Summary:
Es gibt noch Wunder - ein britischer Filmstar dreht in der bayerischen Provinz! Tatsache...
Categories: Short Stories,
Sonstige Schauspieler,
Matthew Macfadyen,
Realfiction Characters: Matthew Macfadyen
Genres: Realfiction
Warnings: Realfiction
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 3
Completed: Ja
Word count: 3583
Read: 7885
Published: 29 Aug 2010
Updated: 29 Oct 2010
Story Notes:
DISCLAIMER
Diese Geschichte ist frei erfunden und hat keinerlei Bezug zum wirklichen Leben der darin beschriebenen Personen.
Die Personen gehören sich selbst, ausser denen, die von der Autorin erfunden / geschaffen wurden.
Die von der Autorin selbst erschaffenen Charaktere und die Handlung der Geschichte sind Eigentum der Autorin.
Vorsätzliche Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte sind nicht beabsichtigt.
© Doris Schneider-Coutandin 2010
1. Bamberg by doris anglophil
2. Würzburg by doris anglophil
3. Berlin by doris anglophil
Bamberg by doris anglophil
Bamberg! Hallo – Bamberg! Vor einem halben Jahr hatte er nicht einmal gewusst, wo das liegt. Und nun war er hier, in einer deutschen… oh Verzeihung, in einer bayrischen Stadt irgendwo in der deutschen Provinz. Also schon schön, keine Frage. Aber überschaubar. Nett, pittoresk, eben ein real gewordenes Filmset. Im Prinzip ähnlich wie damals Stamford bei „Pride & Prejudice“. Nur halt durch und durch… bayrisch.
Der Ort hatte sein Gutes. Es gab dort soviele Brauereien wie wohl nirgendwo sonst auf der Welt. Biersorten, von denen er noch niemals zuvor etwas gehört hatte. Völlig irre, diese Bayern.
Er schüttelte wie zur Bestätigung dieser Behauptung seinen Kopf, was zur Folge hatte, dass seine langen, leicht zotteligen Haare ausgiebig hin und herflogen. Nur gut, dass er diese Filmfrisur sich erst so spät wie möglich hatte machen lassen; nicht schon zur Pressekonferenz in München.
Den Bart hingegen hatte er sich selbst stehen lassen, ein bisschen in Form und Stil der erforderlichen Mode des angehenden siebzehnten Jahrhunderts. Er hatte so oft schon für Film-, Fernseh- oder Bühnenrollen seine Frisur abändern müssen, von einer Tonsur über lange, grau-blonde Fransen bis zu ölig-pappigem Vorkriegs- oder Kriegshaarschnitt war alles dabei gewesen, doch diesmal war es zeitlich einfach nicht drin gewesen.
Er mochte eigentlich keine Perücken. Für seine Rolle als Sheriff of Nottingham hatte man ihm damals ein Exemplar verpasst, das eher zu einem Neandertaler gepasst hätte. Entarteter Jesus, hatte er selbst sich durch den Kakao gezogen.
Es war ihm also klar gewesen, dass er für die Rolle als Musketier seine Haare aufgrund der vorherigen Verpflichtungen auf der Theaterbühne und für einen Fernsehfilm nicht schnell genug würde wachsen lassen können. Demnach war ja nur noch eine Perücke in Frage gekommen. Oder diese verdammten Extensions, die man dem Jungspund D’Artagnan verpasst hatte. Horror!
Leicht unwillig zogen sich seine Augenbrauen zusammen und er schaute für einige Sekunden ziemlich finster drein.
Auch das Wetter trug nicht zur Hebung seiner Stimmung bei.
Solches Wetter war normalerweise das gängige Klischee für seine Heimat, für Großbritannien.
Er war vor einiger Zeit bereits bei Regen in München angekommen. Und das war eigentlich stets so weitergegangen – Schauer, Niesel, Gewitter, Starkregen, dazwischen mal kurze Perioden des Aufklarens. Zwei Tage hatte man in Bamberg bei recht angenehmem und trockenem Wetter drehen können, dann wieder das Gleiche: Starke Gewitter, viel Regen. Und da soll noch einer auf die britischen Inseln schimpfen! Hier war es ja noch viel schlimmer!
