei er die kugelrunden Augen der Kassiererin geflissentlich übersah. Beim Rausgehen drückte er die Einkaufstüte fest an seinen Flecktarn-Overall. Auf dem Namensschild auf der linken Brustseite war der Name ‚Wales‘ eingestickt.

Der Kofferraum der Limousine war bereits geöffnet und die Sicherheits-Beamten standen nun wieder abfahrbereit in seine Nähe. Mit leicht genervt verdrehten Augen deponierte er die Einkäufe im Kofferraum und stieg ein.

„Danke, dass Sie sich zurückgehalten haben.“

„Wir tun, was wir können, Sir. Aber ganz korrekt ist es nicht. Auch wenn Sie sich hier sicher glauben, es lauern überall Gefahren.“

„Ich weiß. Möglicherweise ist es naiv von mir so zu denken, aber ich fühle mich nicht bedroht. Ich lebe ja nicht erst seit gestern hier in Wales und kenne so viele Leute und sie mich. Für mich ist es beinahe absurd, den Gedanken zuzulassen, dass mir einer hier etwas Böses will. Alles was ich möchte, ist so normal und unauffällig wie möglich zu leben.“

„Das wissen wir, Sir.“

„Allerdings kein besonders cleveres Vorhaben wenn man der ist, der man eben ist. Ich komme mir manchmal fast schizophren vor.“

Der junge Mann schüttelte in leichter Verzweiflung den Kopf, fasste sich jedoch sehr schnell wieder, da sein Haus in Sichtweite kam: „Ah, Endstation. Danke, meine Herren, wünsche einen angenehmen Feierabend. Auf morgen dann.“

„Auf morgen, königliche Hoheit.“

„Wenn Sie das irgendwann noch weglassen würden, wäre das mehr als fantastisch. Schönen Abend noch.“ 

Er konnte sich nicht mit allen und jedem verbrüdern, das war ihm bewusst. Es würde irgendwann einmal bewirken, dass niemand mehr Respekt vor ihm haben würde und das war keine gute Voraussetzung für seinen zukünftigen Job. Der – würde es nach ihm gehen – am besten auf ewig in weite Ferne gerückt bleiben sollte.

Das Haus war idyllisch gelegen, man roch noch immer das salzige Meer hier und etliche Möwen kreisten schreiend über der Landschaft.

Es war natürlich extrem gut gesichert, aber das ging zum Glück alles sehr unauffällig vonstatten, es nahm kaum jemand die Wach-Patrouillen wahr oder dass alles mit der neuesten Sicherheitstechnik rund um das Anwesen und im Haus ausgestattet war.       

Auf dem Grundstück und im Haus war man endlich vollkommen sich selbst überlassen. Es gab kein Personal, sah man von der Haushaltshilfe ab, die ein- bis zweimal pro Woche je nach Bedarf für ein paar wenige Stunden ihren Dienst versah. Er seufzte: Wieso konnte es nicht immer so sein? Ein schönes Cottage, nette Umgebung, freundliche Leute, ein guter Beruf, eine zauberhafte Frau – er brauchte das andere alles nicht. 

Nein, er musste ehrlich zu sich selbst sein. Er brauchte es schon, weil es nun einmal seine Familie beinhaltete. Seinen Vater, seine Stiefmutter, Onkeln und Tanten, vor allem aber seine Großmutter, die sich mehr als sechzig Jahre lang für dieses Land aufgeopfert hatte. Ja, klar, sie gehörte einer völlig anderen Generation an, einer, die man heute nicht mehr verstand und die sich irgendwann selbst überdauert hatte, dennoch konnte man ungemein viel von ihr lernen. Und so hatte er etwas mit auf den Weg bekommen, das äußerst segensreich war: Er hatte gelernt, ein Leben wie jeder andere Europäer auch zu leben und er hatte gelernt, welche Bedeutung es hatte eine Krone auf dem Kopf zu tragen. Beide Erfahrungen wollte er nicht missen, denn er wusste, dass beides absolut prägend für ihn gewesen war.

Seiner Mutter hatte er den Einblick in die halbwegs normalen Seiten des Lebens zu verdanken, sie hatte ihm trotz ihres zuletzt unsteten Jetset-Daseins klar gemacht, dass man unbedingt auch außerhalb des goldenen Käfigs zum Freiflug ansetzen musste; seine Großmutter und sein Vater hatten ihm gezeigt, was Disziplin, Haltung und Loyalität zu Land und Krone bedeuteten.

Wertvolle Erfahrungen – aber auch welche, die schwer wogen und Kopfdrücken verursachen konnten. 