Die tollen Filmlocations, die ihn zu Anfang seiner Verpflichtung auf Fotos völlig vom Hocker gerissen hatten, kamen so gar nicht mehr gut zur Geltung. Mit etwas mehr Sonnenschein würde das halt viel besser ausschauen. Nun ja, vermutlich hatte es in Paris um 1615 auch nicht nur schönes Wetter gegeben.
Er seufzte. Deutschland war zweifelsohne ein sehr schönes Land, total geschichtsträchtig, mit historisch unglaublich gut erhaltenen Kleinstädten, mit Schlössern, an die selbst England im Leben nicht herankam – aber er fand, es war auch ein recht kompliziertes Land.
Er lächelte. Schloss – ein deutsches Wort, das er mit als Erstes gelernt hatte. Außer natürlich den Höflichkeitsfloskeln 'bitte, danke, guten Morgen, guten Abend, gute Nacht'.
Es passte soviel besser zu diesen prächtigen Gebäuden, als es das englische Wort 'castle' jemals ausdrücken konnte. Schloss, das war etwas dazwischen, zwischen 'castle' und 'palace'.
Ja, die Sprache fand er schrecklich kompliziert und er war heilfroh, dass so ziemlich jeder hier Englisch konnte. Würde man jemanden in England auf der Straße in Deutsch nach dem Weg fragen, würde man nur Schulterzucken ernten. Hier war es umgekehrt überhaupt kein Thema. Ein paar Brocken Englisch konnte hier jedes Kind, um einem desorientierten Touristen behilflich sein zu können.
Ganz zu schweigen von der deutschen Presse, die sich mehr oder weniger komplett in sehr gutem Englisch auf der Pressekonferenz präsentiert hatte.
Er war überaus erstaunt über diese Tatsache gewesen. Und gleichzeitig war er unendlich erleichtert und dankbar gewesen, dass an die dreihundert Journalisten ihm selbst keine einzige Frage gestellt hatten. Schwein gehabt.
Einmal hatte er kurz das Wort ergriffen, eine allgemeine Frage alle drei Musketiere betreffend. Danach hatte er dem Spektakel eigentlich nur noch als Beobachter beigewohnt.
Es war teilweise sehr peinlich gewesen. Er hatte einige Male den Umstand verflucht, dass man ihn ganz vorne mittig postiert hatte. Hätte er nämlich irgendwo neben an der Seite gesessen, wäre er noch viel weniger im Fokus der Aufmerksamkeit gewesen und hätte sich bei einigen der blamablen Antworten und Verhaltensweisen der Kollegen und Kolleginnen noch mehr in seinen Sitz verdrücken können. Zum Glück hatte er trotz seiner Körpergröße und physischen Präsenz die Fähigkeit völlig in den Hintergrund abtauchen zu können, sich selbst fast unsichtbar machen zu können. Dafür war er sehr dankbar.
München war sehr schön gewesen. Nicht dass er sehr viel davon gesehen hätte, aber natürlich hatte man dort mit dem Bayerischen Hof ein Hotel der Extraklasse; wo es ihm unglaublich gut gefallen hatte. Er selbst war nun sicherlich nicht der extravagante, mit tausend Sonderwünschen ankommende, hochanspruchsvolle Stargast, aber man hatte dort eine äußerst wohltuende Art mit Filmstars umzugehen; eine Art, die er für sich einfach mit typisch bayerischem savoir vivre gleichsetzte. Selbst das Englisch der Hotelangestellten hatte eine deutliche Färbung in diesen auffälligen deutschen Dialekt gehabt, was er sehr lustig gefunden hatte.
Ansonsten hatte sein Aufenthalt in München ja in erster Linie aus Hotel, Transfer mit der Limousine zum Fechten, Fechten, Transfer mit der Limousine zum Reiten, Reiten, Transfer mit der Limousine zurück zum Hotel bestanden.
In den ersten drei, vier Tagen hatte er nicht nur höllischen Muskelkater gehabt, sondern war auch dazu noch völlig erschöpft gewesen.
Fechten war ein schweißtreibender Hochleistungssport! Er hatte gewiss etliche Kilo an Gewicht verloren, seit er das Fechttraining angefangen hatte. Er hätte das niemals für möglich gehalten, aber durch das Fechten hatte er tatsächlich mehr abgenommen als durch Training für den London-Marathon. Unglaublich!
Gejoggt hatte er noch nie gerne. Man joggte halt, um sich halbwegs fit zu halten. Ins Fitness-Studio war er auch nicht mit großer Begeisterung gegangen, eher mehr so halbherzig, um nicht völlig aus der Form zu geraten.
Fechten aber – das merkte er hier – war eindeutig sein Sport. Nachdem der Muskelkater sich gelegt hatte, war er mit immer mehr Enthusiasmus an die Sache herangegangen. Es lag ihm, er hatte Spaß daran, es brachte ihm etwas. Er liebte es. Warum nur war er nicht schon früher auf diese glorreiche Idee gekommen? Klasse!
Er hatte es hier in Bamberg kaum erwarten können, dann auch das Gelernte in die Stunts und choreografierten Gefechte umzusetzen.
Für einen Film in 3D-Technik musste das alles mehr als sauber ausgeführt werden. Jeder Fehler führte hier unweigerlich zu einem ärgerlichen „Aus“ und zu einem scharfen „noch mal“ der Regie. In 3D war alles zu sehen, aus jeglicher Perspektive. Bei herkömmlicher Filmtechnik konnte man mehr tricksen, kompensieren. Das würde hier nicht mehr gehen. Man musste quasi kämpfen, fechten bis der Tod eintrat. Für den Gegner natürlich!
Nein, ehrlich! Die Kostüme fingen einiges ab, damit sich die Degenspitze nicht wirklich bis ins Fleisch bohrte, aber es blieb gefährlich. War man nicht sicher beim Fechten, war eine Szene nicht bis ins Detail durchchoreografiert, konnte das im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge gehen – siehe Rochefort!
Ha, nun musste er doch mal lachen. Klar war dessen Augenklappe nur ein Kostümbestandteil, er hatte sie nicht seinen Fechtkünsten zu verdanken… noch nicht!
Also, kurz gesagt: Es war eine große Herausforderung. Und es erzeugte Druck. Er war wirklich wesentlich nervöser gewesen vor Drehbeginn als sonst. Man durfte sich einfach kaum Fehler erlauben, da jeder Fehler unter Umständen fatale Folgen haben konnte.
Hmh, Bamberg – Stadt der tausend Biere. Er war kein großer Biertrinker vor dem Herrn. Nichts gegen ein ordentliches Bierchen ab und zu mal, aber er mochte Wein einfach lieber. Viel lieber.
Wobei er sich hatte sagen lassen, dass die nächste Station Würzburg – hatte er vorher auch noch nie gehört, er hatte alle Städte im Internet nachschlagen müssen, Schande über sein Haupt! – tolles Weinland sein sollte. Gott sei Dank! Mit einem leicht zufriedenen Grinsen nahm er seine Unterlagen zur Hand und schaute mal schnell im Drehplan nach, wann man dort endlich hinkommen würde!
Würzburg by doris anglophil
Nachdenklich kratzte er sich am Kopf. Anfangs hatte er gedacht, das Wetter würde niemals angenehm warm und schön werden. Dabei war ihm gesagt worden, dass der Herbst in Deutschland so wundervoll und vor allem stabil von der Wetterlage her sein sollte. Von alldem hatte er zuerst kaum etwas gemerkt. Auch hier in Würzburg war das Wetter eher schlecht gewesen. Bewölkt, wechselhaft, regnerisch.
Wie das mit den Filmdreharbeiten hatte gehen sollen, war ihm schleierhaft gewesen und er hatte gehofft, dass sich das Wetter bald ändern würde.
Und nach genau sechs Tagen war es plötzlich herrlich sonnig und trocken geworden, eigentlich wie prophezeit - endlich. Ein Frühherbst aus dem Bilderbuch.