Es war eine Zwickmühle, zwangsläufig zur Ich-mache-demnächst-alles-anders-Generation zu gehören, denn nicht alles, was die Monarchie ausmachte war schlecht. Zuviel Aufräumaktion würde sicherlich überall im Land und darüber hinaus für Unruhe und Unsicherheit sorgen; zu wenige Reformen würden ihn hingegen schwach und unfähig erscheinen lassen. Gott, er wollte darüber jetzt noch nicht nachdenken!

Er wollte einfach nur morgens aufstehen, mit seiner Frau frühstücken, dann zur Arbeit abdüsen, den Heli gut in die Lüfte bringen und Menschen in Not helfen. Und doch war da immer - mehr.

Er schüttelte unwirsch den Kopf, als er auf der Kommode die Post aus dem Palast sah. Als hätte er es geahnt. Er hasste die schwarzen Boxen mit dem königlichen Wappen darauf, die diejenigen Schriftstücke brachten, die man nicht per Mail übertragen konnte. Wenn sie bei ihm angeliefert wurden, verhieß das nur selten etwas Gutes. Meist waren es offizielle Termine, die abgehandelt werden mussten. Da eine Schule besuchen, dort ein Bäumchen pflanzen, hier eine Rede halten und so weiter. All das war auch immer mit viel Presse verbunden. 

Er drückte sich beide Hände flach an die Schläfen, der Kopfdruck nahm allein bei dem Gedanken daran zu. Sein Verhältnis zur Presse war ambivalent. Die erste Erinnerung war noch präsent, vor allem, da diese Szene noch heute ab und zu durch die Medien geisterte.

Als zweijähriger Steppke war er vor die versammelte Meute gestellt worden und hatte daraufhin völlig überrascht gefragt: „Was ist das?“

Sein Vater hatte damals kurz und trocken geantwortet: „Kameras.“

Und so war es bis heute geblieben. Sie verfolgten ihn auf Schritt und Tritt. Wie sie auch seine Mutter verfolgt hatten – bis in den Tod!

Er wusste, er machte es sich zu einfach, wenn er behauptete, dass die Medien an ihrem Tod schuld waren. Es war nicht gerecht, es war verallgemeinert. Und doch lag darin der berühmte Funken Wahrheit. 

Sein Umgang mit der Presse ging von absolut zurückhaltend und reserviert bis fröhlich und locker. Wobei er sich bei Anlässen, zu denen die Presse offiziell geladen war, wesentlich leichter tat als wenn man ihm unterwegs irgendwo unerwartet auflauerte. Das konnte er noch immer nicht ausstehen und nur seine gute Erziehung hielt ihn dann davon ab rasend wütend zu werden.  

Was also würde man ihm nun wieder aufbürden? Er schielte skeptisch hinüber zu den Dokumenten, wollte aber zuerst die Einkäufe loswerden und seine Frau begrüßen.

Teil 2 by doris anglophil
Author's Notes:

 

Passend zum heutigen Feiertag nun der zweite und letzte Teil der Story, in der es ja sehr weit gefasst um Ehe, Mütter, Väter, Traditionen, alt, neu, Vergangenheit, Zukunft geht. Dies alles aus Sicht bzw. der Erzählperspektive eines modernen, jungen Mannes, was natürlich dem heutigen Tag thematisch gut steht.

Dazu noch das folgende Original-Zitat: "Modernisation is quite a strong word to use with the monarchy because it's something that's been around for many hundreds of years. But I think it's important that people feel the monarchy can keep up with them and is relevant to their lives. We are all human and inevitably mistakes are made. But in the end there is a great sense of loyalty and dedication among the family and it rubs off on me. Ever since I was very small, it's something that's been very much impressed on me, in a good way." ------ Prince William on his twenty-first birthday

 

Wo war sie? Sie musste doch gehört haben, dass er das Haus betreten hatte, normalerweise bekam man immer eine kurze Meldung von der Alarmanlage, wenn jemand mit Befugnis eintrat.

Der Gag war, dass dabei tatsächlich eine Stimme verkündete: „Mr. Wales ist da.“

Zu Anfang hatten sie sich über die nette technische Spielerei immer halbtot gelacht.

Ob sie vielleicht im Bad war? Im Geiste ging er noch einmal die Einkäufe durch und hoffte nichts vergessen zu haben, sie würde ihn sonst schimpfen. Bei diesem Gedanken stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen, eines von der Sorte, die ihn fast zum Verwechseln ähnlich mit seiner Mutter aussehen ließen. Abgesehen davon, dass sie mit Mitte Dreißig weiterhin tolle, volle Haare gehabt hatte, während er mit Mitte Zwanzig bereits am Hinterkopf kahle Stellen aufwies.