Ein winziges Manko musste allerdings angesprochen werden: Hier in der Provinz gab es kein einziges Fünf-Sterne-Hotel. Zwar hatte man bereits in Bamberg im ersten Haus am Platz logiert, aber das war – auch wenn es sich um ein sehr schönes historisches Gebäude gehandelt hatte – kaum zu vergleichen mit einem wahrhaften Luxushotel.
Und das gleiche Spiel – vielleicht sogar noch eine Spur provinzieller, trotz dass auch dieses Hotel hier sich mit dem Attribut ‚Schloss‘ schmückte – nun hier in Würzburg. Es war nicht ganz der Standard, den er gewohnt war und schon dreimal nicht der Standard, den seine überaus prominenten Kollegen gewohnt waren. Wettgemacht wurde das Fehlen von mindestens einem Stern durch die wundervolle Lage inmitten der Weinberge hoch über Würzburg – traumhafte Aussicht inbegriffen. Nun gut, mit der Einschränkung, dass man zwar auf die Stadt und auf die gegenüberliegende Festung sehen konnte, aber leider auch auf ein sehr hässliches Heizkraftwerk am Main.
Blieb das Plus der Weinberge. Er hatte noch niemals zuvor mitten in einem Weinberg gewohnt. Es war fast paradiesisch.
Gerade nun, wo die Trauben für die Lese bereit waren und man sich der Tatsache bewusst wurde, dass dies nun bald einen neuen köstlichen Tropfen geben würde – wundervoll!
Er liebte Wein und gewissermaßen genau an der Quelle, am Ursprung dieses Rebensaftes logieren zu können, war die Sache auf alle Fälle wert.
Während er seinen Blick über die Stadt Würzburg schweifen ließ, dachte er an seine mäßigen Fortschritte in der deutschen Sprache. In Bamberg hatte er ‚Kerwa“ gelernt, aber was sich genau hinter diesem Begriff verbarg, vermochte er noch immer nicht zu sagen. Für ihn war es das Synonym für eines der vielen Feste, die die Deutschen zum Anlass nahmen um enorme Mengen an Bier in Ein-Liter-Krügen – völlig irre! – zu trinken und ebenso enorm fettes Essen zu sich zu nehmen. ‚Schweinebraten‘ und „Schweinehaxe‘ waren weitere Wörter, ebenso wie „Bratwurst mit Kraut‘, die er nun beherrschte.
Und hier nun sah er sich mit einem neuen Wort konfrontiert: ‚Bocksbeutel‘. Wenn er es hätte schreiben müssen, hätte er es natürlich mit einem ‚x‘ in der Mitte geschrieben. War aber falsch, wie er schnell herausgefunden hatte.
Man orderte hier den Flaschenwein nicht, indem man ‚noch eine Flasche Wein, bitte‘ sagte, nein, es hieß folgerichtig ‚noch einen Bocksbeutel, bitte‘.
Diese Flaschen waren nicht schlank und schmal in der Silhouette, sie waren rundlich und bauchig. Eine Einzigartigkeit, eine Besonderheit dieser Region, die – und dies verwirrte ihn anfänglich – Franken hieß, aber Bayern war und Bayern war wiederum in Deutschland. Das sollte einer kapieren!
Sein Deutschunterricht war zwangsläufig weitergegangen, denn ‚fortress‘ hieß ‚Festung‘.
Am Set ging es sehr oft zweisprachig zu, daher waren ihm Halbsätze wie ‚Ruhe bitte, wir drehen‘ oder ‚Kamera läuft‘ nun auch in Deutsch ein Begriff. Auszusprechen war das alles nicht so leicht, so mühte sich beispielsweise sehr ab, das Wort ‚Frühstück‘ herauszubringen ohne dass es völlig verfremdet und unverständlich klang. Total schwer!
Was aber das absolut Bemerkenswerteste an Würzburg war, war der Auflauf an Paparazzi. Selbst in London wurde man selten so behelligt wie in dieser bayerischen Kleinstadt. Der Grund dafür: Sein lieber frischverheirateter Kollege, demnächst Vaterfreuden entgegensehend! Sogar der berühmt-berüchtigte Paul, einer der wenigen Star-Paparazzi aus Deutschland, war extra angereist und legte sich auf die Lauer nach einem Fotomotiv, das er gewinnbringend vermarkten konnte. Unglaublich! Wie schön ruhig und beschaulich hätte alles werden können, wäre da nicht besagter netter Kollege mit im Spiel.
Andererseits fokussierte sich das Geschehen ganz auf diesen Herrn und auf noch ein, zwei weitere Co-Stars, was zwar ein wenig Trubel machte, aber im Großen und Ganzen die anderen im Team verschonte.
Ein Bild dieses Kollegen hatte einen enormen Marktwert, wohingegen man ein Foto von ihm selbst wahrscheinlich kaum losbringen würde. Seine Popularität hielt sich zum Glück stark in Grenzen, vor allem außerhalb seines Heimatlandes.
Er verspürte auch kein sehr großes Bedürfnis nach Öffentlichkeit. Er ging gerne mit, wenn gemeinsame Aktionen mit dem Filmteam angesagt waren, keine Frage. Aber er hielt sich ansonsten dezent im Hintergrund und war auch nicht jeden Abend – wie so einige andere - in der Stadt anzutreffen. Der Dreh war unglaublich anstrengend, denn seit das Wetter so extrem gut geworden war, hatte man täglich mehr Szenen als vorgesehen ins Programm gepackt. Dann war man wirklich froh, wenn man abends schnell ins Hotel konnte, wo ausruhen und entspannen die Devise war.
Dreharbeiten an so öffentlichen Orten und Plätzen abzuhalten, war ohnehin recht schwierig. Er bewunderte diese bayerischen Städte und Orte dafür, wie sie mit der Situation umgingen. Aber auch für die Filmcrew war es ein Knochenjob, ebenso wie für alle Darsteller. Man stand jeden Tag unter massiver Beobachtung, hatte täglich Tausende von Zaungästen, die Schlösser und Burgen durften nicht vollständig für Besucher gesperrt werden und oftmals rannte man schnell im Kostüm an einer Gruppenführung vorbei. In der Art hatte er selbst auch noch niemals einen Film gedreht; es war gewissermaßen sein Debüt – und in 3D sowieso. Natürlich schotteten Sicherheitsleute das Filmset so gut wie möglich ab, aber Zuschauer hatte man dennoch immer. Und wenn ein Fotograf mit einem besonders guten Teleobjektiv dabei war – und deren schien es überraschend viele zu geben - gab es auch tolle Fotoausbeute.
Wobei der Regisseur auch recht großzügig war und die meisten Fotografen seelenruhig gewähren ließ. Hatte man auch nicht oft.
Mit einem zufriedenen Lächeln besah er das mit fränkischem Rotwein gefüllte Glas vor sich. Er würde auf alle Fälle eine Kiste dieser ‚Bocksbeutel‘ – er liebte dieses Wort! – mit nach Hause nehmen.
Schon bald waren die Dreharbeiten in Würzburg beendet und es würde aus diesem großen und bekannten bayerischen Weinbaugebiet heraus gehen, nach München und Umgebung, wo dann das Bier wieder regierte. Und das war auch schon das nächste Stichwort, aber eines, das er auf Deutsch schon länger konnte. Es hieß nämlich: ‚Oktoberfest‘!
Berlin by doris anglophil
Nun die letzte Deutschland-Station. Die Hauptstadt – viel gerühmt und sowohl negativ als auch positiv belegt. Er selbst war zu jung, um alles Negative rund um Berlin bewerten zu können, aber natürlich wusste er ein paar historische Fakten und natürlich auch, dass diese Stadt in ihrer jüngeren Geschichte das schwere Schicksal der Zweiteilung erfahren hatte. Davon war auf den ersten Blick kaum noch etwas zu sehen. Und einen zweiten Blick konnte er aus Zeitgründen leider nicht riskieren. Schade eigentlich, denn er fand, dass Berlin durchaus ein paar ähnliche Züge wie London aufwies.