Frauen hatten es da viel besser, es war nicht fair! 

Sollte er sie überraschen, falls sie ihn doch nicht hatte hereinkommen hören oder sollte er sich laut bemerkbar machen und sie rufen? Im Haus musste sie sein, ansonsten hätte sich ein Riesen-Apparat an Sicherheitsvorkehrungen in Bewegung gesetzt und man hätte ihn davon informiert.

In der Küche setzte er die Lebensmittel ab, öffnete den Kühlschrank und verstaute das, was leichter verderblich war. Dann nahm er sich eine Flasche Bier heraus, öffnete diese, wollte spontan daraus trinken, besann sich dann doch seiner exquisiten Manieren und schenkte etwas davon in ein Glas.

Mit Skepsis im Blick trank er es leer, stellte es ab und nahm grinsend einen weiteren Schluck direkt aus der Flasche, es sah ja niemand. Bier schmeckte einfach genial gut aus der Flasche. Sein kurz zuvor plötzlich eingesetzter Kopfdruck ließ zum Glück nun wieder nach. 

Es hatte einmal eine Zeit gegeben, vor allem, als sich herausgestellt hatte, dass das Leben seiner Mutter so ziemlich eine einzige Hölle auf Erden gewesen war, da hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als alle Pflichten ein für allemal hinter sich zu lassen. Er hatte die Last der Krone viel zu früh zu spüren bekommen und er hatte dagegen rebelliert. Nicht offen zwar – nicht, dass er sich das nicht getraut hätte, aber er hatte seinem Vater und seinen Großeltern nach dem Tod der Mutter nicht noch mehr Kummer machen wollen – doch er hatte seiner Bestimmung eine ganze Zeit lang nicht mehr folgen wollen. Sollte doch nach seinem Vater König oder Königin werden wer wollte, er würde sich diese bleischwere, verdammte Krone gewiss nicht auf seinen Kopf setzen lassen! 

Es hatte viele Jahre gedauert, bis er wieder anders hatte denken können. Erst als er ein bisschen Unbeschwertheit in seinen letzten Schuljahren und während seines Aufenthaltes in Chile erlebt hatte, vor allem aber als er mehr oder weniger vollkommen auf sich allein gestellt in Schottland auf die Uni gekommen war und dort die Frau fürs Leben kennengelernt hatte, hatte sich seine Einstellung ganz langsam wieder geändert. Dass er mittlerweile recht gefestigt hinter dem stand, was ihn in Zukunft erwartete, hatte er einzig und allein seiner damaligen Freundin und heutigen Frau zu verdanken. Durch sie hatte er seinen eigenen Wert, seine Bestimmung und sein Schicksal erst in vollem Umfang begriffen. Das hatte er so auch seinem Vater und seiner Großmutter gesagt, die zunächst von seiner Beziehung zu dieser jungen Dame nicht sonderlich begeistert gewesen waren. Erst als er seiner engeren Familie hatte klarmachen können, welchen Einfluss sie auf und welche Bedeutung sie für ihn hatte, war man geneigt gewesen, sie mit offenen Armen aufzunehmen. Sie hatte der Monarchie vermutlich einen größeren Dienst erwiesen, als er es jemals getan hatte und zukünftig tun konnte. 

Inzwischen sah er auch die zweite Frau seines Vaters mit ganz anderen Augen, er mochte und schätzte sie sehr. Er konnte die Dinge, die sich vor zwanzig, dreißig Jahren ereignet hatten, nunmehr ganz anders bewerten. Niemand – von den bescheuerten Paparazzi vielleicht abgesehen – war Täter, es waren alle nur Opfer gewesen. Jeder hatte jedem, größtenteils unabsichtlich, weh getan, aber nur, weil ihnen gar keine andere Wahl geblieben war.

Seine Mutter blieb ihm unvergessen, aber es hatte einen Punkt gegeben, an dem er verstanden hatte, dass auch sie bei weitem keine Heilige gewesen war. Sie hatte ihre Fehler gehabt. Sie hatte – nachdem sie ihre anfängliche jugendliche Naivität abgelegt hatte – begonnen, in einem Spiel mitzuspielen, das hochbrisant gewesen war. Nur – sterben hätte sie nicht müssen. Das war einfach nicht fair! 