Gegenüber Berlin und teils auch gegenüber München waren die andere Drehorte in Bayern wirklich sehr provinziell gewesen. Nicht unbedingt wegen der fehlenden Fünf-Sterne-Hotels, es hatte durchaus mal Spaß gemacht, in der Touristenklasse zu wohnen, aber Berlin war einfach die klassische, traditionelle Hauptstadt, eine Metropole aus dem Lehrbuch. Schnelllebig, brodelnd, laut, schrill, aber mit diesen wundervollen ruhigen Ecken und Orten; Oasen, die er so auch aus London kannte.
Er konnte sich lebhaft vorstellen, dass diese Stadt vor dem zweiten Weltkrieg fast der Puls der Welt gewesen sein musste. Glamourös, elegant, urban, gesellschaftlich hochstehend und modern – zumindest für die damaligen Verhältnisse. Wenn man die Augen schloss, konnte man die dicken Mercedes-Limousinen mit der ellenlangen Kühlerhaube, die großen UFA-Filmstars wie Marlene Dietrich, eingewickelt in eine sündhaft teure Pelzstola, einen Boxkampf von Max Schmeling im sagenumwobenen Berliner Sportpalast oder auch ein flottes Sechstage-Rennen mit Unterhaltungs-Programm förmlich vor sich sehen – in Schwarz-Weiß versteht sich!
Wie schön musste diese Zeit für Berlin gewesen sein und welch furchtbaren Preis hat man dort ein gutes Jahrzehnt später zahlen müssen! Ja, wenn man die Augen schloss, konnte man auch das durch Mark und Bein gehende Sirenengeheul hören, das Rattern der Flak und schließlich das tosende Detonieren der Bomben, gefolgt vom Weinen und Schreien der Berliner Bevölkerung. Genug jetzt davon! Er würde sonst Depressionen bekommen, lieber also Berlin von seinen schönen Seiten heutzutage genießen.
Ja gut, Potsdam-Babelsberg war nicht Berlin. Wenn er ehrlich war, hatte er so viel nun nicht von der Hauptstadt zu sehen bekommen. Dennoch hatten ein paar Einblicke während der täglichen Fahrten in der Audi-Limousine genügt, um ihn Gefallen an dieser großen deutschen Stadt finden zu lassen. Außerdem wohnte er ja direkt im Herzen Berlins und wenn man abends ab und zu noch Zeit und Muße fand, dann wurde durchaus auch die Nobelherberge – tja, auch auf die Hotellerie verstanden sich die Berliner blendend - nochmal zu Fuß verlassen und Berlin auf eigene Faust erkundet.
Die Funkausstellung und die Berlinale waren ebenfalls weit über die deutschen Grenzen hinaus bekannt, ebenso Orte und Sehenswürdigkeiten wie das Brandenburger Tor, der Reichstag oder der Fernsehturm am Alexanderplatz.
Klar, Touristen-Standard-Programm, das war ihm wohl bewusst. Es war ebenso, als würde er jemanden in London zum Buckingham Palace und zur Westminster Abbey schicken.
Was ihn aber nun inmitten der aufreibenden Arbeit in den Filmstudios Babelsberg am meisten gefreut hatte, war der Umstand gewesen, dass man die Deutschland-Premiere des TV-Mehrteilers „Die Säulen der Erde“ genau in diese Zeit nach Berlin gelegt hatte, so dass er auch daran hatte teilnehmen können. Auch wenn sein Drehplan ihm leider nicht erlaubt hatte, von Anfang an zugegen gewesen sein zu können, war er zumindest noch auf der Party im Anschluss gewesen und hatte Gelegenheit gehabt, viele seiner Kollegen aus dieser Produktion nach fast einem Jahr wiederzusehen. Auch wenn er rechtschaffen müde gewesen war, hätte er diesen Abend unter keinen Umständen missen wollen.
Was hatte Berlin kulinarisch – er verkniff es sich rasch, ans Trinken allein zu denken – zu bieten? Eigentlich konnte man getrost sagen ‚alles‘, denn dies war eine Stadt mit internationalem Flair, dennoch war hier der Einfluss der türkischen Einwanderer wohl unverkennbar, das was er allenfalls als ‚Kebab‘ kannte, spross hier an jeder Ecke als so genannte ‚Dönerbude‘ hervor.
Oder Berline Weiße mit Schuss – eine regionale Spezialität, leider nicht so ganz sein Fall. Es hatte ihm beim ersten Mal sogar vor diesem giftgrünen Bier-Mixgetränk gegraut, auch die rote Variante mit Himbeersirup anstelle von Waldmeistersirup konnte ihn nicht versöhnlicher stimmen. Wenn man es aber erst einmal probiert hatte, war es so übel nicht, nur sein Lieblingsgetränk würde es wohl niemals werden.
Und dann eines: Currywurst! Ha! Da er gerne scharf aß, fand er dieses Gericht vom Stehimbiss einfach genial. Und ‚Stehimbiss‘ war ein weiteres Wort, das er gelernt hatte sowie natürlich das allgegenwärtige ‚Pommes‘! Er hatte eine Weile gebraucht, um zu kapieren, was die Deutschen damit meinten.
Kalt war es inzwischen geworden in Deutschland. Im August war er nach München gekommen, wo es zwar öfter mal geregnet hatte, aber auch noch umgänglich warm gewesen war, und nun war es schon fast November. Eine lange Zeit, auch wenn er zwischendurch mal kurz nach London heimreisen hatte können.
Die Drehzeit neigte sich langsam dem Ende entgegen, was nahm er mit von Deutschland? Dass es ein unglaublich vielfältiges Land war, mit atemberaubend schönen Landschaften, tollen Städten und lieblichen Ortschaften, mit wundervollen Schlössern voller Pracht und Kunstgeschichte, mit gutem, teils deftigem Essen, mit auserlesenen Weinen und kräftigen Bieren. Ein Land, dessen Bevölkerung vielleicht als ein wenig unwirsch gelten mochte; Leute halt, die sich eben nicht für den geringsten Anlass umständlich entschuldigten, die aber oftmals das Herz viel eher am rechten Fleck trugen, als die, die genau diese überaus höflichen Floskeln in seiner Heimat ständig von sich gaben, dies aber nur aus einer anerzogenen Gewohnheit heraus taten ohne es dann auch wirklich zu meinen.
Ein Land, das sich zu einem nicht unerheblichen Teil über ein riesiges, alle Dimensionen sprengendes Volksfest definierte, das aber dennoch mehr als nur Lederhosen und Dirndl zu bieten hatte. Ein Land, das er über mehr als drei Monate hinweg sehr schätzen gelernt hatte.
München, Bamberg, Würzburg und Berlin – wie wenig war das im Vergleich zum Rest von Deutschland. Aber er hatte trotzdem das Gefühl, dass er einen komplexen Eindruck – sofern überhaupt möglich bei all der Arbeit – erhalten hatte, vor allem, da er einen Großteil der Zeit in nicht-urbanen Gegenden Bayerns verbracht hatte. Mitten in einer Stadt wie Würzburg, nur durch ein Flatterband getrennt von Hunderten von Zuschauern zu drehen, war kaum eine alltägliche Erfahrung zu nennen. Und es hatte funktioniert, das war das Wundervolle daran.
Leicht lächelnd blickte er durch sein Zimmerfenster auf den prestigeträchtigen Boulevard ‚Unter den Linden‘, und wenn er den Kopf ganz weit nach links drehte und ein klein wenig verdrehte, konnte er das Brandenburger Tor sehen. Na ja, konnte halt nicht jeder ein Zimmer mit direktem Ausblick auf diese Attraktion haben. Dafür war die britische Botschaft genau ein Haus weiter um die Ecke in der Wilhelmstraße, ein Fakt, der ihm ein breites Grinsen auf die Lippen zauberte, und der dennoch nur ein spaßiger Zufall war.
Auf Englisch und in dieser Situation bekommen Heinrich Heines Worte auf wundersame Art und Weise eine leicht andere Deutung/Bedeutung als auf Deutsch:
Night Thoughts
Thinking of Germany at night
Just puts all thought of sleep to flight;
No longer I can close an eye,
Tears gather and I start to cry.
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