Er wusste auch, dass sie nicht gewollt hätte, dass er sich seiner Verantwortung entzog. Und fast hellseherisch hatte sie damals in dem legendären – ihm aber recht verhassten – TV-Interview gemurmelt, dass sie niemals Königin dieses Landes sein werde. Recht hatte sie behalten, leider. Sie sollte aber im Nachhinein Grund haben, stolz auf ihn zu sein. Deswegen hatte er sich selbst am Riemen gerissen und sich dem ihm vorgezeichneten Lebensweg gefügt. Er hatte – nach einem letzten Anfall von Trotz nach seiner ersten militärischen Ausbildung, als er nämlich seiner Liebsten aufgrund eines unbezähmbaren Aufwallens von Freiheitsdrang den Laufpass gegeben hatte – endlich angefangen, Nägel mit Köpfen zu machen. 

Er hatte sich eine vorläufige Tätigkeit gesucht, einen Job, der ihm gefiel und zugleich seine Interessen und Aufgaben gut abdeckte. Dann hatte er sich sein Mädel wieder zurückgeholt, wohl wissend, welche Konsequenz das haben würde, und er hatte sich innerlich für alle kommenden Aufgaben gewappnet. Seine geistige Reife war zu einer ersten großen Vollendung gekommen.

Mit dem Heiratsantrag hatte er dies alles konsequent weiter durchgezogen und das Merkwürdige daran war, dass er sich seit vielen Jahren zum ersten Mal recht wohl damit fühlte.

Dass seine Hochzeit zu einem medialen Großereignis geworden war, war ihm zwar weniger angenehm gewesen, doch er wusste, dass sich dies in seiner Position einfach nicht hatte vermeiden lassen. Und etwas Romantik durfte man seinen Landsleuten und der halben restlichen Welt ruhig gönnen. Seine Frau und er hatten versucht, das alles möglichst auszublenden und sich nur auf sich zu konzentrieren. So war es ihnen möglich gewesen, den Hochzeitstag in all dem Trubel zumindest ein bisschen zu genießen. 

Nach so vielen Jahren der Beziehung kannten sie sich recht gut, große Überraschungen gab es kaum noch. Daher hatte er sich sofort einverstanden erklärt, dass sie alles, was sie als Braut betraf, ihm gegenüber strengstens geheim halten würde. So hatte er nicht ein einziges Detail über ihr Brautkleid, ihre Frisur, ihren Schmuck, ihre Blumen oder sonst irgendetwas gewusst. Er hatte nur darum gebeten, dass man sie nicht so dermaßen überstylte, dass er Mühe haben würde sie zu erkennen. Alles andere war in der Tat eine große Überraschung gewesen. 

Er war vor Neugierde und Nervosität vorm Altar fast gestorben, vor allem als sein Bruder ihm dann gesagt hatte, er solle sich auf etwas gefasst machen. Und als er sie dann endlich an seiner linken Seite hatte sehen können, waren ihm die Knie mächtig weich geworden. Er hatte nicht einmal das Diadem gekannt, obwohl man ihm anschließend mitgeteilt hatte, dass es ein Stück seiner Urgroßmutter gewesen war. Nun ja, die Schmuckschatulle seiner Großmutter war reich gefüllt und von diesen Dingern auf dem Kopf der Damen hatte er ohnehin wenig bis gar keine Ahnung. 

Kurz und gut: Die Überraschung war seiner Frau voll und ganz gelungen! Er hatte sie traumhaft schön gefunden, hatte seine Gefühle allerdings nicht recht in die passenden Worte kleiden können. Er selbst hatte sich als linkisch und unbeholfen empfunden und er hatte den Ring nicht gut über ihren Finger bekommen. Beim Auszug aus der Kirche hatte er dauernd Angst gehabt ihr aufs Kleid zu treten und dies womöglich mit so weitreichenden Folgen wie Stolpern, Hinfallen oder gar das gute Stück heftig einzureißen. Später auf dem Balkon hatte er zwar gewusst, was die Leute sehen wollten, hatte sich aber schrecklich unter Druck gesetzt gefühlt. Wenn er eines gewiss nicht gut beherrschte, dann war es auf Kommando einen liebevollen Kuss zu geben. Unbeobachtet war das gar kein Thema, aber dort oben und unter den kritischen Augen seiner Großmutter - schrecklich! Am liebsten wäre er in ein tiefes Loch versunken. Hinterher hatte er sich über sich selbst geärgert, aber was half’s. Er wollte nicht, dass die Leute dachten, er sei ein unfähiger Blödmann, doch es war nicht einfach, alles richtig und jedem Recht zu machen. Schon gar nicht, wenn – wie schon erwähnt - Granny ihn ständig beobachtete! Nicht dass er sich vor ihr fürchtete, nein, aber sie hatte eine Art alles, wirklich alles zu bemerken und dann auch mit ihrer kritischen Meinung darüber nicht hinterm Berg zu halten. Ein Rüffel von ihr war mehr als ernst zu nehmen und machte klar, wie nah an der Perfektion sie sich bewegte. 

Gut, genug gegrübelt. Wo also befand sich seine Frau? Er verkniff sich nach ihr zu rufen und stürmte ins Obergeschoss des Hauses. Mittlerweile war er sich sicher, dass sie ihn mit voller Absicht nicht unten erwartet und begrüßt hatte. Wieder eine Überraschung? In letzter Zeit wurde er wahrlich häufig überrascht, er könnte sich direkt daran gewöhnen.

Er hatte bereits die Box Palastpost vergessen, als er an die Badezimmertür klopfte: „Hi, bist du hier drin?“

Keine Antwort. Er hatte eine vage Ahnung dessen, was ihn gleich erwarten würde und eine Hitzewelle stieg ihm zu Kopf. Er bekam davon immer sehr unschöne hektische, rote Flecken im Gesicht, aber hier war es ihm gerade völlig egal. 

In seinem Eheleben war er bemüht, den Gedanken an den Fortbestand der Familie – ja, gut, der Dynastie - möglichst völlig auszublenden. Wenn er ehrlich zu sich selbst und ehrlich zu seiner Frau war, dann waren so schlimme Worte wie Zuchthengst oder Zuchtstute nicht einmal ungerechtfertigt. Waren sie denn etwas anderes? Eigentlich nicht, es war unter anderem ihre Aufgabe. Dennoch war es unangenehm, die Sache von dieser Seite zu betrachten. Realistisch war es vielleicht, aber nichtsdestotrotz unschön. Es waren blödsinnige Gedanken. Er sollte sich auf etwas anderes konzentrieren, auf die netten Aspekte seines Lebens, auf das Abendessen, auf das Bad, das er zu nehmen gedachte, auf die Überraschung, die ihn offensichtlich erwartete. 

Vorsichtig öffnete er die nächste Tür ohne anzuklopfen, was ihm sichtlich schwerfiel, denn das Anklopfen war ihm von klein auf in Fleisch und Blut übergegangen. Ihm stockte der Atem, aber aus einem völlig anderem Grund, als er sich vorgestellt hatte: Sie lag im Bett, das brünette Haar wirr über die Kissen verteilt und schlief seelenruhig!

Er wusste nicht, ob er lachen oder ein bisschen ungehalten sein sollte. Aber ihr Anblick rührte ihn so, dass er ihr einfach nicht böse sein konnte. Weswegen auch? Sie hatten beinharte Wochen und Tage hinter sich und irgendwann holte sich der Körper halt mal sein Recht. 

Halb enttäuscht, halb amüsiert stahl er sich leise wieder aus dem Raum und nahm sich vor, ein paar Dinge fürs Abendessen vorzubereiten und nach Möglichkeit auch ein Bad zu nehmen, als sie hochschreckte: „Was… oh Mist! Ich bin eingeschlafen.“

Er machte an der Tür kehrt und wandte sich ihr wieder zu: „Kann man so sagen.“

„Wie lange bist du schon da?“

Er sah auf die Uhr und meinte: „Seit einer guten Viertelstunde, schätze ich.“

„Hast du eingekauft?“

„Ja, Ma’am und ich hatte Mühe, die Security auf Distanz zu halten, die Bedienung an der Theke vom Hofknicks abzubringen und einen Mann vor mir an der Kasse davon, mich großzügig vorzulassen.“

Sie lachte leise: „Typisch. Hast du die Postboxen gesehen?“

Er nickte mit düsterem Blick: „Oh ja.“

„Du brauchst ein positives Erlebnis, damit du dich gelöst mit dem Kram nachher beschäftigen kannst.“

Er nickte erneut, diesmal mit deutlich verschmitzterem Blick: „Gut. Was schlägst du vor?“

„Dumm gelaufen, dass ich eingeschlafen bin. Es war anders geplant.“

„Aha.“ 

Obwohl er recht einsilbig blieb, drehte sie sich äußert geschickt zu ihm hin, wobei er ansatzweise bereits in den Genuss des Hauchs von Nichts kam, das sie trug und zwinkerte ihm neckisch zu: „Dann würde ich sagen, willkommen zu Hause, Mr. Wales!“

Er lachte befreit auf und sank zu ihr in die Kissen: „Bei Gott, so lobe ich mir das. Guten Abend, Mrs. Wales!“

 

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